Unwissenheit oder gezielte Provokation?

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In Köln wurde des antisemitischen Attentats in Halle gedacht. Ein Zivilpolizist erschien in Thor Steinar Kleidung…

Von Jennifer Marken

Das Wetter war schlecht, zeitweise regnete es, die KVB streikte – und doch kamen am Vorabend des antisemitischen Anschlages von Halle in Köln knapp 200 Menschen zur Gedenkkundgebung „Kein Vergessen – Kein Vergeben! Gedenken an die Opfer des Anschlags von Halle“.

Aufgerufen hatte ein breiteres Spektrum von pro-israelischen Gruppierungen, anwesend waren auch zahlreiche Mitglieder der Synagogengemeinde sowie zahlreiche vorwiegend jüngere Menschen auch aus dem Antifa-Spektrum. Vereinzelt waren auch kurdische Vertreter aus dem Antifaspektrum dabei wie auch acht Frauen der „Omas gegen Rechts“; diese trugen als eine der Wenigen der Demonstranten auch Plakate.

Michel Friedmann: „Wir Demokraten haben das letzte Wort!“

Unter den Rednern der von Änneke Winkel souverän moderierten Veranstaltung stach Michel Friedman hervor. Der Frankfurter Journalist hatte beruflich in Köln zu tun und kam spontan. Friedman fand die passenden, deutlichen Worte, beklagte die folgenlos gebliebenen Reaktionen auf den Rechtsterrorismus. In auf diplomatische Floskeln verzichtender Weise beschrieb er, auch unter Verweis auf seine Familienbiografie als Überlebender, die tagtägliche Bedrohung von Juden, die Tatenlosigkeit der Mehrheitsgesellschaft und der Verantwortlichen in der Politik.

Es beklagte, dass es auch in Europa mehrere Länder gibt, die sich nicht durch demokratische Grundhaltung auszeichnen. Aber es gebe „auch in unserem Land Parteien“, die die „Prinzipien des Humanismus zerstören“ wollten. „Ich hatte noch nie Angst vor der Vielfalt der Menschen. Wenn ich Angst hatte dann vor der Einfalt“ rief Friedman unter großem Beifall. Es sei für den Menschen wichtig, dass er das Recht habe, „Rechte zu haben“, zitierte er Hannah Arendt.

Und unter starkem Beifall schloss er mit den Worten: „Wir Demokratinnen und Demokraten haben das letzte Wort!“

Als Redner trat neben Helge David Gilberg von der Kölner DIG (Deutsch-Israelische Gesellschaft) auch Abraham Lehrer auf, stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden und Vertreter der Kölner Synagogengemeinde.

Auch er beschrieb die Bedrohungsgefühle bei Mitgliedern der Synagogengemeinden, sein Entsetzen, als er die Nachricht vom antisemitischen Attentat in Halle erfuhr. Er beklagte die Sinnlosigkeit des Mordens in Halle, bei dem zwei Unbeteiligte getötet wurden, darunter ein Besucher des „Döner-Imbisses“: Wer frage heute noch nach der Lebenssituation des Betreibers dieses Imbisses? Inzwischen habe dieser seinen Laden geschlossen, weil schlicht keine Kunden mehr kamen. Von konkreter Solidarität der Zivilgesellschaft kann man in Halle diesbezüglich wirklich nicht sprechen.

Am Rande der Kundgebung kam es zu offenkundig gezielten Pöbeleien eines ca. 50-jährigen Deutschen, der immer wieder antisemitisch konnotierte Rufe von sich gab. Die Polizei drängte ihn zwar anfangs etwas zurück, betonte jedoch auch dessen Recht auf Meinungsäußerung. Ein Freund, familiär tief in der jüdischen Gemeinde Kölns verankert, meinte privat zu mir, dass er nur noch auf das Ende von Corona warte. Dann wolle er versuchen, endlich nach Israel zu gehen, zurück zu seiner Familie, die bereits vor vielen Jahren nach Israel übersiedelt ist. Vielleicht ist dies inzwischen wirklich die realitätsangemessenste Strategie für Juden in Deutschland. Der langjährige Kolumnist der Jüdischen Allgemeinen und Buchautor Michael Wuliger postete jüngst, nach dem antisemitischen Angriff vor der Hamburger Synagoge: „Allmählich wird Jabotinskys Satz aus den 1930ern wieder aktuell: „Beendet die Diaspora, bevor sie euch beendet!“ 

Zivilpolizist in Thor-Steinar Kleidung

Via Twitter bundesweit Aufmerksamkeit erregte die Anwesenheit eines Zivilpolizisten, der Thor-Steinar Klamotten trug, die als Nazierkennungssymbole gelten. 

Anmelder forderten ihn gleich am Anfang der Kundgebung auf, die Kundgebung zu verlassen, da seine naziaffine Kleidung eine erneute Verhöhnung der Opfer von Halle sei. Daraufhin zeigte dieser seinen Dienstausweis.

Vergleichbare Szenen hatte es bereits einmal im Umfeld von Kerpen gegeben, als gleichfalls ein Beamter Thor Steinar Kleidung trug. Szenekundige ordneten diesen Polizisten dem Staatsschutz zu. 

Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sowie in zahlreichen Fußballstadien ist das Tragen von Thor Steinar Kleidung ausdrücklich untersagt. Im Bundestag wurde das Tragen der Naziklamotte 2008 sowohl für Mitarbeiter als auch für Besucher untersagt. Sogar der Verfassungsschutz von Brandenburg und Sachsen ordnet die Naziklamotte als rechtsextrem ein. Der Verfassungsschutz Brandenburg schreibt, die Kleidung bediene „in Farbgebung und Schriftzügen eine als völkisch verstandene Symbolik.“ Die gotischen Lettern würden „von der Kundschaft mit dem NS-Regime in Verbindung gebracht. Rechtsextremisten fühlen sich davon angesprochen.“ 

Diese Szene der – so erschien es Vielen – sogar nachträglichen Verhöhnung der Opfer des antisemitischen Anschlags von Halle bei einer Gedenkveranstaltung ein Jahr später sorgte bei vielen Teilnehmern für heftige Reaktionen zwischen Empörung und Entsetzen.

Es fällt schwer zu glauben, dass ein verbeamteter Polizist, der in diesem sensiblen Bereich dienstlich tätig ist und in Zivilkleidung auftrat, nicht um die symbolische Bedeutung von Thor Steinar Kleidung weiß. Schließlich gibt es seit über einem Jahrzehnt bundesweit Proteste gegen Thor Steinar Läden. In Dortmund, das sich über Jahrzehnte den Ruf als ausgewiesen antisemitische NRW-Neonazihochburg erworben hat, gab es noch im Herbst 2019 starke Proteste gegen die Eröffnung eines „Thor Steinar Ladens“.  In Folge der Proteste musste der Laden schließen; zwischenzeitlich hat ein neuer Laden geöffnet, gegen den es weiterhin regelmäßige Proteste gibt.

Seit mehreren Jahren wird bundesweit über Polizisten berichtet, die vorsätzlich in Nazikleidung auftreten, so in Thüringen, in Frankfurt sowie in Hamm. Die Liste ließe sich noch deutlich erweitern.

Das offene Auftreten eines Polizisten in naziaffiner Kleidung wird intern unterschiedlich gedeutet: Manche interpretieren dies als Kampfansage an die Kundgebungsanmelder aus dem israelsolidarischen Spektrum Kölns – dass in „ihren Kreisen“ das Gedenken an den antisemitischen Anschlag in Halle als unerwünscht betrachtet wird. Manche möchte es so verstehen, dass der Polizist zwar mit der sehr rechten Botschaft – die Thor Steinar nun einmal eindeutig symbolisiert – sympathisiert, dass ihm dessen Neonazibezug jedoch nicht bekannt gewesen sein könnte. Aber auch in diesem Fall muss man sich fragen, warum derartiges Unwissen bei einem solchen sensiblen Einsatz bestehen kann.

Zwischenzeitlich hat der Kölner Polizeipräsident Jacob reagiert: Er sei in den Medien auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht worden. Bei dem Polizisten handele es sich um einen 54-jährigen Mitarbeiter des Personenschutzes der Polizei Köln. Jacob erklärte, dass er „kein Verständnis für ein derartiges Verhalten“ und „den Beamten unmittelbar von seinen Aufgaben entbunden“ habe. Er habe sich zwischenzeitlich auch bei Abraham Lehrer telefonisch entschuldigt. Der Staatsschutz sei mir einer „lückenlosen Aufklärung des Sachverhaltes beauftragt“

https://www.facebook.com/RABAkoeln/photos/a.296893917759874/777170209732240/

Dennoch: Parlamentarier aus NRW sowie Innenminister Reul sind gefordert, den Vorgang aufzuklären.  

Der Sachverhalt als solcher ist weiterhin empörend: In Halle hatte es die Polizei vor einem Jahr, trotz mehrfachen Bittens der Jüdischen Gemeinde, abgelehnt, auch nur einen Polizisten zum Schutz am höchsten jüdischen Feiertag zu schicken. In Köln erscheint ein Jahr später ein Polizist in Zivilkleidung, für Personenschutz zuständig. Als Redner sind die bedeutendsten Vertreter der Jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik am Podium – und der Polizist läuft mit Naziklamotten herum. Es kann mir niemand sagen, dass das Unwissenheit ist. Es ist eine klare, symbolische Botschaft….

1 Kommentar

  1. Bei aller Liebe und Verständnis!

    Es gilt die Unschuldsvermutung!

    „Es ist eine klare, symbolische Botschaft….“

    Natürlich!

    Soll der zum Schutz der Veranstaltung mit Antinaziklamotten rumlaufen, damit er schneller Kontakt mit Störern oder Angreifern bekommt. Was glaubst Du denn, wie man eine Versammlung schützt … indem man sich mit der Gruppe solidarisiert? Die Aufgabe ist eine Andere.

    Habe keine Ahnung über Gesinnung und Vorfall bei der Unterstellung, weiß aber, daß zu mindestens ich
    mir zwei drei Gedanken mehr machen würde.

    Egal wie es ausgeht… Vorverurteilungen sind sch…

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