„Natürlich, Christian! Der kann das!“

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Bild oben (v.l.): Armin Laschet, (c) Olaf Kosinsky, Annalena Baerboch, (c) Scheint sinnig, Olaf Scholz, (c) Olaf Kosinsky, Christian Lindner, (c) Sandro Halank, wikicommons,

Als neulich am Kudamm ein neuer Kanzlerkandidat gesucht wurde – und ich dann leider doch nicht gemeint war! Und wie ich mich darob zu rächen verstand! Eine Glosse als Antwort auf die allfällige Empörung über Annalena Baerbock…

Ende September wird ja in Deutschland eine Nachfolgerin für Angela Merkel (CDU) gewählt – offenbar ein Traumjob, wenn man die Anzahl der Bewerber*innen bedenkt: Armin Laschet (CDU) mit Markus Söder (CSU) als Aufpasser und zweite Geige, falls die erste schlapp macht. Was im Fall des MdB-Kandidaten Hans-Georg Maaßen (CDU) und seiner Ungarn- resp. AfD-nahen Kampagne gegen den „Staatsrundfunk“ sowie „Gesinnungstests“ für ARD-Jounalist*innen der Fall zu sein scheint – wenngleich: Wer Laschet tadelt, dass er Maaßen nicht rausschmeißt, versteht nichts von Politik: Nur mit Maaßen kriegt die CDU die Stimmen der AfD-Wähler im Osten. Wohl bekomm’s!

An sich also ganz gute Chancen für Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), hinzugerechnet heimliche Chefs wie Olaf Scholz (SPD), was – und darauf beruht unsere heutige Glosse – auch weitere, gleichstarke Splitterparteien, also etwa die FDP, animieren könnte, gleichfalls ihren Hut namens Christian Lindner in den Ring zu fehlen. Apropos Splitterparteien: Fehlte eigentlich nur noch Alice Weidel (AfD) oder Jörg Meuthen (AfD) – beide allerdings im Moment leider unabkömmlich wg. staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wg. unklarer Wahlspenden. Und Michael Klonovsky, aktuell in Chemnitz AfD-MdB-Kandidat und an sich recht redegewandt, weinerprobt und mit einer israelischen Pianistin verheiratet. Geht indes wg. antisemitischer Witzeleien („Jüdinnen und Juden“, das sei eine politisch korrekte Beschimpfung) sowie permanenter Hitler/Merkel-Vergleiche (zuletzt: Merkels Corona-Diktatur sei mit Hitlers „Nerobefehlen“ aus dem Führerbunker vergleichbar) gar nicht, ebenso wenig wie „Plagiats-Marie“ Franziska Giffey (SPD) als Ersatz für Scholz (an sich untragbar wg. seines Versagens im Wirecard-Skandal, auch wg. der Chuzpe, mit der er die eigentlichen, tatsächlich aber nicht wirklich vorzeigbaren SPD-Vorsitzenden zu Kellnern erklärte und sich selbst zum Koch).

Fehlte nur noch, dass sich Giffey – in der Bild am Sonntag vom 4. Juli zu bewundern mit AfD-Rhetorik vom Typ „Schwerverbrecher und terroristische Gefährder“ sofort abschieben! – Annalena Baerbock in tödliche Umarmung nimmt und ihr versichert, mit Frauen werde in der Politik nun einmal härter umgegangen. Krokodilstränen, wie Giffeys „Doktorarbeit“ zeigt und die klammheimliche Freude der Springer-Presse ob ihres Anti-Baerbock-Bashing und den Coup, in selbige nun selbst die zukünftige Regierende Bürgermeisterin Berlins (Himmel hilf!) eingebunden zu haben. Was für windige Zeiten und welch‘ windschiefe Figuren aktuell in Berlin und andernorts – meint unser Kolumnist und bringt ersatzweise sich selbst ins Spiel als eine Art Baerbock-Musketier im Zuge einer fürwahr irren Geschichte

Von Christian Niemeyer

Neulich, Anfang Juni, bei meinem selbstredend maskenbewehrten Kudamm-Bummel, auf der Suche nach Stoff für meine Kolumne, hörte ich es plötzlich hinter mir jubilieren: „Natürlich, Christian! Der kann das! Warum bin ich denn nicht gleich darauf gekommen! Der ist einfach Klasse!“ Neugierig schaute ich mich um – und wurde im gleichen Atemzug fast überrollt von zwei schwesterlich untergehakten blau-gelben Ladies à la Westend, die im endlich einmal hellen Sonnenschein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen wähnten – ein Tunnel namens FDP, wie ich dem ferneren Geschnatter entnehmen konnte. Und „Christian“ – nun ja, der entpuppte sich als Christian Lindner, der „unbedingt“ Kanzlerkandidat werden müsse, jetzt, wo er gleichauf läge mit diesem „Sozi“ Scholz. Der ja wegen dieses dummen Bankkredits derart viel „Dreck am Stecken“ habe, ganz zu schweigen von dieser „Frau Doktor“, die für die Bundesregierung nicht mehr tauge, für Berlin aber gut genug sei. „Mit uns kann man’s ja machen“, höhnte eine der Beiden – ehe sie in den prustend vorgetragenen Refrain einfiel: „Aber nicht mit mir!“ „Und denk‘ Dir nur, Carmen: diese Baerbock: Erst ihre Corona-Hilfe kassieren – und jetzt den Autofahrern 16 Cent mehr pro Liter aus der Schatulle klauen!“ „Recht haste, Uschi: Freie Fahrt für freie Bürger, Prost!“ Und Sie zauberte jetzt doch tatsächlich einen kleinen Piccolo aus Ihrem Wams, warf Ihre Maske in den Dreck und jubelte lautstark: „Vorwärts, Christian, hol‘ Dir das Kanzleramt!“ Einige Passanten blieben jetzt kopfschüttelnd stehen, ich ging traurig weiter: Schade, es hatte alles so schön begonnen!

Kaum überraschend: Des Nachts träumte mir, ich sei, nun ja: nicht Kanzler. Wohl aber Bundeswissenschaftsminister unter Annalena Baerbock. Zwar nicht gleich, aber, nach einigen Querelen mit einer CDU-/AfD-Regierung unter Hans-Georg Maaßen, die vor Augen zu führen ich Ihnen hier ersparen möchte, zu Gunsten eines Witzes, und der geht so:   

Treffen sich im Jahr 2060 zwei Historiker.
„Was ist Ihr Fachgebiet?“
„Mittelalter. Und Ihres?“
„Das Jahr 2029.“
„Ah – welche Woche?“

Die Kursivierung soll Sie gleich auf die richtige Fährte führen: Ja, der Witz ist eine Replik auf meine Amtsführung. Ich – und komischerweise alle um mich herum – legte(n) 2029 ein Tempo vor, als gelte es, die verlorenen Jahre insbesondere der Merkel-Ära so rasch als möglich in Vergessenheit zu bringen, Jahre, in denen ein Gesetz nach dem anderen vom Verfassungsgericht als unzulänglich kassiert wurde und am Ende selbst die EU davon absah, den beharrlichen Verstoß der Deutschen gegen Umweltauflagen zu sanktionieren. Und man sich ersatzweise die Hände rieb, wie VW per Dieselgate vom Chef persönlich beinahe ruiniert worden wäre und parallel dazu Bayer Leverkusen durch den Chef dieses Hauses (nein, nicht Rudi Völler!), der von Landwirtschaft und wirkungsvollem Dünger einfach derart viel verstand, dass er es seinem Mitarbeitern nicht vorenthalten konnte. „Freie Fahrt der freien Wirtschaft!“ rief dazu Christian Linder aus, tatsächlich Bundeskanzler vom 1. bis zum 2. April 2026 infolge einer Abstimmungspanne à la Thüringen – aber dies zu erzählen bringt uns zu weit weg von unserem eigentlichen Thema: Meinen Maßnahmen als Bundeswissenschaftsminister 2029!

Also: In KW 23 demontierte ein Bautrupp die bis dato „aus Denkmalschutzgründen“ für unverrückbar erklärte 11. Feuerbachthese des Karl Marx in der Humboldt-Uni. Dass die Philosophen die Welt bisher nur immer verschieden interpretiert hätten, es aber darauf ankäme, sie zu verändern, sei, so hatte ich in meiner Notverordnung erklärt, der Sargnagel gewesen, der viele unserer Nachwuchswissenschaftler ins Unglück geführt hätte. Sozialisten, Anarchisten sowie Rechtspopulisten, alle also, die es mit „Interpretieren“ noch nie so hatten, dafür aber mit „Verändern“, hätten sich durch diese Losung inspirieren lassen, das zu tun, was Donald Trump in den Jahren seiner fatalen Präsidentschaft tagtäglich tat: Winning ugly by untold stories. Aus diesem Grund hatte ich dafür Sorge getragen, dass ab KW 24 im Foyer einer der wichtigsten und größten deutschen Universitäten der Spruch „Mehr Ehrfucht vor dem Wissenden! Und nieder mit allen Parteien!“ (Friedrich Nietzsche) hängt. Parallel seien Wissenschaftspropädeutiker aller Couleur von mir per Verordnung angewiesen worden, in Zukunft dem Gebot Nietzsches, dass jeder jederzeit „Gegner und Todfeind der eigenen Lehre“ sein müsse, hinreichend Raum zu gewähren. In einer weiteren Erläuterung hierzu aus KW 25 führte ich aus, es gelte, das Regiment der Lüge auf allen Ebenen gesellschaftlichen Lebens und wissenschaftlichen Erkennens zu unterbinden. Um unser aller Zukunft wegen, der nur eines fromme: Die Wiederentdeckung des Wahren, Guten und Schönen im allergrößten Maßstab. Nach Entscheidungen dieser Art verzog ich mich auf Anraten meiner Anwälte in den Jahresurlaub. Zwei zeternde Uni-Präsidenten im Wartezimmer zurücklassend.

Im Urlaubshotel in der Steiermark kam mir unerwartete Bestätigung, dass ich nicht allein sei, insofern als mir mein mich begleitender Staatssekretär den Besuch eines gleichfalls hier nach Erholung suchenden Europapolitikers meldete, der mir Erstaunliches erzählte: In Brüssel bahne sich ein Putsch an unter Führung von Fridays-on-future, der in KW 31 zur Etablierung von Greta Thunberg als neue Europräsidentin (mit Sondervollmachten), also zu einer Art „Diktatur der Guten“ führen werde und in KW 32 zum Rausschmiss Polens und Ungarns sowie in KW 33 zum Neubau des Flüchtlingslagers Moira, finanziert aus den an sich für Polen und Ungarn gedachten Geldern. Polen werde daraufhin, in KW 34, die Wiederaufnahme in die EU beantragen und Green Cards für 30.000 syrische Pflegekräfte offerieren. Und: In KW 35 würden die Präsidenten Nawalny (Russland) und Stakleburgh (USA), als Testlauf einer ab KW 39 einzurichtenden Weltregierung unter Beteiligung auch Chinas, mit, dem Beispiel Israels folgend, jeweils nach einem Jahr wechselnder Präsidentschaft, einen auf sämtliche Waffen und Waffensysteme bezüglichen Abrüstungsvertrag unterzeichnen. Aus den dabei eingesparten sowie weiteren, infolge eines in KW 40 abzuschließenden neuen Klimavertrags einzusparenden Mitteln würden dann ab KW 41, zunächst in Afrika, sämtliche russischen und amerikanischen Botschaften mit Aufnahmeeinrichtungen für Asylanten und Zuwanderer ausgestattet werden. Ab KW 43 werde es kein Flüchtling oder Asylbewerber aus Afrika sowie aus Nahost mehr nötig haben, über das Mittelmeer oder andere Routen und mithin auf eigene Faust zu flüchten. Ab KW 44 werde die UN-Flüchtlingsgegner wie Outsider behandeln und in Fortbildung nehmen. Schon jetzt gelte die Flüchtlingspolitik der Jahre 2015 bis 2021, zumal dem neuen Papst, als eine mit Gottesstrafe belegte ‚große Scham‘.

Ich war sprachlos – und diktierte, als mein Gast fort war und mit unserem inzwischen etwas ergrauten Familienhund Sammy zu meinen Füßen, eine Erläuterung zu dem von Nietzsche adaptierten Assassinenspruch „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt!“ des Inhalts, dass alles möglich und alles Mögliche notwendig sei bei einer grundlegend angelegten „Bildung nach Auschwitz“, und zwar in Gegenstellung zum sich als Macht des Faktischen gerierenden Sachverhalt, dass Sittlichkeit angeblich nicht möglich sei. Falsch! Sie ist nur dort nicht möglich, wo zuvor Lüge die Karten mischte – und eben Letzteres ist überall dort der Fall, wo Politik nach Art Donald Trumps gemacht werde. Trump noch 2021 und 2022 hart auf den Fersen, inzwischen aber Geschichte: Wladimir Putin inklusive seiner „fünften Kolonnen“ in Ost und West, darunter AfD-Abgeordnete sowie AfD-nahe „Wissenschaftler“, dominierend darunter auch solche, denen der tägliche Gang durch das Foyer der Humboldt-Uni geistig schweren Schaden zugefügt haben musste, wie Erik Lehnert, der 2021 es fertiggebracht hatte, mit Bruce Gilley dem deutschen Kolonialismus eine Ode zu singen wie weiland Jörg Haider Hitler mit Seitenblick auf die Autobahnen und dem Spruch dazu: „Es war nicht alles schlecht!“

„Temps perdu!“, grinste ich dazu wie ein Brautmaulfrosch und nahm sie zärtlich in den Arm: meine Familie – und selbstredend auch den „First Dog“. Der Himmel über der Steiermark zeigte dazu sein allerschönstes Sommergesicht wie sonst nur, für einen Nicht-Österreicher, zu sehen auf dem Heimatkanal. Was für ein schönes Wort, dachte ich noch, verglichen mit dem Wort Kanal Schnellroda, von dem wir von der Bundesregierung, um ehrlich zu sein, seit KW 21 den Kanal voll hatten. Als ich auf einmal die Worte hörte: „Natürlich, Christian! Der kann das! Warum bin ich denn nicht gleich darauf gekommen! Der ist einfach Klasse!“ Bleischwer kam das Erwachen über mich: Es war meine Frau, laut klagend: „Schatz, bitte steh‘ auf, die Kinder bekommen den neuen Rasenmäher nicht in Gang!“

Prof. Dr. Christian Niemeyer, Erziehungswissenschaftler und Psychologe, Jg. 1952, geb. in Hameln, Prof. (i.R.; seit 2017) f. Sozialpädagogik an der TU Dresden (ab 1992), davor FU Berlin (1988-92), geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sozialpädagogik (seit 2002), Nietzscheforscher, zahlreiche Bücher, für August 2021 ist angekündigt: Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Essays, Glossen, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz, Bd. 1) mit Online-Material. 796 S., 39,95 Euro, Weinheim Basel.

Bild oben (v.l.): Armin Laschet, (c) Olaf Kosinsky, Annalena Baerboch, (c) Scheint sinnig, Olaf Scholz, (c) Olaf Kosinsky, Christian Lindner, (c) Sandro Halank, wikicommons