Früher das „Haus Rothschild“, heute „George Soros“

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Ausgewählte Codenamen als kontinuierliche Formen antisemitischer Verschwörungsideologien…

Von Armin Pfahl-Traughber

Wenn eine Familie oder eine Person namentlich genannt werden, dann kann auch mehr als nur eine Familie oder eine Person damit gemeint sein. Denn hierbei dienen die Angesprochenen als Platzhalter für eine andere Position. Dieser Effekt soll an zwei Fällen veranschaulicht werden, wobei auch historische Kontinuitäten von antisemitischen Verschwörungsideologien erkennbar sind. Es geht um die Benennung des „Hauses Rothschild“ und von „George Soros“. Bekanntlich existieren sowohl die Bankiersfamilie wie der Investor, bekanntlich haben sie einen jüdischen Hintergrund. Auch nutzten und nutzen die Genannten ihre finanziellen Möglichkeiten, um politischen Einfluss aus unterschiedlichen Motiven heraus zu entfalten. Bei Aussagen dazu handelt es sich somit um Fakten, woraus auch differenzierte Kritik abgeleitet werden kann. Indessen stehen Beide auch für Codenamen, womit antisemitische Botschaften in indirekter Form vermittelt werden können: Es geht dabei um Behauptungen von „jüdischer Macht“ in Politik und Wirtschaft.

Gerade dem „Haus Rothschild“ wurde eine derartige Rolle unterstellt. Dass das bedeutsame Bankhaus aus einem „Judenghetto“ heraus entstand, steht für den bemerkenswerten Aufstieg eines familieneigenen Wirtschaftsunternehmens. Im 19. Jahrhundert entwickelte es sich zu einem Projekt, das auch Einfluss auf die Politik über die Finanzierung von Staaten nahm. Diese angemessene Einsicht führte über Pauschalisierungen zu unhaltbaren Verschwörungsvorstellungen. Demnach wurden die Regierungen von den Rothschilds beherrscht und gelenkt. Indessen bezogen sich die Agitatoren dabei nicht nur auf die besondere Familie, sondern eben allgemein auf „die Juden“. So fanden Auffassungen von einem „jüdischen Finanzkapital“ immer wieder Verbreitung. Diese gipfelten etwa in dem NS-Propagandafilm „Die Rothschilds“. Bis in die Gegenwart hinein findet man immer wieder derartige Stereotype, die eben mit der Bankiersfamilie in Verbindung gebracht werden. Dabei erfolgt eine Gleichsetzung von „Judenmacht“ und „Rothschilds“.

Ähnlich verhält es sich in der Gegenwart, wenn der Name „George Soros“ fällt. Der Investor steht so für die „Rothschilds“ in gegenwärtigen antisemitischen Zerrbildern. Soros wurde durch Spekulationsgewinne reich. Sein Geld steckte er dann in Projekte, die Auffassungen von einer „offenen Gesellschaft“ (Popper) verbreiten sollten. Damit ging auch eine politische Einflussnahme eben durch entsprechendes Engagement einher. Dieses bot den Bezugspunkt für bekannte Verschwörungsvorstellungen, die in Soros einen heimlichen „Weltherrscher“ sehen wollten. Kaum Beachtung fand dabei, dass sein Engagement nicht immer erfolgreich war. So wollte er George W. Bushs zweiten Wahlerfolg verhindern, scheiterte aber dabei. Oder er förderte Hillary Clintons späteren Wahlkampf, was ebenfalls nicht erfolgreich endete. Eine angeblich einseitige pro-israelische Politik der USA fand nicht seine Zustimmung. All diese Beispiele sprechen auch gegen verschwörungsideologische Wahrnehmungen, die gleichwohl in Soros das Subjekt einer angeblichen „jüdischen Weltmacht“ sehen.

Von Corona bis zur Fluchtentwicklung gilt er indessen Konspirationsgläubigen als eigentlicher Verantwortlicher. Hierbei können immer wieder Anspielungen aus dem historischen Antisemitismus festgestellt werden, etwa bei Behauptungen von einem angeblich geplanten Identitätsraub bei ganzen Völkern. Da erscheint der Geist der gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ in einem angeblichen „Soros-Plan“ wieder. Die Besonderheit der beiden Fälle besteht darin, dass berechtigte Kritik sowohl gegenüber den Rothschilds wie Soros geübt werden kann. Darum geht es indessen den Anhängern derartiger Konspirationsauffassungen gar nicht, arbeiten sie doch mit Codenamen zur Verbreitung eben von antisemitischen Verschwörungsvorstellungen. Es bedarf dabei noch nicht einmal der Hervorhebung, dass es sich um Juden als Personen handelt. Denn die Andeutungen in entsprechenden Diskursen spielen auf einschlägige Einstellungen in ihrem jeweiligen Zielpublikum an, früher bei den „Rothschilds“, heute bei „Soros“.

Bild oben: George Soros, 2018, (c) Niccolò Caranti, wikicommons