Countdown für den Koalitions-Poker

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Wird es in Israel eine Minderheiten-Regierung geben oder schafft es Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, eine breite Koalition auf die Beine zu stellen? Diese Frage muss in den kommenden Tagen beantwortet werden…

Von Ralf Balke

Die Zeit läuft! Bis zum 28. Mai muss Benjamin Netanyahu Israels Staatspräsidenten Reuven Rivlin seine neue Mannschaft präsentieren können – so jedenfalls sieht es das Gesetz vor. Dieses besagt, dass die von ihm mit der Bildung einer Regierung ausgewählte Person dafür eine Frist von genau 28 Tagen hat. Falls es in dieser Zeit eng werden sollte, besteht die einmalige Option, eine Verlängerung von weiteren 14 Tagen zu gewähren. Genau diese zwei Wochen hat Netanyahu bereits in Anspruch genommen. Doch bis dato hat der alte und aller Wahrscheinlichkeit auch neue Ministerpräsident einige handfeste Probleme, eine funktionierende Koalition zusammenzuzimmern.  Im Gespräch ist ein Bündnis aus den beiden orthodoxen Parteien Shass und Vereinigtes Torah Judentum, die zentristische und wirtschaftsliberalen Gruppierung Kulanu, die Vereinte Rechte sowie  Netanyahus eigener Hausmacht, dem Likud, und der nationalistischen Israel Beitenu von Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Auf diese Weise würde eine Sechs-Parteien-Koalition entstehen, die dann eine Mehrheit von 65 der 120 Knesset-Abgeordneten auf sich vereinen kann.

Doch ganz so einfach funktioniert das Ganze nicht. Denn Zünglein in der Waage ist derzeit Lieberman, dessen „Ja“ zu dieser Vielehe zwischen doch recht unterschiedlichen Partnern noch aussteht. Seine Israel Beitenu-Partei kam bei den Wahlen zur 21. Knesset am 9. April zwar nur auf fünf Sitze, einen hatte sie verloren, aber ohne ihn dürfte für Netanyahu das Regieren ziemlich schwierig werden. Sollte Lieberman weiterhin zögern und sich aus der Koalition heraushalten, wäre der Ministerpräsident dazu gezwungen, ein Kabinett zu bilden, das sich auf lediglich 60 Knesset-Abgeordnete stützen kann, also genau eine Stimme zu wenig, um eine Mehrheit hinter sich zu wissen. Eine große Koalition mit der Listenverbindung Blau-Weiß von Ex-Generalstabschef Benny Gantz und dem Yesh-Atid-Vorsitzenden Yair Lapid als Alternative käme zwar auf eine solide Mehrheit von 70 Parlamentariern, doch schloß Netanyahu diese Option stets kategorisch aus.

Lieberman hat einige gute Gründe, Netanyahu zappeln zu lassen. Zum einen hat er im November vergangenen Jahres aus Protest gegen die seiner Meinung nach zu soften Reaktionen des Ministerpräsidenten auf den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen das Handtuch geworfen und seinen Posten als Verteidigungsminister aufgegeben, was zu einer handfesten Regierungskrise führte, an deren Ende die Ausrufung von Neuwahlen stand. Das Verhältnis zwischen beiden darf deswegen als alles andere als harmonisch bezeichnet werden. Zum anderen versteht sich Lieberman als Stimme vieler Israelis, die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert waren und überwiegend säkular eingestellt sind, was ihn mehr als nur einmal in Konflikt mit den Haredim brachte. Vor allem in der Frage der Wehrpflicht für junge ultraorthodoxe Männer vertrat er einen Kurs, der ihren politischen Repräsentanten wenig behagte. Darüber hinaus lag Lieberman in jüngster Zeit häufig mit Innenminister Aryeh Deri von der Shass-Partei im Clinch, weil dieser die jüdische Herkunft hunderttausender Israelis mit russischem Migrationshintergrund in Frage gestellt hatte, fragwürdige DNA-Tests zum Beweis, ob jemand ein „richtiger“ Jude sei oder nicht, ins Spiel brachte und auch ansonsten durch zahlreiche rassistische Bemerkungen gegenüber russischen Juden aufgefallen war.

„Eine Regierung, die sich auf diese 60 Abgeordneten stützt, ist alles andere als eine nationalistische Regierung“, so Lieberman am Donnerstag gegenüber der Presse. „Statt sich der Aufgabe zu widmen, den Charakter Israels als jüdischen Staat zu bewahren, wollen sie ihn in eine Theokratie umwandeln.“ Genau deswegen würde er auch gegen eine solche Minderheiten-Regierung stimmen. Doch das letzte Wort ist noch lange nicht gefallen. Der Israel Beitenu-Chef scheint mit seiner Strategie vor allem Eines zu verfolgen: möglichst hoch pokern. Vor diesem Hintergrund sind auch seine Äußerungen vom Freitag zu verstehen, wonach Likud-Parlamentarier ihn angeblich gefragt hatten, ob er denn lieber einer Koalition ohne Netanyahu als Regierungschef beitreten würde. Auf diese Weise sorgte Lieberman für weitere Unruhe. Denn eine womögliche Beteiligung an einer Sechs-Parteien-Koalition macht er wohl nicht nur davon abhängig, dass er erneut das Schlüsselministerium Verteidigung besetzen kann. Darüber hinaus soll Oded Forer, die Nummer Zwei auf der Liste der Abgeordneten seiner Partei, das Einwanderungsministerium erhalten – das jedenfalls glaubt Yuval Karni von der Tageszeitung Yedioth Ahronot. Ferner heißt es: „Eine namentlich nicht genannte Quelle, die in die Gespräche zwischen dem Ministerpräsidenten und Lieberman involviert war, berichtete davon, dass man sich zudem auf neue Richtlinien in Israels Umgang mit der Terrororganisation Hamas geeinigt habe.“

Spekulationen darüber, dass Lieberman den Posten als Verteidigungsminister schon so gut wie in der Tasche haben dürfte, erhielten neue Nahrung, nachdem es zwischen ihm und dem amtierenden Generalstabschef Aviv Kochavi und Vertretern des Inlandsgeheimdiensts Shin Beit mit Netanyahus ausdrücklicher Genehmigung am Mittwoch zu Treffen gekommen war. Auch beim Thema Wehrpflicht für die Ultraorthodoxen scheint sich ein Kompromiss anzubahnen, der aber noch vom amtierenden stellvertretenden Gesundheitsminister Yaakov Litzman, einer Schlüsselfigur aus der Partei Vereinigtes Torah Judentum, abgesegnet werden muss. Der wiederum wartet auf einen Bescheid von Rabbi Yaakov Aryeh Alter, dem sogenannten Gerrer Rebbe, der zugleich die größte Autorität in der chassidischen Bewegung ist, der Litzman angehört. Dazu noch einmal Karni: „In den Verhandlungen kann es zu keinem Ergebnis kommen, so lange der Rebbe nicht gehört wurde.“

Zudem gibt es noch Streit um die Besetzung des Justizministeriums. Auf den Job hat nämlich Bezalel Smotrich von der Vereinten Rechten ein Auge geworfen. Doch nun soll er den Posten wohl nicht erhalten, weshalb sein Parteikollege Rafi Peretz bereits bitterlich darüber klagte, dass Netanyahu sich entgegen vorheriger Absprachen sträuben würde, die Ressorts Justiz und Bildung an die Ultranationalisten der Vereinten Rechten abzugeben. Der Grund: Netanyahu möchte das Justizministerium lieber mit einer Person aus dem Likud besetzen, um sich auf diese Weise besser seine Immunität zu sichern. Denn um den drei Anklagen wegen Korruption und Amtsmissbrauch zu entgehen, die derzeit gegen ihn im Gespräch sind, hat er bereits recht proaktiv reagiert. Miki Zohar, ein Rechtsaußen im Likud und getreuer Netanyahu-Mann, brachte dieser Tage eine Gesetzesinitiative in der Knesset ein, wonach alle Parlamentarier automatisch volle Immunität vor jeglicher Art der Strafverfolgung erhalten sollen – ein absolutes Novum in der israelischen Rechtssprechung. Bis dato konnte allein ein Ausschuss der Knesset einen derartigen Schutz gewähren, und das auch nur nach Abstimmung und in Einzelfällen. Sollte das Justizministerium aber an einen Koalitionspartner gehen, könnte es mit Netanyahus Plänen, das Immunitätsprinzip auf den Kopf zu stellen, vielleicht nicht ganz so laufen, wie sich der Ministerpräsident das vorstellt. Zudem würde er dann womöglich mit Forderungen eines Koalitionspartners konfrontiert werden, sich die Unterstützung in dieser Angelegenheit mit weitreichenden Zugeständnissen in anderen Fragen „honorieren“ zu lassen. Doch auch in dem Streit mit den Vereinten Rechten scheint Bewegung gekommen zu sein. Donnerstag Abend erklärte Smotrich gegenüber dem TV-Sender Kanal 13, „dass es auf jeden Fall eine Koalition geben wird“. Wer nun das Justizministerium bekommt, dazu äußerte er sich jedoch nicht.

Sicher dagegen ist bereits die Zusage von Kulanu. Vor dem 9. April war die Partei von Finanzminister Moshe Kahlon noch mit zehn Abgeordneten in der Knesset vertreten. Auch hatte sie vor den Wahlen immer wieder betont, dass sie bei dem Thema Strafverfolgung gegen Netanyahu eine harte Linie fahren würde und keinen Versuch, ihn vor der Strafverfolgung zu schützen, unterstützen wird. Mit nur noch vier Knesset-Sitzen sieht das nun ganz anders aus. „In der Vergangenheit habe ich gesagt, dass ich nicht mit einem Ministerpräsidenten zusammenarbeiten werden, gegen den ein Ermittlungsverfahren läuft“, rechtfertigte sich Kulanu-Fraktionsvorsitzender Roy Folkman am Donnerstag. „Heute habe ich meine Meinung geändert.“ Als einer der Gründe schob er das schlechte Abschneiden seiner Partei vor. „Wir sind halt nicht mehr wirklich relevant.“ Welche Gegenleistungen Kulanu für die Zustimmung zur einer Zusammenarbeit mit Netanyahu erhalten hat, darüber wurde nichts bekannt.

Was aber bereits geschah, um die Ansprüche der zahlreichen Koalitionspartner irgendwie unter einen Hut zu bekommen, war vor einer Woche die Änderung eines Gesetzes, das erst im Jahr 2013 verabschiedet worden war und die Zahl der Minister auf eine Obergrenze von maximal 18 deckelte. Denn das Kabinett von Netanyahu von 2009 hatte es auf 30 Minister und neun stellvertretende Minister gebracht – ein absoluter Rekord in der Geschichte des Landes, der dem Staatshaushalt teuer zu stehen kam. Allein aus Kostengründen wollte man einen derart aufgeblähten Regierungsapparat zukünftig vermeiden. Daher das Gesetz von damals, das nun wieder gekippt wurde. Im Gespräch sind aktuell die Aufsplittung mehrerer Ministerien wie das für Wissenschaft und Technologie oder Kultur und Sport, so dass sich die Zahl der Ressorts mit einem Minister an der Spitze aller Wahrscheinlichkeit nach auf 26 bis 28 erhöhen könnte, Genaueres ist noch nicht sicher entschieden. Was aber schon mit Sicherheit gesagt werden kann: Politische Stabilität sieht anders aus, weshalb die Chancen für eine derartige Mehrparteien-Koalition, die gesamte Legislaturperiode durchzuhalten, eher mager aussehen dürften.

Bild oben: Premier Netanyhu, 2015, (c)  Foreign and Commonwealth Office