Der Historiker Frank Jacob veröffentlichte in den „Jüdischen Miniaturen“ einen kleinen Band über die Anarchistin Emma Goldman, die aus einer jüdischen Familie stammte. Man wird auf engem Raum gut informiert, kritische Reflexionen zur Portraitierten fehlen indessen.
Von Armin Pfahl-Traughber
Emma Goldman (1869-1940) dürfte die bedeutendste Aktivisten und Theoretikerin des Anarchismus gewesen sein. Aufgrund ihrer Kontakte zu gewaltgeneigten Akteuren dieses politischen Lagers soll der spätere FBI-Chef J. Edgar Hoover sie als „eine der gefährlichsten Anarchisten in Amerika“ bezeichnet haben. Goldmans öffentliches Wirken bestand seinerzeit aber insbesondere in öffentlichen Reden, womit sie vor allem Arbeiter für ihr Modell einer Gesellschaft ohne Staat gewinnen wollte. Sie warb auch für Frauenrechte und Geburtenkontrolle, womit sie heute als eine frühe Feministin gilt. Und dann gehörte ebenso der Antimilitarismus zu ihren primären Handlungsfeldern. Ein kleiner Band über Goldmans Leben erschien jetzt in der Reihe „Jüdische Miniaturen“, wurde sie doch in eine jüdische Familie in Kowno im russischen Zarenreich geboren. Der Historiker Frank Jacob, der als Professor für Globalgeschichte an der Nord Universitet in Norwegen lehrt, hat die kurze Lebensbeschreibung von knapp über siebzig Seiten vorgelegt.
Er beschreibt darin ein abenteuerliches Leben, das von vielen Umbrüchen geprägt war. Mit 17 Jahren wanderte Goldman in die USA aus. Dort kam sie mit dem Anarchismus in Kontakt, wobei gesellschaftliche Missstände bei ihr zu einer „Radikalisierung“ (S. 14) führten. Der moderne Begriff wird hier von Jacob ganz offen für einen historischen Prozess genutzt. Er geht dann ausführlich auf ihr Engagement ein, wobei die Freundschaft mit Alexander Berkman von großer Relevanz war. Gleichwohl agierte Goldman als eigenständige Person und war nicht „nur“ die Freundin eines bekannten Mannes. Jacob zeichnet durchgängig ein wohlwollendes Lebensbild, wobei politische Einstellungen nicht näher einer Reflexion ausgesetzt werden. Es gibt auch kritikwürdige Einschätzungen, heißt es doch: „Dass die meisten Anarchistinnen und Anarchisten, allen voran Goldman, den aktiven Einsatz von Gewalt ablehnten, spielte in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle“ (S. 19f.). Da musst die Anmerkung erlaubt sein: Das stimmt allenfalls bezogen auf das eigene Handeln!
Ansonsten anerkannte Goldman durchaus gewalttätiges Vorgehen und zwar nicht nur als „Gegen-Gewalt“ gegen den Staat oder als Revolution für den Umsturz. Attentate gegen Politiker oder Unternehmer wurden von ihr sehr wohl als legitime Wirkungsweise angesehen. Dabei stimmte sie mit Berkman als ihrem persönlichen wie politischen Freund ebenso ein wie zumindest zeitweilig mit dem anarchistischen Vordenker Johann Most. Anschläge sollten als „Propaganda der Tat“ den revolutionären Umsturz einleiten. Später äußerte sich Goldman nur nicht mehr so deutlich in der Öffentlichkeit dazu. Aber auch ihre Agitation führte unabhängig davon zu drei Gefängnisaufenthalten und dann wurde sie 1919 in das nach-revolutionäre Russland ausgewiesen. Die anfängliche Begeisterung über die bolschewistische Herrschaft schwand indessen, nahm Goldman doch die repressive Herrschaft von Lenin und Trotzki schnell wahr. Sie berichtete darüber in späteren Büchern, die von eindeutiger Kritik geprägt und heute noch interessante Zeitzeugenberichte sind.
Der Autor betont zutreffend, dass Goldmann nicht nur Hitler und Mussolini, sondern auch Lenin und Stalin ablehnte (vgl. S. 8). Dies zeugte von größerer Glaubwürdigkeit als die Haltung vieler Linker, welche die bolschewistische Diktatur trotz ihrer Repressionspolitik als Vorbild huldigten. 1921 musste Goldman auch Russland verlassen. Sie engagierte sich dann in Großbritannien, Frankreich und Spanien weiter und starb 1940 in Kanada. Jacob schildert ihr Leben mit einer abschließenden Lobpreisung: „Und schließlich erinnert uns Goldman vor allem daran, dass wir etwas nie aus den Augen verlieren dürfen, nämlich den Wunsch nach Freiheit – einer Freiheit, die in jeder Hinsicht absolut sein muss“ (S. 51f.). Derartige Formulierungen wirken schon ein wenig kitschig, zumal sich Jacob nicht mit den kritikwürdigen Positionen beschäftigt. Dazu gehört nicht nur die Einstellung zur Gewalt. Goldman plädierte auch für die Minderheiten beim Umsturz, galt ihr doch die Masse als unreif für die Revolution. Auch die Anarchistin hatte einen Avantgardeanspruch.
Frank Jacob, Emma Goldman. Ein Leben für die Freiheit, Leipzig 2021 (Hentrich & Hentrich-Verlag), 72 S., Euro 8.90, Bestellen?