Wer protestiert da eigentlich? Rechtsradikale, Impfgegner, besorgte Bürger die sich um die Grundrechte sorgen? Ein Gespräch mit der Rechtsextremismus-Expertin Birgit Mair…
haGalil: Frau Mair, seit nun fast zwanzig Jahren beschäftigen Sie sich mit der rechten Szene, von den Altnazis, über Pegida, bis hin zu den Identitären. Nun gibt es eine neue Entwicklung: Neonazis, Rassisten, Verschwörungsphantasten rufen zum völkischen Widerstand gegen die „Corona-Diktatur“ auf. Sind diese Demonstrationen ein deutsches Phänomen?
Birgit Mair: Soweit ich das beurteilen kann, in dieser Masse – wie in den letzten Wochen – weitgehend ja. Hierzulande gehen besonders viele Rücksichtlose auf die Straße.
haGalil: Wie erklären Sie sich das?
Birgit Mair: Im Moment habe ich dafür noch keine plausible Erklärung.
haGalil: Diese Demos ziehen Menschen an, die ganz unterschiedliche Motive haben und aus verschiedenen sozialen Gruppen stammen? Wer läuft da alles mit?
Birgit Mair: Ich habe natürlich vor allem die Szene in Nürnberg im Blick, da ich hier lebe und aufgrund der momentanen Situation auch nicht zum Beobachten in entferntere Städte reisen möchte. Hier in der ehemaligen NSDAP-Hochburg beteiligten sich rasch stadtbekannte Neonazis und Holocaust-Leugner bis hin zu AfD-Funktionären und ehemaligen Pegida-Aktivisten, also so ziemlich das ganze extrem rechte Spektrum. Deren Motive sind klar: Gegen demokratische und rechtsstaatliche Strukturen hetzen und für eine völkische Gesellschaft werben. Daneben sieht man meditierende Esoteriker mit Aluhüten und selbst gebastelten „Querdenkerbommeln“ auf mitgebrachten Yogadecken, Impfgegner und Leute, die politisch noch nicht groß in Erscheinung getreten sind und vielleicht auch nur empört sind. Auch ein Teil der Esoteriker scheint mir deutlich rechts ausgerichtet zu sein. Die Analyse dauert noch an. Und ja, natürlich sind auch besorgte Bürger mit dabei, die unter den derzeitigen gesetzlichen Einschränkungen leiden. Aber die müssen sich dafür kritisieren lassen, mit wem sie da unterwegs sind.
haGalil: Bildet sich da eine Querfront, verbinden sich Menschen aus dem politisch rechten und linken Spektrum?
Birgit Mair: Nein, davon kann man definitiv nicht sprechen. Und ein Andrej Hunko (Vize-Fraktionsvorsitzender der „Linken“ im Bundestag, der sich an einer „Corona-Demonstration“ beteiligte) macht noch lange keine Querfront. Wobei sich natürlich die Frage stellt: Was genau ist Querfront? Historisch waren das doch meist rechte Gruppierungen und Kreise, die versucht haben, Linke in das andere Lager zu ziehen. Bei den „Corona-Rebellen“ dominieren die Rechten insofern, als sie kräftig mitorganisieren, mobilisieren und die Inhalte deutlich mitbestimmen. Dezidiert linke Gruppen rufen nicht auf. Im Gegenteil: Die mir bekannten Linken kritisieren die Inhalte dieser Bewegung und fangen allmählich an, auf der Straße dagegen anzutreten, obschon das unter den Bedingungen einer Pandemie sehr schwierig ist (Hygienevorschriften, Verantwortung für andere usw.).
haGalil: Aufgrund der momentanen Situation bieten Sie auch Online-Seminare an. Wurden die schon mal von Rechten gehackt? Stichpunkt Zoom.
Birgit Mair: Ja, seit der „Corona-Krise“ veranstalte ich Web-Seminare zu Verschwörungstheorien um Covid-19 für verschiedene Bildungsträger. Natürlich ist das ein gefundenes Fressen für die Rechten, die versuchen, die Seminare aufzumischen. Unlängst schlichen sich zwei nicht angemeldete Damen ins Online-Seminar ein. Im Anschluss wurden Teile meines Handouts, das mit Copyright versehen war, auf einer rechten Internetseite „geleakt“.
haGalil: In Nürnberg wurde ein ehemaliger NPD-Funktionär gesichtet, der ein T-Shirt mit einem Zitat von Henry David Thoreau trug. Thoreau, ein Mann, der sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte, der den gewaltlosen Widerstand propagierte, ein rebellischer Freigeist…
Birgit Mair: Ja, die Rechten versuchen auch linke, freiheitliche Begriffe und Symbole zu kapern. Bei dem ehemaligen NPD-Funktionär handelt es sich um Frank Auterhoff, einem Neonazi, der vergangenes Jahr in Nürnberg bei einem Fackelmarsch auf der Zeppelintribüne des ehemaligen NSDAP-Reichsparteitagsgeländes beteiligt war. Er betreibt eine schlecht gemachte, rechte Internet-TV-Plattform. Bei den „Corona-Rebellen“ ist er jetzt ganz vorne dabei.
haGalil: Auf einer Demonstration ruft ein Teilnehmer „Nie wieder Faschismus“ und vergleicht damit den „lockdown“ mit dem NS-Regime.
Birgit Mair: Das Vergleichen der durch die „Corona-Krise“ entstandenen Situation mit der NS-Diktatur zieht sich leider wie ein roter Faden durch die Bewegung der „Corona-Rebellen“. Die einen tragen „Judensterne“ mit Aufschriften wie „Impfgegner“, die anderen schwadronieren von „Gleichschaltung“ der Medien und sprechen in Bezug auf die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie von einem „Ermächtigungsgesetz“. Dass damit die NS-Verbrechen zutiefst relativiert und verharmlost werden, kommt in den Köpfen dieser Leute glaube ich nicht an. Im Gegenteil: Es gibt sogar welche, die meinen, sie täten jetzt etwas gegen den „Faschismus“, wenn sie auf die Straße gehen.
haGalil: Ist es typisch, dass linke Aussagen und Symbole von den Rechten übernommen und neu besetzt werden?
Birgit Mair: Auch hier ist wieder die historische Perspektive interessant: Sowohl die italienischen Faschisten als auch die frühe NSDAP, um nur zwei Beispiele zu nennen, bedienten sich oberflächlicher Klassenkampfrhetorik. In den letzten Jahren gab es zum Beispiel Phänomene wie „Autonome Nationalisten“ oder „Identitäre“, die vom Äußeren und von ihren Agitationsformen her manche linke Moden kopierten, aber ohne die entsprechenden linken Inhalte.
haGalil: Auf diesen Demonstrationen werden ja auch vermehrt antisemitische Stereotype vorgetragen.
Birgit Mair: Es ist wirklich widerlich, zu beobachten, wie der Antisemitismus innerhalb der selbst ernannten „Corona-Rebellen“ offen auf die Straße getragen wird. Die antisemitische QAnon-Bewegung gewinnt gerade enorm an Zulauf, mittelalterliche antijüdische Ritualmordlegenden sind wieder populär. Auf einschlägigen Seiten sieht man beispielsweise ein Bild, auf dem zu sehen ist, wie ein Baby auf einen mit Davidstern versehenen Opferstock liegt und offensichtlich geschlachtet werden soll. Leute, die so etwas posten, laufen nicht nur hier in Nürnberg bei den „Corona-Rebellen“ mit.
haGalil: Es gibt auch auf den entsprechende Seiten in den Netzwerken die Behauptung, die Israelis haben das Virus erfunden, um nun der Welt den Impfstoff zu verkaufen.
Birgit Mair: Klar: Der Impfstoff, den es noch gar nicht gibt, soll von Juden schon mal verkauft werden. Was soll ich sagen: Mit Logik kann man Verschwörungs-Irren nicht kommen. Da fehlen bei manchen ein paar Synapsen. Viele glauben, was ihnen die diversen Echokammern im Internet präsentieren.
haGalil: Wie erklären Sie sich, dass Bill Gates so im Mittelpunkt des Hasses steht? Er engagiert sich in der WHO, unterstützt medizinische Hilfsprogramme für die Dritten Welt usw. ...
Birgit Mair: Die Rechten brauchen offensichtlich immer einen persönlichen Sündenbock, um Krisen bewältigen zu können. Mit der völlig schwachsinnigen „Kritik“ an Gates, den sie als Mann sehen, der hinter einer weltweiten „Impfdiktatur“ stehen soll, schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens hat man damit so eine Art primitive „Kapitalismuskritik“ fabriziert („böser Reicher“) und zweitens macht man das so, dass es für Antisemiten anschlussfähig ist, indem man dann noch Rockefeller und Soros addiert.
haGalil: Der Web-Videoproduzent Ken Jebsen verknüpft krude Weltverschwörungsphantasien mit teilweise linken Positionen…
Birgit Mair: Ja, Ken Jebsen hat mit seiner Internetplattform „KenFM“ in der „Corona-Krise“ leider viele neue Zuschauerinnen und Zuschauer gewinnen können. Die von ihm gelieferte inhaltliche Mischung ist keineswegs links, schon alleine deshalb nicht, weil er ständig aktuelle Ereignisse mit dem Nationalsozialismus vergleicht bis gleichsetzt und entsprechende Begriffe benutzt („Der Mundschutz ist das neue Hakenkreuz“). Jebsen bedient sich zwar geschickt linker Themen, macht das aber so, dass es auch für viele Rechte anschlussfähig ist, also sehr oberflächlich, mit nationalistischem Touch.
Die Diplom-Sozialwirtin (Univ.) Birgit Mair ist Mitbegründerin des Nürnberger Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung e.V. (www.isfbb.de). Sie verfasste mehrere Publikationen zum Thema Neonazismus und Rassismus. Mair ist in der Jugend und Erwachsenbildung tätig und führte in den letzten Jahren hunderte von Zeitzeugengesprächen mit Überlebenden des Holocaust an bayerischen Schulen durch. Sie konzipierte Exhibitionen zum Thema ‚“Rechtsradikalismus“ – zuletzt die Wanderausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ – die bundesweit mehr als zweihundert Mal präsentiert wurde und ist als Bildungsreferentin tätig. – (jgt) 2018 drehte die Medienwerkstatt Franken ein Portrait über Birgit Mair und ihre Arbeit.
Alle Fotos: Demonstration am 9. Mai 2020 in Nürnberg © www.isfbb.de