Eine Geschichte aus der Zukunft

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Foto oben: Björn Höcke bei Wahlkampfkundgebung in Neubrandenburg, 12.8.2016, (c) redoc – research & documentation

Als Björn Höcke (AfD) alias „Asterix“ eines Tages in der Zwangsjacke aus dem Kanzleramt geführt werden musste, in Begleitung von „Dr. Maaztrix“

Von Christian Niemeyer

Ich möchte zwar ungerne Eulen nach Athen tragen (aktuell ohnehin keine gute Idee), denke aber, Sie sollten es heute schon wissen: Die Grünen werden die Bundestagswahlen am 26. September 2021 gewinnen! Dafür gebe ich Ihnen mein jüngst von Robert Habeck in Umlauf gebrachtes „Indianer-Ehrenwort“! Ursächlich für diese sich ab Mitte September abzeichnende Tendenz: Der schreckliche Sommer und das in seinem Verlauf dargebrachte irre Zugleich von Ertrinkenden, Verdurstenden sowie Verbrennenden! Dies schlug zumal den Zartbesaiteten unter den AfD-Sympathisantinnen aus dem Lager der Klimaleugner und Wutbürger dermaßen aufs Gemüt, dass sich deren Wut zunehmend gegen die eigene Partei und deren Credo, es gäbe nun einmal Wetterkapriolen, aber nichts „Menschengemachtes“, richtete. Und gegen „den Feind im eigenen Bett“, unter ihnen die muskelbepackten Jack-Donovan-Fans in der AfD. Die selbst den Corona-Tod des erst auf dem Sterbebett (etwas arg spät) reumütig gewordenen langjährigen Donald-Trump-Einpeitschers und Covidioten Dick Farrel (65) von sich abperlen ließen, ebenso wie jenen seiner Gesinnungsgenossen und Trump-Freunde Hermann Cain (74) und Stanley Chera (78) aus vergleichbaren Gründen. „Alle drei eh‘ schon im Greisenalter!“, hieß es hierzu läppisch auf telegram oder wo auch immer.

Einen ganz neuen Akzent setzte erst der 11. September: Ein offenbar aus dem Ausland (vermutlich USA) finanzierter Kanal Schweineroda präsentierte verfängliche Nacktaufnahmen von Annalena Baerbock & Alice Weidel (jeweils mit Maske) im Swingerclub. Gewiss: Am 12. September war diese (Schmutz-) Geschichte als Fake News enttarnt. Aber wie dies so ist und sich erstmals vor über vier Jahren angesichts der Wahl Trumps offenbarte: Die „alternativen Fakten“ blieben, damit auch die Zweifel der heteronormativ sich gebenden Parteigenossen. Sie gaben sich auf telegram sowie pi-news die Klinke in die Hand mit Besorgnissen vom Typ, ob Alice wirklicher schöner sei als Annalena. Oder ob das bekennende Lesbiertum der eigenen Spitzenkandidatin nicht dem Wahlprogramm widerspräche! Oder gar unnötige „Regenbogen“-Auseinandersetzungen mit dem Bruderland Ungarn provozieren müsse!

Nachdem am 24. September, gleichfalls auf Kanal Schweineroda, Armin Laschet & Tino Chrupalla in vergleichbarer Pose, also gleichfalls nackt (mit Maske) im Swingerclub, gezeigt wurden, gab es, trotz sofortiger Dementis, kein Halten mehr: Die Flucht von AfD-Sympathisant*innen ausgerechnet in die Arme Christian Lindners setzte ein, der, wie in haGalil.com exklusiv berichtet (vgl. Niemeyer 2021a), Mitte Juli als Kanzlerkandidat ins Gespräch kam, nachdem seine Partei die SPD (damals bei 14%) eingeholt hatte. CDU & AfD hingegen setzten nun in den Umfragen zum Sturzflug an, der auch nicht aufgehalten werden konnte durch Markus Söders Last-minute-Angebot, das Steuer zu übernehmen. Armin Laschet nämlich blieb hartleibig und erklärte am Vorwahlabend fröhlich, es sei alles gut und er habe noch viel vor – und wirkte dabei so mürrisch wie Saskia Eskens (SPD), die Anfang August ungefragt und zum Entsetzen ihrer Partei erklärt hatte, sie wolle gerne über die Bundestagswahlen hinaus SPD-Vorsitzende bleiben. Ähnlich agierte Franziska Giffey (SPD), die sich, einmal im Plagiatswahn, schon im August, sechs Wochen vor den Berliner Wahlen, als „Regierende Bürgermeisterin“ plakatieren ließ.

Kurz: Es kam, wie es kommen musste: Nach Schließung der Wahllokale verkündete Mariette Slomka um 19 Uhr in der „Heute Show“ mit ihrem wie immer undurchdringlichen Lächeln aus eisblauen Augen den überraschenden Einbruch der Scholz-SPD auf den letzten Metern, der allerdings den sensationellen Wahlsieg der grün-roten Koalition nicht verhindern konnte. Begünstigend dafür sei das hauchdünne Scheitern sowohl der AfD als auch der Linken an der 5 %-Hürde. Zusammen mit den 11 % „Sonstigen“ (darunter die „Freien Wähler“) folgte daraus, dass 21 % für die Grünen sowie 19,8 % für die SPD locker für den Wahlsieg reichten über Gelb/Schwarz. Laschets Untergang konnte selbst Hans-Georg Maaßens triumphaler Wahlsieg zu Lasten der AfD in Süd-Thüringen nicht verhindern. Womit wir endlich so weit sind, uns Björn Höckes in der Überschrift angesprochenen Klinikaufenthalt zuwenden zu können, wiederum im Vertrauen auf meine Quelle, einen Traum.

***

Begonnen hatte alles damit, dass Björn (manche Agenturen, etwa jene Oliver Welkes, meldeten auch: „Bernd“) Höcke (AfD) an jenem 26. September 2021 gegen 19.30 in der Zwangsjacke aus dem Kanzleramt geführt werden musste, damit das Schicksal kopierend, das er Angela Merkel 2016 geweissagt hatte, als verdiente Strafe für ihre Flüchtlingspolitik. Höcke hatte dort als Anführer einer Gruppe Gleichgesinnter randaliert, auf der Suche nach unterschlagenen Wahlzetteln und weiteren Beweisen dafür, dass auch diese Wahl, ähnlich wie jene letzte in den USA zu Lasten Donald Trumps, manipuliert worden war, der Wahlsieg also gestohlen worden sei. Zutritt hatte die Gruppe erhalten mithilfe von Abgeordnetenausweisen (MdB und MdL) sowie einem Strauß Weißer Rosen als Zeichen der Aufgabe des deutschen Widerstandes und Anerkennung des Umstandes, dass der Name der nächsten Bundeskanzlerin auf Annalena Baerbock laute. Kein Problem für Höcke und die Seinen, nachdem Hans-Georg Maaßen im Juni herausbekommen hatte, dass sich deren vollständiger Name Annalena Charlotte Alma Baerbocks Namen zum Zeichen A-C-A-B verkürzen lasse, also den Antifa-Spruch „All Cops are Bastards!“ als verschlüsselte Botschaft zum Inhalt habe. Kurz: Maaßen hatte Wissen über das subversive Agieren in Kreisen, die zu beobachten ihm noch vor einigen Jahren als BfV-Präsident, zum eigenen Vorteil ausgenutzt. Und Höcke war ihm auf dem Leim gegangen.  Vielleicht, so erklärte er später mit todernster Miene im Krankenhaus, sei Baerbock ja tatsächlich die, wie ihr Namenscode verrate, sich hoffentlich bald outende Revolutionärin neuen Typs, die seiner dringend bedürfe.

Prof. Dr. Dr. Jens Thunberg, den die Klinikleitung auf den Fall Höcke angesetzt hatte und der ein ganz klein wenig an Loriot in der Maske des Karl-Heinz Meltzer aus Loriots frühem MeToo-Sketch Liebe im Büro erinnerte, wiegte bedenklich sein eisgraues Haupt, als ihm Informationen dieser Art durch seine Assistentin überbracht wurden. Als Spezialist für „Evidenzbasierte literarische Amnesie nach dem Thunberg-Verfahren“ (= ElAT) war Thunberg eine Kapazität sondergleichen. Heißt: Er duldete keinen Widerspruch, hatte ihn an sich auch nicht zu fürchten, da nur er, wie schon der Titel des von ihm patentierten Verfahrens erkennen lässt, sich auf Datenerhebung und -auswertung verstand.

Wie sich wohl von selbst versteht, um diese verfahrenstechnische Erläuterung noch nachzuschieben: Nur Patienten, die im weiteren Sinne literarisch aktiv waren, kamen für ElAT in Betracht. Björn Höcke beispielsweise hatte sich durch seinen Gesprächsband Nie zweimal in denselben Fluss (2018) sowie einige Interviews und Reden für ElAT qualifiziert. Nachdem Thunbergs Assistentin, „Fräulein Dinkel“ (O-Ton Thunberg, privat, Loriot zitierend, spaßeshalber, denn er war ein Mann nicht nur von Welt, sondern auch von Humor) im Verlauf einer nächtlichen Sitzung ein Dossier erstellt und es morgens ihrem Chef präsentiert hatte, waren beide übereingekommen, es mit dem Pat. Höcke zu versuchen. Und zwar würde er als Chef – so erläuterte er „Fräulein Dinkel“ – sich dem Pat. Höcke als „Dr. Maaztrix“ vorstellen, im Vertrauen darauf, dieser würde einen Zugang finden vom zweiten Namensteil her auf seine Lieblingscomicfigur Asterix sowie vom ersten Namensteil her auf den Hallenser Psychiater Hans-Joachim Maaz, auch, jedenfalls den Leser*innen von haGalil.com (vgl. Niemeyer 2021b), bekannt als Covidiot. Diesen nämlich, so fuhr „Fräulein Dinkel“ mit vor Entdeckerstolz und unausgesprochener Liebe zu ihrem Chef zitternder Stimme fort, verehre Pat. Höcke offenbar maßlos – „maaz-los“, hatte sie an dieser Stelle, ihren Mut zusammennehmend, gewitzelt –, weil dieser ihn als „Konsensstörer“ resp. als „Omega“ gelten lasse, also als Gegentyp zum „Alphatier“ in der Gruppe. „Dr. Maaztrix“, als welchen sie ihn zukünftig in des Pat. Höcke Anwesenheit nennen solle, war etwas erstaunt ob der Auffassungsgabe seiner Assistentin. Hatte er sie, „diese Brillenschlange“ (O-Ton Thunberg, privat), womöglich unterschätzt, wie weiland Loriot seine Assistentin Evelyn Hamann?

***

In der Tat: Wie sehr – um hier erstmals den vollständigen Namen herzusetzen – Frau Dr. Renate Dinkel den springenden Punkt getroffen hatte, zeigte sich wenig später in der ersten Therapiestunde. Höcke nämlich berichtete ohne jeden Argwohn und tatsächlich, wie Thunbergs Assistentin, unerkannt im Off sitzend mit dem Buch Nie zweimal in denselben Fluss aufgeschlagen vor sich auf dem Pult, bestätigen konnte, fast wortwörtlich aus jenem referierend, dass Maaz ihn indirekt gelobt habe als einen jener „ungeliebten Außenseiter des Systems, die auf mögliche Fehler und Irrwege hinweisen und damit eine ganz wichtige Funktion besitzen.“ (Höcke/Hennig 2018: 93) Erst später, in der Nachbesprechung, bekam Thunberg von ihr gesteckt, dass sein Hallenser Kollege Maaz noch vor einem Vierteljahrhundert, als Höcke gerade einmal 21 Lenze zählte, mithin zu Hochzeiten von ausländerfeindlichen Hetzjagden in Rostock-Lichtenhagen, den Gegentypus zur heutigen AfD als ‚Omegas‘ definiert hatte, die „Asylbewerber“ und „Ausländer“ also, die „zu einer Bedrohung hochstilisiert [werden], um dann die eigene Angst und Unzufriedenheit an ihnen abreagieren zu können.“ (Maaz 1993: 179) Blieb also die Frage, wie um alles in der Welt es zu diesem politischen Vorzeichenwechsel bei Maaz hatte kommen können, vermerkte „Fräulein Dinkel“ dazu scharfsinnig. Wie ihr Chef eigentlich hätte einräumen müssen.

Nichts da, keine Schwäche: Vordringlicher sei ja wohl, so Thunberg, der Fakt selbst: Pat. Höcke habe dank Maaz‘ Gesinnungswandel offenbar seine Karten neu mischen gelernt.

Da kam Frau Dr. Dinkel, die sich des Nachts dank einer veritablen Neuerscheinung (Niemeyer 2021) durch die neu-rechte Denkwelt gearbeitet hatte, eine Idee: Vielleicht habe Höcke ja gelernt, den Name der Verrückten nach Maaz‘ professioneller Diagnose derselben („Irgend etwas ist mit ihr durchgegangen […] – sie scheint von allen guten Geistern verlassen zu sein“; zit. n. Hinz 2016: 31) auf „Angela Merkel“ zu taufen und den der heutigen ‚Omegas‘ auf den Namen ‚AfDler‘. Und dieser sei eben damit als solcher, weil „systemrelevanter“ Seismograph, aus dem Schneider. Wohingegen – sie platzte jetzt fast vor Ableitungsstolz – die Verrückten alle anderen seien, eben jene rund um die Kanzlerin. Dann mache auch Pat. Höckes mit Erleichterung vorgetragenes Fazit am Ende der ersten Therapiesitzung Sinn, als er, mit einem Zitat aus seinem Buch, sagte:

„Das Altparteienkartell setzt auf Ausgrenzung der Maazschen Omegas und verschanzt sich in der Verblendung, letztlich alles richtig gemacht zu haben – es hapere nur an der Vermittlung ihrer Politik.“ (Höcke/Hennig 2018: 213 f.)

Thunberg ärgerte sich an dieser Stelle ein wenig über seine vorlaute Assistentin: Natürlich, sie hatte Recht – hätte aber, auch im Interesse ihrer ferneren Karriere, besser daran getan, ihm diesen Schluss vortragen zu lassen.

Aber es kam noch schlimmer für Thunberg, insofern jetzt die Nachtschwester („Nacktschwester?“, hatte Höcke vor dem Einschlafen gewitzelt) hereinschneite, um, als Teil der Dienstübergabe, Kunde davon zu geben, der Pat. Höcke habe sich als wenig kooperativ erwiesen und sie beispielsweise mit den Worten abgewiesen:

„Nein, Schwester, ich bin, wie ihr Chef weiß, ein systemrelevanter ‚Omega‘ und brauche Ihre Pille nicht, gehen Sie bitte eine Tür weiter, da liegt, hoffentlich, Frau Dr. Merkel!“

Mit „Pille“ war die Blue Pill gemeint, ein Placeboe, das Frau Dr. Renate Dinkel auf der Weihnachtsfeier in Anlehnung an ihren Lieblingsfilm Matrix (1999) als Grundmedikament für die Station in Vorschlag gebracht hatte. Es wirke fraglos Wunder insbesondere bei rechtslastigen Wutbürgern, wenn es verabreicht werde mit dem Versprechen, es mache wieder gut. Professor Thunberg hatte seine, wie er scherzte, „Weihnachts-Renate“ damals entgeistert angestarrt und stand erstmals kurz davor, sie zu bitten, die Brille abzunehmen. Was sie unaufgefordert tat, seinen ihr dargebotenen Mund ihrer Kurzsichtigkeit wegen beim Kussversuch allerdings tragisch verfehlend. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er hinter ihrem Rücken ein Schreiben auf dem Boden, das ihm das Ehrendoktorat der medizinischen Fakultät der Universität Göteborg in Aussicht stellte, abgezeichnet mit ihrer Paraphe. Sie erklärte, wenig glaubwürdig, sie habe es ihm als Überraschung zur Weihnachtsfeier mitgebracht – und heulte wie ein Schlosshund, als er, nach wie vor misstrauisch, gleichwohl rüde erkaltete. In Rückerinnerung an diese peinliche Szene schien es Thunberg ratsam, die Zügel etwas anzuziehen.

Auf diese Weise bekam er gleich zu Beginn der zweiten Therapiesitzung am 28. September als erstes heraus, was, wie er später nachprüfte, Pat. Höcke ganz ähnlich 2017 auch dem Spiegel anvertraut hatte:

„Eigentlich war ich immer ein introvertierter und auf Ausgleich bedachter Mensch. Zu diesem Menschen will ich wieder zurückfinden.“ (Der Spiegel Nr. 8/2017: 21)

Einverstanden: Auf diesen Satz hatte ihn „Fräulein Dinkel“ schon bei der morgendlichen Visite aufgrund ihrer fortdauernden nächtlichen Lektüre des Höcke-Schrifttums hingewiesen. Richtig blieb sie gleichwohl, die ElAT-Sache: ‚Omega‘ Höcke hatte offenbar ein Problem, diesbezügliche Krankheitseinsicht war an sich vorhanden. Tatsächlich aber hatte „Fräulein Dinkel“ ihm in ihrer ihr eigenen Respektlosigkeit auch diesen Satz (vor-)weggenommen, zusammen mit dem nun folgenden, hier wortwörtlich hingesetzten:

„Dominierend beim Pat. Höcke scheint mir, verehrter Herr Professor, eine Art Firewall gegen Einsichten aller Art als Folge des langjährigen Lebens in einer Parallelwelt, dominiert von enthemmten Hasspredigern im Internet mit ihren Fake News über marodierende Flüchtlingsbanden mit der Folge eines weitergedachten Thilo-Sarrazin-‚Deutschland-schafft-sich-ab‘-Untergangsszenarios!“

Thunberg war beeindruckt, durfte dies aber nicht zeigen als Mann und Vorgesetzter – und redete einfach weiter, als käme nun erst das eigentlich Wichtige: nämlich dass der Pat. Höcke in jener 2. Therapiesitzung direkt aus seinem 2018er Buch referiert habe, und zwar das Folgende:

„Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie die tapfer-fröhlichen Gallier in unsere ländlichen Refugien zurück und die neuen Römer, die in den verwahrlosten Städten residieren, können sich an den teutonischen Asterixen und Obelixen die Zähne ausbeißen! Wir Deutschen – zumindest die, die es noch sein wollen – sind dann zwar nur ein Volksstamm unter anderen. Die Re-Tribalisierung im Zuge des multikulturellen Umbaus wird aber so zu einer Auffangstellung und neuen Keimzelle des Volkes werden. Und eines Tages kann diese Auffangstellung eine Ausfallstellung werden, von der eine Rückeroberung ihren Ausgang nimmt.“ (Höcke/Hennig 2018: 253)

Thunberg wollte gerade anheben mit seiner Diagnose – aber „Fräulein Dinkel“ war wieder einmal schneller, wenngleich sie diesmal, nicht unklug, die Form einer Frage an ihn, den Spezialisten, wählte:

„Wer spricht hier eigentlich, Herr Professor, sorry: Herr Doktor Maaztrix? Besser vielleicht: Was spricht hier eigentlich? Ein Kind? Das Es? Der Suff? Oder, man beachte den erstaunlichen Übergang von ‚Auffangstellung‘ zu ‚Ausfallstellung‘, ein Wiedergänger des ‚Rembrandtdeutschen‘ Julius Langbehn (1851-1907), dem man ja, wie andernorts in der Fachliteratur diskutiert (vgl. Niemeyer 2021: 300 ff.), eine Schizophrenie attestierte?“

Thunberg war beeindruckt – und auf Weihnachtsfeier-Level. Derart sinnierend, war der nächste Einschlag natürlich nicht zu vermeiden: „Renate“, wie er sie nun erneut zu heißen bereit war, lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf das eben gegebene Höcke-Zitat, also auf die Asterix-Fährte, sprich: Pat. Höckes abstruse Anrufung des Vorbilds der „tapfer-fröhlichen Gallier“ in ihren „ländlichen Refugien“ – eine Stelle, die selbst Höckes Gesprächspartner Sebastian Hennig in jenem Buch, so „Renate“, aufgefallen sei, wie dessen Frage an Höcke belege:

„Sie monierten vorhin die Infantilisierung der Politik, um nun Ihrerseits Comicstrips für politisch-strategische Überlegungen zu zitieren!“ (Höcke/Henning 2018: 253)

Kaum weniger auffällig, so „Renate“, bedeutungsschwer über ihre Brille hinweg Thunberg anstarrend und erneut wortwörtlich Höckes Antwort aus der 2. Therapiesitzung sowie aus jenem Buch zitierend:

„Warum nicht? […] Und gleich noch eine schlechte Nachricht für unsere künftigen ‚Römer‘, die diesen edlen Titel eigentlich nicht verdient haben: Wie Asterix haben auch wir einen Zaubertrank.“ (ebd.)

„Und eine Wunderwaffe vom Typ V 2?, möchte man am liebsten noch nachtragen“, witzelte sie an dieser Stelle – unvorsichtigerweise ignorierend, dass ihren Chef erneut das Gefühl anwandeln musste, die Sache liefe allmählich aus seinem Ruder, sprich: sie sei Chef oder, wie er sich hektisch verbesserte: Chefin.

Zumal sie nun, deutlich ermannt, fortfuhr mit dem Bericht darüber, dass Pat. Höcke, sich zusehends wohliger einrichtend in der Vision, er sei Kanzler, nicht Merkel, in jenem Gespräch mit Henning zu verstehen gegeben habe, dass unter seinem Regime ein „Remigrationsprojekt“ notwendig werde. Bei welchem man wohl nicht „um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘, wie es Peter Sloterdijk[1] genannt habe, herumkommen werde, kurz: sich, so Höcke in jenem Band, „menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden.“ Er strebe an, dabei „so human wie irgend möglich, aber auch so konsequent wie nötig vor[zu]gehen.“ (ebd.: 254) Im Übrigen sei er sich sicher, „daß – egal wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mögen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können.“ Dem folgte, nahtlos, so Thunbergs Assistentin mit bedeutungsschwerem Unterton Pat. Höcke zitierend:

„Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“ (ebd.: 257)

Spätestens hier nun könne kein Zweifel mehr sein, so „Fräulein Dinkel“, sich allmählich erneut in „Renate“ verwandelnd:

„So, lieber Doktor Maaztrix, spricht kein Kind – so ähnlich sprachen vielmehr Nazis!“

Professor Thunberg, energisch „Doktor Maaztrix“ verabschiedend, blieb an dieser Stelle nur die Flucht nach vorn: Er beantragte bei der Staatsanwaltschaft die Einvernahme eines weiteren Zeugen zwecks Vervollständigung seines Gutachtens über den Pat. Höcke. So kam es, dass mich am 1. Oktober 2021 ein offizielles Schreiben erreichte, Professor Thunberg über meine Erfahrungen mit Björn Höcke im Verlauf einer Hygienedemo im April 2020 in Kenntnis zu setzen.

***

Keine Ahnung, wie man auf mich gekommen war – jedenfalls schickte ich postwendend per Mail die auf haGalil.com nachlesbare Glosse Als Björn Höcke (AfD) eines Tages zu Unrecht in Verdacht geriet, einen Demonstranten mit Corona infiziert zu haben. Eine Geschichte aus der Vergangenheit – mit einer kalten Dusche ganz zum Schluss für den Träumer an Professor Thunberg. Renate erzählte mir später im Zuge ihres von Kurzsichtigkeit beeinträchtigen Besuchs bei mir auf dem Sofa in meinem Appartement am Gendarmenmarkt, sie sei schon lange eine Verehrerin meiner Schriften und habe ihrem Chef von mir vorgeschwärmt. Keine gut Idee, wie ich, der weiß, wie Männer ticken, ihr zu verklickern sichte. Und tatsächlich: Professor Thunberg, so Renate, habe nach allerdings, wie sie besänftigend hinzusetzte, „nur grobschlächtiger Anwendung von ElAT“ in meinem Fall auf „Geschwätz“ erkannt und sich glatt geweigert, mit mir, wie sie vorgeschlagen hatte, wenigstens über meine „interessanten Ausführungen zu Nietzsches Syphilis“ nach meinem „hochinteressanten Buch“ (O-Ton Renate, abzielend auf Niemeyer 2020) zu debattieren. Im Ergebnis habe Thunberg ohne jedes weitere Wort nach dem Telefon gegriffen und seiner Sekretärin demonstrativ – mit hochgezogene Augenbrauen in Richtung jener, die auf ein „Renate“ gehofft hatte – die Anweisung erteilt, den Pat. Höcke sofort zu entlassen. Er sei skurril, aber ungefährlich. Was seine Einschätzung meiner Person anging, gab erst ein Schreiben Auskunft, welches ich „Renatchen“ nach heftigem Kampf auf dem Boden vor dem Sofa entrang und dessen Wortlaut in etwa dahin ging, das angeblich belastende Material eines vermeintlichen Professors und Nietzscheforschers, etwa dahingehend, Höcke habe auf einer Demonstration diesen absichtlich und ohne Maske ins Gesicht gehustet, sei Geschwätz eines Träumers, nichts Evidenzbasiertes, für ihn methodologisch also ohne Belang. Ich erstarrte – und erkaltete von hundert auf null.

Um, wenigstens einmal doch, ehrlich zu sein: Mir war diese Entwicklung der Dinge nicht unrecht – Hauptsache, so ich wohlgemut zu Renate, die mehr als ungehalten war ob meines Erkaltens, „wir“ hätten eine neue Kanzlerin im Kanzleramt nach unserem Geschmack und ohne Zwangsjacke! Bei diesen Worten klammerte sich Renate verzweifelt an mich – und schenkte mir, schuldbewusst, klaren Wein ein: Ihr Chef habe ausdrücklich noch hinzugesetzt, der Pat. Höcke sei von einem Krankenwagen mit Blaulicht unweit des Kanzleramtes abzusetzen, damit er seiner auf den heutigen Tag, 12 Uhr mittags, lautenden Einladung von Bundeskanzler Armin Laschet, die die Nachtschwester aus dem Bett des Pat. Höcke gefischt habe, entsprechen könne. Nach dem Rücktritt Jörg Meuthens, Tino Chrupallas sowie Alice Weidels sei er, so Renate des Weiteren, auf Vorschlag des designierten Bundesinnenministers Hans-Georg Maaßen als neuer Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland im Gespräch!

Heulen und Zähneklappern, also das, nach Luther, ganze Arsenal der zur Verdammnis Verurteilten – nichts trifft in etwa meine Verzweiflung ob dieser Mitteilung! Zumal Renate zwecks Erläuterung noch nachschob, Armin Laschet habe sich von seinem Rechtskatholizismus-Flügel um Nathaniel Liminski einseifen lassen, also trotz fehlender eigener Mehrheit zur Wahl gestellt – als das Unerwartete geschah: Christian Lindner hatte seine zahlenmäßig recht ansehnliche Fraktion absprachewidrig auf Enthaltung getrimmt mit dem Argument, er wolle nicht schon wieder, wie damals in Erfurt, Schuld sein an der Wahl des Falschen – und Laschet war plötzlich Kanzler, mit den Stimmen der AfD! „Diabolisch“ nennt man wohl das Grinsen Lindners Richtung Annegret Kramp-Karrenbauers, „verlegen-verschmitzt“ jenes Laschets in Richtung seines designierten Kanzleramtsminister Liminski. Schon dessen Vater war derlei Chuzpe eigen gewesen: Vertuschen, verschweigen, verzerren – Die Missbrauchsdebatte und das Erbe der Achtundsechziger (2010) lautete der Titel dieses katholischen Journalisten aus dem fundamentalistischen Lager um den Weihbischof Andreas Laun, der zeitgleich die schreckliche Duisburger Love-Parade-Katastrophe zur (verdienten) Gottesstrafe haltlos Tanzender erklärte. Einzelheiten des Liminski-Senior-Beitrags verrät die Überschrift sowie die weiteren Beiträge dieses 2010 vom (späteren) AfD-Mitglied Benno Aden mitherausgegebenen Bandes. Es ging, auf dem Höhepunkt der Missbrauchsskandale in katholischen Einrichtungen, um eine deftige Nebelkerze, auf dass sich in deren Deckung ungestört Krieg führen ließ gegen die grünversifften 68er, die es doch schließlich gewesen seien, sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige zur Tugend zu erklären. (vgl. Niemeyer 2021: 507 ff.) Liminski junior, Anfang August von der SPD dieses Hintergrundes wegen angegriffen, wurde sofort von der Welt in Schutz genommen – und segelte im Windschatten desselben Wochen später, wie gesehen, bis ins Kanzleramt, dort die Pläne schmiedend für die Wahl Laschets mit dem benannten betrüblichen Ergebnis.

***

Es war diese kalte Dusche, die mich zum Beschluss führte, letztmals schweißgebadet aufzuwachen mit dem Versprechen auf den Lippen, dem Träumen für alle Zukunft abzuschwören! Und auch den Frauen, insbesondere solchen namens Renate! Zu arg hämmerte in meinem Kopf die Sorge nach, eines Tages von der MeToo-Bewegung erwischt zu werden. Denn dass diese bisher um Loriots Liebe im Büro einen weiten Bogen geschlagen und jedenfalls keine Verbindung gezogen hatte von Karl-Heinz Meltzer hin zu Harvey Weinstein, musste für die Zukunft ja nicht unbedingt etwas bedeuten. Zumindest nicht bei einem so hartnäckigen rechtskatholisch beeinflussten Aufklärer wie Armin Laschet. Der fraglos auch im Fall des Kardinal Woelki aus Köln bald die richtige, also rechte Entscheidung träfe!  

Foto: Björn Höcke bei Wahlkampfkundgebung in Neubrandenburg, 12.8.2016, (c) redoc – research & documentation

Prof. Dr. Christian Niemeyer, Erziehungswissenschaftler und Psychologe, Jg. 1952, geb. in Hameln, Prof. (i.R.; seit 2017) f. Sozialpädagogik an der TU Dresden (ab 1992), davor FU Berlin (1988-92), geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sozialpädagogik (seit 2002), Nietzscheforscher, zahlreiche Bücher, für August 2021 ist angekündigt: Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz, Bd. 1), mit Online-Material. 796 S., 39,95 Euro, Weinheim Basel. Der hier vorgelegte Essay basiert auf einer um Loriot-Motive erweiterten Grundidee zu Prolog Nr. 12 dieses Buches, S. 116-125.

Literatur:

Hinz, Th. (2016): Weltflucht und Massenwahn. Deutschland in Zeiten der Völkerwanderung. Berlin.
Höcke, B./Hennig, S. (2018): Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig. Lüdinghausen und Berlin.
Maaz, H.-J. (1993): Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus in den östlichen Bundesländern. In: Otto, H.-U./Merten, R. (Hg.): Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland. Jugend im gesellschaftlichen Umbruch. Bonn, 176-181.
Niemeyer, Ch. (2020): Nietzsches Syphilis – und die der Anderen. Eine Spurensuche. Freiburg / München.
Niemeyer, Ch. (2021): Schwarzbuch Neue / Alte Recht. Glossen, Essays, Lexikon. Mit Online-Materialien. Weinheim Basel.
Niemeyer, Ch. (2021a): „Natürlich, Christian! Der kann das!“ In: haGalil.com. Jüdisches Leben online. https://www.hagalil.com/2021/07/natürlich-christian-der-kann das/
Niemeyer, Ch. (2021b): Titanic reloaded oder: „Impfung macht frei!“, morst ein Schiff der AfD Salzgitter voller Covidioten. Gantenbein morst zurück: „Fallt tot um!“ Ein literarischer Stolperstein. In: haGalil.com. Jüdisches Leben online. https://www.hagalil.com/2021/03/impfung-macht-frei/
Niemeyer, Ch. (2021c): Mein Wahlomat. Heute: Marc Jongen (AfD), auf Herzen und Nieren geprüft in unserer neuen „Redfix“-Folge Das Sloterdijk-Projekt. In: haGalil.com. Jüdisches Leben online. https://www.hagalil.com/2021/07/mein-wahlomat/

[1] Zu Sloterdijks Bedeutung für die Neue Rechte und namentlich für Marc Jongen findet sich recht Lustiges (wie ich finde!) unlängst auf haGalil.com. (vgl. Niemeyer 2021c).