Bisschen Corona aus Israel

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12758 Infizierte (1474/Mio.), 143 Tote (16/Mio.), 137 Intensivpatienten am Beatmungsgerät…

Von Oliver Vrankovic

Zur Zeit geistert durch die deutschen Medien ganz unhinterfragt ein Ranking der Deep Knowledge Group, nach dem Israel und Deutschland Corona am Besten meistern. Ausgerechnet in den israelischen Medien ist indes in Erfahrung zu bringen, dass es sich bei DKG um ein mindestens dubioses Institut handelt. Gleichwohl zeigen die Zahlen augenscheinlich auf, dass es in Relation zur Anzahl der Corona Infizierten in Israel und Deutschland relativ wenige Covid-19 Tote zu beklagen gibt.

Die relativ gelungene Eindämmung der Ansteckungen in Israel und die damit verbunden relativ niedrige Anzahl von Intensivpatienten ist dem entschlossenen Verhängen von weitreichenden Restriktionen in einem vergleichsweise frühen Stadium zu verdanken. In Israel darf man sich ohne Grund nur 100 Meter vom Haus wegbewegen, die Märkte sind geschlossen und take away ist untersagt. Der Flugverkehr ist quasi zum Erliegen gekommen.

Jerusalem im Lockdown. Auch der Zugang zur Klagemauer ist nicht möglich. Foto: Marc Neugröschel

Angesichts des von Mangel geprägten Zustands israelischer Krankenhäuser, die sich schon vor Corona desolat präsentiert haben und speziell der Knappheit an Intensivbetten (im OECD Ranking letzter Platz) und Beatmungsgeräten war diese Eindämmung bitter notwendig. Seit Beginn der Krise läuft parallel zur Kontaktsperre, die nach Purim erlassen und immer wieder verschärft wurde, eine große Anstrengung um die jahrelange Misswirtschaft im Gesundheitswesen auszugleichen und alles Notwendige für einen Anstieg der Anzahl der Intensivpatienten zu besorgen.

Angesichts von mehr als einer Million Arbeitsloser, was einer Quote von gut 1/4 entspricht, steht Israel gleichzeitig unter großem Druck, die Restriktionen aufzuweichen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Das Land, dessen Arbeitslosenquote vor Corona bei 1/25 lag, muss eine Balance finden, um eine Gesundheits- und eine Wirtschaftskatastrophe zu verhindern. Die Hoffnung mit breit angelegten Tests eine kontrollierte Öffnung zu ermöglichen, wird derzeit dadurch getrübt, dass nicht nur nicht genügend Tests vorhanden sind, sondern die Anzahl der Tests zwischenzeitlich rückläufig war.

Die Diskussionen über die Öffnung der Schulen und Geschäfte sind im vollem Gange. Viele Firmen sind darauf angewiesen, dass bald wieder mehr als 15% der Angestellten außerhalb des Home Office arbeiten dürfen.

Bevor aber von einer Kontrolle der Krise die Rede sein kann müssen eine Reihe dringender Probleme gelöst werden. Zuvorderst die Ausbreitung des Virus in Altenheimen. Dann ist das Problem der Seuchenherde in den Griff zu bekommen und des Weiteren und z.T. damit zusammenhängend gilt es Zuständigkeiten zu klären und das Politchaos zu beseitigen. Und der zunehmenden Disziplinlosigkeit der Gesamtbevölkerung entgegenzuwirken, um überhaupt einen Ausgangspunkt für die Rücknahme bestimmter Restriktionen zu schaffen.

1/3 der Covid-19 Todesopfer in Israel sind Bewohner von Altenheimen

Als Pflegehelfer in einem Altenheim kann ich aus erster Hand berichten, dass uns Angestellten die Gefahr von Anfang an klar war und wir den Restriktionen mit Selbsteinschränkungen immer einen Schritt zuvorgekommen sind und uns auch heute weniger erlauben, als das Wenige, dass in Israel noch erlaubt ist. Allerdings mussten wir bis vor zwei Wochen auf Masken und bis vor wenigen Tagen auf Schutzkleidung warten, und noch länger darauf, endlich auf Corona getestet zu werden. Zur Zeit warten wir gespannt auf die Ergebnisse.

Rückblickend begannen die Schutzmaßnahmen mit einem sehr früh verhängten Besuchsverbot. Es folgte ein verpflichtendes Fiebermessen für die Angestellten bei Schichtbeginn zu dem sich das Ausfüllen eines Formblatts des Gesundheitsministeriums gesellte. Wir wurden in Gruppen aufgeteilt aus denen sich die Schichten zusammensetzen und die sich gegenseitig nicht mehr begegnen dürfen. Wir wurden angehalten, uns in unserer Freizeit mit niemandem zu treffen und nirgendwo hinzugehen. Der Speisesaal wurde geschlossen und wir bekommen, wie die Bewohner, abgepackte Mahlzeiten. Am wichtigsten aber ist die Einhaltung von Abstand, Abstand zwischen den Bewohnern, den Bewohnern und den Angestellten und zwischen den Angestellten. Wobei der Abstand zwischen den Bewohnern der Pflegestation, wo ich arbeite und dem medizinischen und dem pflegenden Personal selbstredend nicht immer eingehalten werden kann. Für Angestellte und Bewohner des Heims gilt strenge Maskenpflicht. Seit Anfang der Woche kontrolliert die Heimatfront der israelischen Armee, wer ins Heim darf und wer nicht. 

Die Situation bedeutet eine krasse mentale Belastung, da völlig klar ist, dass eine Infektion für viele Bewohner das sichere Todesurteil bedeutet. Alle kulturellen Aktivitäten und die täglich stattfindenden Vorträge sind abgeblasen und als Ausgleich liegen in der Lobby Mandala, Sudoku und Origami aus. Die einzige Gruppenaktivität, die noch stattfindet und deshalb den Mittelpunkt des sozialen Lebens im Heim bedeutet, ist die Turnstunde, die im großen Sommergarten stattfindet, wo die Bewohner und viele der nicht wenigen privaten Betreuerinnen in mehreren Kreisen mit gebührendem Abstand voneinander um die Physiotherapeutin sitzen und die Übungen mitmachen.

Den Lebensabend isoliert von ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln erleben zu müssen, ist für die Bewohner des Heims sehr bedrückend. Ein Teil der Lobby des Heims ist gegen den Vorhof verglast. Zwischen diesem Teil der Lobby, in dem der Fernseher steht, und der Straße, sind Büsche gepflanzt, ein kleiner Weg führt aber direkt an den Scheiben vorbei. Dort finden sich in letzter Zeit öfters Angehörige ein, die ihre Liebsten dann durch das Glas sehen und dabei mit ihnen am Handy reden. Es ist herzzerreißend.

Unsere Chefs wenden sich von Zeit zu Zeit wie in einer türkischen Soap an uns, um uns für unsere gesegnete Arbeit zu danken. Gleichzeitig wurden uns unsere Nebenjobs untersagt, was bei vielen zu finanziellen Engpässen führt.

Dass ich meinen Kolleginnen aus meiner Gruppe während der Arbeit nicht zu nahe kommen darf, ist eine eigene Herausforderung, da wir schon vor der Corona Krise eine Schicksalsgemeinschaft waren, die sich oft durch Zuwendung und Umarmungen gegenseitig bestärkt hat.

Mit Jiddisch gegen Corona

Aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gesundheits- und Verteidigungsministerium verzögerte sich der Einsatz der Heimatfront, die auf die Handhabung von Katastrophen spezialisiert ist, bei der Seuchenbekämpfung. Ein großer Fehler.

Wenige Tage vor Pessach begann die Heimatfront eine komplexe Operation in der ultraorthodoxen Stadt Bnei Brak, für die sie Unterstützung von zwei Brigaden einer Fallschirmjägerdivision erhielt. Mehr als 2000 Corona Infizierte (1/91!) wohnen in Bnei Brak (1/6 der Corona Infizierten in Israel) und nach düsteren Voraussagen wird sich diese Zahl noch vervielfachen. Die Heimatfront koordiniert die Versorgung der Isolierten, Alten und Bedürftigen in Bnei Brak, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. In Vorbereitung auf ihre Mission wurde den Fallschirmjägern ein kleines Wörterbuch Hebräisch-Jiddisch ausgeteilt. Für die Durchsetzung der Abriegelung und die Durchsetzung der Ausbringung von Infizierten, wenn diese auf Widerstand trifft, ist die Polizei zuständig.

Neben Bnei Brak ist Jerusalem die am Stadt, die von Corona am härtesten getroffen ist, wobei ¾ der mehr als 2000 Infizierten in den ultraorthodoxen Vierteln wohnen. Wie Bnei Brak wurden inzwischen auch diese Viertel abgeriegelt. Neben Bnei Brak und Jerusalem sind auch weitere ultraorthodoxe Städte wie Beit Shemesh, Modi’in Elit und El’Ad Infektionsherde.

Auch wenn ich im Amidar Viertel in Ramat Gan an der Grenze zu Bnei Brak wohne, Busse durch die Stadt nehme und bei meiner früheren Arbeit im medizinischen Zentrum Reuth ultraorthodoxe Patienten hatte, blieb mir die ultraorthodoxe Parallelgesellschaft immer fremd. Sie zu verstehen hat mich nie groß nicht interessiert. Obwohl ein größerer Teil meiner Abgaben zur Subventionierung der Infrastruktur ihrer Parallelgesellschaft verwendet wird und natürlich weil ich ihnen zu verdanken habe, am Schabbat keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen zu können.

Haredim (Gottesfürchtige), wie die Ultraorthodoxen in Israel genannt werden, sind in verschiedene Strömungen und Sekten geteilt und eine Mehrheit wurde schon früh von den ihnen jeweils vorstehenden Rabbinern aufgefordert, der Kontaktsperre Folge zu leisten. Die Rabbiner sind die einzigen akzeptierten Autoritäten in einer Community, die sich als Ganzes durch extrem schlechte Allgemeinbildung (speziell Wissenschaft) und extreme Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft und deren Medien auszeichnet. Nach ihrer festen Überzeugung steht das Studium der Tora über allen anderen Verpflichtungen. Was sonst bedeutet, nicht zur Armee zu gehen, um Tora zu lernen, hat manche Strömungen und Sekten, wie die Eda Haredi, die Jerusalem Fraktion oder Gur, dazu gebracht, ihre Schulen trotz Verbot zu öffnen und an nicht erlaubten Zusammenkünften festzuhalten.

Zwei Wochen nach Purim bekam Israel mit einem sprunghaften Anstieg der Anzahl der Infizierten gerade bei den Gottesfürchtigen die Quittung dafür, mit den Restriktionen (auch auf Anraten des ultraorthodoxen Gesundheitsministers, der der Gur Sekte angehört!) bis nach dem Fest gewartet zu haben und sich danach lange blind gegenüber den Haredi gezeigt zu haben, denen die verhängten Einschränkungen zu großen Teilen so egal waren, wie ihnen die staatlichen Regelungen des Zusammenlebens auch sonst egal sind.

Erst als von einer Beerdigung mit 400 Trauernden (zu dem Zeitpunkt waren 10 Trauernde bei Beerdigungen erlaubt) unter den Augen der Polizei berichtet wurde und bekannt wurde, dass die Infektionsrate von Bnei Brak ein mehrfaches über der von Tel Aviv liegt und rasant zunimmt, hat Rabbi Kanievski, einer der einflussreichsten Rabbiner der ultraorthodoxen Welt, verfügt, sich an die Vorgaben des social distancing zu halten. Kanievsky, der, nach Berichten von Vertrauten, im Februar in Kontakt mit dem Messias stand, hatte bis dato die Weiterführung des Studiums der Tora eingefordert. In Bnei Brak tauchten Plakate auf, die Corona als Strafe für unzüchtig gekleidete Frauen auswies. Kanievsky veranstaltete in seiner Wohnung weiter Gebetszusammenkünfte.

Gräben in der Gesellschaft

Das öffentliche Benennen des Problems ist in Israel schwierig. Als die Journalistin Rina Mazliach es wagte, öffentlich zu fordern, dass die Ultraorthodoxen sich wie alle anderen an die staatlichen Regelungen des Zusammenlebens halten sollen, wurden umgehend Stimmen laut, sie zu entlassen.

Der Bürgermeister von Ramat Gan hat, in Übertretung seiner Kompetenz, an kaum kontrollierten Übergangsmöglichkeiten zwischen Ramat Gan und Bnei Brak Zäune errichten lassen und wurde dafür als Nazi beschimpft. Der Gesundheitsminister, der sich bei einer nicht genehmigten Gebetsversammlung mit Corona angesteckt hat und seither Home Office macht, wofür er erst einen Computer nach Hause bekommen und ans Internet angeschlossen werde musste (!), zeigte sich in seiner ersten Wortmeldung seit seiner Erkrankung entsetzt über den Bürgermeister von Ramat Gan.

Ultraorthodoxe werden am Betreten der Altstadt in Jerusalem gehindert, Foto: Marc Neugröschel

In der Gesellschaft aber grummelt es gewaltig, wie mir der Journalist Eno Raschke in den Minuten vor dem Pessach Lockdown für meine Facebook Reihe “Bisschen Corona aus Israel” beschrieb:

“Viele Israelis werden in diesem Jahr das erste Mal in ihrem Leben allein oder zu zweit am festlich gedeckten Tisch sitzen. Wenn sie technisch ausreichend versiert sind, dann hat man die Familie vielleicht virtuell zu Gast. Wer einmal die ausgelassene Stimmung am Pessachtisch erlebt hat, der weiß, wie schwer sich viele Israelis mit der Lage gerade heute tun und wie wenig die virtuelle Komponente hilft.
Die Krise hat auch die Gräben zwischen den unterschiedlichen Segmenten der israelischen Gesellschaft vergrößert. Zwischen den Ultraorthodoxen und dem Rest der Israelis schwelte der Konflikt schon länger. Bereits vor Corona war dieses Thema für viele Menschen wichtiger als Gaza und Westbank, Palästinenser und alle anderen politischen Herausforderungen. Israel ist eine zutiefst ungleiche Gesellschaft und viele im Land leben finanziell an der Kante zu „geht nicht mehr.“ Die steuerfinanzierten Transferleistungen für die rapide anwachsende Zahl der Haredim sind vielen ebenso ein Dorn im Auge wie deren Verweigerungshaltung, wenn es um staatsbürgerliche Pflichten wie den Wehrdienst geht.
Seit Corona den Alltag bestimmt, hat sich der Konflikt nochmal verstärkt. Denn während viele arbeitende Israelis entlassen wurden oder in den unbezahlten Urlaub geschickt wurden, zuhause mit der Isolation und den meuternden Kindern kämpften und nicht wussten, wie sie im nächsten Monat die Miete oder die Rate für ihre Eigentumswohnung leisten sollten, machten Bilder die Runde, die Massen von Haredim bei Hochzeiten, Beerdigungen und anderen Gelegenheiten zeigten. Die Krone setzte dem ganzen der vor allem durch störrische Blockadepolitik auffallende Gesundheitsminister auf, der an Corona erkrankte, weil er sich selbst nicht an die auf seinen Druck hin abgeschwächten Vorgaben hielt.
Da half es nichts, dass besonnene Stimmen daran erinnerten, dass Teile des religiösen Sektors sich durchaus an die Auflagen hielten. Der arbeitslose Israeli mit Existenzsorgen sitzt gelangweilt daheim, sieht die explodierenden Fallzahlen, den Unwillen, vom Gebet in der Synagoge abzulassen und Angriffe auf Stadtangestellte, die zum Corona-Testen anrücken. Er sieht, dass die Ausbreitung vor allem wegen des religiösen Sektors fortschreitet. Und er fühlt, dass eben wegen dieser Ausbreitung die Restriktionen aufrechterhalten werden, was ihn sein Einkommen und vielleicht sogar seine finanzielle Existenz kosten könnte. Die Wut, die sich da in vielen Menschen aufbaut, wird voraussichtlich langfristige politische Folgen haben.”

Blank liegende Nerven

In meinem Viertel, dessen Bevölkerung zum größten Teil orientalischer und nordafrikanischer Herkunft, traditionell und Familienverbunden ist und das sich im ganzen Land als Hochburg der Unterwelt einen Namen gemacht hat, zeigen sich einerseits die Grenzen der Durchsetzung staatlicher Verordnungen auf und andererseits Einsicht in einer angepassten Form.

Hinsichtlich mancher Parameter wie blank liegender Nerven und hoher Gewaltbereitschaft gepaart mit patriarchischen Ansichten ist mein Viertel mit weiten Teilen des Landes vergleichbar.

Bei uns läuft das soziale Leben sonst in Gruppen ab, in denen sich Ledige, Geschiedene und unglücklich Verheiratete zusammenfinden. Die Folgen der Ausgehrestriktionen sind ein vermehrtes Zusammensein von Partnern, die sonst mehr nebeneinander als miteinander leben. Man hört Abends mehr lautstarke Auseinandersetzungen als sonst und der Nachbarschaftsfunk berichtet von damit zusammenhängenden Eskalationen. Im Viertel hat es schon vor Corona oft geknallt und der Überdruck, der dieser Tagen und Wochen entsteht, ist beängstigend. Vor allem in Kombination mit dem Wegbrechen von Einkünften. Wenn noch der Nachschub an Gras irgendwann ins Stocken gerät wird es richtig heftig werden. Die Erwachsenen, die sonst am Abend zusammensaßen, haben sich in kleinere und strenger definierte Gruppen aufgeteilt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute tatsächlich nicht mehr zusammensitzen am Abend, würde ich irgendwo bei Null ansetzen.
Kleine Gruppen von Jugendlichem am Abend und große Gruppen kleiner Kinder am Tag sind keine Seltenheit mehr. Und die Religiösen im Viertel kommen in den engen Gassen zusammen, um zu beten ohne erwischt zu werden.

Und doch wäre alles noch schlimmer, wenn Kanal 2 nicht die Erwachsenenbetreuung übernommen hätte mit Israel kocht am Mittag mit den israelischen Starköchen und v.a. den Konzerten am Abend, bei denen dann doch soviel Hafla Stimmung aufkommt, dass der ärgste Koller verfliegt.

An Pessach wurde eine komplette Ausgangssperre verhängt, um Familienzusammenkünfte zu vermeiden und in verschiedenen Ecken des Landes wurde über die Balkone hinweg zusammen gesungen. Auf Kanal 2 wurde in einer nicht endenden Schalte zwischen unzähligen Häusern von Prominenten die Hagadah gelesen und Lieder gesungen. Von Rivlin über Netanyahu und Gantz bis Lapid und Shaked und von Herzog über Ori Sasson, Bar Rafaeli bis Sarit Haddad, Nasrin Adri, Moshe Peretz und Eyal Golan. Alle Promis feierten den Seder Abend augenscheinlich entsprechend der Vorgaben des Gesundheitsministers. Fast alle. Die Ausnahme machte Netanyahu, der, obwohl in Quarantäne, einen Meter entfernt von seinem Sohn Avner saß, der nicht mit ihm wohnt. Und nach Pessach dann die Schock-Nachricht, dass der Großvater der Nation, Präsident Rubi Rivlin, sich ebenfalls nicht an die Vorgaben gehalten und mit seiner Enkelin gefeiert hat.

Die Einschwörung der Bevölkerung auf die Aufrechterhaltung der Restriktionen fällt nicht nur wegen den schlechten persönlichen Beispielen der höchsten Staatsmänner zunehmend schwerer. Die Möglichkeiten, über die Medien an die Menschen zu appellieren und ihnen das Zuhause bleiben zu erleichtern scheinen ausgereizt und das gute Wetter tut sein Übriges.

Solidarität in der Krise

Positiv zu vermerken in der Krise ist die Aktivierung der Solidargemeinschaft an vielen Orten des Landes, wo das social distancing ernster genommen wird als in Amidar. So berichten Martin aus dem Kibbuz Magen und Zsusi aus dem Kibbuz Menachem von einer fantastischen Hilfsbereitschaft der jüngeren Mitglieder der Kollektivsiedlung, die sich um die Versorgung der älteren Mitglieder kümmern und ihnen in der schweren Zeit der Trennung Linderung verschaffen.

Aleksandr aus Jerusalem schreibt: “Ich geriet zufällig per Facebook an eine Gruppe, die Essenskisten an ältere Menschen ausfährt, die Stadtverwaltung stellt die Kisten zusammen und Freiwillige, fahren diese aus. Aufgrund meiner Kenntnisse des Russischen, wurde ich in die russischsprachige Gruppe eingeteilt und seit dem letzten Freitag fahre ich die Essenskisten aus. Dabei kommt man mit verschiedenen Menschen in Berührung, auf sichere Distanz versteht sich. Die Menschen, die die Pakete empfangen sind, meistens sehr erfreut über die Pakete, einige sogar positiv überrascht, weil sie diese Geste der Stadt und der Freiwilligen nicht erwartet haben. Aber alle nehmen die Pakete erfreut entgegen und sind froh, dass sie jemanden haben, der helfen kann, da vor allem ältere Menschen und andere Menschen, die zu der gefährdeten Gruppe zählen, die Wohnungen in Israel nicht verlassen dürfen.”

Zum Ende von Pessach und zum Maimouna Fest wurde wieder eine komplette Ausgangssperre erlassen. Bei dem in den letzten Jahren immer populärer gewordenen Maimouna Fest ist es üblich, sich zu Dutzenden in den Häusern algerischer und marokkanischer Juden einzufinden. Dies wurde am Abend des Festes so unterbunden, wie der traditionelle Sturm auf die Bäckereien nach Ende der Pessach Woche.

Und um die Ecke schauen weitere Feiern, die Anlass zur Sorge vor einer Verbreitung des Virus wie an Purim, geben. Der Gedenktag an die Gefallenen der Kriege, an denen die Israelis auf die Friedhöfe gehen und der Unabhängigkeitstag, der sonst das ganze Land auf den Straßen und in den Parks sieht und natürlich auch Ramadan. Konnte der Minister für innere Sicherheit Erdan vor wenigen Tagen noch bestätigen, dass im arabischen Sektor Schulen und Moscheen entsprechend der Vorgaben geschlossen wurden und es keine erhöhten Infektionszahlen in den arabischen Gemeinden gibt, scheint sich inzwischen eine neue Realität einzustellen, die eine Ausbreitung des Virus in mehreren arabischen Orten im Norden des Landes sieht. Wahrscheinlich werden arabische Orte wie Dir-Al-Asad bald eine Abriegelung sehen wie Bnei Brak.

Auch wenn vom gemeinsamen „Krieg“ gegen Corona gesprochen wird ist dies nicht vergleichbar mit Krieg. Weder ist absehbar, wann der „Krieg“ vorbei ist, noch gibt es die Gewissheit überlegen zu sein und zu gewinnen.