„Radikal und unwiderruflich…“

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Der Massenmord an den Juden im besetzten Polen

Eines vorweg: Neue Forschungsergebnisse verspricht der Band „Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement“ von Dariusz Libionka nicht. Denn an wissenschaftlicher Literatur zur „Aktion Reinhardt“, wie die Ausrottung der Juden verschleiernd von den Nationalsozialisten genannt wurde, herrscht kein Mangel. Mit der ins Deutsche übersetzten Arbeit des polnischen Historikers und Mitarbeiters des staatlichen Museums Majdanek liegt jedoch nun eine zusammenfassende Darstellung vor, die bislang noch fehlte. Ein Kompendium über die Vernichtungsaktionen im Generalgouvernement, das nicht nur die geläufigen Orte des Schreckens erwähnt, sondern auch einige kaum bekannte jüdische Gemeinden, in denen die Nationalsozialisten wüteten.

Im Oktober 1939 ordnete Hitler die Errichtung des Generalgouvernements der besetzten und nicht ins Reichs einverleibten polnischen Gebiete an. Hier lebten etwa 1,4 Millionen Juden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt, die Menschen zur Zwangsarbeit herangezogen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begannen Massenexekutionen durch die den Wehrmachtseinheiten folgenden Einsatzkommandos. Später folgte die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement. Am 27. März 1942 notierte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch: „Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig. Im Großen kann man wohl feststellen, dass 60 % davon liquidiert werden müssen, während nur noch 40 % in die Arbeit eingesetzt werden können.“ In den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka, „Gaskammern mit Gleisanschluss“, wie der Historiker Stephan Lehnstaedt die Todesfabriken nennt, wurden mehr als ein Viertel aller Opfer der Shoa ermordet, darunter auch viele aus dem Reich verschleppte deutsche Juden.

Dariusz Libionka beschreibt diese kaum zu ertragenden Ereignisse sachlich, chronologisch und übersichtlich auf der Grundlage einer Vielzahl von bereits veröffentlichten Einzelstudien. In einführenden Kapiteln umreißt er die Ideologie des Nationalsozialismus und beleuchtet die Ursprünge und Voraussetzungen für diese unfassbaren Verbrechen. Abschließend schildert der Autor die polnischen Reaktionen auf den Massenmord und verschweigt dabei nicht, dass sich auch Polen der Kollaboration mit dem NS-Regime schuldig gemacht haben: „Schon zu Beginn der Besatzung hat es Personen gegeben, die die verzweifelte Lage der Juden ausnutzten, sei es aus Antisemitismus oder aus Gewinnsucht.“ Doch auch Hilfsaktionen der polnischen Bevölkerung sowie den verzweifelten Versuch der Todgeweihten Widerstand zu leisten beziehungsweise aus den Deportationszügen zu flüchten, erwähnt Dariusz Libionka. Abgerundet wird der Band mit biografischen Skizzen der deutschen Täter und ihrer zumeist nicht geahndeten Verbrechen.

Als kompaktes Überblickswerk ist die Arbeit von Dariusz Libionka ausdrücklich zu empfehlen; insbesondere für historisch Interessierte aus dem nichtakademischen Bereich, aber auch als Einstiegslektüre für Lehrer, Studenten und Schüler. – (jgt)

Dariusz Libionka, Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement, Berlin 2021, 371 Seiten, 24,00 €, ISBN: 978-3-86331-547-4, Bestellen?

Bild oben: Vor der Deportation: Am 9. März 1942 musste sich die jüdische Bevölkerung auf einem Platz in Mielec (Bezirk Krakau) versammeln. Foto: aus dem besprochenen Band (Bundesarchiv B162, Bild 409)