Rassenpolitik in der „Hitler-Stadt“ Landsberg

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Groß aufgemacht mit krass formulierten Legenden von der „Judengefahr“ erschien der „Abwehrboykott“ am 1. April 1933 in der Presse und verspritzte das Gift des Hasses.

Von Hermann Kriegl

„Landsberger Tagblatt“ und „Oberbayerischer Generalanzeiger“ unterlagen, inhaltlich gleichgestellt, der publizistischen „Meinungslenkung“, und die Redaktion griff wohl oder übel in die NS-Wortschatulle, druckte ausgewählte Proklamationen des Gaukomitees München-Oberbayern, an denen verständlich wird, wie das gebündelte Material von Propaganda-Intentionen abhing.

Abgesehen davon hatten offizielle Meinungsführer in Presse, Kultur, Kunst, Literatur, Wissenschaft und Wirtschaft aus unterschiedlichen Anlässen der Bevölkerung feinen Sand in die Augen gestreut, und es herrschte nicht der mindeste Zweifel an den taktischen Methoden der elitären Kollaborateure, die einem quälenden Palaver über ihr freiwilliges Mitmachen im Dritten Reich nach 1945 meist beharrlich auswichen.

Ausblühungen der markanten Volkserziehung kamen in Landsberg effektvoll zur Geltung, etwa im „Zeder-Bräu“ während des NS-Winterseminars 1933/1934. Ein Landsberger SS-Arzt referierte da, wen wird es wundern, über „Züchtung und Auslese Vererbung, Entartung und Auf-Artung, Geburten-Rückgang, Rassenmischung und Judenfrage, die deutsche Mutter.“

Landsberg wurde immer tiefer in den ideologischen Sumpf gezogen, die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 steigerten die Geringschätzung der entwurzelten Minderheit, deren Lebensumstände sich rapide verschlechterten.

Am 6. Dezember 1935 begann die Stadt sogar Akten anzulegen über „die arischen weiblichen Hausangestellten unter 45 Jahren in jüdischen Haushalten.“ Die betroffenen Familien Schleßinger, Fischel, Weimann und Westheimer, welche frühere Melde-Pflichten gelassen hinnahmen, schockierte jetzt die Fahndung, trug sie doch ungeschminkt die Handschrift Himmlers, der ein Resultat anstrebte, das Juden bald in die Konzentrationslager verbannte.

Kurzfristig verlangsamten die Nazis ihre Treibjagd auf Juden, sozusagen mit Rücksicht auf die bevorstehenden olympischen Spiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und Berlin. „Landsberger Zeitung“ und „Ammersee-Nachrichten“ starteten am 2. Juni 1936 den Reklamefeldzug für die Ausstellung „Blut und Rasse“ im Hörsaal I der Alten Infanteriekaserne vom 27. Juni bis 2. Juli 1936. Landsberg haute mächtig auf die Pauke, wegen des großen Andrangs gab es Kartenvorverkauf und Einlass sämtlicher Schulen nur in „geschlossenen Gruppen“.

Nach Eröffnungsreden von Kreisleiter und Bürgermeister überzeugte Dr. Julius O., der stellvertretende NS-Ärzteführer, in seinem Vortrag über rassenbewusste Verantwortung, während jüdische Mediziner schon Berufsverbot hatten und nicht einmal mehr als „Leichenschauer“ arbeiten durften.

Rassistisch implantierter Judenhass

„Der Stürmer“ titelte „Im Zeichen Judas“ – Die „Landsberger Zeitung“ forderte: „Abrechnung mit den Juden“, und die „Ammersee-Nachrichten“, NS-Kampfblatt seit 1930, berichtete über einen Fall von „Rassenschande“.

Die Zeitungsnotiz gekürzt:

„Der 45 Jahre alte Jude David C. aus München hatte im Mai 1935 mit einem arischen 22jährigen Mädchen ein Verhältnis begonnen und das Mädchen dann als Hausangestellte zu sich genommen. Auch nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze hat er dieses Verhältnis fortgesetzt.

Bei der Verhandlung vor der Ersten Großen Strafkammer gab er den Verkehr und Kenntnis der Gesetze zu. Das Gericht verurteilte ihn wegen Verbrechens gegen das Gesetz zum Schutze deutschen Blutes und der deutschen Ehre zu einem Jahr zwei Monaten Gefängnis.“

Die Bevölkerungspolitik, „im Verkehr der Geschlechter wieder wachsam ausgerichtet“, verwarf die mischrassige Gattenwahl als „entartete“ Verbindung „kulturfähiger Arier“ mit Juden. Hellblonde Mystik des Blutes, geheimnisvolle Auf-Nordung und wissenschaftlich verbrämte Rassenlehre täuschten die Vernunft der „reindeutschen“ Erbgut-Inhaber.

Wer sich in den Nazi-Alltag vertieft, wird in Landsberg peinliche Aha-Erlebnisse verbuchen können, je nach dem von welcher Seite aus betrachtet. Unübersehbar die Meldung des Kreisamt-Leiters Dr. Julius O., der das Wehklagen einer hochgradig empfindsamen Dame in guter Hoffnung tugendeifrig nach oben meldete. Denn diese bessere Hälfte des Stabmusikleiters vom Fliegerhorst musste wahrlich unter Missachtung standesgemäßer Etikette und rassischer Überlegenheit im Krankenhaus Landsberg auf gleiches Niveau wie fremdvölkische Wöchnerinnen. Für Kreis-Leiter von Moltke erklärtermaßen ein Anschlag auf die herrschende Ordnung, wenn „zu deutschen Soldatenfrauen ausländische Frauen, noch dazu Polinnen gelegt werden.“

Was die Rassenpolitik angeht, so hat sich Dr. Julius O., Landsbergs Sittenstrenge betonender Kreisamts- und Obergemeinschaftsleiter
im Rassenpolitischen Amt und im Bund deutscher Familien, sehr weit zum Fenster hinausgelehnt.

Auf Partei-Schulungsabenden sprach Dr. Julius O. oft und gern über rassenpolitische Ziele der Nationalsozialsten. Stets ging es um „Kampf gegen das artfremde Blut, Unterdrückung des erbkranken Nachwuchses und Forderung des erbgesunden Kindes.“ Eingehend erläuterte er das „verwerfliche Treiben des Judentums in der Systemzeit, wo man mit Einsatz aller Mittel versuchte, die rassische Kraft unseres Volkes zu schwächen.“ In gleicher LZ- Nummer 89 (1939) außerdem die Schlagzeile: „Juda regiert in Amerika.“

Nichts zeigte die Haltung zum Nationalsozialismus besser, als seine geschäftige Präsenz im städtischen Parteileben: NSDAP- und SA-
Mitglied, eingeschrieben beim NSV, NS-Ärztebund, NS-Altherrenbund, NS-Kriegerbund, Mitarbeiter im Amt für Volksgesundheit, RLB Gemeinde-Gruppenführer, RKB-Angehöriger.

Dr. Julius O. sprach auf diversen öffentlichen Veranstaltungen und hielt Filmvorträge, in denen er den biologischen Antisemitismus ganz im Sinne der NS-Ideologen vertrat. Nach der Zeitwende schien ihm der Nachweis wesentlich, wie man „medizinische“ Lehrtätigkeit aus geistlicher Sicht beurteilte. Dazu ein Absatz des Protokolls der Hauptkammer München vom 18. November 1949:

„Der ehemalige katholische Stadtpfarrer Kuhnmünch erklärt, dass er einige Male den Vorträgen „Rasse und Volk“ des Betroffenen beigewohnt habe und er ihm auf dem Heim-Wege seine Anerkennung ausgesprochen hat, weil seine Ausführungen Nicht-Parteigenossen und Gegner des Nationalsozialismus nicht verletzt haben.“

Endlich gab es wieder so viel Gutes zu entdecken, das waren Aufwand und des Doktors sensible Läuterung wert. Beim Entnazifizieren genügte meist langer Atem, und ein gewiefter Rechtsanwalt. Die Berufungskammer München (7. Senat) hat nämlich am 20. April 1950 den Spruch der Haupt-Kammer München vom 18. November 1949 aufgehoben und wertete Dr. Julius O. nur als Mitläufer. Wesentlich war, was unterm Strich rauskam, das beweisen ebenso die gründlichen Reinwaschungen von Bürgermeister Dr. Linn und Kreisleiter von Moltke.

Bild oben: Passanten vor einem Stürmer-Kasten in Worms, 1935, Bundesarchiv, Bild 133-075 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0