RIAS Bayern – Meldestelle für antisemitische Vorfälle

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Opfer und Zeugen antisemitischer Vorfälle können sich ab dem 1. April an die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern) wenden. Die Einrichtung registriert und analysiert Fälle von der Belästigung bis zu strafrechtlich relevanten Handlungen. „Wir wollen das Ausmaß des Antisemitismus in Bayern abbilden. Sei es, dass ein jüdisches Kind in der Schule abfällige Kommentare zu hören bekommt oder Israel als Apartheidstaat bezeichnet wird, wir bieten einen Anlaufpunkt“, sagte Leiterin Annette Seidel-Arpacı bei der Vorstellung von RIAS Bayern am Mittwoch…

Mit dieser niedrigschwelligen Meldestelle wird ein wichtiges Anliegen des Zentralrats der Juden in Deutschland, des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales und des Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus erfüllt. Im Bayerischen Jugendring (BJR) haben sie einen wichtigen Partner gefunden. Unter dem Dach des BJR kann RIAS Bayern mit Mitteln des Bayerischen Sozialministeriums zunächst die Arbeit aufnehmen, ab 2020 soll ein zivilgesellschaftlicher Verein als Träger fungieren.

Auf Wunsch der Betroffenen oder Zeugen veröffentlicht RIAS Bayern antisemitische Vorfälle und macht Behörden, Politik, Medien und Zivilgesellschaft auf diese aufmerksam. Zentrales Prinzip ist der Vertrauensschutz: Die Meldenden entscheiden, wie mit ihren Informationen umgegangen werden soll. Vorfälle können über die Online-Plattform www.rias-bayern.de und per Telefon gemeldet werden. Die Einrichtung vermittelt verschiedene Beratungsangebote, z.B. im juristischen oder psychosozialen Bereich.

Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales finanziert die Meldestelle RIAS Bayern mit 381.000 Euro. Sozialministerin Kerstin Schreyer betonte: „Antisemitismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft und in seinen unterschiedlichen Ausprägungen nicht immer leicht zu erkennen. Daher sehe ich in der Arbeit von RIAS Bayern die Möglichkeit, Antisemitismus sichtbar zu machen und dadurch für seine verschiedenen Gesichter zu sensibilisieren. RIAS Bayern ist ein wichtiger Baustein für die Prävention von Antisemitismus in Bayern.“

Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, begrüßt die Einrichtung der Meldestelle. „Die Betroffenen haben manchmal eine Scheu, zur Polizei zu gehen, oder halten den Vorfall für nicht relevant genug, um ihn anzuzeigen. Dennoch leiden sie unter dem, was sie erlebt haben. Daher bietet RIAS eine sehr gute und niedrigschwellige Möglichkeit, jenseits der Behörden Vorfälle zu melden. Das hilft den Betroffenen sehr und verschafft uns ein realistisches Bild über Antisemitismus und seine Erscheinungsformen in Bayern“, sagte er. Als Beispiel führte er einen Vorfall an einer Realschule in Würzburg an, der ihm berichtet wurde. Über eine Whatsapp-Gruppe der Schüler sei ein Bild Hitlers verbreitet worden mit der Unterschrift „Wer das sieht wird vergast“. Die Eltern der betroffenen Schüler hätten keine Meldung an die Schule oder eine andere Stelle erstattet.

V.l: Benjamin Steinitz, Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus, Dr. Annette Seidel-Arpacı, Leiterin RIAS Bayern, Sozialministerin Kerstin Schreyer, Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Sybille Giel vom BR, die moderierte, Matthias Fack, Präsident des BJR, und Dr. Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für Jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe

RIAS Bayern arbeitet eng mit dem Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus zusammen. Dessen Vorstandsmitglied Benjamin Steinitz erklärte: „Wir begrüßen, dass RIAS Bayern ihre Arbeit aufnimmt, und freuen uns sehr auf die Kooperation. Aus der Arbeit von RIAS Berlin wissen wir, wie wichtig eine regionale Verankerung und eine Ansprechbarkeit vor Ort für Betroffene und ein funktionierendes Unterstützungsnetzwerk ist. Gleichzeitig bildet der Start von RIAS Bayern einen wichtigen Schritt hin zu einer flächendeckenden und bundesweit einheitlichen Dokumentation antisemitischer Vorfälle.“

Der Bundesverband hatte 2017 zahlreiche Interviews mit Juden in Bayern durchgeführt, um die Anforderungen an die neue Meldestelle auszuloten. Alle Interviewten hatten von Antisemitismus als „alltagsprägendem Phänomen“ berichtet. In den Metropolregionen des Freistaats, München und Nürnberg, hätten in den Aussagen der Befragten Situationen mit islamistisch geprägten Tätern dominiert, in Kleinstädten dagegen mit Personen mit rechtsextremen Hintergrund. Über BDS-geprägte Vorfälle wurden neben München vor allem in den Universitätsstädte Bayerns berichtet.

Für die Einrichtung einer niedrigschwelligen Meldestelle eingesetzt hatte sich Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. „Die wachsende Zahl der Straftaten macht diese Meldestelle unverzichtbar. Das Melderegister kann aus meiner Sicht entscheidend dazu beitragen, Antisemitismus in seinen Ausprägungen im Alltag sichtbar zu machen, und liefert einen Ansatz, dagegen anzugehen. Über die Meldestelle hinaus muss es uns aber ein Anliegen sein, dass jüdisches Leben in seiner Vielfalt sichtbar wird“, so Spaenle. Er sei immer wieder fasziniert über den vielfältigen Beitrag, den die rund 15.000 Jüdinnen und Juden in Bayern leisten würden, ein Beitrag über den er sich mehr Bewusstsein, mehr Berichte wünschen würde. 

Annette Seidel-Arpacı, Foto: RIAS Bayern

Die Erfassung der Vorfälle orientiert sich an der Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken, die Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“, beschreibt. Laut der Definition richtet sich Antisemitismus in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Personen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus könne auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.

Die Auswirkungen, die die Arbeit von RIAS haben könnte, beschrieb Josef Schuster aus der Sicht des Mediziners. Vor einer Operation ginge es zuerst darum, die Wunde offen zu legen. Und genau das wird RIAS wohl leisten, Antisemitismus und sein alltägliches Ausmaß zeigen. RIAS wird dabei, das betonte Leiterin Annette Seidel-Arpacı besonders, parteilich sein und auf der Seite der Opfer stehen.

Um das nötige Vertrauen zu schaffen, haben die Mitarbeiter von RIAS in den vergangenen Wochen bereits zahlreiche jüdische Gemeinden in Bayern besucht und sich vorgestellt. Am 1. April startet RIAS Bayern.

Vorfall melden: www.rias-bayern.de oder Tel. 01622951961