Two-Gun Cohen

0
53
Morris "Two-Gun" Cohen - auf Chinesisch als "Ma Kun" bekannt - im Juli 1926 von Truppen umgeben. Originalbild aus der Sammlung von Josef L. Rich OBE/NATIONAL LIBRARY OF ISRAEL

Wie ein chinesischer General dabei half, den jüdischen Staat zu gründen…

Von Daniel S. Levy
Übersetzung: Alexander A. Dellwo

Morris (Moshe) Abraham Cohen, der zwei Jahrzehnte in China verbracht hatte, und dadurch mit vielen chinesischen Führern ein gutes Verhältnis hatte; schlug dem Präsidenten der Jewish Agency, Eliahu Elath und den ihn begleitenden Abgesandten vor, dass er sie seinen Freunden von der chinesischen Delegation vorstellen könnte.

“Es sollte sich später herausstellen, dass General Two-Gun Cohen mit seinem persönlichen Einfluss auf die chinesische Delegation keinen Scherz gemacht hatte“, erinnerte sich Saul Hayes, der Präsident des Canadian Jewish Congress. Er kannte nicht nur die chinesischen Mitglieder, sondern versprach “uns auch noch, die unmöglichsten Dokumente zu besorgen. Nie habe ich ihm dazu irgendwelche Fragen gestellt.“

Als Hayes eines Tages mit Cohen einen Spaziergang unternahm, trafen sie auf Wellington Koo, den chinesischen Botschafter in den USA, den Vizepremier HH Kung sowie den chinesischen Premier TV Soong. “Das erste was mir hierzu einfällt, ist wahrhaftig die Situation in der alle drei Chinesen Cohen umarmten.“

In San Francisco hatten sich im April 1945, kurz bevor die Nazis kapitulierten und somit das tausendjährige Reich ein Ende fand, gut vier Dutzend Nationen zur Gründung der Vereinten Nationen zusammen gefunden. Viele Juden sorgten sich deswegen auch um die zukünftige Bedeutung des britischen Mandats über Palästina, das nach Ende des 1. Weltkrieg durch den Völkerbund beschlossen wurde.

Abgesandte der American Jewish Conference, der Jewish Agency of Palestine sowie weitere prominente jüdische Persönlichkeiten, wie die beiden US-amerikanischen Rabbiner, Stephen Wise und Abba Hillel Silver, waren gleichfalls in der Bucht von San Francisco zugegen, um die jüdischen Interessen zu wahren.

Jüdische Organisationen befürchteten dass Großbritannien von seiner Zusage zur Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zurücktreten könnte. Sie wollten sicherstellen, dass die Vereinten Nationen die jüdischen Rechte in Palästina im Rahmen der Balfour-Erklärung und des Völkerbundes von 1922 auch nicht einschränkten und erhofften sich, die Aufnahme einer Schutzklausel in der Charta der UN, welche Minderheitsrechte wie die der in Palästina lebenden Juden, schützen sollte.

Sie waren jedoch nicht die einzigen Interessenvertreter vor Ort; die gleichfalls vor Ort weilenden arabischen Lobbyisten hofften darauf, dass der Rat zukünftig nur die Rechte der größten Einzelgruppe in jedem Treuhandgebiet anerkennen würde, und in Palästina waren das die Araber.

Die jüdischen Interessenvertreter hielten Planungstreffen ab und bereiteten sich so auf die offiziellen Sitzungen vor; hatten allerdings große Probleme, Kontakt mit den Vertretern einiger anderer Nationen aufzunehmen; dazu zählten auch die chinesischen Abgesandten. Es war Rabbi Israel Goldstein, der Leiter der zionistischen Organization of America, der sich an den während des Krieges in Montreal niedergelassenen Morris „Two-Gun“ Cohen erinnerte.

Goldstein hatte den Abenteurer, der es zu einem General in der chinesischen Armee gebracht hatte, erst kurz zuvor getroffen. Der Rabbi telegrafierte Cohen seine Bitte, unverzüglich nach San Francisco zu kommen, um die jüdischen Lobbyisten mit den chinesischen Vertretern bekannt zu machen.

Cohen sagte erfreut zu.

Cohen der zuvor zwei Jahrzehnte in China gelebt hatte und aus dieser Zeit die wichtigsten der chinesischen Leader gut kannte, offerierte der Gruppe um Eliahu Elath, dem Leiter der Jewish Agency, sie mit seinen Freunden in der chinesischen Delegation bekanntzumachen. Die Lobbyarbeit sollte sich auszahlen. Palästina blieb Mandatsgebiet und Klausel 80 – wurde von der UN übernommen.

Saul Hayes kommentierte den Erfolg seiner Delegation später wie folgt: „Ich behaupte nicht, dass es keinen Staat Israel gäbe, wenn wir es nicht geschafft hätten… Ich behaupte jedoch, dass es sehr viele Jahre harter Arbeit gebraucht hätte, wenn die Sache in den UN-Treuhandrat gegangen wäre.“

Vom Londoner East End in die kanadische Wildnis

Morris Abraham Cohen war ein Paradoxon. Niemand hätte vermutet, dass ein Mann, der einst als jugendlicher Straftäter begann, sich so gut entwickeln würde. Geboren am 3. August 1887 in Polen, zog er als junges Kind mit seinen orthodoxen Eltern nach London, wo er im East End aufwuchs. Er war mehr Filou als Thoraschüler und wurde als Jugendlicher wegen Taschendiebstahls verhaftet. Die Behörden ordneten daraufhin für ihn den Besuch einer Kollegschule für jüdische Problemkinder an.

Die Briten verfrachteten den im Jahr 1905 siebzehnjährigen Cohen in Kanadas Westen, was sie mit vielen ihrer missliebigen Bürger taten, die sie unbedingt loswerden wollten. Auf einer Farm außerhalb der Stadt Whitewood, Saskatchewan, musste er Getreide anbauen, sich um das Vieh kümmern und auch bei der Hausarbeit helfen. Dort erlernte der später als „Two-Gun“ bekannte Cohen auch den Umgang mit einer Pistole. Ein Jahr Arbeit auf dem Land war dann allerdings auch genug für ihn, so dass er sich auf den Weg in Richtung Winnipeg, Manitoba machte.

Er war Anreißer für einen Wanderzirkus, Verkäufer für nichtsnutzige Wundermittel und betätigte sich als Kartenspieler, natürlich. Es überrascht keineswegs, dass Cohen für Delikte wie Glücksspiel, Taschendiebstahl und auch sexueller Handlungen mit einer Sechzehnjährigen, für die er zugleich als Zuhälter fungierte, regelmäßig verhaftet und eingesperrt wurde.

Chinesische Legende

Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass Cohen nicht von der Anonymität der Geschichte verschluckt wurde. Der stämmige Cohen liebte chinesisches Essen genauso wie ein falsches Blatt beim Kartenspiel und betrat eines Abends in Saskatoon, Saskatchewan ein Chinarestaurant, das spätabends auch als Spielhölle fungierte. Mit Betreten des Gastraums befand er sich dann allerdings inmitten eines bewaffneten Raubüberfalls.

„Ich erkannte sofort, dass es ein Überfall war und Vorsicht war angesagt, da ich unbewaffnet war. Langsam näherte ich mich dem Verbrecher und als ich zu nah für den Gebrauch seines Gewehrs war, schlug ich ihn mit einem Schlag K.O.. Die selbstlose Verteidigung eines Chinesen durch einen Weißen war im frühen 20. Jahrhundert Kanadas eine ausgesprochene Seltenheit. Cohen kannte als Jude das Gefühl ein Außenseiter der Gesellschaft zu sein, was ihn mit den ebenso benachteiligten Chinesen verband.

Cohens selbstlose Tat brachte ihm den Respekt der gesamten chinesischen Gemeinschaft ein. Seine neuen chinesischen Freunde beobachteten ihn beim Wetten und baten ihn bald darauf der Tongmenghui beizutreten, einer politischen Organisation des Revolutionsführers Dr. Sun Yat-sen, aus der sich einige Jahre später die Guomindang-Partei entwickeln sollte. Cohen wurde ein treues Mitglied dieser Partei und lernte Suns Programmatik kennen. Regelmäßig besuchte er nun deren Versammlungen und begann bald darauf auch bei einigen dieser Zusammenkünfte selbst Reden zu halten. Von seinen Gewinnen beim Glücksspiel entrichtete er großzügige Spenden an die verschiedenen chinesischen Hilfsfonds.

Trotzt seines politischen Erwachens agierte Cohen weiterhin zaudernd und verbrachte regelmäßig Zeit in den Gefängnissen von Prince Albert, Saskatchewan; was ihn auch den Besuch von Dr. Sun verpassen ließ. Sun bereiste Kanada zur Spendenakquise. Cohen ging irgendwann nach Edmonton, Alberta, um dort im Immobilienhandel sein Geld zu machen; nebenher war er noch ehrenamtlicher Gemeindesprecher der dort ansässigen Chinesen.

Erster Weltkrieg und China

Als kurz vor dem Ersten Weltkrieg die glorreichen Tage im Immobilienhandel zu Ende gingen und die Blase schließlich platzte, meldete sich Cohen wie viele der nun gleichfalls Arbeitslosen als Freiwilliger zum Einsatz im Ersten Weltkrieg.

In Belgien verlegten er und seine Kameraden des 8. Bataillons der kanadischen Eisenbahntruppen Bahngleise, welche für den Transport der Truppen und Nachschub gebraucht wurden; zusätzlich beaufsichtigte er einen Teil des chinesischen Korps. Cohen erlebte während dieser Zeit mit der Schlacht von Passchendaele eine der tödlichsten Bombardements des Ersten Weltkriegs.

Nach Kriegsende engagierte sich Cohen in der Great War Veterans‘ Association in Edmonton und trat für seine chinesischen Freunde als deren politischer Sprecher auf.

Das Leben nach dem Krieg war nicht das gleiche wie zuvor; der kanadische Immobilienmarkt hatte sich immer noch nicht erholt, und den nun ungeduldigen Cohen überkam der Wunsch nach Veränderung. 1922 ging er nach Shanghai um dort sein Glück zu versuchen. Dort angekommen nutzte er seine Beziehungen zur Guomindang-Partei sowie sein verkäuferisches Talent, um ein Treffen mit Dr. Sun zu arrangieren, was ihm einen Job als Bodyguard für Sun und dessen Frau Soong Qingling verschaffte.

Cohen wurde als Adjutant von Sun schnell dessen bedeutendster Beschützer, der wann immer Sun in Guangzhou weilte, mit ihm zusammen auf dessen Militärstützpunkt lebte.

In den 1920igern hatten die verschiedenen militärischen Anführer China zerteilt und Dr. Sun, wohl in ganz China bekannt und geachtet, kontrollierte lediglich ein kleineres Gebiet im Süden und versuchte von dort aus, seine Position zu festigen. Sun war ein Idealist, der an die Eroberung ganz Chinas glaubte, und dort ein demokratisches System installieren wollte. Im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstütze Cohen ihn dabei, in dem er die anderen Leibwächter beaufsichtigen ließ, ihnen das Schießen beibrachte, und permanent Anschläge auf Sun’s Leben vereitelte.

General Two-Gun

Bei einem Attentat auf Sun traf Cohen eine Kugel im Arm, was ihn über seine persönliche Ausrüstung sinnieren ließ.

„Die Kugel in meinem linken Arm hatte mich nachdenklich werden lassen. Angenommen es wäre der Arm meiner rechten Seite gewesen, auf der ich auch immer meine Waffe trage, dann hätte ich niemals zurückfeuern können. In Guangzhou besorgte ich mir eine zweite Smith & Wesson und trainierte mit meiner linken Hand deren Gebrauch. Schnell merkte ich, dass ich mit links genauso schnell wie mit meiner rechten Hand war.“

Die modischen Accessoires seines Revolver-Duetts erregte vor Ort die Aufmerksamkeit der westlichen Gemeinschaft, die aber bereits vorher von diesem jüdischen Engländer fasziniert war, der sich fast ausnahmslos mit Chinesen umgab. Sie nannten ihn jetzt nur noch “Two-Gun“ Cohen; sein Spitzname war kreiert.

Leider starb Dr. Sun im Jahre 1925 und somit blieb sein Traum von einem vereinigten China unerfüllt. Cohen arbeitete von da an für mehrere Anführer in Guangzhou und Shanghai; darunter für den Sohn von Sun, den Politiker Sun Fo und Suns Schwager, T. V. Soon, als auch für mehrere südchinesische Militärführer.

Eine seiner Hauptaufgaben für das Militär war die Beschaffung westlicher Waffen. Cohen bereiste Nordamerika, Südafrika und Südost-Asien und kaufte in England Maschinengewehre von Lewis, in Deutschland Gewehre von Mauser, in der Tschechoslowakei Maschinenpistolen und Kanonenboote in Hongkong.

1935 wurde er zum Generalmajor befördert und war in dieser Zeit feste Größe des Nachtleben Shanghais und Hongkongs. Er richtete Bankette aus und verjubelte seine Einkünfte meist ohne langfristigen Sinn.

Salonlöwe und Spion

Cohen vertrieb sich auch gerne die Zeit im Jewish Club von Hongkong, wo er mit Freunden Poker spielte und Kindern seine Zaubertricks vorführte. Emily Hahn, eine New Yorker Schriftstellerin, hatte sich mit Cohen angefreundet und beschrieb ihn in seiner Wirkung auf sie wie die surreale Figur eines Romans.

Der 2. Weltkrieg brachte für Cohen erneut die Tätigkeit als Waffeneinkäufer für die Chinesen, war aber auch mit der Observation der japanischen Invasoren sowie seiner Tätigkeit für den britischen Geheimdienst beschäftigt.

Als der 2. Weltkrieg in ganz Europa wütete, strömten Massen jüdischer Flüchtlinge nach Shanghai, einem der wenigen Orte, für die sie kein Visum zur Einreise benötigten. Die Japaner kontrollierten alle umliegenden Gebiete Shanghais, was die dortige internationale Siedlung zu einer Gemeinschaft von Geiseln machte, die ängstlich den Einzug der japanischen Truppen erwartete.

Deutsche, österreichische und polnische Juden überschwemmten nun die Stadt. Im Februar 1939 kamen 2.500 neue jüdische Flüchtlinge dort an und bis zum Ende des Jahres stieg ihre Zahl auf 17.000. Die bescheidenen Mittel der jüdischen Hilfsorganisationen Shanghais konnten diesen Zustrom allein nicht bewältigen, und das US-Außenministerium wollte diejenigen, die von dort weiter in die Vereinigten Staaten wollten, schnellstens abfertigen.

In der Hoffnung das erforderliche Prozedere zu verbessern, drängte das US-Außenministerium das American Jewish Joint Distribution Committee dazu, mehr Geld für ausreichende Hilfsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Die von dieser Organisation entsendete Sozialarbeiterin, Laura Margolis, reorganisierte auch den Ablauf der dortigen Flüchtlingsbehandlung.

Margolis, die im Mai 1941 in Hongkong eine Woche auf ihre Weiterreise mit einem niederländischen Schiff nach Norden warten musste, besuchte dort die örtliche Niederlassung der Anti-Hungerkampagne “Rice-Bowl“.

„Zurück im Hotel war dort eine Einladung zum Dinner – im Haus von Frau Sun Yat-sen – für mich hinterlegt worden. Ich sollte abends von einem General Cohen abgeholt werden“, berichtete sie über dieses ungeplante Arrangement. „Nachdem ich im Auto saß, fuhren wie geplant zu meiner Einladung, die sich im Laufe des Abends außerordentlich unterhaltsam entwickelte.“

Margolis sollte damals noch häufiger auf Soong und Cohen treffen: „General Cohen wurde während meiner Woche auf Hongkong, in der er mir alles Interessante zeigte, ein sehr guter Freund von mir.“

Als etwas später Ernest Hemingway mit seiner Frau, der Korrespondentin Martha Gelhorn nach China kam, um über den dort sich ausweitenden Krieg zu berichten, fungierte natürlich Cohen auch als deren Begleiter.

Es war Dezember 1941 als die Japaner Hongkong angriffen und Cohen begleitete Madame Soong und ihre Schwester Ailing – die Frau von H.H. Kung – zu einem der letzten Flüge aus der Kolonie heraus. „Ich brachte die beiden Schwestern hinüber zum Festland und verabschiedete sie“, sagt Cohen über diesen langen Abend.

„Es war ein ziemlich trauriger Abschied, denn wir wussten alle, dass es wahrscheinlich unser letzter sein würde. Mir hatte es ausnahmsweise mal die Sprache verschlagen und mir fehlten einfach die Worte. Zum Abschied schüttelten wir uns die Hände und aus Trotz sagte ich: ‚Wir werden sowieso bis zum bitteren Ende kämpfen.“

Madame Soong blieb auf der Rampe stehen und blickte zu ihm hinunter. „Wir werden auch kämpfen Morris“, sagte sie zu ihm, „aber nicht bis zum bitteren Ende, denn das Ende – wenn es kommt – wird süß sein!“

Die Japaner nahmen Hongkong schnell ein und internierten Tausende seiner Bewohner in Gefängniskomplexen. Cohen wurde im Stanley-Gefangenenlager, dass sich an einer Landenge im Süden der Insel befand, interniert, und wurde dort derbe von seinen japanischen Aufsehern geschlagen, was ihn in Folge möglichst unauffällig agieren ließ.

Zwischen Kanada und China

Als kanadischer Staatsbürger wurde Cohen Ende 1943 in einen Gefangenenaustausch aufgenommen, so dass er im Dezember des gleichen Jahres wieder in Montreal war. Im folgenden Sommer heiratete er Judith Clark – die Besitzerin eines edlen Kleiderladens – im Temple Emanu-El. Seine aktive chinesische Karriere war nun beendet, markierte zugleich aber auch den Start der Mythenbildung um seine Person, da er in seinen Erzählungen über seine Zeit in China maßlos übertrieb. Verzweifelt versuchte er wieder in Kanada Fuß zu fassen, was nach zwei Jahrzehnten in China für ihn sehr schwierig war.

Mao Zedong und Chiang Kai-shek kämpften um die Herrschaft Chinas, da war für Cohen kein Platz mehr. Seine Zeit mit dem in China hochangesehenen Führer Dr. Sun würde ihn jedoch für immer im nationalen Gedächtnis Chinas als loyalen Assistenten des Vaters des modernen Chinas behalten.

Cohens Verbindung mit Sun ermöglichte ihm – wenn auch begrenzt – Zugang zu beiden Lagern. Er verbrachte jedes Jahr etwa vier Monate in China, meist in Shanghai und Hongkong, wo er alte Freunde besuchte und mit jedem sprach, der seine Geschichten hören wollte.

Und es gab viele Geschichten.

Zionist und jüdischer Aktivist

Neben seinem Einsatz für die jüdische Delegation in San Francisco war Cohen auch einer zionistischen Gruppierung in Shanghai bei der Planung für eine Bombardierung britischer Stützpunkte in Palästina behilflich, falls diese sich nicht wie geplant von dort zurück ziehen würden. Ende der 1940iger Jahre unterstütze er ferner eine Gruppe von jüdischen Ausländern aus Shangahi bei ihrer Flucht von ihren Kidnappern. Diese Shanghailänder, wie sich die zumeist aus dem Westen zugezogenen Bewohner Shanghais nannten, waren von marodierenden chinesischen Truppen entführt worden.

1947 genehmigten die Vereinten Nationen die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina.

Die Araber widersetzten sich jedoch, so dass es zu weiteren Kämpfen zwischen Arabern und Juden kam. Aus Angst vor einer arabischen Invasion nach Abzug der britischen Mandatsmacht, kauften viele kanadische Juden Schusswaffen, Mörser, Flugzeuge und anderes Kriegsgerät, um sie ins jüdische Palästina zu verschiffen.

Sie verpackten alles in Kisten mit der Aufschrift „Werkzeugmaschinen“ und brachten es so über Tarnorganisationen ins zukünftige Israel.

Sydney Shulemson, der höchstdekorierte kanadische Jude im 2. Weltkrieg, arbeitete aktiv daran Truppen und Waffen für Palästina aufzutreiben. Im November hörte er, dass China 200 De Havilland Mosquito-Bomber von Kanada gekauft hatte. Die legendäre „Mozzie“ aus Sperrholz und Balsaholz hatte einen widerstandsfähigen Rumpf und einen Rolls-Royce Motor, der sie so schnell und wendig machte, dass sich das Flugzeug auch bei seinen Einsätzen gegen Schiffe und V1-Fliegerbomben auszeichnete.

Shulemson: „Die kanadische Regierung hatte Ende des 2. Weltkriegs noch eine große Anzahl dieser Bomber… Ich erinnere mich daran, dass alle diese Flieger getestet, überholt und zerlegt in Kisten verpackt nach China verschifft worden waren. Da China sie nie benutzt hatte, fragte ich mich, ob es vielleicht möglich wäre die Fluggeräte für Israel zu erwerben.“

Shulemson traf sich mit Cohen, der den chinesischen Botschafter in Ottawa anrief. Als Cohen den Hörer auflegte, fragte er Shulemson: „Mögen Sie chinesisches Essen?“ Shulemson bejahte, woraufhin Cohen ihm sagte: „Nun, wir werden morgen mit dem chinesischen Botschafter in Ottawa zu Mittag essen.“

Trotz ihrer Bemühungen wurde aus dem Deal nichts, denn die chinesische Regierung war einfach zu korrupt, um sich darum zu kümmern.

„Schließlich sagte mir General Cohen, ich solle die Sache nicht weiterverfolgen. Die Flugzeuge waren wie neu und würden dennoch nicht verkauft werden, da die chinesischen Entscheider offensichtlich mehr an einem Wechsel von chinesische in kanadische Währung interessiert waren.

Zurück in England

Die lange Abwesenheit Cohens in Montreal endete mit der Scheidung von seiner dort lebenden Judith, nach deren Vollzug er Quartier bei einer seiner Schwestern in Manchester bezog. Morris Abraham Cohens letzter Besuch in China fand 1966 auf Einladung von Premier Zhou, anlässlich des 100. Geburtstags von Dr. Sun statt.

Sein Kampf endete an einem Herbsttag des Jahres 1970. Der Mann zu dessen Lebzeiten mehrfach seine Tötung vermeldet wurde, starb friedlich und umgeben von zwei seiner Schwestern in England, weit von seiner Wahlheimat und seinen chinesischen Brüdern entfernt. Verwandte, Bekannte und die Presse nahmen am Tag darauf den jüdischen Trauerfeierlichkeiten teil.

Seine Beerdigung war eine der ganz seltenen und öffentlichen Anlässe, bei denen kommunistische Vertreter Chinas zusammen mit nationalistischen Funktionären Taiwans auftraten.

Die Vertreter beider Systeme weigerten sich stets die Existenz des jeweils anderen zu akzeptieren, doch Seite an Seite und vor Cohens Grab wollten sie ihren westlichen Bruder als einen der ihren nicht ignorieren.

Dr. Suns Frau, Soong Qingling, die von Cohens Familie über dessen Tod informiert worden war, übersandte eine chinesische Inschrift, die auf seinem schwarzen Grabstein eingemeißelt wurde; ein letzter Tribut für ihren Freund und treuen Beschützer.

 

Daniel S. Levy ist der Autor von Two-Gun Cohen, der Biografie eines Abenteurers, dessen bürgerlicher Name, Morris (Moshe) Abraham Cohen war. In diesem Jahr erscheint sein neues Buch, Manhattan Phoenix: The Great Fire of 1835 and the Emergence of Modern New York, das die Transformation der Stadt New York in den Jahren vor dem Bürgerkrieg thematisiert. Daniel S. Levy schreibt für Life, Time, Time-Life Books sowie für National Geographic Books. Zuvor war er bereits Senior Reporter des Time Magazine, für die er über Architektur und klassische Musik berichtete, und Reporter beim People Magazine, wo er soziale Themen und Kriminalität bearbeitete.

Bild oben: Morris „Two-Gun“ Cohen – auf Chinesisch als „Ma Kun“ bekannt – im Juli 1926 von Truppen umgeben. Originalbild aus der Sammlung von Josef L. Rich OBE/NATIONAL LIBRARY OF ISRAEL

Dieser Artikel erschien zuerst in „The Librarians“, der offiziellen Online-Veröffentlichung der Israelischen Nationalbibliothek mit Veröffentlichungen zu jüdischer, israelischer und nahöstlicher Geschichte, Erbe und Kultur. Übersetzung: Alexander A. Dellwo