Penetrante Distanzlosigkeit

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Unter dem Thema: „Nach Berlin kommt Hannover: Die Pandemie ist vorbei – für die sofortige Wiederherstellung unser Grundrechte“[i] fanden am letzten Sonnabend in Hannover zwei Demonstrationen von sogenannten „Corona-Rebellen“ statt[ii]. Die Pandemie ist aber mitnichten vorbei und die Stärke der bundesdeutschen Demokratie zeigt sich momentan gerade darin, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nur marginalen und damit in jedem Falle verhältnismäßigen Einschränkungen unterworfen wird…

Von Peter M. Selliner

Die Veranstalter des Aufmarsches „Walk to freedom“ und der Kundgebung „Wir wachen auf Hannover“ hatten im Vorfeld 2.000 Teilnehmern angekündigt[iii]. Da auch Gegendemonstrationen angemeldet wurden, war abzusehen dass der Innenstadt von Hannover ein turbulenter Sonnabendnachmittag bevorstehen würde[iv]. Die Ereignisse nahmen jedoch einen anderen Verlauf. Zum einen erschienen nur circa 1.100 „Corona-Rebellen“[v] und zum anderen ließen die sehr starken Polizeikräfte nebst diversen Wasserwerfern und Reiterstaffeln keinen Zweifel daran aufkommen, dass die gerichtlich bestätigten Auflagen der „Maskenpflicht“ und des „Mindestabstandes“ notfalls rigoros durchgesetzt werde[vi].

Gerichtliche Bestätigung der Maskenpflicht während des Aufmarsches

Bereits am Donnerstagabend hatte das Verwaltungsgericht Hannover in einem Eilbeschluss die Einwände der Veranstalter gegen die polizeilich angeordnete Maskenpflicht für substanzlos erklärt[vii]. Diese gerichtliche Entscheidung war keine Überraschung, wohl aber die kruden und verworrenen Begründungen der Organisatoren. Demzufolge sei eine epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht gegeben. Die Covid-19-Pandemie werde von interessierten Kreisen überbewertet und diene der Einschüchterung der Bevölkerung und der Durchsetzung einer obrigkeitsstaatlichen Diktatur. Zudem verbreite das Robert-Koch-Institut überhöhte Infektionszahlen. Bereits die Leugnung der Corona-Pandemie veranlasste das Gericht die Maskenpflicht auszusprechen, denn es sei von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen in Anbetracht dessen nicht zu erwarten, dass sie aus eigener Verantwortung oder Verantwortung gegenüber dem Rest der Gesellschaft die Maßnahmen zum Infektionsschutz beachten würden[viii]. Dies dürfte nicht wenige „Corona-Rebellen“ in ihrem Enthusiasmus gebremst haben – und sie blieben fort.

Da trotz Auflage am 12.9.2020 diverse Demonstranten die Maskenpflicht nicht beachteten, indem sie entweder laut Polizeiangaben gefälschte Atteste vorlegten[ix] oder – wie der Verfasser bemerkte – die Masken ablegten bzw. runterzogen oder aber sich ohne Maske dem laufenden Aufzug anschlossen, wurde der Zug bereits nach circa einem Kilometer und sodann noch diverse Male von der Polizei gestoppt[x]. Dies hatte zur Folge, das der Zeitplan nicht eingehalten werden konnte und so entfiel der Zug des „Walk to freedom“ durch die Innenstadt[xi]. Statt dessen wurde direkt die Kundgebung „Wir wachen auf Hannover“ angesteuert. Bis in den frühen Abend dauerte die Veranstaltung, die ohne weitere Zwischenfälle ablief und kurz nach 18:00 h erfolgte dann auch ein Abzug der Wasserwerfer.

Keine Reichskriegsflaggen, keine Neonazis, keine Reichsbürger, aber das „öffentliche Tribunal“ wird bereits angedacht…

In Hannover war die Lage nicht eskaliert, kleinere Zwischenfälle mit Gegendemonstranten ausgenommen[xii]. Weder waren Reichskriegsflaggen zu sehen noch hatten Neonazis und/ oder Reichsbürger die Versammlung unterwandert – die AfD war mit sich selber beschäftigt, sie tagte auf einem Landesparteitag in Braunschweig. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, welches Klientel vorliegend agiert. So marschierte phasenweise unmittelbar hinter der Hauptrednerin eine männliche Person mit dem T-Shirt „Born to be white“ und setzte sich dementsprechend in Szene[xiii]. Zudem scheint die Gleichsetzung und damit Relativierung der Naziherrschaft und des Holocaust mit dem Lockdown mittlerweile ein gängiges Narrativ in diesen Kreisen zu sein. So liest man Plakate wie „Lockdown = Genocide“ oder in Frakturschrift „Wollt ihr die totale Gesundheit?“ bzw. es erfolgt eine Gleichsetzung des Infektionsschutz – mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933.

Gleichfalls sind die Anhänger von Verschwörungstheorien nicht zu unterschätzen. So trugen zwei Damen mittleren Alters ein Plakat auf welchem sie vor dem Einfluss von ARD bzw. ZDF und dem „Transatlantik Netzwerk“ warnten[xiv]. Gesteuert werde dieses Netzwerk u.a. durch den „Council on Foreign Relations“. Diese Deep-State Theorie wird auch von Hermann Ploppa, einem Dauergast und Hauptredner auf der Abschlusskundgebung von „Wir wachen auf Hannover“ vertreten[xv]. In dem Artikel „Transatlantische und marktradikale Netzwerke – Akteure des tiefen Staates“[xvi] schreibt er über eben jenen „Council on Foreign Relations“: „Nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahre 1921, sollte der Council on Foreign Relations, der Rat für auswärtige Beziehungen, nun die Welt nach dem Gusto der Eliten der USA neu ordnen. Der Council gliedert sich in vier Ebenen: ganz oben in der Runde findet sich der Tisch der Superreichen, ergänzt durch einige Turbointellektuelle wie Henry Kissinger oder Zbigniew Brzezinski.“[xvii] Damit wäre der Ausgangspunkt aller Überlegungen erreicht: Die Juden (Kissinger) und die Juden-Freunde (Brzezinski[xviii]) beherrschen durch ihre überragenden intellektuellen Fähigkeiten nicht nur das Kapital sondern auch die Weltpolitik. Folgerichtig werden die Superreichen und ihre intellektuellen (jüdischen) Stichwortgeber die Corona-Pandemie nutzen, um die Welt neu zu ordnen. Gemäß Ploppa fungiert insbesondere Bill Gates als Hauptakteur um dieses Ziel zu erreichen[xix].

Angesichts dieses Szenarios denkt „Wir wachen auf Hannover“ bereits an ein öffentliches Tribunal[xx] für Mitglieder der Regierung, da ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wohl kaum eine Mehrheit finden wird. Es wird auch schon über die passende Richterwahl für das Tribunal sinniert, denn diese dürfen „nicht voreingenommen“ sein[xxi]. Für einen Personenkreis der beständig das Grundgesetz anführt, sind dies in der Tat beachtliche Überlegungen. Sie zeugen von einem hochgefährlichen Staats- und Demokratieverständnis.

[i]      https://www.wirwachenaufhannover.de/ (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[ii]     “Walk to Freedom” und “Wir wachen auf Hannover”, vgl.: https://www.facebook.com/walktofreedomhannover/ und https://www.wirwachenaufhannover.de/ (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[iii]   Morchner, Tobias: Protestzug mit 2000 Teilnehmern geplant, in: HAZ, 11.9.2020, S. 20.
[iv]    Morchner, Tobias: Protestzug mit 2000 Teilnehmern geplant, in: HAZ, 11.9.2020, S. 20.
[v]     NDR 1- Niedersachsen: 1.100 Teilnehmer bei Demo gegen Corona-Regeln, 12.9.2020, 19:30 h, https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/1100-Teilnehmer-bei-Demo-gegen-Corona-Regeln,corona4348.html (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[vi]    Pressemitteilung, VG Hannover, AZ: 10 B 4681/20, Beschl. v. 11.09.2020, https://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/eilantrag-gegen-versammlungsrechtliche-beschrankungen-der-coronabezogenen-versammlung-am-12-september-abgelehnt-192403.html (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[vii]  Pressemitteilung, VG Hannover, AZ: 10 B 4681/20, Beschl. v. 11.09.2020 ,  https://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/eilantrag-gegen-versammlungsrechtliche-beschrankungen-der-coronabezogenen-versammlung-am-12-september-abgelehnt-192403.html (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[viii] Morchner, Tobias: Maskenpflicht bei Demo bleibt. Gericht lehnt Eilantrag gegen Maskenpflicht ab, in: HAZ, 11.9.2020, S. 20.
[ix]    RDN: Corona-Demo in Hannover: Maskengegner legen gefälschte Atteste vor, https://www.rnd.de/gesundheit/corona-demo-in-hannover-masken-gegner-legen-gefalschte-atteste-vor-IG5FEHRL2VDBJJI3LR5AZF4UUY.html (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[x]     NDR 1- Niedersachsen: 1.100 Teilnehmer bei Demo gegen Corona-Regeln, 12.9.2020, 19:30 h, https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/1100-Teilnehmer-bei-Demo-gegen-Corona-Regeln,corona4348.html (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xi]    MK: Corona-Demo in Hannover: Nur knapp die Hälfte der erwarteten Gegner der Corona-Politik kamen, https://www.kreiszeitung.de/lokales/niedersachsen/hannover-stadt-demo-corona-politik-gegner-live-ticker-heute-90042542.html (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xii]  Polizeidirektion Hannover: POL-H: Hannover: Versammlungen im Kontext Corona verlaufen ohne größere Störungen, 12.9.2020, 20:11 h, https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/66841/4704809 (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xiii] Hallo Niedersachsen (TV): Demos für und gegen Corona-Maßnahmen, Sendung vom 12.9.2020, ab 19:30 h, Minute: 01:26, https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Demos-fuer-und-gegen-Corona-Massnahmen,hallonds61012.html (letzter Zugriff am 13.9.2020) sowie: https://twitter.com/le0nenrique/status/1305139157472346117/photo/2, https://twitter.com/le0nenrique/status/1305139157472346117/photo/1, https://twitter.com/RaphaelKnipping/status/1304769648882323457/photo/1 (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xiv] https://swprs.org/wp-content/uploads/2017/08/netzwerk-medien-deutschland-spr-mt.png (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xv]   https://www.facebook.com/Wirwachenauf-Hannover-109716960730426/ (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xvi] Ploppa, Hermann: „Transatlantische und marktradikale Netzwerke – Akteure des tiefen Staates“, in: Mies, Ullrich/ Wernicke, Jens (Hrsg.): Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter, Wien 2017, 1. Auflage, S. 139 ff (FN 211/212).
[xvii] Ploppa, Hermann: „Transatlantische und marktradikale Netzwerke – Akteure des tiefen Staates“, in: Mies, Ullrich/ Wernicke, Jens (Hrsg.): Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter, Wien 2017, 1. Auflage, S. 139 ff (FN 211/212).
[xviii]       Der Vater von  Zbigniew Brzezinski, Tadeusz Brzeziński, hatte u.a. als polnischer Generalkonsul in Prag hunderten von Juden zur Flucht verholfen, https://www.holocaustrescue.org/diplomatic-rescue (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xix] Ploppa, Hermann: Coronakrise: ein asymmetrischer Krieg der Superreichen gegen die restlichen 99 Prozent?, 26.3.2020, in: http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[pointer]=5&tx_ttnews[tt_news]=73064&tx_ttnews[backPid]=48&cHash=97a652bf9a (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xx]   „Untersuchungsausschuss oder Tribunal”, 9.6.2020, https://static1.squarespace.com/static/5eb092dab386d21abba9deee/t/5ef39ea8320b747727faf5e6/1593024170543/Tribunal.pdf (letzter Zugriff am 13.9.2020).
[xxi] „Untersuchungsausschuss oder Tribunal”, 9.6.2020, https://static1.squarespace.com/static/5eb092dab386d21abba9deee/t/5ef39ea8320b747727faf5e6/1593024170543/Tribunal.pdf (letzter Zugriff am 13.9.2020).