Der deutsche Blätterwald wird gerade von einer Debatte durchweht, die sich um die Frage „Wer ist Jude?“ dreht. Viel ist zum Thema geschrieben worden in den vergangenen Wochen, von jüdischen Autorinnen und Autoren, von nichtjüdischen auch. Im Wesentlichen wurden zwei Themenblöcke miteinander vermischt. Der eine dreht sich um das Ego von zwei Intellektuellen, Max Czollek und Maxim Biller, der andere, wesentlich interessantere, ist die Frage nach dem Umgang mit den sog. Vaterjüdinnen und -juden…
In den verschiedenen Beiträgen wurde immer wieder auf die Arbeit der Soziologin Ruth Zeifert verwiesen, die in ihrer Dissertation in Gesprächen mit Vaterjüdinnen und -juden das Spannungsfeld differierender Selbst- und Fremdzuschreibungen herausgearbeitet hat. Gemeinsam mit zwei weiteren Herausgeberinnen, Ionka Senger und Regula Weil, hat Ruth Zeifert jetzt ein weiteres Buch zum Thema vorgelegt.
Es hätte nicht besser passen können. Denn in all den Diskussionen, in denen scheinbar die meisten eine sehr klare Meinung haben, die sich überwiegend der Halacha anschließt, wonach nur Kinder einer jüdischen Mutter selbst jüdisch sind, scheint in Vergessenheit zu geraten, dass wir nicht von irgendwelchen Einrichtungsgegenständen sprechen, sondern von Menschen, die eine sehr komplexe Familiengeschichte haben, eine Identität, die sie sich nicht nur selbst wählen, sondern die ihnen auch von außen herangetragen wird.
In sehr persönlicher Weise berichten die drei Autorinnen von ihren Familien, den jüdischen Vätern, den nichtjüdischen Müttern, der Dynamik in der Familie und der Gesellschaft, die aus ihnen das machten, als das sie sich heute definieren, Vaterjüdinnen. Von der „Doppeltheit“ wird anekdotisch und humorvoll, mit Bildern illustriert, zwischen den Generationen und Ländern springend erzählt.
Der Lyriker Max Czollek, der Stein des Anstoßes im derzeitigen Sturm im Wasserglas, hat zwei Gedichte beigesteuert, die gemeinsam mit den Interviews von Familienangehörigen ein Mosaik der Identitäten aufzeigen, die alle jenseits der Halacha bestehen.
Schon 2017 hatte Ruth Zeifert die Wünsche ihrer Interviewpartner zusammengefasst, wobei allem die Hoffnung dominierend war, dass die Distanz, die sich zwischen Vaterjuden und den jüdischen Gemeinden auftut, verkleinert werde. Wenig hat sich seitdem bewegt.
In einem letzten kurzen Kapitel fragt sie nun, wie es denn weiter gehen kann? Ungeduld und auch Wut liest man aus diesen Zeilen. In einer immer diverseren jüdischen Gemeinschaft in Deutschland bleiben Vaterjüdinnen und Vaterjuden weiter außen vor. Wäre es nicht Zeit, dass sich Rabbinerinnen und Rabbiner den „veränderten gesellschaftlichen Realität stellen und endlich ihr jüdisches Gewissen gegenüber Vaterjuden entdecken“? „Es ist doch wirklich langsam an der Zeit, sich öffentlich ein Herz zu fassen und Bedingungen zu schaffen, unter denen auch die religiösen Autoritäten uns – so wir wollen – in unserem legitimen Zuhause aufnehmen, schützen, akzeptieren und wertschätzen“, so die Autorin.
Ein wichtiger Band, der hoffentlich dafür sorgt, dass die Stimmen von Vaterjüdinnen und Vaterjuden gehört und ihre Anliegen ernst genommen werden. (al)
Ionka Senger, Regula Weil, Ruth Zeifert: Väter unser … Vaterjüdische Geschichten, Vandenhoeck & Ruprecht 2021, S., Euro 20,00, Bestellen?
Podcast-Tipp:
Nicht-jüdische genug?
Was bedeutet es, einen jüdischen Vater und eine nicht-jüdische Mutter zu haben