Wer nach reformiertem oder konservativem Ritus in Israel zum Judentum konvertiert ist, gilt fortan als >richtiger Jude<. Das jedenfalls entschieden acht von neuen Richtern am Obersten Gerichtshof und beendeten damit vorläufig einen jahrelangen Streit. Das ultraorthodoxe Establishment ist von diesem Urteil alles andere als begeistert…
Von Ralf Balke
Zurückhaltung war noch nie eine Kernkompetenz der ultraorthodoxen Autoritäten. Kaum hatte am Montag vergangener Woche der Oberste Gerichtshof in Israel mit eindeutiger Mehrheit entschieden, dass der Staat ab sofort auch Konversionen, die nach reformiertem oder konservativem Ritus in Israel vollzogen wurden, anerkennen muss, agierten einige ihre Vertreter reichlich enthemmt. Das Urteil sei von „katastrophaler Bedeutung“ für den jüdischen Staat und richte sich gegen Jahrtausende alte Traditionen, weshalb es sowieso alles „Fake Konversionen“ seien. Das klang noch relativ harmlos und vorhersehbar. Aber am selben Tag bereits bezeichnete Yitzhak Pindrus, Abgeordneter der Partei Vereinigtes Torah Judentum, Frauen, die im Rahmen des 2001 von der Armee aufgelegten und vom Oberrabbinat nicht kontrollierten Konversionsprogramm Nativ offiziell zum Judentum übergetreten waren, reichlich unfreundlich als „Schiksen“. „Wenn sie jemand heiratet, muss der Vater des Bräutigams Schiva sitzen, seine Kleider zerreißen und das Trauergebet“ über den verlorenen Sohn sprechen. Pindrus entschuldigte sich zwar kurz darauf für seine Wortwahl, betonte aber, dass er nicht bereit sei, in dieser Frage klein beizugeben, um „pluralistisch und nett“ zu erscheinen.
Schon am Dienstag stellte seine Partei dann ein Video ins Netz, in dem Hunde mit Kippa und Gebetsschal gezeigt wurden. Die Aufnahmen dazu stammten von sogenannten Bark-Mitzvah-Events, die in den Vereinigten Staaten Juden aus dem Reform-orientierten und konservativen Umfeld spasseshalber für ihre Haustiere veranstaltet hatten. Während diese Bilder auf dem Bildschirm zu sehen sind, erklärt ein Sprecher: „Für den Obersten Gerichtshof ist das ein Jude“. Zugleich machte man sich über den Hund lustig und erklärte, dass „sein Großvater ein Rabbiner war. Natürlich ist er deshalb jüdisch!“ Nur der politische Arm der aschkenasischen Ultraorthodoxie könne das Judentum, seine Kinder und Enkelkinder wirklich schützen, hieß es am Ende des Werbefilmchens. Schließlich herrscht in Israel zurzeit Wahlkampf und die Partei Vereinigtes Torah steht gerade nicht ganz so gut wie sonst in den Umfragen da, weil ihr Führungspersonal in Zeiten der Coronavirus-Krise vor allem durch Regelmissachtung und Inkompetenz im Kampf gegen die Pandemie aufgefallen war, was mittlerweile wohl auch einige ihrer Stammwähler nicht mehr goutieren.
Bei den meisten Israelis kamen diese Beleidigungen jedenfalls nicht so gut an. Yair Lapid, Chef der die zentristische Yesh Atid Partei, kritisierte das Video und zitierte seinen Vater Tommy Lapid, der ein Holocaust-Überlebender aus Ungarn war. So habe er ihm davon erzählt, dass es während des Zweiten Weltkriegs am Parlamentsgebäude in Budapest ein großes Schild gab, auf dem zu lesen war: „Kein Zutritt für Juden und Hunde.“ Lapid schrieb auf Twitter, dass „jede Generation von Antisemiten Juden immer mit Hunden vergleichen wollte. Jetzt hat sich die Partei Vereinigtes Torah Judentum ihnen angeschlossen. Einfach nur ekelhaft.“ Auch Ne’emanei Torah Va’Avodah, eine liberale orthodoxe Gruppierung, schloss sich dieser Kritik an. „Eine weitere rote Linie wurde damit überschritten und sie betrifft die Beziehungen mit unseren Brüdern, die Millionen von Juden in der Welt repräsentieren“, hieß es in einem Statement. „Als eine orthodoxe Bewegung sind wir darüber sehr besorgt. Wenn Ignoranz sowie ein polarisierender Diskurs zusammentreffen, erreichen wir einen neuen Tiefpunkt des brüderlichen Hasses.“
Das Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wurde ebenfalls von Vertretern der nationalreligiösen Parteien verurteilt, die allesamt versprachen, in der nächsten Legislaturperiode eine Gesetzesinitiative zu starten, um das Urteil wieder zu kippen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hielt sich bis dato mit eindeutigen Kommentaren ziemlich zurück. Aus guten Gründen. Denn sowohl die Partei Vereinigtes Torah Judentum als auch ihr sephardisches Pendant Schass haben bereits erklärt, dass sie keiner künftigen Koalition betreten wollen, die sich nicht dazu verpflichten würde, die Entscheidung wieder anzufechten oder entsprechende Gesetze dagegen zu erlassen. Auf der anderen Seite gibt es auch im Likud manche Befürworter des Urteils, so dass eine klare Positionierung in dieser Frage ihm nur schaden kann.
Der Streit um die Frage, wer nun als Jude gilt und wer nicht, schwelt schon seit Jahrzehnten in Israel. Und mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes dürfte wohl noch nicht das allerletzte Wort gesprochen sein. Der Hintergrund: Bereits seit 1970 haben Konvertiten zum Judentum das Recht, die israelische Staatsbürgerschaft zu beantragen. In den 1980er Jahren dann wurde der Personenkreis, für den diese Regelung galt, erweitert, und zwar auf solche, die außerhalb Israels bei einem nichtorthodoxen Rabbinat ihre Anerkennung als Juden erhielten. Wer also zum Beispiel in New York bei einem Reformrabbiner diesen Schritt vollzogen hatte, galt in Israel fortan als Jude. Hätte jemand dieses Prozedere bei einer Reformgemeinde in Tel Aviv in die Wege geleitet, so sähe das anders ganz aus. Sein Judentum wäre für den Staat dann eben nicht anerkannt worden und eine Einbürgerung daher unmöglich gewesen. 1998 wurde genau diese Einschränkung des Anwärterkreises auf eine israelische Staatsbürgerschaft durch ein Urteil des Jerusalemer Verwaltungsgerichts aufgehoben und das Innenministerium dazu aufgefordert, alle Konversionen anzuerkennen. Gegen diesen Rechtsanspruch wiederum hatte der Staat sofort Berufung eingelegt, was zu zahlreichen Entscheidungen in allen möglichen Instanzen führte, bis schließlich vor wenigen Tagen der Oberste Gerichtshof sein Urteil fällte.
Die Orthodoxie läuft dagegen erwartungsgemäß Sturm, nicht zuletzt deshalb, weil sie in Israel ihr Monopol sowohl in religiösen als auch in zivilrechtlichen Fragen mit Händen und Füssen verteidigen will. Und wer in dem Urteil jetzt einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichstellung des Reform-orientierten und konservativen Judentums sieht, der sollte sich das Ganze einmal genauer anschauen, rät Haviv Rettig Gur in der Times of Israel: „Die Entscheidung vom Montag ist in gewissem Sinne sehr eng gefasst. Sie weist allein das Innenministerium, aber nicht das Rabbinat, dazu an, die wenigen reformierten und konservativen Konversionen, die jedes Jahr innerhalb Israels durchgeführt werden, im Kontext der Einwanderung als jüdisch anzuerkennen. Für alle anderen Angelegenheiten wie Heiraten oder Beerdigungen hat sie keinerlei Bedeutung. Allein das ist die Änderung.“
Trotzdem reagierten alle Beteiligten wie die Pawlowschen Hunde auf das Urteil. Reform-orientiere und konservative Rabbiner feierten fast schon euphorisch den Sieg, während die Orthodoxie den Untergang des Judentums beschwor. So sprach der sephardische Oberrabbiner Yitzhak Yosef davon, dass nun „die Aufnahme von Tausenden von Nichtjuden in das Volk Israel bedeuten“ drohe. Sein aschkenasisches Pendant, Oberrabbiner David Lau, erklärte gleichfalls, dass für ihn alle Konvertiten, die nicht nach orthodoxem Ritus diesen Schritt gewagt hatten, weiterhin „Nichtjuden“ bleiben würden und kein Gerichtsurteil der Welt „diese Tatsache ändern könne.“ Innenminister Aryeh Deri von der Schass-Partei legte noch eine Schippe drauf und bewertete die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs als „einen tödlichen Schlag für den jüdischen Charakter des Staates“ und malte das Szenario einer „vollständigen Zerstörung des Status quo, der seit über 70 Jahren aufrechterhalten wurde“ an die Wand.
Von einer „bahnbrechenden“ oder „wegweisenden“ Entscheidung zu sprechen, die dazu beitragen würde, dass in Israel stattgefundene Konversionen eine allgemeine Aufwertung erhalten, kann also bei genauerer Betrachtung nur schwerlich die Rede sein. Und weil gerade Wahlkampf ist, entsteht der Eindruck, dass das Thema nur dazu dient, sich noch einmal seiner ohnehin bekannten Positionen zu versichern. Die Orthodoxen und ihr Umfeld können sich als wahre Beschützer des jüdischen Volkes und seiner Traditionen inszenieren, alle anderen als Vertreter eines reichlich unpräzise formulierten gesellschaftlichen Fortschritts. Dass Naftali Bennet von Yamina sich gegen das Urteil ausspricht, war genauso vorhersehbar wie Avigdor Liebermans positive Einschätzung des Ganzen als „historisch“. Nur Stimmen aus dem Kreis der betroffenen Personen waren nicht hörbar. Vielleicht auch deshalb, weil sie niemand gefragt hatte.
Der Streit zwischen Ultraorthodoxen einerseits und traditionell bis säkular eingestellten Israelis andererseits ist alles andere als neu. Streitpunkte wie die Einbeziehung haredischer Männer unter die Wehrpflicht oder die Einhaltung des Schabbats in Städten wie Tel Aviv sind altbekannte Konfliktfelder. Die Coronavirus-Krise hat den bisherigen Antagonismus aber verschärft, weil große Teile der ultraorthodoxen Bevölkerung staatliche Autorität in jeder Hinsicht als irrelevant für sich betrachten und entsprechend agierten. Exemplarisch dafür ist auch Meir Lau. „Zwar wird das Wort jüdisch in ihren Personalausweisen stehen“, sagte der aschkenasische Oberrabbiner nach Bekanntgabe der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. „Doch werde die Nation sie weiterhin wie Nichtjuden behandeln.“ Auf diese Weise vertieft er genau die Kluft zwischen beiden gesellschaftlichen Gruppen, die er im selben Statement beschwört, weil sie seiner Meinung nach durch das Urteil entstehe. Und von einer „Stärkung des jüdischen Pluralismus in Israel“ zu reden, wie Rabbiner Uri Regev von der recht überschaubaren Reformbewegung im Lande, klingt eher wie eine Wunschvorstellung. Denn davon ist man immer noch ein ganzes Stück weit entfernt in Israel.
Bild oben: Synagogenraum Beit Daniel Tel Aviv, (c) A. Baumgartner/haGalil
Dieser ganze Streit ist überflüssig, wichtig ist daß man mit Herz und Seele übergetreten ist. Viele Konvertiten sind oft strenger im Glauben, als „geborene Juden“. Wie war es mit einem der größten Leuchten in der jüdischen Geschichte. Rabbi Akiba, beim wem ist er übergetreten? Orthodox, Konservativ, Liberal, er hatte keine Kinder! er starb durch die Römer für seinen Glauben einen fürchterlichen Tod!
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