Oder: Als Butler James alias AlfreD Tetzlaff alias „Raskolnikow“ die Treppe herunterkam, suggerierend, er habe Miss Sophie, die Frau des „dunklen Ritters“, soeben…
Hier nun Teil 2 zu meiner letzthin hier abgedruckten Glosse Die Geschichte der feindlichen Übernahme von Thilo Sarrazins Buch Feindliche Übernahme (2018), vom Täter, einem Dresdner Ex-Polizisten namens Stahlrecht, selbst erzählt. Eine Glosse – sonst liefe der Untertitel (Teil 2) ja unter Rosstäuscherei –, die gleichfalls dem Oberthema „Richard David Precht“ verpflichtet ist, also der Frage, wie man eigentlich ein Buch rezensiert, das man nie gelesen hat. Und, um dieses besondere Merkmal noch herauszustellen: Dass man nie wird lesen können, weil es, wie das hier in Rede stehende mit dem Titel Tristesse Droite, 2015 in limitierter Auflage von 1.000 Stück erschienen und längst vergriffen ist. Ein Buch, von dem die Herausgeberin Ellen Kositza vieldeutig raunt, es handele sich um ein Buch „für alle und keinen“, wohingegen ihr Mann und Mitherausgeber Götz Kubitschek, Chef des neu-rechten Verlags Antaios mit der Postadresse „Rittergut Schnellroda, 06268 Steigra“, Kunde davon gibt, keiner könne nach Lektüre dieses Buches „mehr behaupten, er hätte es nicht wissen können“ – was ein wenig so klingt, als stelle Tristesse Droite nicht nur, wie die vorgenannte Verlegergattin insinuierte, Nietzsches Also sprach Zarathustra in den Schatten, sondern auch Hitlers Mein Kampf, böte also, kritisch betrachtet, dasjenige, was eine gewisse Johanna Jung am 21. Februar 2020 auf Amazon (Kundenrezensionen) in die Headline kleidete: „Rechtsextremer Irrsinn!“ Wie umgehen mit derlei konträren Einschätzungen?
Nun, eine Möglichkeit wäre, sich aus dem, was ansonsten noch über Tristesse Droite kursiert, einen eigenen Reim zu machen – etwa den folgenden, erstmals in der Zeitschrift für Sozialpädagogik, Heft 2/2021, S. 166-120 zu besichtigenden, erschienen in meiner dortigen Kolumne Der schwarz-weiße Kanal. Die ich mir zulegte, nachdem Jan Fleischhauers Spiegel-Kolumne Der schwarze Kanal infolge von („Skandal! Skandal!“) cancel culture in Wegfall geriet. Nicht zu vergessen: die ein wenig Werbung machen soll für mein Buch Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon, das im August erscheinen wird, wenn alle Fußballmüden und vom nicht wirklich professionell agierenden Schwarzwerbung-Experten Sebastian Schweinsteiger sowie seiner fußballerfern gebauten Beirednerin Jessy Wellmer Ermüdeten wieder Zeit haben zu lesen. Von wem lesen, nochmal? Ganz klar:
Von Christian Niemeyer
Das ganze Elend (ich bitte um Beachtung der Kursivierung) begann, wie immer, mit einer Frau…. Oh weh!, viel zu abgedroschen, also nochmal: Das Elend begann mit einer Frau, die irgendwann im Sommer 2013 am Telefon behauptete, ihr Namen sei Ellen Kositza, sie habe blonde lange Haare, gelte als Postergirl der ‚Neuen Rechten“, sei zuständig für Glossen und schöne Literatur, trage aktuell eine Netzstrumpfhose, habe roundabout sechs bis sieben Kinder und lebe mit Ziegen, Tomaten und Kartoffeln mit ihrem „dunklen Ritter“ auf einem Rittergut im schönen Thüringen. „Oh weh!“, dachte ich still für mich, „viel zu abgedroschen, im Übrigen: Wer heißt denn schon so, wer lebt so, gleich kommt bestimmt noch die Nummer mit Rapunzel“ – und sagte zu! Denn zwischendrin, in mein Grübeln hinein, fiel mir die Netzstrumpfhose ein und die Erläuterung der Anruferin aufs Gemüt, man beabsichtige eine Partie Redpilling – und das mache einfach keinen Spaß ohne mich! Ich weiß jetzt nicht mehr genau, ob es allein die Vokabel „Redpilling“ war. Morgens hatte mich zwar von Weinheim aus die Fahnenkorrektur eines Buches erreicht, in dem ich diesen Begriff ausführlich erläutert hatte. Aber dieses Buch und speziell diese Erläuterung schien mir noch ohne Beispiel und würde gewiss noch acht Jahre brauchen, um etwas zu werden – so zog ich die Druckfahne zurück. Aber sagte, was den von „Ellen Kositza“ genannten Termin anging, spontan zu, nachdem sie mir den Ablaufplan diktiert hatte, was meinem Beamtenhirn ganz außerordentlich imponierte: „1. Sitzung 28.12., ab 19.00, 2. Sitzung 29.12., ab 18.00, 3. Sitzung, 30.12., ab 17.00, 4. Sitzung 31.12., ab 16.00.“ Sie setzte noch hinzu, Michael Klonovsky sei nicht geladen, ich sein Ersatz, und sie könne nur hoffen, ich sei nicht derart verwöhnt, dass sich unter 50 Euro pro Flasche Wein bei mir gar nichts täte. „Who, in hell, is Michael K.?“ Egal, ich erwähnte nebenbei in Schweinsteiger-Manier meine Lieblingsmarke – Stier Bier bei Netto –, nuschelte etwas von „Selbstverkostung“ sowie „4. Sitzung“ (irgendwie musste ich ja den Kostenfaktor bedenken). Sie hatte zur Vokabel „Bier“ gewitzelt: „Kein Bier im Dienst!“, sich ansonsten über die Vokabel „Selbstverkostung“ gefreut, war’s also zufrieden und legte auf. Klick. Ich auch. Klick. Wurde Ellen abgehört? Und wenn ja: Warum nur, warum?
Meine Frau meinte hinterher zwar, bestärkt von unseren mir eigentlich seit 2006 recht sympathischen siebenjährigen Zwillingen, säuerlich: „Typisch, man braucht Dir nur sagen, ohne Dich machte irgendetwas keinen Spaß – und schon bist Du dabei, selbst an Feiertagen, statt Dich zu fragen, was Deine Familie dazu sagt oder wie diese Ellen soundso eigentlich auf Dich gekommen ist! Und vor allem: Warum?“ Eine gute Frage, wie ich einräumen musste. Andererseits: Unter einem Übermaß an Einladungen litt ich eigentlich von jeher nicht – so dass ich diesmal, genau wie bei der letzten Einladung von vor fünf Jahren, zugesagt hätte. Das müsse sie doch verstehen. Wozu und wohin? Nun ja, wie mir „Ellen Kositza“, zutraulicher werdend, erläutert hatte: Zu Kamingesprächen unter dem Untertitel Die Abende von Schnellroda, vier Abende hintereinander vom 28. bis 31.12.2013 auf Rittergut Schnellroda unter dem Haupttitel Tristesse Droite. Der Titel war cool, ließ irgendetwas erwarten, was nach Die Traurigkeit der Rechten klang – also gab es keinen Grund, nicht zuzusagen, zumindest für Silvester. Nach einigen Erläuterungen diesen und noch höheren Niveaus hatte ich das Familien-Okay in der Tasche.
Hinterher – hinterher ist man immer schlauer! – kam mir die Sache etwas spanisch vor, zumal der versprochene Tagungsband Tristesse Droite auf sich warten ließ. Wohl, wie mir später klar wurde und Ihnen, lieber Leser*innen, in wenigen Zeilen klar werden wird: weil es, was meine Person angeht, nichts zu belegen gab. So erschien der Band zwei Jahre später, 2015. Übrigens ohne jeden Hinweis auf meine Präsenz in Schnellroda, wie mich zwei „Top 1000 Rezensenten“ auf Amazon-Kundenrezensionen lehrten, die, beide des Lobes voll waren ob dieses Buches und mir letztlich als einzige Quellen, was den Buchinhalt anging, zur Verfügung stehen. Abgesehen von einem Vorabdruck in Sezession 62 vom Oktober 2014. Indes: Wenn man hier als „Kostprobe“ aus „acht Stunden Tonband“ von Martin Lichtmesz zu lesen bekommt:
„Es geht immer weiter runter. Ich habe es schon in der Volksschule gemerkt, dieses langsame Nachlassen“
– ja, Himmel, Arsch und Zwirn, wie man bei uns in Österreich sagt: Wen interessiert so ein Müll! Und: Warum, um alles in der Welt, hat man nicht schon am Freitag ausgeschenkt, was man uns am Samstag nicht vorenthielt: Einen ordentlichen Humpen Asbach Uralt nämlich, begleitet von dem Mitschnitt der sonoren Stimme des Mathias Wienan! Dann wäre vielleicht Freude aufgekommen der im Folgenden zu besichtigenden Art.
Wie aber auch immer: Ich genoss diese Kostprobe, nahm sie als Beleg, dass die Lektüre des Ganzen dem Phantasievollen so überflüssig war wie ein Kropf. Eine Geld sparende Einsicht übrigens, wie ich einige Zeit genießen konnte. Als ich eigentlich nur noch Kostproben las, maximal Rezensionen, und nicht mehr die Bücher dazu. Aber, bitte: Dies bleibt unter uns, mein Verleger könnte sonst misstrauisch werden und an der mir, einem mehrfachen Sitzenbleiber, unverdrossen zugewiesenen Seriosität zweifeln! Auch daran, dass mir damals schon die Worte zur Verfügung standen, die mir der Spiegel 51/2016 geklaut haben musste, als er für Ellens Götz Kubitschek die Headline Der dunkle Ritter in Vorschlag brachte und unter derselben Sätze beheimatete wie:
„allein, gebeugt über ein Buch, schwarze Stiefel, schwarze Hose, schwarzes Hemd, raspelkurze Haare, auf einem schweren Holzstuhl auf breiten Holzbohlen, schwarze Holzbalken an der Decke, ein schwerer Vorhang vor der Tür gegen die Kälte.“ (Paresse 2017: 135)
Es mag paradox klingen oder, im schlimmsten Fall, eingebildet, aber mir scheint, dies seien Worte von mir, ebenso wie die Beobachtung, dass „der asketische Hausherr die heimische Scholle bestellt und grüblerisch und weltabgewandt in seinen Büchern versinkt.“ (ebd.: 133) Sei’s drum und zurück zum eben verlassenen Gedanken (ein Euphemismus, ich weiß!): Der eine von mir in Sachen Tristesse Droite benutzte Rezensent, Michael Dienstbier, war offenbar, wie dieser wunderschöne Klarname offenbart, ohne jede Sorge, als Neu-Rechter geoutet zu werden. Keine Sorge, von mir erfährt niemand nichts!
Anders verhält es sich da schon mit dem anderen Rezensenten, „Ramones 16“, wohl ein Mensch und nicht, wie der Name Glauben machen könnte, ein Kinderfahrrad. Das, besser: der aber immerhin als bemerkenswert herausstellte, dass auch „der etwas mysteriöse ehemalige Elitesoldat Raskolnikow“ unter den Geladenen im Rittergut Schnellroda Ende 2013 gewesen sei. Fürwahr, dieser Elitesoldat (Jg. 1975) war, wie ich bestätigen kann und nie vergessen werde, war dabei gewesen. Wie ja auch aus jener 2014er Kostprobe ersichtlich, wo er Sätze raushaut wie:
„Es war ja immer die Kunst der Herren, diese Kraft im jungen Mann, der die Kindheit abstreift, zu binden.“
Oder der als sein Ideal im Blick auf Zeiten, in denen er gerne gelebt hätte, angab:
„Marc Aurel als Neger aus der Ecke Luft zufächeln und einfach lauschen, was der so erzählt.“
Ich erinnere mich genau: Meine Frau meinte, als ich diese Stelle vorlas, ob ich nicht so einen ähnlichen Job aktuell zu vergeben hätte. Aber viel wichtiger finde ich aktuell den vorerwähnten Martin, der – ich stochere jetzt wirklich ein wenig im Nebel (besser: „Ur-Nebel“) – damals wohl in Unterhandlungen stand für einen Beitrag bei Antaios zum Thema seiner nachlassenden (Mannes-)Kräfte. Den man (besser: Mann) drei Jahre später zu lesen bekam, abgezeichnet mit: Moskau, 6. Juni 2016 und wunderbar Maskulines zum Vortrage bringend, etwa:
„Die Ehre gibt dem Mann eine Richtung vor und macht den Unterschied zum Affen aus.“
Oder:
„Für uns ist das Opfer die ultimative Tat.“ (Raskolnikow 2016: 226)
Herzig, nicht wahr? Wenngleich, meinem Eindruck nach, die Quellenangabe fehlt. Irgendwas mit: „A.H., Berlin, 6. Juni 1941“, wenn ich nicht irre. Insoweit erkenne ich ad Raskolnikow auf so etwas wie „Identifikation mit dem Aggressor“ – wobei ich „Ramones 16“ jetzt keinen Strick daraus drehen mag, dass er bei seiner Amazon-Rezension dieser Diagnose nicht näher trat. Und auch kein Wort über mich verlor. Zumal ich bei meiner Zusage gegenüber „Ellen Kositza“ aus genannten Gründen (also gut: aus Geiz!) auf die „4. Sitzung“ an Silvester beschränkt hatte. Und also nicht wirklich auf dem Laufenden war. Kurz: Ich hatte, zusätzlich eingeschüchtert durch das Geschehen, die meiste Zeit in der Kulisse zugebracht. Und kein Wort gesagt. Mithin auch keines, das in den Tagungsband Eingang hätte finden können. Nicht zuletzt aus diesem Grund unterscheidet sich mein jetzt folgender Bericht vom Silvesternachmittag und -abend im Rittergut Schnellroda 2013 doch recht erheblich von jenem, den „Michael“ und „Ramones“, wie ich sie jetzt einmal sowohl abkürzend als auch Vertrauen heischend nennen möchte, auf Amazon Kundenrezensionen gaben, deutlicher: Beide schweigen von Silvester, ich, der Not gehorchend, von den anderen drei Tagen – eigentlich also eine wunderbare Ergänzung, wenngleich ich nicht ausschließen möchte, dass in meine Darstellung über die Maßen Subjektives eingeflossen ist. Kunststück, bin ich doch schließlich weder ein TOP 1000 Rezensent noch ein 100-prozentiger, noch schlimmer: noch nicht einmal ein 1-prozentiger AfD-Anhänger. Sei’s drum, auch Kleinvieh macht Mist, etwa den folgenden:
***
Das Redpilling verlief etwas enttäuschend, insofern, dem Bericht von „Michael“ zufolge, von den neben „Ellen Kositza“ Anwesenden, also deren Märchenprinz Götz Kubitschek, Nils Wegner, Thorsten Hinz (Junge Freiheit), Erik Lehnert sowie, natürlich Martin Lichtmesz mit „Raskolnikow“ im Schlepptau, eigentlich niemand irgendwen wirklich von den Sitzen gerissen hätte. Es sei denn, irgendjemand halte „Michaels“ Bericht über Lehnerts Bekenntnis, er habe als 21-jähriger von seinen Ziehvater Rudolph Bahro etwas über Ernst Jünger gehört, für eine Information vom Rang „Must read!“ Weit spannender, zumal per literarischer Nachbearbeitung, inspiriert durch das Datum (Silvester!) und Hinz‘ Pseudonym „Doris Neujahr“[1] sowie die Pflichtsendungen an jenem Tag (A dinner for one sowie die Silvestersendung von Ein Herz und eine Seele), scheint mir die folgende Szene, an die ich mich noch recht gut erinnern kann, oder, sagen wir mal so: die mir als real sich ereignende recht gut gefallen hätte:
Kommt ein Typ, Alfred Tetzlaff und James, den Butler, gleichzeitig mimend, also, zur Gaudi der meisten Anwesenden, als „AlfreD, das Ekel“ AfD-nahe Sprüche von sich gebend und den Sherry oder was auch immer zum Ausschank bereithaltend, über den Bärenkopf hervorgestolpert; schenkt nacheinander, beginnend mit Mr. Winterbottom, gespielt von Götz Kubitschek, den Sherry oder was auch immer ein, um sich in der Schlussszene mit einem anzüglich „Same procedure as last year!“ Miss Sophie, gespielt von Ellen Kositza, zu schnappen und sie, mit deutlich erkennbaren Gemächt, in obige Gemächer zu verschleppen – ungeachtet ihres Schreiens und sehr zum Verdruss des Gastgebers alias Mr. Winterbottom. Dies, so muss dem Feinfühligen nicht groß erklärt werden, trug nicht gerade zum besseren Verständnis der gemeinschaftsfördernden Effekte des Redpilling bei. Zumal AlfreDs alias James alias Sonst-noch-was Auftritt nach offenkundig vollzogenem Akt beachtet werden muss: Frisch ermannt, kommt dieser Tausendsassa mit strahlendem Lächeln und stolzgeschwellter Brust wie Phönix aus der Asche oder wie der Trojaner aus seinem Pferd die Treppe herunter, direktemang in die Arme des Ritters von der traurigen Gestalt und dem vielversprechenden, von unserem Dichterfürst geadelten Vornamen „Götz“, und er dekretiert:
„Mein Name tut eigentlich nichts zur Sache, nehmen wir an, er sei Raskolnikow, privat, zu guten alten DDR-Zeiten, auch ‚Gelobt-sei-was-hart-macht‘-Raskolnikow genannt. Zu meiner Vita nur so viel: ‚Zwölf Militärjahre. Kommando Spezialkräfte, Ingenieursstudium in Berlin, Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien und Ukraine. Mein Lieblingsspruch aus letztgenannter Zeit: ‚Der höchste Grad der Beziehung zwischen Männern ist der Wunsch, bei einem Kampf auf Leben und Tod Schulter an Schulter zu stehen.‘ (Raskolnikow 2016: 225) Nur, damit wir uns gleich zu Anfang richtig verstehen.“
Mr. Winterbottom alias „Ritter“ Götz (Kubitschek) & Gefolge bewahren gespannte Aufmerksamkeit. Nur eine blonde Frau mit arg zerzausten Haaren, die jetzt aus dem 1. Stock kommt, behauptend, in Wahrheit nicht Miss Sophie, sondern „Ellen Kositza“ zu heißen, wirkt etwas derangiert und kreischt geradezu hysterisch auf, als „Raskolnikow“ alias Alfred Tetzlaff alias Butler James fortfährt mit:
„Viel gelernt habe ich auch von ‚Putins Rasputin‘…“
„Ellen Kositza“ fällt bei diesen Worten kreischend in sich zusammen. Bei anderen reicht es nur zu einem Raunen, das jetzt von Kubitschek über Lehnert alias Sir Toby bis hin zu Lichtmesz alias Admiral von Schneider wandert. Der Letztere wirkt übrigens ein wenig abgelenkt, als schäme er sich des von ihm empfohlenen Gastes denke er, wie weiland Arthur Schnitzler, an seine süßen Mädel in Wien, etwa an eine gewisse Caroline von und zu Lethen. Da ertönt es plötzlich, als käme es von der Krim:
„…ganz ruhig Mädels!“
Mädels? Kubitschek spannt seine Oberarmmuskulatur an. Soll er dazwischen gehen? „Raskolnikow“ ist schneller:
„Seriöser als dieser Spott der Lügenpresse – ich meine das Attribut ‚Putins Rasputin‘ – ist die Wahrheit: ich rede von Alexander Dugin, Professor für die Soziologie der Internationalen Beziehungen der Lomonossow-Universität Moskau und ‚der intellektuelle Shootig Star schlechthin in der rechten Szene Deutschlands.‘ (Salzborn 2017: 147; Umland 2020) Der Spruch Dugins lautet übrigens, liebe Freunde: ‚Ich glaube, man muss töten, töten und töten.‘ Dieser Spruch ziert meinen Spind im Donbass, nebst einem Foto von Quentin Tarantino.“
In diesem Moment nehme ich aus den Augenwinkel wahr, wie Nils Wegner alias Mr. Pommeroy näher an Erik Lehnert, also Sir Toby, heranrückt. Beide sitzen nun auf der ihnen zugedachten Seite der Sechsertafel, genau mir vis à vis. Und ich könnte schwören, dass Mr. Pommeroy, sein Glas in Richtung Sir Toby schwenkend, ausruft:
„Cheerio auf Hauptmann Rudolf Berthold, dieses Jagdfliegerass! 44 Abschüsse, und den Pour le Mérite. Mehr geht kaum, da kommen nur noch Erich Udet und Manfred Freiherr von Richthofen heran. The Read Baron also, wie wir Engländer sagen!“
„Und was ist mit Göring, mit Verlaub!? – Aber was anderes: Wie kommen Sie denn jetzt überhaupt auf dieses Thema, mein lieber Pommeroy?“
„Wegen des ‚töten, töten und töten‘ dieses Russen „Raskolnikow“! Ein alter Hut, wie das Beispiel Hauptmann Berthold lehrt. Der, sollte es doch einmal zu einem Abschuss seiner Wenigkeit gekommen sein, gar nicht rasch genug herauskam aus dem Lazarett, möglichst mit noch blutenden Wunden, hin zum nächsten ‚töten, töten und töten‘. Und der in Hohngelächter ausbräche ob dieses Russen und des anderen, Dugin! ‚Immer diese Russen – große Klappe, nichs dahinter!‘, würde er sagen. Na, Sie wissen schon, Sir Toby! Denken Sie nur an Putin, diesen ‚weißen Zar‘ mit seiner haarlosen Brust!“
„Ich fürchte, ich kann jetzt nicht mehr recht folgen, Mr. Pommeroy! Wie auch immer: Sie meinen…“
„Yes sir!“, antwortet Mr. Pommeroy. „Ich meine, dass man aus Berthold, wie schon im Dritten Reich, erneut einen Drachen machen könnte, einen deutschen Drachen, wie ich betonen möchte! So à la Nietzsches ‚monumentaler‘ Historie, falls Sie verstehen, wovon ich rede! “
Da fiel endlich der Groschen bei Sir Toby: „In der Tat, mein Lieber, in der Tat: Ich verstehe. Hören Sie…“
Was ich tat, um mir Jahre später, 2017, nach Erscheinen des von Erik Lehnert herausgegebenen Bandes 5 (Deutsche Daten) des neu-rechten Staatspolitischen Handbuchs zusammenzureimen, dass an diesem Silvesterabend 2013 wohl die Absprachen getroffen worden waren für die Grundanlage des Artikels 1920. Am 15. März wird Hauptmann Berthold in Harburg ermordet aus der Feder von Nils Wegner. (vgl. Niemeyer 2021)
***
Eine andere Szene war kaum weniger aufschlussreich: Nahe am Kamin gewahre ich kurz danach, gleichfalls aus dem Augenwinkel, eine Dreiergruppe, bestehend aus „Raskolnikow“ und dem Gastgeberpaar, Ersterer mit blauem Auge, Letzteres aufgebracht. Die Aufgebrachteste:
„Egal, ganz egal: ‚Nein meint Nein!‘, verdammt noch mal!“
„Aber mit Maske wär das nicht passiert!“
„Was? Das mit dem blauen Auge? Da sei Dir mal nicht so sicher, mein Lieber!“
„Götz, nun lass‘ es mal gut sein: Es ist ja nichts passiert!“
„Nichts? Nennst Du das hier ‚Nichts‘?“ Und alles, auch ich, von ferne, starrte auf den von ihr bezeichneten blauen Fleck am Hals.
„Ellen, nochmal: Es ist unverzeihlich und hätte nicht passieren dürfe, wenngleich…!“
„Nein, mein Lieber, nicht schon wieder die Maske! Die ich mir übers Gesicht hätte ziehen sollen, damit Du…“
„So meinte ich’s doch gar nicht verdammt! Ich dachte eher an die italienische Renaissance, wo die Maske…“
„… Bereitwilligkeit signalisierte?“ Götz Kubitschek war es, der so fragte.
„Ja, so ungefähr!“
„Und weil heutzutage keiner mehr eine Maske trüge, signalisierten alle jederzeit ihre Bereitwilligkeit? Ist es das, was Du uns sagen und Ellen vorwerfen willst?“
„Raskolnikow“ rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er wusste: „Ellen Kositza“ angrabschen in Götz Kubitscheks Ritterburg – das ging gar nicht. Gleichwohl: Vielleicht ließ sich aus der italienischen Renaissance-Maske noch eine schicke Nebelkerze basteln. Also versuchte er sein Glück:
„Habt ihr in eurer Ritterburg noch nie darüber nachgedacht, dass die italienische Renaissance uns retten könnte? Uns womöglich einen neuen Horizont eröffnet jenseits des Spießer- und Christentums?“
„So à la Nietzsche, nicht wahr? Cesare Borgia als Papst, nicht wahr?“
„Ich Cesare, Du Jane!“, spottete Ellen Kositza dazu, überraschend schlagfertig.
„Oder nach dem Muster: ‚Du, Cesare, wo ist Deine Schwester Lucrezia! Sie hat mich glatt geplättet – gibt’s da noch mehr zu bügeln!‘“
Ich traute meinen Ohren nicht: Das sollte Götz Kubitschek sein? Dieser gemütliche Oberschwabe, der jetzt Gift spritzte wie eine Schwarze Mamba?
„Raskolnikow“ blickte verwirrt von der Einen zum Anderen, immer wieder auf’s Neue. Wo blieb denn nur seine Nebelkerze?
„Cheerio, gab er unerwartet von sich, ihr habt schon recht: Maskenlos durch die Nacht – das wäre eine Parole, die fraglos nach euer beider Herz ist und uns als Parole im offen, aber gleichwohl zur Not klandestin zu führenden politischen Kampf dienen soll! Wobei ‚Nacht‘ natürlich nur eine Metapher ist für die politisch düsteren Zeiten, die wir seit nun immerhin schon acht Jahre zu durchleiden haben!“
Götz Kubitschek gab sich versöhnlich und stimmte Karats Über sieben Brücken musst Du gehen an. Im Gleichklang gaben seine Frau und deren Teil-Eroberer den Refrain dazu: „… und einmal der helle Schein!“
Ich war beeindruckt, nahm einen kräftigen Schluck aus der mir vom Pressereferenten, einem Rauschebart namens Baal Müller, zugeschobenen AlfreD-Tetzlaff-Tasse mit dem Spruch „Der Sozi ist nicht dumm, er hat nur Pech“, wollte, zu neuen Kräften gekommen, gerade begeistert in den Chor einstimmen, als auf einmal Thorsten Hinz neben mich trat und durch seine kräftigen Zähne die Frage presste:
„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Wer hat Sie eingeladen?“
Ich tat, was ich immer tat in Situationen wie diesen – und wachte schweißgebadet auf.
Prof. Dr. Christian Niemeyer, Erziehungswissenschaftler und Psychologe, Jg. 1952, geb. in Hameln, Prof. (i.R.; seit 2017) f. Sozialpädagogik an der TU Dresden (ab 1992), davor FU Berlin (1988-92), geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sozialpädagogik (seit 2002), Nietzscheforscher, zahlreiche Bücher, im August 2021 erscheint: Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz, Bd. 1) mit Online-Material. 796 S., 39,95 Euro, Weinheim Basel.
Literatur:
In Schweinsteiger-Manier würde ich an dieser Stelle raten: Bitte nachschlagen in dem unter „Autor“ beworbenen Buch!
[1] Werter Herr Hinz, mir kommt bei diesem Pseudonym immer Dr. Goebbels‘ unter dem Titel Prosit Neujahr! dargebotener Neujahrwunsch aus Der Angriff vom 31. Dezember 1928 in die Quere, den Umstand betreffend, dass der Zeitgenosse die Demokratie bis heute ertragen habe und „sie auch wohl oder übel mit ins neue Jahr hineinschleppen müsse mit all ihrem Elend und all ihrer Not.“ (Goebbels 1939: 17 f.) Ganz falsch, diese Assoziation, oder?