War die ehemalige DDR aufgeklärt und frei von Antisemitismus?

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Gab es in der DDR weniger Antisemitismus als in der Bundesrepublik? Welche Folgen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus sind bis heute zu sehen? Kann das Verhalten der Linken in Bezug auf die AfD nach den jüngsten Wahlen mit fehlendem Demokratieverständnis bewertet werden? Sind Vergleiche zwischen Politikern der heutigen Zeit und der ehemaligen DDR legitim?

Aus der Reihe Antisemitismus ist (k)eine Meinung

Kommentar von Anetta Kahane

Die Frage ob es Antisemitismus in der DDR gab, ist ganz zentral für die Gegenwart und die Vergangenheit Ostdeutschlands. Die Antwort ist: Ja, es gab ihn und nein, die DDR war kein antisemitischer Staat. Mir wurde in der Abwehr der ersten Antwort immer unterstellt, ich würde die zweite Antwort meinen. Viele Leserbriefe und Eintragungen in das Gästebuch unserer Ausstellung: „Das hat`s bei uns nicht gegeben – Antisemitismus in der DDR“ wehren sich vehement und das oft auch mit antisemitischen Implikationen. Ich bin Jüdin und habe in der DDR gelebt. Die Unterstellungen unlauterer Motive, der Vorwurf, von der Shoa profitiert zu haben und die Behauptung verräterische Nestbeschmutzerin zu sein waren eine Konstante bei der ´Diskussion dieses Themas. Wie kann eine Jüdin, die in der DDR so privilegiert war, also den ehemaligen Eliten gehörte, es wagen die schöne Illusion des Antifaschismus zerstören zu wollen, die doch auf die Geschichten der wenigen Widerstandskämpfer aufgebaut war, zu denen auch Leute wie meine Eltern gehörten.

Ein doppelter Widerspruch also. Dass bis heute der Antifaschismus in der DDR als Grund dafür verteidigt wird, dass Ostdeutsche gar nicht rechtsextrem oder antisemitisch sein können, ist die eine Seite. Die andere, dass genau die (vermeintlich jüdischen) Eliten in der DDR besonders verachtet wurden, weil der Antifaschismus ein Diktat war und den öffentlich vorgetragenen antisemitischen Revisionismus verbot. Der Antifaschismus garantierte zwar der breiten Bevölkerung, dass sie außer dem ideologischen Bekenntnis keine weiteren, womöglich persönlich schmerzhaften Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus führen musste, was auch moralisch einfacher war als andere Formen der Nichtaufarbeitung, doch war er gleichzeitig lästig.

Meine Lebenserfahrung nach der Wende war geprägt von heftiger Abwehr jeder Art der Diskussion über das Erbe der DDR. Die Tatsache, dass auch die DDR eine Nachfolgegesellschaft des NS war, spielt hier eine große Rolle. Wenn ich also frage, wo denn in der DDR die Mitläufer und Täter alle geblieben waren und wie sie auf einmal ohne jede Spur der alten Hassmuster Antifaschisten werden konnten, dann löst das bis heute Empörung aus. Und es kommen Hinweise auf tausend Filme und Bücher zum Antifaschismus. Die Gegenreaktion ist deshalb heftig, weil es so unlogisch ist und deshalb auch die dazugehörige Ideologie der Entschuldung nicht funktionieren können und konnten. Ebenso wenig wie die sozialistische Erziehung daran etwas zu ändern vermochte, denn das Gegenteil von Faschismus ist nicht der Antifaschismus sondern eine demokratische Kultur der Auseinandersetzung. In der sozialistischen Theorie war am Nationalsozialismus nur das Kapital schuld, das die Arbeiterklasse verführte. Der Hauptwiderspruch lag im Kapitalismus, der Nebenwiderspruch Antisemitismus verschwand also mit dem Kapitalismus quasi automatisch.

Und noch heute wird so argumentiert. Jede persönliche Verantwortung bleibt darin stecken. Heute heißt es Deprivationstheorie oder es ist das Lamento vieler Ostdeutscher immer Opfer zu sein. Opfer der Nazis, Opfer der Bomben, Opfer des Stalinismus, Opfer des Mauerbaus, des Mauerfalls, der Westdeutschen, der Flüchtlingspolitik, der Heuschrecken, der Meinungsunfreiheit zu sagen, was sie wirklich denken. Und wer eigentlich dahintersteckt..

Die Leserbriefredaktionen brauchen, wenn sie vermeiden wollen, dass antisemitische Statements abgedruckt werden, selbstverständlich eine Kenntnis darüber, was antisemitisch ist. Ich finde, dass dies in Deutschland eine zumutbare Qualifikation für Redaktionen ist. Und vielleicht sollten sie auch verstehen, dass es nicht geht, solche Leserbriefe an die jüdische Person weiterzuleiten, damit sie solchen Brief beantwortet. Ein Vorschlag wäre, mit der jüdischen Person ins Gespräch zu kommen, um die Zumutungen in solchen Situationen zu vermeiden und auch um Unsicherheiten in der Redaktion zu besprechen. Ich erlebe oft, dass wirklich heftige Lesermails an mich ungefiltert weitergeleitet werden. ob dies in der Erwartung geschieht, dass ich darauf antworte oder mit Beschimpfungen eben selbst klarkommen muss, weiß ich nicht. Ich werde beim nächsten Mal nachfragen.

Anetta Kahane ist Autorin und die Vorsitzende der 1998 von ihr mitgegründeten Amadeu Antonio Stiftung. Als Kind jüdischer Widerstandskämpfer in der DDR aufgewachsen, studierte sie Lateinamerikanistik. 1974 wurde sie zu einer Tätigkeit als IM für das Ministerium für Staatssicherheit gedrängt, die sie 1982 aufkündigte und damit auch die Beendigung ihrer Berufschancen in Kauf nahm. 1989 leitete sie die „AG Ausländer“ des Neuen Forums und arbeitete anschließend am Runden Tisch der DDR zum Thema Ausländerfragen. 1990 wurde sie die erste Ausländerbeauftragte Ost-Berlins. 1991 gründete Kahane die RAA e.V. (Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule) für die neuen Bundesländer. Im gleichen Jahr wurde ihr gemeinsam mit Joachim Gauck, Christian Führer, David Gill, Ulrike Poppe und Jens Reich, stellvertretend für die Demonstranten im Herbst 1989, die Theodor Heuss Medaille verliehen. 2002 wurde sie mit dem Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berlin ausgezeichnet. Sie verfasst seit einigen Jahren regelmäßig eine Kolumne in der Berliner Zeitung, schrieb für DIE ZEIT, tageszeitung, den stern, Tagesspiegel, Jüdische Allgemeine u.a. und ist Autorin des Buches „Ich sehe was, was du nicht siehst“ (Berlin 2004). Zuletzt erschien der gemeinsam mit Martin Jander herausgegebene Band „Gesichter der Antimoderne – Gefährdungen demokratischer Kultur in der Bundesrepublik Deutschland“ (Nomos Verlag, 2020).

Die Leserbriefe:

Der Autor hat, nach seinen Ausführungen zu urteilen, gut recherchiert. Dennoch kommt es auf die Bewertung des in der DDR üblichen Antifaschismus an. Staatsdoktrin hin oder her, hat man sich zu DDR-Zeiten sehr bemüht, Kinder im antifaschistischen Sinne zu leiten. Selber kann ich das nur bezeugen. Und das war gut so! Ähnlich verhält es sich mit Antisemitismus. Auch das wurde in der DDR nicht geduldet. Böse Zungen sagen, weil man so etwas unterdrückt hätte, würde es umso mehr zum Ausbruch kommen. Das finde ich aber besser, als die Dinge ihrem Lauf zu überlassen und dann zu beklagen, warum es zu solchen Tendenzen kommt. Bedauerlich, dass da vielfach mit dem Finger auf den Osten gezeigt wird.
(Sächsische Zeitung, 28.03.2020)

In dem Artikel wird hauptsächlich auf den Umgang „Westdeutschlands“ mit Auschwitz und dem Holocaust eingegangen. In einem kleinen Absatz wird dann aber doch auf die DDR Bezug genommen: „In der DDR blieb der Holocaust weitgehend ein Tabu.“ „So viel Desinformation macht sprachlos“, sagte schon Daniela Dahn. Und auch ich empfinde diese Aussage als persönliche Kränkung, da ich in diesem Fall in einem Land gelebt hätte, in dem über dieses Thema nicht gesprochen werden sollte.
Dazu einige Informationen: In über 1000 Filmen (Spielfilme, Dokumentarfilme usw.) wurde in der DDR auf Antisemitismus, Judenverfolgung und jüdisches Leben eingegangen. Dazu kamen dann noch circa 1000 Buchtitel, die jüdisches Leben zum Inhalt hatten. Etwa die Hälfte dieser Bücher befasste sich mit Nationalsozialismus und Judenverfolgung.
Und nicht zuletzt: Die Judenverfolgung war in der DDR Schulstoff. Von einem Verschweigen oder gar Tabu kann dann wohl  keine Rede sein.
(Oschatzer Allgemeine, 28.01.2020) 

Leider muss ich der Linken das Demokratieverständnis absprechen, wenn erst einem gewählten Vertreter der Blumenstrauß vor die Füße geworfen und dann einem Abgeordneten einer anderen Partei der Handschlag verweigert wird. In einem Parlament sind alle Vertreter vom gleichen Volk gewählt! Das Ausgrenzen von gewählten Vertretern, egal welcher Partei, kann man nicht hinnehmen! Hier beginnen bereits die Spaltung und die Hetze! Die Linke hat das Ausgrenzen von Personen, die politisch nicht in ihr Konzept passen, aus der DDR fortgesetzt. Ich denke da an meine Bewerbung zu einem Ingenieur-Studium 1951, als ich eine Postkarte mit der Absage zur Zulassung mit folgenden Worten erhielt: „… wurde wegen Ihrer unzureichenden politischen Qualifizierung abgelehnt …“.
In Deutschland ist leider auch nie die Stalinzeit mit deren Diktatur und den Grausamkeiten aufgearbeitet worden, welche die Linken auf dem Weg zum Kommunismus hinterlassen hatten!
(Osterländer Volkszeitung, 10.03.2020)

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2 Kommentare

  1. @nussknacker56:

    Du hast wohl einen Knall!

    Da sitze ich, sinniere, denke und formuliere und dann dies.

    Scrolle nach unten, entdecke überraschend ENDLICH wieder einen Leserbrief und schon wurden meine stolprigen Gedanken verbessert dargeboten.

    Schäme Dich 🙂

    Ente

  2. Sehr geehrte Frau Kahane,

    es ist mir ein Rätsel, warum Sie zu der Annahme kommen, die DDR sei kein antisemitischer Staat gewesen.

    Die DDR war ein lupenreiner antisemitischer Staat. Nicht die damalige BRD hat nach dem Ende des Nationalsozialismus aktiv Bestrebungen unternommen, Juden zu ermorden und ihren Staat auszulöschen, sondern die DDR hat ganz real an der Ermordung von Israelis mitgewirkt und an der geplanten Vernichtung Israels gearbeitet. Der sogenannte „antifaschistische“ Staat hat den ‚Unerklärten Krieg gegen Israel‘ [s. Jeffrey Herf] mindestens in den Jahren 1967–1989 politisch (staatseigene Medien, UNO), finanziell, logistisch und ganz real mit Waffenlieferungen an palästinensische Terrororganisationen und feindliche arabische Staaten nachhaltig und engagiert unterstützt. Geliefert wurden u.a. Maschinenpistolen, Pistolen, Karabiner, Granatwerfer, Minen, diverse Geschütze, große Mengen Munition, militärischer Bedarf, MiG-Flugzeuge und T-34-Panzer. Dies alles mit dem Ziel, den jüdischen Staat zu vernichten. Ferner wurden umfangreiche Wartungen und Reparaturen an Panzern und Flugzeugen durch DDR-Techniker vorgenommen.

    Jüdische Bürger in der DDR wurden von den Machthabern in erster Linie als Schmiermittel für die staatliche antisemitische Propaganda missbraucht. Als „kritische“ Stimmen gegen Israel waren sie begehrt – wehe, sie wagten es, Israel zu verteidigen oder gar den Krieg der DDR gegen Israel zu kritisieren. Jüdische Bürger im SED-Staat hatten ungefähr dieselben rudimentären Rechte, wie sie heute den Juden im Iran vom dortigen Mullah-Regime zugestanden werden.

    Die BRD hat, trotz aller massiven Unzulänglichkeiten, trotz völlig unzureichender Verfolgung von NS-Verbrechern, trotz Filbinger und Konsorten wenigstens halbwegs den Versuch gemacht, Zahlungen an die Opfer zu leisten und geraubtes Gut zurückzugeben. Die DDR hat von alledem nichts(!) getan.

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