Jenseits von Europa

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Über Kolonialismus, sexualisierte Gewalt, rassistischen Sexualmord und Syphilis am Beispiel von Karl May und seines Antipoden Carl Peters

Ausgehend von einem Rundumblick aus einem nach den Bundestagswahlen 2021 neu bezugsfertig gemachten „Denkmal der Schande“ mitten im Herzen Berlins. Sein Name: AfD-Bundestagsfraktion, Kolonialismus-Propagandaabteilung. Seine Betreiber: Marc Jongen, Erik Lehnert, Harald Weyel sowie der entscheidende Ratgeber in Fragen wie diesen: Bruce Gilley

Von Christian Niemeyer

Meinem Temperament kommt vermutlich die Schuld zu für diese etwas deftig geratene Überschrift. Dass es auch anders, freundlicher geht, zeigen zwei neuere Veröffentlichungen zum Thema: Kerstin Deckers Sachbuchbestseller Meine Farm in Afrika. Das Leben der Frieda von Bülow (2015) – ein Buch, das ein wenig verspätet wirkt angesichts der zu jener Zeit schon seit sieben Jahren auf dem Markt befindlichen Romanbiografie „Jenes herrliche Gefühl der Freiheit.“ Frieda von Bülow und die Sehnsucht nach Afrika (2008) von Monika Czernin. Zu freundliche Bücher, wie mir scheinen will und in Folgenden belegt werden soll, mir im Übrigen bei dominierend literatur- wie auch populärwissenschaftlichen Darstellungen wie diesen durchaus als B zu jenem A unvermeidlich scheint.

Ergo: Dass es auch anders, härter, geht und gehen muss, deutet die Überschrift dieses Aufsatzes und der in ihr markierte Aussichtspunkt an. Vorab gilt es dabei wohl festzuhalten, dass dem Rechtspopulismus (nicht nur in Deutschland), der sich ansonsten auf Rassismus als eine der den Kolonialismus bedingende Mentalitätsdevianz gut versteht, ebenso wie auf Herrenvolkattitüden als den notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden mentalen Ingredienzien eines jeden Kolonialismus, das Exotische inzwischen offenbar etwas zu unheimlich geworden. Der Neue Rechte, der etwas auf sich hält, zieht es nicht mehr, wie weiland Hägar, den Schrecklichen, in die Ferne, Beute machen, im besten Fall: Sklaven. Vielmehr ist er, im Sog auch seiner medialen wie Wohlstandsverwahrlosung, heimisch geworden, liebt den Suff mit Gleichgesinnten, also das Homogene und damit den Anderen vor allem dann, wenn auch er oder sie eine Glatze bevorzugt oder Springerstiefel. Insofern lauten die zentralen Vokabeln der Neuen Rechten auf „Heimat“ oder „Deutschland zuerst“, haben also zum Inhalt, Afrika mögen doch bitte draußen bleiben, jenseits des Mittelmeers, besser vielleicht: in ihm. Wenn bei all dem überhaupt ein Zusammenhang gesehen wird mit dem deutschen Volk und einem ihm gebührenden Fiskalaufkommen, dann eher ex negativo nach dem Muster: Jeder Euro Flüchtlings- resp. Entwicklungshilfe ist ein verlorener Euro, verloren vor allem für den Einheimischen aus dem Segment der Homogenen, der sich redlich abmüht, aber von den Regierenden systematisch um das ihm Zustehende gebracht wird, im Zweifel: namens einer unangemessenen „Humanitätsduselei“ bezüglich des Fremden und Flüchtenden, der sich gefälligst mit seiner Herkunftsregion abfinden und in ihr die Sache zum Besseren wenden soll.

So betrachtet scheint zu gelten, dass der Kolonialismus aus neu-rechter Sicht so out ist wie nur irgendetwas – abgerechnet natürlich eine (im AfD-Sinne) politisch korrekte Lesart desselben. Diese zu forcieren, scheint jedes Mittel recht. Eingeschlossen die hingeworfene Bemerkung Michael Klonovskys, der den gegen Otto Friedrich von der Groeben (1657-1728) erhobenen Vorwurf, er sei in den transatlantischen Sklavenhandel verstrickt gewesen, „gröblichen Rufmord“ (Klonovsky 2015: 42) nannte – ein Argument wie aus der Demagogenschmiede, da ohne Ross und Reiter gebaut und allein auf Wirkung abstellend. Wahr hingegen ist nach neueren, von Bartholomäus Grill vor Ort gesicherten Erkenntnissen, dass, im Nachgang zu den Holländern, auch die Preußen zwischen 20 000 und 30 000 Slaven von der Goldküste nach Amerika verschifften. Und dass der Große Kurfürst, der zwei Fregatten unter dem Kommando von der Groebens Richtung Goldküste schickte, „der erste Deutsche war, der den Menschenhandel förderte.“ (Grill 2019: 22) AfD-typische Geschichtsklitterung also?

Wohl nicht ganz geschichtsklitternd geurteilt, wenn man den 11.12.2019 einbezieht, als Marc Jongen namens der AfD-Bundestagsfraktion einen Antrag stellte im Deutschen Bundestag, Deutsch-Ostafrika und die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes 1905-1907 betreffend, ebenso den Umgang mit den Herero und Nama (rassistisch: Hottentotten) in Deutsch-Südwestafrika 1904-1908. Zugestanden wird, dass es „unverhältnismäßige Härten und Grausamkeiten“ gab, aber von „einem systematischen oder vorsätzlich herbeigeführten Völkermord oder gar einer Kontinuität zwischen diesen Grausamkeiten und den Verbrechen der NS-Zeit kann indes keine Rede sein“ (Drucksache 19/15784: 1) – eine erkennbar beschönigende Rede, sei es angesichts der Einzelheiten, etwa jener von Rebecca Habermas (2016) unter dem Titel Skandal in Togo am Beispiel eines vergewaltigenden Kolonialbeamten gezeichneten, sei es das auf Vernichtungskrieg und „Rassenkampf“ hinauslaufenden Agieren des vom Kaiser eingesetzten Generals Lothar von Trotha (vgl. Nuhn 1989: 260 ff.), das auch unter dem Titel The Kaiser’s Holocaust thematisiert wird. (vgl. Olusoga/Erichsen 2010: 138 ff.; Gietinger 2017: 81 ff.) Kein Thema indes für die AfD resp. Jongen & Co., deren Anliegen auf die Klage hinausläuft, dass die dunklen Seiten des deutschen Kolonialismus zu schwarz gemalt würden, die „gewinnbringenden Seiten“ (zit. n. Conze 2020: 15) hingegen erinnerungspolitisch keinen Niederschlag fänden – ein Motiv, dass im Hohen Haus in Berlin zum Vortrag zu bringen ja nur dann Sinn macht, wenn diese ‚gewinnbringende Seite‘ auch im Blick auf die zukünftige Politik stärker ins Kalkül gezogen werden soll, inklusive der vorgenannten ‚unverhältnismäßigen Härten und Grausamkeiten‘ – die in Zukunft vermeiden zu wollen als leichthin abgebbares Versprechen in die gleichsam allerletzte Waagschale geworfen wird.

Heißt zugleich, und über dieses Beispiel hinausgehend anhand eines weiteren erläutert: Der Vergangenheit gedenkt man resp., wie hier, Jongen & Co., also die AfD-Bundestagsfraktion vom Dezember 2019, gerne, und dies tut auch Erik Lehnert von der neu-rechten Kaderschmiede IfS gerne, der gleichfalls, so 2014 im neu-rechten Staatspolitischen Handbuch, der klinisch bereinigten Erinnerung huldigt, also eine ohne Vokabeln wie Genozid, Massaker oder Versklavung zu schreibenden verehrenden Geschichtsschreibung favorisiert, etwa zu „Abenteurern“ wie „Carl Peters (Deutsch-Ostafrika) und Adolf Lüderitz (Deutsch-Südwestafrika), die auf eigene Faust in Afrika Verträge mit den örtlichen Herrschern abschlossen und sich so großen Landbesitz sicherten.“ (Lehnert 2014: 125) Viel genauer muss man es ja nicht wissen, sollte diese wohl heißen – zumal nicht angesichts einer Erinnerungspolitik wie jener Lehnerts. Der in jenem Artikel, aus dem wir eben zitierten, ausgerechnet Trothas Mittäter in Sachen Herero und Nama, Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964), gedachte resp. eines dort, „ungefähr auf halbem Weg zwischen Kasama und Mpika im nördlichen Sambia“ (ebd.: 124), vorfindbaren Denkmals, dem „Lettow-Vorbeck-Denkmal“.

Warum? (Gemeint ist mit dieser Frage selbstredend nicht dieses Denkmal, sondern der Grund für das Gedenken an es?) Deutlicher: Warum gedenkt ein neu-rechter Ideologe aus Deutschland 2014 des angeblichen „Löwen von Afrika“ dessen, der vor Ort, mit sehr viel mehr Grund (vgl. Grill 2019: 57), bekannt als „der Herr, der unser Leichentuch schneidert“? Ein ‚Herr‘, der, so resümierte Ralph Giordano, Macher der Fernsehdoku Heia Safari – Die Legende von der deutschen Kolonial-Idylle in Afrika (1966), Lettow-Vorbecks Autobiographie Mein Leben (1957),

„der sich das rassistische Wertesystem der Kolonialepoche bis an sein Ende bewahrt hat; der die Meinung vertrat, daß die betrügerischen Verträge zwischen unwissenden und eingeschüchterten Häuptlingen und dem deutschen Kaiserreich ein Akt des Völkerrechts gewesen seien; der die massenhafte Niedermetzelung von Afrikanern in den Kolonialkriegen als ‚Befriedung‘ bezeichnet und sich zu General von Trotha und berserkerhaften Herrenmenschen wie Hans Dominik und Carl Peters bekannte.“ (Giordano 2000: 136 f.)

Hierzu passt, dass Lettow-Vorbeck den Freikorps nahestand und beim Kapp-Putsch seinem Lieblingsgewerbe nachging. Ein ‚Herr‘, zu dessen Verehrern der HJ-Obererzieher Helmut Stellrecht (1942: 153) gehört und der ein auch nach 1945 unbelehrbarer Nazi war, der gleichwohl zur Empörung von Ralph Giordano bei seiner mit militärischen Ehren vollzogenen Beisetzung vom damaligen Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU), 1913 in Deutsch-Ostafrika als Sohn eines Offiziers geboren, zur „Leitgestalt der Bundeswehr“ erklärt wurde (vgl. Giordano 2000: 135 ff.; Grill 2019: 57) und der von allen, die etwas von der Sache verstehen (etwa auch Nuhn 1989: 210 f.; Schulte-Varendorff 2006: 144 f.) mit äußerster Skepsis betrachtet wird?

Die Antwort kommt nicht ohne Verweis auf den Versailler Vertrag aus, durch welchen, was die deutschen Kolonien in Afrika angeht, den „Raub [der Kolonien] ‚im Namen der Moral‘ vollzogen und die Beute unter sich aufteilten.“ Dies ist nicht, wie man meinen könnte, O-Ton Hitler, dies ist O-Ton Lehnert (2014: 126), der noch eine Lektion hinzusetzt, die er in die Worte kleidet:

„Wie alle Kolonialmächte hatte Deutschland vor Ort mit Aufständen, mit Korruption und Mißwirtschaft zu kämpfen, weshalb die Kolonien in Deutschland umstritten blieben.“ (ebd.: 125)

Heißt: Die aufständischen, korrupten und von Natur aus (übersetzt: ihrer rassisch begründeten Faulheit wegen) zur Misswirtschaft neigenden Afrikaner waren in der Kolonialismusepoche I schuld an allem ihrem ferneren Übel, nicht aber etwa jene, die dort gar nichts zu suchen hatten und ohne jedes schlechte Gewissen einen Genozid nach dem anderen veranstalteten. Nochmals: Kein Wort hierzu bei Lehnert, der auf diese Weise wohl die Lektion ins Abseits drängen will, die auf dem Stand des Jahres 2014 die einzig angemessene gewesen wäre:

Wie fast alle Länder der ‚Dritten Welt‘ hatte Südwestafrika (vorm. Rhodesien) mit Kolonialmächten, in diesem Fall Deutschland, zu tun, gegen dessen Rassismus und Menschenverachtung es sich nur mithilfe von Aufständen erwehren konnte, um der vollständigen Ausplünderung und Ausrottung zu entgehen.

Merke: Es ist diese Lektion, welche die Neure Rechte und mithin auch die AfD auf dem Stand des Jahres 2014 in Vergessenheit bringen will, um Kolonialismusepoche II ins Werk zu setzen, getarnt durch die Botschaft, dass irgendwann mal ein hinreichend Selbstloser die dem Afrikaner eigene Tendenz zur Korruption und Misswirtschaft beenden helfen muss – und dies sei die AfD.

Soweit gediehen mit seinen Überlegungen, kamen Lehnert, wie es scheinen will, die Bundestagswahlen 2017 gerade recht, deutlicher: sein neuer Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachhochschulprofessors und ‚deutsch-afrikanischen‘ AfD-MdB Harald Weyel, hatte dieser doch in seiner Dissertation von 1993 über Dekolonialisation eine Argumentation entwickelt, die jener Lehnerts von 2014 nahekam – und die schließlich in jene des erwähnten 2019er Bundestagsantrags der Jongen et al. (vgl. Drucksache 19/15784) – an dem selbstredend auch Weyel mitwirkte – einfloss. Kurz: (Neo-)Kolonialismus geriet plötzlich zu einer Option Deutschlands auch für die (AfD-)Zukunft, gleichsam als späte Rache an den 1919er Siegermächten – eine Vokabel, die hier nicht ganz unbedacht steht. Sie kann nämlich zur Not auch dahingehend belegt werden, dass Weyel unter ‚Siegermacht‘ auch seinen Vater versteht, also einen farbigen US-Soldaten, der ihn und seine Mutter schändlich verließ, sein fraglos nicht freudvolles ‚Besatzungskind‘ im Deutschland der 1960er Jahren also durchaus erschwerte – und nun damit leben muss, dass sich sein Sohn mit pro-kolonialistischen Thesen (seiner AfD) im Deutschen Bundestag recht weit aus dem Fenster einer Ausstellung legt, die am liebsten klug ausgewählte Neu-Kolonialisierte aus aller Welt vorführen würde (zu Lasten der durch die wirtschaftliche Not bei latentem Islamismus ins Land getriebenen Flüchtlinge, wenn nicht gar, à la Merkel, ins Land gelockten ‚Invasoren‘). Um diese Ableitung nachvollziehen zu können, empfiehlt sich ein Interview mit dem 2021 wiedergewählten MdB, die uns Weyel als ein Opfer eines von seinem Vater verlassenes Besatzungskind zeigt.

Aber auch unabhängig von diesen Zusatz steht außer Frage, dass Lehnert nicht auf eigene Faust arbeitet, wie das 2019 nachgereichte Wort Andreas Lombards von der „explosiven Heuchelei von Versailles“ (Lombard 2019: 166) zeigt, aber auch der 2017 nachgereichte, Deutsche Daten betitelte fünfte und letzte, diesmal von Lehnert als Allein-Herausgeber verantwortete Teil dieses Handbuchs. Besonders interessant an diesem: Ein der Gründung des deutschen Kolonialvereins am 6. Dezember 1882 gewidmeter Beitrag von Gerald Franz, in welchem (erneut) alle verschont werden, auch Carl Peters, und wo es zum Ende des Kolonialismus 1918 heißt:

„Verblieben sind unübersehbare deutsche Spuren in den früheren Kolonien wie Ost- und Südwestafrika“ (Franz 2017: 132),

aber mit keiner Zeile erwähnt wird, dass sich diese Spuren vor allem in Gestalt bleichender Knochen Zehntausender von Eingeborenen nachweisen lassen, die in der Summe das ergeben, was oben als The Kaiser’s Holocaust angesprochen wurde, womit zugleich anerkannt ist, dass man „von einer Vorbildfunktion der deutschen Kolonialkriege“ (Brumlik 2004: 16) für den Nationalsozialismus sprechen kann. (vgl. auch Messerschmidt 2002: 107) Dies zeigt schon der Umstand, dass KZ-Ärzte wie Josef Mengele sowie Eugeniker wie Theodor Mollison und Eugen Fischer „ihre ersten Forschungen an Eingeborenen während des Kolonialkrieges in Deutsch-Südwestafrika vor[nahmen].“ (Brumlik 2004: 16)

Von all dem also will die Neue Rechte, wohl in Abwehr eines weiteren Schuldkults, sowohl 2014 (Lehnert) als auch 2017 (Franz) als auch 2019 (Jongen & Co.) nichts wissen. Auch nicht davon, dass es Hitler war, der, unter den Vorzeichen der Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges, auch Deutschlands Anspruch als Kolonialmacht wieder herzustellen gedachte, mit der Folge, dass das Gespenst des Kolonialimperialismus nach 1933 wieder auflebte, in Fortsetzung der in Jugend- wie Pfadfinderbewegung folgenreichen Träume künftiger Größe. Insoweit kann man nur hoffen – muss aber zweifeln angesichts von Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Rhetorik –, dass das Ende Hitlers lehrreich ist für die Neue Rechte in Deutschland. Gesetzt, diese käme nicht auf die Idee, den ihr eingangs dieses Abschnitts attestierten Mängel in betreffs einer zeitgemäßen Bewertung deutscher Kolonialisierungsverbrechen zu vervollständigen, indem sie erneut den 1942 von Hitler ins Auge gefassten osteuropäischen Raum ins Auge fasst. Denn da, soviel ist wohl gewiss, wird Freund Putin fraglos nicht mehr mitspielen.

Nun aber, nach diesem an sich als warming up gedachten, allerdings recht kühl ausklingenden Part, zu unserem in der Überschrift angesprochenen ersten Fall und dessen Einordnung in die deutsche Kolonialgeschichte.

Karl Mays Erzählung Die Slavenkarawane (1889/90) als Auftakt einer bis heute unterschätzten Kolonialismuskritik?

Wir schreiben das Jahr 1879/80, befinden uns im Sudan, zwei Jahre vor dem Mahdi-Aufstand, dem ersten und am Ende erfolgreichen Aufstand gegen den Kolonialismus. Unsere kleine Geschichte, eine Erzählung, skizziert das damals übliche Vorgehen bei einem Überfall von arabischen Sklavenhändlern auf ein Eingeborenendorf:

„Dieser [Überfall] geschieht meist so, daß die das Dorf umschließende Dornenhecke an vielen Stellen angebrannt wird. Sie steht sehr bald rundum in Flammen. Die Bewohner erwachen; sie können nicht entkommen, weil sie umringt sind. Wer von ihnen sich zur Wehr setzt, wird niedergeschossen. Überhaupt werden gewöhnlich alle Männer getötet, weil sie sich selten in ihr Schicksal fügen und also den Transport erschweren. Auch die älteren Frauen werden erschlagen, weil niemand sie kauft. Die Knaben, Mädchen und jungen Frauen bilden die erwünschte Beute. Auch die Herden sind hoch willkommen. Es kommt vor, daß man schon auf dem Rückwege […] die erbeuteten Leute gegen Elfenbein vertauscht. Geht der Zug durch das Gebiet eines Stammes, welcher das Fleisch der Menschen demjenigen der Tiere vorzieht, so schlachten die Sklavenjäger die fettesten der erbeuteten Neger und verhandeln sie an die Menschenfresser.“

Ob alles – auch die Sache mit den Menschenfressern – so Wort für Wort stimmt, bleibe hier dahingestellt, schließlich geht es auch um Fiktion, in diesem Fall jene des Karl May, um genau zu sein (vgl. May 1889/90: 274 f.). Dessen Absicht in der durch Berichte des österreichischen Afrikaforschers Ernst Marno (1844-1883) angeregten (vgl. Kosciuszko 1981: 65) Erzählung Die Slawenkarawane ging auf Skandalisierung des in dieser exemplarischen Szene Geschilderten, allen Fehllektüren, namentlich jener der Kolonialismus-Skandalisierer David Olusoga & Casper W. Erichsen (2010) zum Trotz. Ihr May-Wissen reicht maximal bis zu Winnetou & Old Shatterhand ohne Orientzyklus und Kara Ben Nemsi – mit fatalen Folgen, etwa der belegfreien Zurechnung Mays („May was not a lone voice“) zu den „Völkisch mystics, promoted their firm belief […] that German’s colonies could save the Volk Ohne Raum from the misery of the industrial cities.“ (Olusago/Erichsen 2010: 108) Alles wird hier zusammengerührt, speziell: Karl May mit Hans Grimm, und dies, was May angeht, ohne jede Kenntnis seines Werkes und fast so, als seien die Autoren bei jenen in die Lehre gegangen, die May eine „kitschige Blut- und Boden-Romantik“ (Klotter/Beckenbach 2012: 141) meinten attestieren oder die These glaubten riskieren zu dürfen, der deutschtümelnde Nietzsche-Antipode Ferdinand Avenarius sei Mays „glühender Verehrer“ (ebd.: 146) gewesen. Das Gegenteil ist richtig: Avenarius war einer von Mays heftigsten Gegnern, übrigens sehr zur Empörung des Wandervogel-Protegés sowie Nietzsche- als auch May-Verehrers Ludwig Gurlitt (1919).

Ein wenig Sachverstand – statt ungehemmter Urteilsfreude – schiene mir also gerade in diesem Themenfeld durchaus erwünscht. Was auch gegen die Neue Rechte geht, die sich mittels ihres diesbezüglichen Vorredners Egon Flaig einen Drachen nicht nur gegen die arabischen Sklavenhändler, sondern auch gegen ‚den‘ Araber = Moslem = Islamisten zu schmieden sucht, wie das Beispiel Michael Klonovsky zeigt, der, ausgehend offenbar von Flaigs – nicht falscher – Ausgangsthese: „Die Menschenrechte sind entstanden im Kampf gegen die Sklaverei“ (Flaig 32018: 11), am Ende auf einem Befund sitzen bleibt, mit dem es ihm arg ungemütlich wird:

„Die Idee der individuellen Freiheit ist eine exklusiv westliche, sie brachte die Sklaverei in weiten Teilen des Planeten zum Verschwinden.“ (Klonovsky 2018: 360)

Einspruch, euer Unehren: Nicht diese Idee, sondern die wenigen, die ihr nahestanden, erreichten dies oder erstrebten dies, und dazu gehört der auch von Flaig sträflich ignorierte Karl May, keineswegs aber dessen Antipoden. Und zu diesen gehörten nicht nur die arabischen Sklavenhändler, sondern auch jene der Alten Rechten, die diesen in der Frage der Ressentiments gegen ‚lebensunwerte‘ Eingeborenen durchaus das Wasser reichen konnten. Ebenso übrigens wie jenen unter den Neuen Rechten, für die ein Leben ohne persönliche Slavin zwar möglich ist, aber sinnlos dünkt. So betrachtet: ein wenig Differenzierung ist durchaus hilfreich, spätestens dort aber unerwünscht, wo einem die Panik vor dem marodierendem nordafrikanischen Ausbreitungstyp die Feder führt.

Erst das Vorliegen von derlei Differenzierungsbereitschaft könnte im Übrigen erklären helfen, warum selbst der NS-Literaturhistoriker Josef Nadler, um Hitlers auch von Albert Speer (1975: 523 f.) bezeugte May-Begeisterung ebenso wissend wie um Avenarius‘ May-Gegnerschaft, des Weiteren um Mays nicht nur auf geraden Bahnen verlaufenen Lebenslauf, einige Schwierigkeiten hatte, das Werk Mays nicht primär seinem ‚persönlichen‘, sondern seinem ‚völkischen‘ Sinn nach auszulegen (Nadler 1938/41, Bd. 3: 568 f.). Auch der HJ-Führer Helmut Stellrecht hatte in seinem HJ-Schulungsbuch Neue Erziehung (1942) für May keine wirkliche Verwendung – abgesehen vom (erwartbaren) Rubrum ‚Abenteuersehnsucht‘, an welchem die NS-Wehrerziehung problemlos anknüpfen könne (vgl. Stellrecht 1942: 145). Getoppt wird diese von Irrungen und Wirrungen durchzogene kleine Rezeptionsgeschichte durch den Fall des der Jugendschriftenbewegung entstammenden Volksschullehrers Wilhelm Fronnemann, der „sich nach 1933 alle Mühe gegeben [hatte], vor Karl May als Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung zu warnen“, um nach 1945 zu unterstreichen, „wie gut [er] zum Nationalsozialismus passe.“ (Heinemann 1982: 241) Wer May indes, anders als die meisten der Vorgenannten, hinzugerechnet Karlheinz Weißmann, der willig kolportiert, „die Ideen Karl Mays über den ‚Edelmenschen‘“ (Weißmann 1998: 179) hätten Hitler beeinflusst, genau liest, etwa unter Beiseitesetzung des durchaus fehlleitenden Rubrums „Trivialroman“ zugunsten der durchaus treffenden Gattungsbezeichnung „ethnographischer Roman“ (Bartels 13,141934: 425), wird kaum etwas über Wehrerziehung (schon gar nicht im NS-Sinne) erfahren, viel hingegen (etwa aus Mays ‚Orient-Erzählungen‘) über den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten sowie über pazifistische Konfliktlösung zwischen Islam und Christentum, was durchaus Anregungspotential auch noch für die Zukunft aufweist, so dass als Resümee naheliegt:

  • Ja, es gab die von May durchgehend beklagte Bekriegung der Ungläubigen („Giaur“) als auch den – des Weiteren in Im Lande des Mahdi (1891-96) thematisierten – Skandal einer fortdauernden arabischen Sklavenjagd.[1]
  • Nein, der Islam ist damit nicht hinreichend beschrieben, ihm ist vielmehr, als freizulegende Option, eine tolerante, lebens- und liebesfreundliche Variante eigen, und diese gilt es zu fördern, etwa im Austausch mit dem Christentum à la May, wie in der Figur des Achmed Abd el Isaf aus dem ersten Band der Mahdi-Trilogie zur Anschauung gebracht. (vgl. May 1891: 131 ff.)
  • Sowie, kaum weniger wichtig: Der deutsche (europäische) Kolonialismus hätte an sich eines christlichen, nicht-rassistischen Blicks auf den Afrikaner resp. „die halbwilden Völker“, von denen die (deutschen) Gelehrten zu Unrecht behaupteten, dass sie „weder Herz noch Seel‘ besäßen!“ (May 1889/90: 475)[2]

Nichts insbesondere zum letztgenannten Punkt sowie zum einschlägigen Forschungsstand bei Anna Babka, die es deswegen im Zuge ihrer rein moralisierenden, kontextentbundenen und historisch uninformierten Lektüre leicht hat, May wg. seiner Darstellung des Kara Ben Nemsi in Mays In den Schluchten des Balkan (1892) aus dem Orientzyklus dem kolonialen, auf Abwertung der „Kolonialisierten auf der Basis ihrer ethnischen Herkunft“ abzielenden „kolonialen Diskurs“ (Babka 2015: 111) zuzurechnen – und dies, wo May in seiner Erzählung „auf heimatliche Verhältnisse und schlechte Erfahrungen mit Behörden und Beamten“ anspielte, „die er in seinen eigenen bewegten Jugendjahren am eigenen Leibe zu spüren bekam.“ (Pleticha 2003: 13) Kaum minder gravierend: Babka ignoriert, dass May Kara Ben Nemsi auch nach der Figur des Afrikaforschers Gerhard Rohlfs (1831-1896) zeichnete, allerdings unter Aussparung der dunklen Seite in Sachen Kolonialismus und Rassismus (vgl. Lieblang 1998: 301 ff.), ganz zu schweigen von jener à la Carl Peters.

Resümierend gesprochen: Mays Besonderheit insbesondere in der Sklavenkarawane sowie in seiner Mahdi-Trilogie ist eine wertschätzende, die Bildsamkeit des Afrikaners betonende. Wichtig dabei, als A & O für das Verständnis des Beginns der deutschen Kolonialgeschichte, und auch dies berücksichtigt die May-Kritikerin Anna Babka nicht mit einer Zeile: Die von May erzählerisch aufgegriffene, schon von Rohlfs angesprochene Problematik einer arabischen, schon über Jahrhunderte währenden Sklavenjagd in Afrika. (vgl. Flaig 32018: 83 ff.) In Mays Lesart kommt dabei der Part des ‚Guten‘, was die Sklavenkarawane angeht, dem als Sohn jüdischer Eltern in Schlesien zur Welt gekommenen, später zum Islam konvertierten und bei einer Expedition im ägyptischen Dienst in den Kongo von arabischen Sklavenhändlern aus Rache[3] ermordeten Arzt und Afrikaforscher Mehmed Emin Pascha (1840-1892; eigentl. Eduard Schnitzer) zu. May beschreibt ihn als „hochberühmten Mann, welcher alles tut, um den Wohlstand seiner Untertanen zu begründen und zu beheben. Besonders duldet er keinen Sklavenhandel, den er in seiner Provinz aufgehoben hat.“ (May 1889/90: 227)[4] Dieses Kurzporträt entspricht in etwa den historischen Tatsachen[5] und ist hier von exemplarischer Bedeutung, insofern die deutsche Kolonialpolitik – auch die britische, französische, belgische – ursprünglich von dem Versprechen profitierte, sie böte Schutz vor den zumeist arabischen Sklavenhändlern, ein Versprechen indes, in dessen Rücken sich die koloniale Praxis nicht eben selten als andere Form von Versklavung (gleichsam vor Ort) darstellte, mit der Folge eben jener ‚Negeraufstände‘ als Teil einer anti-kolonialen Bewegung – und mit der Folge eines immer wieder neu vorgetragenen deutschen Kolonialismus, in der wohl härtesten Variante 1908 vom Südafrika-Siedler Woldemar Schütze (1868- ?) propagiert unter dem Vorzeichen, was allererst Not tue sei ein Feldzug gegen die in Gestalt der arabischen Sklavenhändler zutage tretende „panislamistische Bewegung“ nach dem Muster:

„Die Bekämpfung dieser Bewegung ist sehr schwer und nicht leicht anzugeben. Immer wird aber ein energisches, konsequentes Vorgehen der Regierung mit genügenden militärischen Kräften den Fanatikern den besten Dämpfer aufsetzen, und wenn sie einsehen lernen, daß sie von den Deutschen eine zwar strenge, aber gerechte Behandlung zu gewärtigen haben […], so dürften allmählich auch die Panislamisten sich beruhigen. Vorbedingung ist aber auch hier, daß die Deutschen wirklich in jeder Hinsicht die Herren des Landes bleiben.“ (Schütze 1908: 147)

So also sah sie aus, die denkbar härteste Linie zu jenen Zeiten des May-Antipoden Carl Peters, dem wir uns nun zuwenden wollen, unter unmissverständlicher Überschrift.

Carl Peters (1856-1918), die alldeutsche spätere NS-Kolonialismusikone, als blutrünstiger Rassist und Karl-May- als auch Nietzsche-Antipode sowie Ikone des AfD-Ratgebers Bruce Gilley

Carl Peters war da, wie die Überschrift  andeutet, von ganz anderem Kaliber und steht für eine neu-rechte Kolonialismus-Ikone mit sadistischen Zügen und Herrenmensch-Attitüde, unter Mordverdacht stehend (nicht nur an Eingeborenen, sondern auch an einem reichen Onkel, wie im Folgenden gezeigt werden soll). Für neu-rechte Kolonialismus-Apologeten und AfD-Berater wie Bruce Gilley – protegiert durch Erik Lehnert – steht  Peters hingegen hinter der in Deutsch-Ostafrika zu besichtigenden „Erfolgsgeschichte der deutschen Kolonialzeit“ und ist „ein Bilderbuch-Abenteurer, der im Jahr 1884 innerhalb weniger Wochen 25 Verträge mit einheimischen Häuptlingen unterzeichnete, die dem Deutschen Reich Kolonialgebiete der Größe Indiens einbrachten.“ (Gilley 2021: 51) Über die bei derlei ‚Verträgen‘ angewandten Mittels schweigt sich Gilley – wie vor ihm schon Kerstin Decker (2015) – aus, ebenso wie über die an Peters geknüpften NS-Hoffnungen, wie seine von Walter Frank besorgte Werkausgabe ebenso zeigt wie das ihm gewidmete Film-Heldenepos von Hans-Albers-Format nach einem Drehbuch der neu-rechten Ikone Ernst von Salomon. Deutlicher geredet: Peters stand in der NS-Erinnerungspolitik in allererster Reihe, weit vor, beispielsweise, einer die Jugendbewegung wie Herman Nohl gleichermaßen diskreditierenden Hans Grimm. Sein erstmals 1918 erschienenes „afrikanischen Tagebuch“ Der Ölsucher von Duala hatte ihn, Grimm, so die NS-Literaturkritik, zwar zum „Sachwalter Deutschlands und seiner Rechtsansprüche auf den afrikanischen Raum“ (Nadler 1938/41, Bd. IV: 576) bestimmt.

Gleichwohl war Peters Rang nicht zu toppen, wurde er mit fast all seinen zumeist recht düsteren Texten neu und sehr aufwändig zur Ausstellung gebracht, eigentlich, wie anhand der Kriegsentwicklung ablesbar, zu spät und wohl erklärbar mit dem Tod des angedachten ersten Herausgebers (im Mai 1941), in Gestalt einer dreibändigen Werkausgabe (ein geplanter vierter Band erschien nicht mehr), die zwischen 1943 und 1944 vorgelegt wurde unter Verantwortung des durch Selbstmord endenden NS-Geschichtsschreibers Walter Frank. Hier bekam man noch einmal den ganzen Peters zu fassen, etwa auch in seiner brutalen Absetzung von seinem Feindbild Nr. 1, dem Afrikanerbild à la Onkel Toms Hütte (1851/52): Ganz anders als Harriet Beecher Stowes‘ (1811-1896) US-amerikanischer Sklave Tom ist Peters‘ ‚Neger‘ (politisch korrekt müsste hier und im Folgenden ‚N-Wort‘ stehen, was indes Peters‘ real existierenden Rassismus bagatellisierte) eine in allen Hinsichten ‚dem‘ Weißen unterlegenes Exemplar, das als Sklaven zu halten kein Verbrechen, sondern eine unbedingte Notwendigkeit sei, wie Peters immer wieder aufs Neue betont, zumeist per menschenverachtender Schlagwortkunde vom Typ Rassismus pur wie: „Ich bin nicht nach Afrika gegangen, um die Eingeborenen glücklich zu machen.“ (GS 1: 393) Und: „Der Neger ist von Gott zur Roharbeit geschaffen.“ (GS 1: 415) Sowie, 1892:

„Er ist der geborene Sklave, dem sein Despot nötig ist wie dem Opiumraucher seine Pfeife, und es fehlt ihm auch jeder vornehme Zug. Er ist verlogen, diebisch, falsch und hinterlistig.“ (GS 2: 520)

Als auch:

„Der Küstenneger ist ein gemeiner Bastard, feige und falsch, bei dem die völlige sittliche Gleichgültigkeit das Vorherrschende ist.“ (GS 2: 521)

Also, 1901:

„Weshalb soll wohl die Einführung staatlichen Zwanges ein für allemal bei der subspecies verpönt sein, welche durch eine vieltausendjährige Sklaverei den geschichtlichen Beweis geliefert hat, daß sie recht eigentlich für einen solchen Zwang prädestiniert ist, und welche meistens da, wo sie sich selbst überlassen ist, beweist, daß sie überhaupt zu nichts gut ist.“ (GS 1: 416)

Nicht zu vergessen: „Man beweise mir, daß es inhuman ist, einen Faulpelz zum Arbeiten zu zwingen.“ (GS 1: 417) Schließlich, 1906:

„Hierbei wünsche ich keinerlei Härte. Die Leute sollen ihr gutes Essen haben und auch eine kleine Bezahlung; sie sollen ihre Feste feiern dürfen und mit 18 Jahren auch heiraten.“ (GS 1: 437)

Zusammenfassend geredet: Was sich in Sätzen wie jenen dokumentiert, ist jener Rassismus, der die öffentliche Klage von Peters‘ Vorgänger als Reichskommissar des Kilimandscharo, Arnold Freiherr von Eltz in der Vossischen Zeitung vom 19.10.1892 erklärt:

„Vor Gott und den Menschen sind sie verantwortlich für die Zerstörung blühender Landschaften, verantwortlich für den Tod unserer Kameraden von Bülow und Wolfrum, unserer tapferer Soldaten und Hunderter der Wadschagga!“ (zit. n. Czermin 2008: 252 f.)

Was war geschehen im Winter 1891/92?

Nun, Peters‘ Verteidigung in seinen in die NS-Gesamtausgabe aufgenommenen Lebenserinnerungen (1918) zufolge nicht viel: „Herr v. Eltz hatte sich […] auf das Sitzen in Moschi beschränkt. Mir aber war eine königliche Schutztruppe mitgegeben, damit ich das deutsche Ansehen am Berge energisch aufrichten könne.“ (GS 1: 82) Sowie:

„Die Tatsache, daß Herr von Bülow, mein Nachfolger, dem ich sofort nach meinem Eintreffen an der Küste eine weitere Kompanie der Schutztruppe als Verstärkung zugeschickt hatte, mit Leutnant Wolfrum, mehreren Weißen und einem großen Teil seiner Schwarzen im Juni 1892 von den Wamoschi niedergemacht wurde, genügt doch wohl, um die Gesinnung der Eingeborenen hinreichend zu kennzeichnen.“

Ach ja, auch dies:

„Das Kriegsrecht dort führte in diesem Winter zweimal zur Vollstreckung von Todesurteilen an Negern. Beide Fälle standen nachgewiesenermaßen in gar keinem Zusammenhang und lagen auch zeitlich etwa ein halbes Jahr auseinander.“ (GS 1: 83 f.)

Schauen wir uns, im Kontrast hierzu, mit der Zeit die Wahrheit hinter jenen Todesurteilen an, ausgehend von dem Umstand, dass Peters 1891 entdeckt hatte, dass es ‚seine‘ Konkubine Jagodia (oder Jagodja) auch mit seinem Diener Mabruk trieb:

„Ein schnell zusammengerufenes ‚Kriegsgericht‘, dem Peters selbst vorsaß, verhängte die Todesstrafe über Mabruk. Die Hinrichtung wurde stümperhaft und brutal durchgeführt: Beim ersten Versuch riss der Strick, beim zweiten mussten dem Verurteilten die Bierkisten, auf denen er stand, unter den Füßen weggetreten werden, weil er sich weigerte, selbst herunterzuspringen […]. Jagodja floh daraufhin mit anderen Mädchen von der Station zu Malamia, einem der Führer des Wachagga-Stammes. Peters forderte die Auslieferung der jungen Frau, was Malamia aber ablehnte. Peters’ Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Er schickte seines Askaris aus, die die Hütten der Wachagga niederzubrennen begannen. Daraufhin musste der Stamm das Mädchen doch ausliefern, und Jagodja wurde vom gleichen Kriegsgericht wie Mabruk wegen ‚Konspiration mit feindlichen Stämmen‘ zum Tode verurteilt und – drei Monate nach Peters‘ Diener – gehängt.“ (zit. n. Czernin 2008: 289)

So, unter Verbreitung von alternativen Erzählungen dieser Art, geriet die Sache unter dem Einfluss der kolonialisierungskritischen SPD im Deutschen Reich zum Politikum – ehe nach 1933 ein Stoppsignal gesetzt wurde, etwa im Buch zum bereits erwähnten NS-Propagandafilm Carl Peters (1941). „Der koloniale Gedanke soll vernichtend geschlagen werden, denn die Sozialdemokratie will nicht die Wohlfahrt des deutschen Arbeiters, sondern das Chaos“ (zu Klampen 1938: 174), konnte man hier im Rückblick auf die 1890er Jahre lesen, sowie, aus der Feder dessen, der aus dieser Vorlage das Drehbuch entwickelte, Ernst von Salomon: Peters gehört „zu den wenigen großen Politikern deutscher Zunge, – ich wüßte sogar bis zu seiner Zeit keinen neben ihm zu nennen.“ Sagt der eine Verbrecher über den anderen, Peters also, dessen Gewalttaten in Afrika Salomons Drehbuchinspirator mit den Worten rechtfertigte: „Durch die Vollstreckung der Todesurteile ist ein jahrelanges Blutvergießen verhütet.“ (zu Klampen 1938: 171)

Die Tatsache, dass man Lügen wie diese – im Original Peters‘ Lügen – noch 1943/44 durch Franks Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands aufwendig unters (groß-) deutsche Volk brachte, spricht für die Sehnsucht nach Wiederholung von derlei Ungeist, in Nachahmung von Abwertungs- und Entmenschungsstrategien, wie die deutschen Wehrmacht sie zeitgleich im Ostfeldzug gegen den slavischen ‚Untermenschen‘ in Anwendung brachte, unter Nutzung der entsprechend ‚rechtsnietzscheanisch‘ umgebogenen Denkmotive Nietzsches. Was dies hieß, konnte man einer von Himmler in vier Millionen Exemplaren verbreiteten illustrierten Broschüre mit dem Titel Der Untermensch (1942) entnehmen. (vgl. Niemeyer 2013: 156 ff.) Der Zweck hier, ad ‚Untermensch‘ Slave, wie da, ad ‚Untermensch‘ Sklave, also in Deutsch-Ostafrika zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft nach Maßgabe von Peters: Senkung der Tötungshemmung durch Entmenschlichung der potentiellen Opfer.

Vergleichbarem Zweck dürfte die durch die NS-Peters-Werkausgabe noch einmal aufgewärmte Bekanntgabe von Peters 1907er Spott auf die angeblichen ‚Kolonialskandale‘ gehabt haben, in Peters Sicht unter „Sittlichkeitsfanatismus“ rubrizierbar (GS 1: 441). Ein Beispiel gab ihm eine Aufführung am Berliner Metropoltheater über seinen Gesinnungsgenossen Jesko von Puttkamer (1855-1917), angesichts derer ihm Publikumsbeschimpfung notwendig schien vom Typ: „Ja, ja, das ist ein Volk, welches sich zur ‚Weltpolitik‘ eignet, ein ‚Herrenvolk‘“ (GS 1: 440) – eine Publikumsbeschimpfung, die man nun, nach 1939, von NS-Seite nicht fürchtete, weil man wähnte, nun über jenes zur ‚Weltpolitik‘ à la ADV geeignete ‚Herrenvolk‘ zu verfügen. Dabei durfte dann durchaus schon einmal in Vergessenheit geraten, welches eigentlich die Vorwürfe gegen Puttkamer seinerzeit gewesen waren: nämlich nicht lediglich, wie Peters 1907 insinuierte in Anspielung auf den damaligen Metropoltheater-Schlager Willst Du mein Kusinchen sein, später nehm’ ich Dich zur Frau, dass er „ein Mädchen, zu dem er in Beziehungen stand, bei offizieller Gelegenheit als seine ‚Kusine‘ vorgestellt [hatte].“ (GS 1: 440) Vielmehr gilt, mit dem Afrikakenner Bartholomäus Grill, in Sachen dieses langjährigen Gouverneurs von Kamerun (1895-1905):

„Puttkamer war der Prototyp des deutschen Kolonialherrschers, eitel, egomanisch, brutal, durch lächerlichste Anlässe in seiner soldatischen Ehre gekränkt, ein leidenschaftlicher Verfechter der Vergewaltigungspolitik mit unverhohlen genozidalen Gelüsten.“ (Grill 2019: 133)

Ganz nahe dran an diesem Ideal vom Typ „Afrika ohne Afrikaner“, so Grill weiter: „Puttkamers grausamster Bluthund“ Hans Dominik (1870-1910)[6], der „sich gerne die abgeschlagenen Köpfe von Aufständischen vor die Füße legen ließ“ und der „befahl, Gefangenen die Geschlechtsteile abzuschneiden und Kinder zu ersäufen“, aber auch Hauptmann Karl Freiherr von Gravenreuth (1858-1891), der ‚Löwe von Afrika‘, der schon in Deutsch-Ostafrika eine breite Blutspur gezogen hatte“ und in Kamerun „durch einen vergifteten Pfeil getötet [wurde].“ (ebd.: 134) Von jener Blutspur weiß Peters, wenig überraschend, nichts – viel indes von der „hervorragenden Rolle“, die der vorübergehend zu seinem Stab gehörende Freiherr in Deutsch-Ostafrika gespielt habe, nicht zu vergessen: „sein Heldentod in Kamerun war ganz in der Richtung seines eigensten Charakters.“ (GS 1: 214)

Mit Nietzsche hat das im Vorgehenden Dargestellte insofern zu tun, als man Carl Peters ‚Herrenvolk‘-Attitüde als Erbe eines vulgären ‚Rechtsnietzscheanismus‘ auslegen könnte, im Verein mit seiner Deutschland-Schelte wg. eines Überhandnehmens „des Epigonentums in Literatur, Kunst und Politik“ sowie der dazugehörenden Klage, „die allgemeine Mittelmäßigkeit“ mach sich breit, diese ‚Fabrikware der Natur‘“ (GS 1: 429) – ein Term, der unmittelbar aus Nietzsches Bildungsvorträgen von 1872 entnommen scheint. So gesehen überrascht denn auch nicht, dass die von Nietzsches Schwester 1895 mittels der Edition dieser Vorträge eingeleitete Phase der ‚Deutschsprechung‘ Nietzsches (vgl. Niemeyer 2016: 56 ff.) mit Kriegsbeginn 1914 Folgen zeitigte, auch bei Peters, insofern er die nun in England um sich greifende Nietzschekritik vom Typ „blond beast of Nietzsche“ unter „Deutschenhetze“ (GS 2: 205) verbucht.

Die hiermit in Umrissen angesprochene Geisteshaltung findet sich kritisiert in Wilhelm Carl Beckers Buch Der Nietzschekultus. Ein Kapitel aus der Geschichte der Verirrungen des menschlichen Geistes (1908). Es führt die von Hermann Türck begründete und von Paul J. Möbius fortgeführte Tradition einer von einem tiefgreifenden Ideologieverdacht geprägten Nietzschelektüre fort. (vgl. Niemeyer 2020: 40 ff.). Skandalös war für Becker vor allem Nietzsches Spätwerk. Es wurde ihm Anlass zu bilanzierenden Sätzen wie den folgenden:

„Ist es nicht ganz selbstverständlich, daß es […] den ‚höheren Menschen‘ […] ‚nicht billig sein kann‘, sich nach einer ‚Sklavenmoral‘ richten zu müssen, welche sie hindert, ihren ‚Willen zur Macht‘‘ geltend zu machen […] und nach dem für sie, als ‚freie Geister‘, maßgebenden Grundsatz: ‚Nichts ist wahr, alles ist erlaubt‘ […] die Schwächeren zu unterdrücken, auszubeuten und für die Erreichung ihrer ichsüchtigen Zwecke rücksichts- und mitleidlos hinzuopfern, – zu rauben, zu morden, zu notzüchtigen und wozu sonst der ‚Instinkt‘ sie treibt, und wie sonst noch ‚das Herz es will!‘“ (Becker 1908: 35 f.)

Wie man sieht: Argumente sind gar nicht mehr erforderlich, es genügt Argumentersatz qua Abfolge prominent gewordener Schlagworte Nietzsches, die als selbsterklärend postuliert werden und jene Attitüde beglaubigen sollen, die man dem Naumburger Pastorensohn im Rahmen einer sich seit immerhin bald fünfzehn Jahren formierenden bürgerlich-christlichen Anti-Nietzsche-Szene als verallgemeinerbares Merkmal attestiert: eine Verbrechermoral. Um Beispiele, wo diese besonders auf Resonanz träfe, war Becker nicht verlegen:

„Bekanntlich wurden im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts eine ganze Reihe von deutschen Kolonialbeamten in Afrika, welche die von Nietzsche als das ‚klassische Ideal‘ der Moral gepriesene ‚Herrenmoral‘ für ihr Wollen und Handeln maßgebend gemacht hatten, – wegen der von ihnen verübten Brutalitäten und Mißbrauch ihrer Amtsgewalt ihres Amtes entsetzt und mehrere derselben ins Zuchthaus gesteckt.“ (ebd.: 7)

Als Beispiel nennt Becker einen Kolonialbeamten namens Schröder, der damals „zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde“ und dem man einen Verteidiger von Nietzsche-Format gewünscht hätte. Er nämlich hätte „das schöne Schreckliche“ dieser Taten so hervorzuheben gewusst, „daß der ästhetische Sinn der Richter sich dagegen gesträubt hätte, den prächtigen Nietzscheschen ‚Uebermenschen‘, der die Anschauungen Nietzsches […] so konsequent zur Richtschnur seinen Wollens und Handelns gemacht hatte – ins Zuchthaus zu schicken.“ (ebd.: 32) Die Absicht hinter dieser wie jener Mär: Nietzsche sei ein gewissenloser, insbesondere die Jugend verführender Autor mit „das Recht mißachtender, inhumaner und borniert reaktionärer Gesinnung“ (ebd.: 10) gewesen, dazu ein ausgemachter Frauenfeind: „Weiber notzüchtigen, die Widerstrebenden mit der von Nietzsche dem ‚Uebermenschen‘, wenn er ‚zu Frauen geht‘, als ‚nicht zu vergessend‘ empfohlenen ‚Peitsche‘ zur Unterwerfung unter seinen Willen zwingen“ (ebd.: 33) – dies, so darf man diesen endlosen Sermon vielleicht abkürzen, war, so Becker, ganz nach Nietzsches Geschmack. Und, so dürfen wir nun, vorerst nur als Frage, ergänzen: auch nach jener des Nietzschelesers Carl Peters? Eine Frage, die letztlich noch ein wenig weiterführt, nämlich hin zu:

Und warum schwieg Kerstin Decker eigentlich von all’ dem und noch sehr viel mehr, und zwar noch viel mehr als Monika Czernin?

Der Überschriftenwechsel soll es andeuten: Eine Antwort auf die erstgenannte Frage hätte ich gerne auch bekommen aus Kerstin Deckers Sachbuchbestseller Meine Farm in Afrika. Das Leben der Frieda von Bülow (2015) – ein Buch, das ein wenig verspätet wirkt angesichts der zu jener Zeit schon seit sieben Jahren auf dem Markt befindlichen Romanbiografie „Jenes herrliche Gefühl der Freiheit.“ Frieda von Bülow und die Sehnsucht nach Afrika (2008) von Monika Czernin. Carl Peters kommt hier wie dort zumindest am Rande vor, als große (unglückliche) Liebe der Kolonialromanautorin Frieda von Bülow (1857-1909), die sich ihrerseits 1891/92 mit Nietzsches großer Liebe Lou von Salomé (verh. Andreas-Salomé 1861-1937) anfreundete. Die sich ihrerseits, Czernins Darstellung zufolge, von Peters ein Lob auf ihr Nietzsche-Buch von 1894 anhören musste, dass ihr vorkam wie eine Anmache: „Sie spürte, dass er sich ihr nähern wollte, und sie kannte ihn aus Friedas Erzählungen zu gut, um nicht auf der Hut zu sein.“ (Czernin 2008: 257) Noch besser freilich kennt man ihn, Peters, verglichen auch mit Deckers Erzählungen, aus der Darstellung Czernins die schon auf der dritten Seite ihres Buches das entscheidende Problem notiert:

„Frieda und Carl – Carl Peters. Carl klingt zu vertraut bei jemandem, dessen Name im deutschen Pantheon des Bösen verewigt ist wie Hitler und seine Handlanger. Frieda von Bülow, die Geliebte von Carl Peters! Eine Geschichte voller Abgründe tut sich auf.“ (ebd.: 11)

Einverstanden: Gute Anfänge liegen nicht auf der Straße – fragt sich nur, ob der von Decker gewählte Einstieg in diese ‚Geschichte voller Abgründe‘ wirklich eine gute Idee war: Unter der Kapitelüberschrift Nachtwache paraphrasiert sie gleich im ersten Abschnitt des ersten Teils ihres Buches unter der (lustigen?) Headline: Wie gründe ich eine Kolonie? über Seiten hinweg Peters‘ in seinen Lebenserinnerungen (1918) nachlesbare Mär vom Selbstmord (per Selbststrangulation) seines in England, auch durch Heirat, zu Reichtum und Ansehen gekommenen (Erb-)Onkels Karl Engel (1818-1882). Im Fokus dabei: Ein Traums, den der Erbe, im Zimmer ein Stock unterhalb der aufgebahrten Leiche schlafend, gehabt haben will und auf dessen Höhepunkt der Onkel „mit einer Kerze in der Hand, im Schlafrock“ mit dem „roten Streifen [vom Strang] um sein Genick“ in der Tür zu seinem Zimmer stand, „lächelnd“ (GS 1: 136) – wie gesagt: All dies von Decker weitgehend korrekt nacherzählt bis hin zum ihre Darlegung beschließenden Peters-Zitat („Dies ist die einzige und wirkliche Gespenstererscheinung, welche ich in meinem Leben gehabt habe“; zit. n. Decker 2015: 460), aber leider unter Missachtung der gleich nachfolgenden Aufforderung: „Die Erklärung überlasse ich der ‚psychoresearch society‘.“ (GS 1: 136) Keine Frage: Dies ist eine extrem ironische Formulierung, die es gleichwohl in sich hat und die Decker als erfahrene Biographin hätte verpflichten müssen, den diesbezüglich angestellten seitherigen Erkundungen sowie auf die bezüglichen Darstellung nachzugehen – etwa jener ihrer Vorrednerin, die sich hierzu den folgenden Dialog zwischen Frieda von Bülow und Carl Peters hat einfallen lassen:

„Ich hatte einen sehr geliebten Onkel in London, Karl Engel hieß er. Er war Musiker und ein feiner Mann. Sein plötzlicher Tod hat mich tiefer getroffen als alles andere auf dieser Welt.

Oh, das tut mir leid. War er krank?

Nein … Peters schien mit den Worten zu ringen. Nein, es war Selbstmord.

Wie schrecklich, ein noch größerer Verlust, nicht wahr?

Sie sagen es, liebe Baronin. Ein ungewollter, schrecklicher Verlust, den ich nicht zu verhindern wusste.

Wieder sprachen sie über Liebe und Tod. Peters versank in Gedanken. Hätte er Violet, des Onkels späte Liebe, nicht verführt, das Schreckliche wäre nicht passiert. Doch er hatte das naive, scheue, dem behutsamen Gentleman so ergebene Ding einfach haben müssen, er konnte nicht andere. Unschuld stachelte ihn an, von jeher, sie ließ ihn ekstatisch werden.“ (Czernin 2008: 105 f.)

Czernins mutmaßliche Quelle, wie der Name ‚Violet‘ andeutet: Der kritische Peters-Roman Ich bin Ich (1927) des jüdischen NS-Widerstandskämpfers Balder Olden (1882-1949).[7] Decker ist Czernins Szene sowie Balder Oldens Roman nicht eine Zeile wert – und dies, obgleich die Zurkenntnisnahme beider Texte ihre gläubig nacherzählte und kräftig aufgehübschte Peters-Mär über seinen Londoner Alptraum um einen entscheidenden Punkt hätte bereichern können: um eine Traumdeutung.

Versuchen wir einmal eine solcher. Balder Oldens Ausgangspunkt ist, wie der Titel seines Romans schon andeutet, das auf Shakespeare zurückgehende ‚Ich-bin-Ich‘-Motiv, das Carl Peters in seinen 1918er Lebenserinnerungen immer mal wieder als das ihn bestimmende aufruft, etwa auch im Winter 1881/82, als er das Anerbieten seines Onkels, den er auf dessen Aufforderung hin nach dem Tod von dessen Frau (1880) in London besucht, ihn zu adoptieren und sein Vermögen zu hinterlassen, wenn er Engländer werde, unter Verweise auf dieses Motiv bzw. seine Variante: „Ich bin Deutscher“ (GS 1: 57). Der Onkel, so erzählte Peters weiter, habe diese Absage offenbar mannhaft ertragen, wie das spätere Testament zu erkennen gab, „in welchem er seine deutschen Geschwister zu seinen Erben, mich aber zu seinem Testamentsvollstrecker eingesetzt hatte“; wohl im Hinblick auf diese Idee fuhr er „im April 1882 mit mir nach Deutschland“, und „[i]n Hannover, nach einem Besuch bei meiner Mutter“, habe man sich dann getrennt, sein Onkel habe noch „die Plätze seiner Kindheit“ besucht, sei dann nach England zurückgekehrt, wo er „im November 1882 plötzlich starb“ (GS 1: 57 f.) – was auf den ersten Blick schlüssig klingt, aber nicht wirklich passt zu dem gut neunzig Seiten später erzählten, eben erwähnten Traum und zur Geschichte mit dem Selbstmord durch den Strang, und dies auch noch am Vorabend der geplanten Hochzeit des Onkels, zu welcher der Neffe in seinen Lebenserinnerungen kurz vor der erwähnten Traumszene das Folgende zu berichten weiß:

„Mein Onkel war damals 64 Jahre alt, aber von robuster und kräftiger Konstitution. Da er sich nach der Trennung von mir wieder vereinsamt fand, verlobte er sich mit einem jungen Mädchen, welches meine verstorbene Tante gepflegt hatte. Er hatte mir über solche Möglichkeit schon Andeutungen schon in London gemacht. Ich hatte mich indes aus naheliegenden Gründen über eine so heikle Frage nicht geäußert, obwohl ich in verschiedener Richtung meine Bedenken hatte. […] Ich vermute, daß diese und andere Erwägungen die letzten Wochen des armen Mannes gequält haben müssen.“ (GS 1: 135) 

Einsatz Olden, der zu den ‚anderen Erwägungen‘ etwas ganz anderes vermutet, was auch jenen grässlichen Alptraum zu erklären vermag: Seinen hier nicht im Detail auszubuchstabierenden Vermutungen zufolge quälte den Onkel die ihm durch das Opfer offenbarte Missbrauchstat seines dedizierten Erben an seiner damals 21-jährigen späteren Verlobten Violet während Peters‘ im Dezember 1881 begonnenen London-Aufenthalts. Peters habe – so dessen Verteidigung in den Worten des Dichters – durch seine Tat einen „wackeren Greis“ beschützen wollen, „der sich in den Schlingen später Verbuhltheit wand.“ (Olden 1927: 63) Über diese spektakuläre These kam es im Februar 1929 vor einem Berliner Amtsgericht zu einem von Peters‘ Witwe angestrengten Prozess. Auf diesen nahm Olden im Nachwort zu seinem Roman Bezug im Vertrauen darauf, dass man in Peters Schriften, vor allem in seinem philosophischen Hauptwerk Willenswelt und Weltwille (1883) „ohne großes Bemühen selbst den Beweis finden [wird]“ für das Berechtigte seiner Lesart und speziell dieses Buches als eine Art „Beichte“ (ebd.: 307 f.). Im Roman selbst heißt es hierzu, am Ende eines bildreichen Versuchs des Nachvollzugs von Peters‘ Seelenlage in den Nächten im Haus seines Onkels kurz vor der mutmaßlichen Missbrauchstat: „Immer wachte er auf, eiserne Klammern um die Stirn geschmiedet, gewürgt, des Blutes finsteres Sausen im Ohr […] und hielt mit letzter Kraft den Schrei zurück, der in seiner Kehle Verrat drohte.“ Dem folgt, übergangslos:

„In solchen Nächten wurde ‚Willenswelt und Weltwille‘ von Carl Peters vollendet.“ (ebd.: 63)

In der Tat: Im Oktober 1882, einen Monat vor dem Selbstmord seines Onkels, schloss Peters, zurück in Hannover, sein Hauptwerk mit einem Vorwort ab. Ist aber der von Olden herausgestellte Umstand, dass sich Peters im Dritten Buch seines Werkes „aus sachlich klaren, abstrakten Folgen […] plötzlich in eine Form leidenschaftlicher und zerquälter Subjektivität [stürzt]“, mehr als dies: „Ich“ wird, und zwar ein „von Furien der Rache und Furien des Verlangens gehetztes ‚Ich‘“ (ebd.), ein Täter- und Tat-beschreibender Subtext, gar eine „Beichte“? Fraglos nicht, denn damit wäre Peters Text überfolgert.[8] Insoweit gerät auch Oldens zusammenfassender Befund ins Wanken, der wie folgt lautet:

„Das Shakespearesche ‚Ich bin ich‘, das Peters noch in seinen letzten Veröffentlichungen als Motto seines Lebens bezeichnet hat, spricht Gloster, später Richard III., an der Seite seines königlichen Onkels und Wohltäters, den er ermordet hat, um seine Nachfolge früher antreten zu können, und dessen Leiche er durch Degenstöße schändet.“ (ebd.: 306)

Kurt Tucholsky hat die von Olden in seinem Peters-Roman thematisierte, an der Figur Peters‘ zutage tretende „Mischung von Tobsucht, Geifer, kalter Begeisterung und gerissener Vaterlandsliebe“ 1928 dahingehend kommentiert, dass über derlei aufzuklären sei, damit zumal die Jugend lerne, „wie das aussieht, wenn ein ganzer Kontinent und insbesondere das völlig desorientierte Deutschland wahnsinnig geworden ist“ (Tucholsky 1928, Bd. 6: 130) – eine vielleicht etwas zu heftige Wertung, die aber allemal besser ist als die komplette Nicht-Beachtung dieser Zusammenhänge durch Decker im Jahre 2015.

Aber damit nicht genug: Schon der von Decker womöglich nicht gewählte, wohl aber von ihr akzeptierte Titel Meine Farm in Afrika ist komplett deplatziert – gesetzt jedenfalls, es handele sich nicht um eine wohlkalkulierte Antwort auf Stowes zuvor erwähnten Anti-Sklaverei-Roman Onkel Toms Hütte mit der kritischen Pointe, es sei Deckers Anliegen deutlich zu machen, wie unannehmbar es sei, dass der Weiße sich wie selbstverständlich in Afrika eine Farm nehme, während der zumeist von arabischen Sklavenhändlern per brutaler Gewalt in die USA expedierte Afrikaner dort in einer Hütte leben muss. Regietechnisch wäre dies übrigens keine ganz schlechte Idee gewesen, die es Decker erlaubt hätte, als nächstes die Empörung eines ihrer Protagonisten (Carl Peters) über Stoves Roman zu skandalisieren. Nichts davon indes in diesem Fall, so dass man den Titel weiterhin so lesen kann, als sei er einem Beratungsgespräch mit irgendeiner Bank entnommen, welcher ein windiger Kunde seine Solvenz zu bescheinigen sucht. Die Inhaltsangabe toppt diese Art Verzicht aufs Nachdenken locker:

„1887 sprengt eine junge Baronesse alle Rollen, vor allem die der Frau und die des Standes. Sie folgt ihrem Traum von Afrika. Dort hat ein deutscher Privatdozent ein Riesenreich annektiert, sehr zum Verdruss Otto von Bismarcks. Der Amateureroberer Carl Peters und die Kolonie Deutsch-Ostafrika werden Frieda von Bülow zum Schicksal.“ (Rückumschlag)

Zum Verdruss Bismarcks? Und was ist mit jenem der dort Ansässigen? Sowie jenen Hunderttausenden unter ihnen, denen die Deutschen in Ostafrika bis 1918 wahrhaft Schicksal waren, weil sie, siehe Carl Peters, Tod und Verderben brachten?

Kein Problem für unsere Baronesse, wie eben an ihrem Roman Im Land der Verheißung gesehen, schlimmer allerdings: kaum ein Thema auch für Kerstin Decker, die ersatzweise – beinahe ihr Markenzeichen nach dem Credo: „Wir vergnügen uns zu(m) Tode!“ – Witzchen nach Art des Hauses bevorzugt, etwa auch dort, wo einem eigentlich das Lachen im Hals stecken bleiben müsste: bei der eben ein wenig genauer besichtigten AfD-Kolonialikone Paul von Lettow-Vorbeck, von ihr mit Deckung des Lektorats entadelt: „Noch immer unbesiegt, erfuhr er vom Kriegsende erst zwei Tage später“ (Decker 2015: 472), teilt sie unter Die Mitwirkenden mit, als sei sie noch unentschlossen, ob sie seine Biographie dereinst unter der Headline Der Trottel oder Der Held darbieten solle. Wie wäre es mit erstgenannten Titel, vielleicht in weiblicher Form und dann gedacht für eine Autobiographie, insofern Decker offenbar vergessen hat, dass sich ihre Leser*innen bereits zum dritten Mal (ebd.: 445 f.) über diese Information hätte erfreuen dürfen – gesetzt, wo, zum Teufel, sich der Witz verbirgt. Etwa darin, dass Lettow-Vorbeck er zwei Tage nach Kriegsende „mit seinen noch immer unbesiegten Askari-Truppen“ (ebd.: 446) einen britischen Motorradfahrer gefangen nahm, die in seinen Papieren befindliche (echte) Nachricht vom Kriegsende für ein Finte hielt, was für den Titel Der Trottel spricht – aber nicht wirklich witzig ist. Oder steckt der Witz in Deckers Erzählung vom in Bulgarien gestarteten Zeppelin L 59, der zwecks Versorgung „bei Lettow-Vorbecks noch immer ungeschlagen Askari-Truppen landen sollte“ (ebd.: 445), aber infolge eines gefälschten Funkspruchs der Britten wieder umkehrte, immerhin mit 95 Stunden Flugdauer einen neuen Rekord der Luftschifffahrt aufstellend. Dann, so schiene mir, käme vielleicht der Titel Der Held, vielleicht in der Variante Der tragische Held in Betracht – und für Decker? Nun, wie wäre es mit: Die Frau, die noch nicht recht das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden weiß? – was böse klingt, mir aber hinreichend durch den Umstand gerechtfertigt scheint, dass Decker nicht ein einziges Wort einfällt zu den, wie gesehen, von Ralph Giordano vor über 50 Jahren ins Bild gesetzten Verbrechen der AfD-Ikone Lettow-Vorbeck.

Apropos AfD: Kerstin Decker witzelt in ihrem Nachwort, womöglich nachdenklich geworden wegen ihrer permanenten Unterschlagung der dunklen Seiten des Kolonialismus:

„Zur Frage des Rassismus vertritt die Autorin die folgende Auffassung: Ostafrika, der Schauplatz dieses Buches, ist die Wiege des Homo sapiens. In Ostafrika gab es ihn schon, als die europäische Kultur des Neandertalers war. Kurz: Der Ostafrikaner ist der Primärmensch, alle anderen sind Migranten. Die Autorin entschuldigt sich an dieser Stelle beim Andenken der Neandertaler für retrospektive Diskriminierung.“ (ebd.: 457)

Witzig? Nun, vielleicht ein Brüller in Schnellroda bei Erik Lehnert, wo man sich – Stichwort ‚Rechtsnietzscheanismus‘ – vielleicht auch freuen würde über einen Witz wie diesen. Decker:

„Gäbe es eine angewandte Philosophie, so darf Carl Peters in gewissem Sinne als ins Groteske gekehrte Trivialausgabe von Nietzsches Ideal gelten.“ (ebd.: 473)

Heißt? Man(n) weiß es nicht, ahnt es nur, wenn man bei ihr zum Stichwort Wille zur Macht liest: „Trotz allem, was den Konquistador [= Peters] und den Philosophen [= Nietzsche] auf ewig trennt, es lässt sich nicht genauer beschreiben als mit diesem Wort.“ (ebd.: 192) Der Satz, offenbar leicht daneben – statt „es“ hätte es wohl „das Gemeinsame“ heißen müssen –, ist süffisant und extrem suggestiv. Ebenso jener, wonach Peters angeblich seine erotischen Freuden zu finden wusste „zwischen den Frauen seines Blutsbruders“ (ebd.: 118), die dieser dichtend beschwor („Der Übermensch als Erotiker“) in Unter Töchtern der Wüste aus Also sprach Zarathustra IV beispielsweise. Nur am Rande gefragt: Ist sich Decker eigentlich klar darüber, dass sie mit derartigen Witzeleien, jene Dichtung Nietzsches im Kontext betrachtet (vgl. Niemeyer 2020: 242 ff.), im Begriff steht, Carl Peters eine Syphilis anzudichten?

Bleibt noch, was Decker völlig unbeanstandet referiert: Dass Frieda von Bülow in ihrem Peters-Roman Im Land der Verheißung (1899) als Maleen Kunde gibt von Peters‘ (im Roman Rolf Krome geheißen) Auffassungen wie etwa:

„Heute schon hier mit europäischen Humanitätsanschauungen arbeiten zu wollen, wäre ein Mißgriff, der unsere ganze koloniale Zukunft in Fragen stellen könnte.“ (Bülow 31942: 72)

Oder, als gleichsam ultimative Solidaritätserklärung der Autorin:

„Dieses viel redende wie schreibende Volk von Kritikern, Zweiflern, Tadlern und sentimentalen Ideologen ist eines kraftvollen Willens zu Macht einfach nicht fähig. In seinen Eroberern sieht es Verbrecher.“ (ebd.: 210)

Heißt, in Übersetzung geredet: Bülow outet Peters an dieser Stelle ihres in der NS-Zeit als „Roman um Carl Peters“ annoncierten, ansonsten unverändert wiederaufgelegten 1899er Romans als Rechtsnietzscheaner – und keine(r), zumal nicht Bülows Biographin Kerstin Decker 2015, merkt’s, schlimmer: „Unser armes Deutschland ist krank an Theoriefieber“ (ebd.: 72), lässt Bülow ihre Maleen ausführen – und adelt damit auch ihre Selbstunterwerfung, zum Ausdruck gelangend in dem folgenden Dialog zwischen Krome und Maleen:

„[…]. Die Frauen haben eigentlich nur da zu sein, schön, klug und liebenswürdig zu sein, so wird sich alles um sie scharen und sich nach ihnen richten […].“

„Aber schön müssen wir sein?“ meinte sie schelmisch.

„Ja. Das ist wichtig“, antworte er ernsthaft.“ (ebd.: 27)

Wenige Zeilen später folgt: „Sie stand und lauschte seinen Schritten, Herz und Kopf voll Bewegung […]. Das Gegenwärtige groß und wertvoll geworden, ferne Möglichkeiten in Reichweite gerückt, die Gedanken in Siebenmeilenstiefel gesteckt. Ja, so war das Leben ein berauschender Trank“ (ebd.: 28) – ein bitterer Irrtum dieses Kaninchens vor der Schlange, wie sich am nämlichen Tag gegen Mitternacht zeigen sollte, als, so legt es die Rekonstruktion Monika Czermins nahe, in einem Hotelzimmer im Juni 1887 in Afrika Folgendes, durchaus mit Deckers Nachtwache-Eingangsszene aus London 1882 Vergleichbares geschah:

„Sie bemerkte die Tür gar nicht, das leise Klicken, die Schritte. Erst der Kuss auf die Schulter erschreckte sie. Sie wollte schreien, doch er hielt ihr den Mund zu, er drehte zu sich und schaute sie an, so zärtlich wie er konnte.

Carl … […].

Carl, ich bekomme ja keine Luft. Was tust du, was willst du, was… […].

So ist das also, dachte Frieda am nächsten Morgen. So ist die Liebe. Jetzt war sie also wirklich seine Geliebte.“ (Czermin 2008: 123 f.)

Dies und die folgenden Erläuterungen stellen es klar, unter Geltendmachung jener Theorien, die in anti-intellektualistischer Geste Maleens nur als „Fieber“ galten: Carl Peters war offenbar ein Mann, der, ob nun 1881/82 gegenüber Violet in London oder 1887 gegenüber Frieda von Bülow in Afrika, Sex und Gewalt nur als Zugleich denken konnte, also zur sexualisierten Gewalt, auf gut deutsch: zur Vergewaltigung neigte. Und diesen Zusammenhang anzusprechen hatte nur Monika Czernin den Mut, nicht aber ihrer Nachrednerin Kerstin Decker.

Damit sind wir bereit zu einem Fazit, das natürlich nicht ohne Rückblick auf die aktuelle, einleitend angesprochene rechtspopulistische Lesart des Kolonialismus gelingen kann. Also: Das bagatellisierenden Peters-Bildes von Kerstin Decker nebst der Vorstellung, man habe sich zu Bülows Zeiten Farmen in Afrika auf den legalen Weg des Grundstückserwerbs sichern können, nicht aber, was die Regel war, durch Betrug welt- und leseunkundiger Eingeborener nach den von Peters (1940: 41 ff.) fast schon augenzwinkernd geschilderten Verhandlungsprinzipien vom Typ weniger von Schutzzusagen denn von Schutzgelderpressungen à la Camorra, könnte wirtschaftlich – und also nicht nur mentalitätsmäßig – ruinierten Rechtspopulisten veranlassen, der Kolonialismusideologie wieder etwas näher zu treten. Etwa, indem sie dem Beispiel des Ex-Rappers und -IS-Terroristen Deso Dogg (d.i. Denis Cuspert [1975-2018]) folgen und sich, von Berlin kommend, in Syrien ansiedeln, zunächst im Tausch gegen Sticker von Bundesligaspielern; wenn das nicht genügen sollte: gegen Schutzzusage. Syrien ist nicht Afrika – noch nicht, wie man vielleicht hinzusetzen muss im Vertrauen auf den Klimawandel. Auch steht des Ex-Rappers Salafismus dem Rechts-Fanatismus ein wenig entgegen – aber doch nur der Ziele wegen. Die Mittel hingegen haben, aus rechtspopulistischer, durch Carl Peters-Lektüre geschärfter Sicht durchaus etwas für sich. Angefangen vom Versprechen auf eigene Sklavinnen, inklusive der eigenen Frau – warum nicht mehrere? – als vermummter in Ehebett und Haushalt. Und endend – man wird ja als Rechter noch einmal träumen dürfen – mit dem deutschen Schäferhund im Vorzelt. Attraktiv vor allem für Brandenburger mit sehr kurzen Haaren und sehr lang andauernder Corinna-Krise (um mal, vor allem wegen der Pointe, einen beliebigen weiblichen Vornamen als Reiter für die bis dato noch unbesetzte Stelle einer natürlich nicht mit Deso Doggs besserer Ehehälfte zu verwechselnden zänkischen und nicht für den Kochtopf geborenen Braut zu wählen).

Und hier kommt sie, die Pointe: Gegen derlei Träume hilft vermutlich der schon angedeutete Verweis auf den von Rechten besser nicht mehr zu leugnenden Klimawandel: Es wird mächtig heiß werden in den nächsten Jahren im arabischen Raum und auch in Afrika, und es gibt dort immer weniger zu essen, nicht wg. der Corinna-, sondern wg. der Corona-Krise. Also: Bleibe im Lande – und wehre Dich täglich, selbstredend gegen rechts!

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer. Der Text wurde entwickelt aus Essay Nr. 10 (S. 312-346) seines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Essays, Glossen, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz, Bd. 1) mit Online-Material. Beltz Juventa: Weinheim Basel 2021.

 

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Anmerkungen:

[1] Hier ausgehend von durch May aus der Zeitschrift Aus allen Welttheilen entnommenen (vgl. Kosciuszko 1981: 64) Zahlen allein für Ägypten, wo – obwohl der Sklavenhandel inzwischen offiziell verboten war – „vom obern Nil […] jährlich 40 000 Sklaven über das rote Meer geführt [werden]“ und „die Harems von Konstantinopel von zehn- bis vierzehnjährigen tscherkessischen Sklavinnen wimmeln“ (May 1891: 132).
[2] Noch deutlicher ist die in Im Lande des Mahdi I (1891) nachgereichte Variante: „Wer den Neger nicht für erziehungsfähig hält, wer ihm die besseren Regungen des Herzens abspricht, der begeht eine große Sünde nicht nur gegen die schwarze Rasse, sondern gegen das ganze Menschengeschlecht.“ (May 1891: 46)
[3] Emin Pascha beging zumindest in einem Fall das Sakrileg – zumindest aus islamischer Sicht, die Sklavenhandel zumal mit ungläubigen, dem Tier ähnlichen Schwarzen nicht untersagt –, moslemische Sklavenjäger der Rache der Bejagten zu überlassen, mit entsprechend grausamen Folgen. (vgl. Meissner 1969: 232).
[4] Der Konjunktiv im Satz „Die Figur des Emin Pascha könnte einem Karl-May-Roman entsprungen sein“ auf Seite U 2 der neueren Gesamtdarstellung von Patricia Clough (2012) steht, so betrachtet und in Fußballersprache geredet, für ein klassisches Eigentor (ersatzweise: für eine Blutgrätsche des Lektorats).
[5] Zu ergänzen wäre die in der NS-Zeit wieder aufgegriffene antisemitische Propaganda um eine aus außenpolitischen Gründen nicht wirklich vom Kaiserreich erwünschte Rettungsaktion für diesen „jüdischen Abenteurer“ (zu Klampen 1938: 140), was Hans Heuer in seinem NS-affinen Wissmann-Roman noch um den Witz zu bereichern suchte: „‚Wenn ich ehrlich sein soll, Herr Major… seitdem ich Emin Pascha gesehen habe, bin ich Antisemit!‘, lachte einer der Offiziere.“ (Heuer 1940: 176)
[6] Dessen Tod auf See in geistiger Umnachtung lässt übrigens an Syphilis denken. Nicht zu vergessen: Dominik ist der Cousin des gleichnamigen Science-Fiction-Autoren Hans Dominik (1872-1945).
[7] Bruder von Rudolf Olden (1885-1940), Verfasser einer 1935 im Exil in Amsterdam erschienenen kritischen Hitler-Biographie.
[8] Zuzugestehen ist allerdings, dass im Dritten Buch dieser bis dato vor allem auf Kant und Schopenhauer abstellenden Studien und Ideen zu einer Weltanschauung (so der Untertitel von Wissenswelt und Weltwille) im Ergebnis nicht dem im „Glück des Daseins“ begründeten „Seelenfrieden“ das Wort geredet wird, sondern dem „ruhelosen Hetzen und Jagen des nimmer befriedigten Sonderstrebens“ sowie damit auch demjenigen, der am Ende seines Lebens, „in den Hafen wonniger Ruhe“ eingelaufen, „wehmütig lächelnd […] auf die Leidenschaften und das wüste Tosen des Oceans hinter sich zurück[blickt].“ (Peters 1883: 390) Sicherlich: Dies klingt stark nach einer Philosophie ad personam Peters und ein klein wenig nach Nietzsches zeitgleich erstellter ‚fröhlicher Wissenschaft‘. Aber, und dies sollte der letztgenannte Vergleich andeuten: ein Straftäterbekenntnis liegt hiermit nicht vor.