Rafi Peretz sorgt mit seinen homophoben Äußerungen derzeit für heftige Empörung in Israel. Es ist nicht das erste Mal, dass der amtierende Bildungsminister durch abfällige Kommentare Negativschlagzeilen produziert…
Von Ralf Balke
Eigentlich sollte es seine Aufgabe sein, das marode Schulsystem in Israel auf Vordermann zu bringen – schließlich führten die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie erst vor wenigen Wochen allen vor Augen, dass im internationalen Vergleich israelische Schüler überdurchschnittlich schlecht abschneiden. Zwar hatte sich auch der amtierende Bildungsminister Rafi Peretz äußerst besorgt gezeigt und gelobt, sofort Maßnahmen einzuleiten, damit die gravierenden Missstände beseitigt werden können. Doch das war es dann auch schon wieder. Denn der 64-jährige Rabbiner und ehemalige Oberrabbiner der Streitkräfte ist zurzeit mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Als führender Kopf der nationalreligiösen Partei HaBeit HaYehudi, die als Teil der im September in die Knesset eingezogenen und im Oktober wieder aufgelösten Rechtsaußen-Liste Yamina derzeit zwei Abgeordnete stellt, liegt ihm so kurz vor den Wahlen die eigene politische Zukunft etwas näher am Herzen als die lästigen Probleme von Schülern oder Lehrern. Vor allem die Fragen, mit welchen anderen Gruppierungen Peretz ein neues Parteienbündnis eingehen sollte und wer ihm dabei im Weg sein könnte, dürften für ihn ganz oben auf der Agenda stehen.
Um bei seinem Klientel weiterhin ordentlich punkten zu können, braucht Peretz Medienwirbel um seine Person. Und den produziert er stets reichlich und unbedacht. So antwortete er am Freitag auf die Frage eines Journalisten der Tageszeitung Yedioth Aharonoth, wie er denn darauf reagieren würde, wenn eines seiner zwölf Kinder sich als homosexuell outen würde. „Gott sei Dank sind alle meine Kinder natürlich und gesund aufgewachsen. Sie gründen Familien, die auf jüdischen Werten basieren.“ Und weiter: „In der religiös geprägten Öffentlichkeit, die nach den Regeln der Torah lebt, besteht eine normale Familie aus einem Mann und einer Frau. Wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir auf ganz natürliche Weise unser Leben führen.“ Es war nicht das erste Mal, dass Peretz homophobe Äußerungen dieser Art von sich gab.
Erst im vergangenen Jahr, unmittelbar nach seiner Ernennung zum Bildungsminister, hatte er davon gesprochen, „dass es möglich sei, Homosexuelle umzupolen“, also durch sogenannte Konversionstherapien quasi zu „heilen“. Damit habe er in der Vergangenheit ganz gute Erfahrungen gemacht. Und auf die Nachfrage, was er denn einem seiner Studenten, der sich ihm anvertraut hatte und von seiner sexuellen Orientierung sprach, geraten hatte, erklärte Peretz: „Erst einmal habe ich ihn umarmt und etwas Nettes gesagt, unter anderem: Lass uns darüber nachdenken, lernen und die Sache gemeinsam angehen. Am wichtigsten sei es für ihn, sich selbst besser zu kennen. Ich gebe ihm die entsprechenden Informationen und er soll sich dann entscheiden.“ Auch schon damals hagelte es heftigste Kritik. Denn die Konversionstherapien, von denen er sprach, sind äußerst umstritten. Ihr Ansatz, Homosexualität als psychische Störung oder gar Krankheit zu begreifen, die geheilt werden könnte, ist nicht nur wissenschaftlicher Humbug, sondern mitunter sehr problematisch für die Personen, die sich einer solchen Behandlung unterziehen. Der dabei aufgebaute Druck führt oft zu Suiziden, so dass unter anderem in Deutschland seit längerem über ein gesetzliches Verbot dieser Konversionstherapien diskutiert wird. Israels Psychiater-Vereinigung schlug ebenfalls sofort Alarm und betonte in einem Statement, dass es sich dabei um einen hochgefährlichen Schwachsinn handelt.
Auch nach den jüngsten Äußerungen von Peretz hagelte es Kritik. Der offen schwul lebende Justizminister Amir Ohana vom Likud bezeichnete die Weltsicht seines Amtskollegen als „miserabel, finster und falsch“. Seine Worte „basieren nicht auf Wissen oder Fakten, sondern vor allem auf Vorurteilen“. Knesset-Abgeordnete anderer Parteien sollten folgen. Eitan Ginsburg von Blau-Weiß und zuvor erster homosexuelle Bürgermeister einer Stadt in Israel schrieb auf Facebook: „Komm und schau meinen Kindern in ihre Augen, und das vor ihren Freunden und Familien. Komm und sag es ihnen ins Gesicht, dass sie in einer unnatürlichen und ungesunden Umgebung aufwachsen. Komm und sag ihnen, dass die Liebe ihrer Eltern eine geringere ist als die, die Du für Deine Kinder empfindest.“ Auch Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai meldete sich zu Wort und sagte, dass „Peretz wohl glaube, einen himmlischen Stempel zu besitzen, der ihm das Recht gäbe, darüber zu entscheiden, was natürlich und was normativ sei“. Huldai und die Stadtoberhäupter von Givatayim und Herzliya gingen sogar noch einen Schritt weiter und gaben an alle Schulen in ihrem Einzugsbereich die Direktive aus, dass man sich einer Extra-Unterrichtseinheit spontan mit den Themen Toleranz und LGBT beschäftigen sollte.
Doch nicht nur über Homosexuelle hat der Bildungsminister eine explizite Meinung. Auch zu Mischehen unter amerikanischen Juden musste er sich ungefragt äußern. So bezeichnete er während einer Kabinettssitzung, an der unter anderem Dennis Ross, Vorstandsvorsitzender des Jewish People Policy Institute teilnahm, die Assimilation von Juden in den Vereinigten Staaten als einen „zweiten Holocaust“ und behauptete, dass das jüdische Volk durch Mischehen „sechs Millionen Menschen verloren“ hätte. Wie er auf diese Zahlen kam, blieb sein Geheimnis. Und ein Ausrutscher war es wohl keinesfalls, weil auf Nachfrage der Pressesprecher von Peretz dieses alles im Nachhinein noch einmal bestätigte. Nicht nur jüdische Organisationen in den Vereinigten Staaten zeigten sich irritiert. „Es ist ungeheuerlich, den Begriff ‚Holocaust‘ zu verwenden, um Juden zu beschreiben, die sich dafür entscheiden, Nichtjuden zu heiraten“, hieß es beispielsweise von Jonathan Greenblatt, Vorsitzender der Anti-Defamation Legue (ADL). Auch Energieminister Yuval Steinitz vom Likud war entsetzt. „Erst einmal sollten wir damit aufhören, Juden in Amerika zu diskreditieren und auf jene despektierlich herabzublicken, die sich nicht nur religiös, sondern auch kulturell und historisch als Juden verstehen.“
Bemerkenswert sind übrigens die nahezu zärtlichen Worte, die Peretz am Freitag in dem selben Interview für seinen zukünftigen Listenpartner Itamar Ben Gvir fand. Denn nun ist bekannt, dass seine Partei HaBeit HaYehudi und die Rechtsextremen von Otzma Yehudit eine Allianz eingehen, um am 2. März mehr Wählerstimmen auf sich vereinen zu können und nicht an der 3,25-Prozenthürde Schiffbruch zu erleiden. Deren Chef, den Rechtsanwalt Itamar Ben Gvir, bezeichnete Peretz dabei als „eine sehr sanfte Persönlichkeit, ganz entspannt, menschlich und immer rücksichtsvoll.“ Längst hätte sich dieser von seinen kahanistischen Idealen verabschiedet. Genau das klingt reichlich realitätsfern. Itamar Ben Gvir ist weiterhin der Rechtsberater von Lehava, einer radikalen Gruppe von Gegnern jeglicher Kontakte mit Nichtjuden, die gerne schon mal Hochzeiten von Israelis mit nichtjüdischen Partner sprengen und gewalttätig gegenüber ihnen unliebsamen Personen auftreten. Als beispielsweise der Inlandsgeheimdienst Shin Bet im Januar 2019 fünf Teenager verhaftete, weil diese im Oktober zuvor ein arabisches Fahrzeug mit Steinen beworfen hatten, wobei eine 47-jährige Mutter von acht Kindern getötet wurde, war Itamar Ben Gvir sofort zur Stelle, um ihnen juristisch beiseite zu stehen. Dafür verletzt der tiefreligiöse Rechtsanwalt auch schon mal den Schabbat.
Und weil gerade zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten Wahlkampf in Israel herrscht, haben die Skandale rund um die Person Rafi Peretz eine politische Dimension. Denn offensichtlich hat er es verbockt, eine gemeinsame Plattform aller Parteien rechts vom Likud zu zimmern, was Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gar nicht gefallen dürfte. Dabei waren weniger die homophoben Äußerungen das Problem, als vielmehr die offensichtliche Unfähigkeit des Bildungsministers sowie die Eitelkeiten aller Beteiligten. „Es ist längst bekannt, dass er nicht weiß, wie man sich in einem Interview richtig benimmt“, so eine anonym gebliebene Stimme aus dem politischen Umfeld von Peretz gegenüber der Presse. „Alle wussten von seinen Meinungen zum Thema Homosexualität bereits im September und haben ihn trotzdem gewählt.“ Dennoch richtete Peretz damit Schaden an. Erst das Zusammengehen mit den Kahanisten von Otzma Yehudit, dann der Wirbel um seine homophoben Äußerungen, all das war dann Naftali Bennet und Ayelet Shaked von der Partei Neue Rechte dann doch zu viel. Sie ließen am Montag die Verhandlungen über eine gemeinsame Plattform aller Rechtsparteien im Hause von Rabbi Chaim Druckman platzen. „Wir haben eine wichtige Nachricht an alle religiösen Zionisten und rechtsliberale Wähler“, verkündeten beide in einem Statement. „Die Neue Rechte wird alleine antreten. Wir sind die Rechten, die alle vereinen werden.“ Vor allem Bennet glaubt, derzeit von seinem Image als Verteidigungsminister profitieren zu können, weshalb ihm die Nähe zu Rechtsaußenpolitikern wie Itamar Ben Gvir oder Homophoben vom Schlage eines Rafi Peretz eher schaden als nutzen würde.
Aber auch seinem Partner Bezalel Smotrich von der rechtszionistischen und religiösen Tekuma-Partei, mit der er nach den Wahlen im September die Listenverbindung Nationale Union eingegangen war, ist Peretz gewaltig auf den Schlips getreten, in dem er ihn über die Verhandlungen mit Otzma Yehudit nicht richtig auf dem Laufenden gehalten hatte. Auch gab es Streit zwischen beiden darüber, wer nun eine gemeinsame Liste anführen sollte. Smotrich macht jetzt lieber gemeinsame Sache mit Bennet und Shaked. Aber auch die Aussicht, auf Platz drei hinter Bennet und Shaked auf einer Liste zu stehen, war für den amtierenden Transportminister wohl ausschlaggebend.
Was aber viel entscheidender ist: Die Parteien rechts vom Likud gehen am 2. März gespalten mit zwei Listen ins Rennen. Anders dagegen die Gruppierungen links von der zentristischen Blau-Weiß-Partei. Sowohl Arbeitspartei-Gesher als auch die Demokratische Union, bestehend aus linkszionistischen Traditionspartei Meretz, der von Ex-Ministerpräsident Ehud Barak im Sommer gegründeten Partei Demokratisches Israel sowie der abtrünnigen Arbeitspartei-Abgeordneten Stav Shaffir, haben sich nun alle zusammengerauft und eine gemeinsame Liste ins Leben gerufen. Auch das ist keine Liebesheirat, weil außer der Arbeitspartei alle anderen wohl an der 2,35-Prozenthürde scheitern würden. Und ob damit Mehrheiten jenseits des Likud zustande kommen werden, weiß man erst nach dem 2. März.
Bild oben: Diese Schule in Tel Aviv hat als Reaktion auf Rafi Peretz am Sonntag die Regenbogenflagge ans Schultor gehängt, (c) haGalil