Der Antisemitismus bei der Identitätslinken als Leerstelle

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Die Identitätslinke engagiert sich für Minderheiten und ihre Rechte. Aber Antisemitismus wird häufig nicht angesprochen, Juden kommen nur selten vor. Das hat auch damit zu tun, dass man ein partikulares statt ein universelles Menschenrechtsverständnis vertritt. 

Von Armin Pfahl-Traughber

Die Identitätslinke engagiert sich für ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten und deren Rechte. Dies ist für sich eigentlich ein ehrenwertes Anliegen, sofern damit nicht auch problematische Implikationen einhergingen. Denn der Ausgangspunkt sind partikulare Identitäten, nicht universelle Menschenrechte. Und dann fällt auch auf: Es geht um LGBTQ-Menschen, es geht um Muslime, es geht um People of Color. Aber Antisemitismus wird häufig nicht angesprochen, Juden kommen nur selten vor. Und beide kritische Anmerkungen haben etwas miteinander zu tun, wobei der erstgenannte Einwand eher allgemeiner Natur und der zweite Kritikpunkt ein interessantes Spezifikum ist. Bevor dazu nähere Begründungen formuliert werden sollen, bedarf es aber einer Definition: Denn die Bezeichnung „Identitätslinke“ ist ein Konstrukt. Es gibt keine Gruppe oder Organisation, die einen solchen Namen als Selbstzeichnung nutzt. Demnach gibt es noch weniger eine allgemein akzeptierte Grundposition, etwa in einem programmatischen Text, zur genauen Verortung.

Die Abgrenzung einer „Identitätslinken“ von einer „Soziallinken“ erleichtert wohlmöglich das Verständnis. Eine Gemeinsamkeit als Linke müsste eigentlich darin bestehen, dass dem Egalitätsstreben ein grundlegender Stellenwert zugeschrieben wird. Indessen stellt sich die berechtigte Frage, ob Gleichheit für die gemeinte Identitätslinke überhaupt zum konstitutiven Selbstverständnis gehört. Dies ist bei der hier als Kontrast gesehenen Soziallinken sehr wohl so, möchte sie doch für die ganze Gesellschaft mehr soziale Gleichheit umgesetzt sehen. Demgegenüber richtet sich der Blick der gemeinten Identitätslinken eher auf bestimmte Minderheiten, sollen sie doch eine höhere Anerkennung in einer als diskriminierend geltenden Mehrheitsgesellschaft erfahren. Mit Berechtigung wird gegenüber dieser Differenzierung eingewandt, dass es keinen Gegensatz zwischen den Positionen geben müsse. Dieser Auffassung kann grundsätzlich zugestimmt werden. In der Linken verhält es sich aber in der Praxis bezogen auf Themen und Zielgruppen nicht so:

In dem einen Fall ist es die soziale Frage und die Mehrheitsgesellschaft, in dem anderen Fall ist es die Identität von bestimmten Minderheiten. Fortan soll es nur noch um die Identitätslinke gehen, welche sich etwa gegen Rassismus engagiert. Dabei wird indessen ein Antirassismus auf partikularer und nicht auf universeller Grundlage vertreten. Es geht dabei um die angebliche Identität in der Minderheitengruppe, die vor externer Kritik unabhängig von deren Prägung verteidigt werden soll. Eine solche Auffassung erklärt dann auch, warum etwa Frauendiskriminierung oder Homosexuellenhass in solchen Minderheiten kein Thema sind. Denn derartige Auffassungen bilden dort mit Bestandteile von Identität, die nicht durch eine externe Perspektive hinterfragt werden sollten. Die Berufung auf die Menschenrechte erfolgt in dieser Sicht aus einem kritikwürdigen, weil überlegenen Standpunkt. Und so werden auch Einwände von Frauenrechtlerinnen aus muslimischem Kontext mitunter als „antimuslimischer Rassismus“ wahrgenommen.

Derartige Auffassungen führten dann schon zu absonderlichen Ereignissen und Positionen. So gilt beispielsweise eine Dreadlock-Frisur bei Weißen als „rassistisch“, würde hierbei doch eine „kulturelle Aneignung“ erfolgen. Es handele sich eben um die Besonderheit einer anderen, ansonsten diskriminierten Identitätsgruppe. Auch ist etwa die Auffassung verbreitet, dass Schwarze nie Weiße rassistisch beleidigen könnten. Denn es handele sich um ein „Dominanzverhältnis“ und Weiße seien eben weltweit vorherrschend. Dabei geht man von einem essentialistischen Gruppenverständnis aus, was die Existenz eines entsprechenden kulturellen Wesens voraussetzt. Dieser Aspekt lässt auch Gemeinsamkeiten mit der Identitätsrechten erkennen, indessen in formaler, nicht in inhaltlicher Hinsicht. Gleichwohl ist Beiden ein antiindividualistischer Kollektivismus eigen, welcher gegen ein universalistisches Menschenrechtsverständnis gerichtet ist. Denn so lassen sich Einwände gegen hier kritikwürdige Gegebenheiten in den Identitätsgruppen abwehren und tabuisieren.

Dadurch erklärt sich auch, warum Antisemitismus in der Identitätslinken eine Leerstelle ist. Denn einerseits müsste man sich doch auch für Juden als Minderheit engagieren, andererseits gibt es auch Antisemitismus in den Minderheitengruppen. Eine Fülle von Studien hat darauf aufmerksam gemacht, dass unter Muslimen judenfeindliche Ressentiments stärker verbreitet sind. Diskriminierte Minderheiten können auch andere Minderheiten diskriminieren. Da die Identititätslinke aber ein partikulares und eben kein universelles Menschenrechtsverständnis hat, ist eine Wahrnehmung davon unterentwickelt. Dies gilt auch für den Antisemitismus unter Schwarzen in den USA. Dort kommt noch folgender Gesichtspunkt hinzu: die meisten Juden sind Weiße. Demnach gehören sie einer „Dominanzkultur“ an, zumindest aus identitätslinker Blickrichtung, und insofern könnte es gegenüber ihnen auch keinen Rassismus geben. Daher ist der Antisemitismus bei der amerikanischen wie deutschen Identitätslinken auch immanent konsequenterweise ein Nicht-Thema.

Bild oben: (c) Treaki, wikicommons