Jüdischsein im Zeichen des Regenbogens

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Die LGBTQI-Community hierzulande erhält Zuwachs. Mit dem neu gegründeten Verein „Keshet Deutschland“ gibt es eine neue Anlaufstelle und Interessenvertretung für queere Jüdinnen und Juden…

Von Ralf Balke

Anfang November vergangenen Jahres war es soweit. In Berlin riefen queere Jüdinnen und Juden den Verein „Keshet Deutschland e.V.“ ins Leben. „Keshet“ ist das hebräische Wort für „Regenbogen“, was bereits auf die Zielsetzung verweist. Man möchte lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans- und intersexuellen jüdischen Menschen eine Stimme geben und sie somit auch im Gemeindeleben deutlich sichtbarer machen als bisher. Zudem will man – egal ob orthodox, Anhänger der Reformbewegung oder konservativ – offen für alle Strömungen des Judentums sein, über queere Identitäten aufklären und Bildungsarbeit leisten. Die Resonanz war gewaltig. Innerhalb weniger Wochen hatte die Facebook-Seite der Gruppe bereits mehr als 1.100 Abonnenten. Und zu einem ersten Keshet-Schabbat am 30. November erschienen über 50 Personen. All das sind deutliche Anzeichen dafür, dass der neue Verein mit seinem Programm eine Lücke im jüdischen Leben hierzulande füllt. Über die Ziele und das Selbstverständnis von „Keshet Deutschland“ berichten seine Gründungsmitglieder Monty Ott, Dalia Grinfeld und Leo Schapiro, die zugleich sein Vorstand sind.

Was genau waren die Entwicklungen, die zur Gründung von Keshet führten?

Ott: Leo Schapiro hatte bereits seit geraumer Zeit die Idee für einen Verein, der sich an queere Jüdinnen und Juden in Deutschland richtet, um so etwas wie eine Art Safespace zu schaffen. Da in diesem Bereich ganz offensichtlich ein Vakuum existiert hat, weil Yachad, der letzte größere Verein, der sich dem Thema annehmen wollte, schon lange nicht mehr aktiv war, gab es auf diese Initiative hin sehr viele positive Reaktionen, die uns motivieren sollten. Leo Shapiro sprach daraufhin mit Dalia Grinfeld von der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und anschließend mit mir, weil er mich aus einem Zeitungsartikel zu dem Thema LGBTQI-Juden in Deutschland kannte. Zur Gründungssitzung fanden sich schließlich zehn Personen aus ganz unterschiedlichen Bereichen des jüdischen Lebens in Deutschland zusammen. Am 4. November haben wir dann ganz offiziell Keshet Deutschland e.V. ins Leben gerufen.

Wie ließe sich das Selbstverständnis von Keshet auf den Punkt bringen? Welchen Platz will man im jüdischen Leben in Deutschland einnehmen?

Schapiro: Wir wollen ein sicherer Raum sein, gleichermaßen Menschen empowern und queer-jüdisches Leben innerhalb der Gemeinden selbstverständlicher machen. Keshet steht dafür, dass eine jüdische und eine queere Identität nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen. Vielmehr möchten wir Menschen dazu ermutigen, sich mit ihrer queer-jüdischen Identität auseinanderzusetzen und zu versöhnen. Dazu bedarf es vor allem der intensiven Aufklärungsarbeit. Queere Jüdinnen und Juden sollen sich als ein ganz normaler Teil der jüdischen Gemeinschaft fühlen dürfen.

Gibt es bereits konkrete Kooperationen mit einzelnen Gemeinden, die sich vielleicht zu LGBT-relevanten Fragen Hilfe und Beratung suchen?

Grinfeld: Aktuell befinden wir uns noch in der Aufbauphase. Allerdings ist geplant, auf die bestehenden Institutionen zuzugehen. Wir sind auch schon mit mehreren Organisationen im Gespräch. Da es unser erklärtes Ziel ist, queere Jüdinnen und Juden zu einem selbstverständlichen Teil des jüdischen Gemeindelebens in Deutschland zu machen, ist die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Vertretern natürlich unerlässlich. Wir planen, ein breit gefächertes Bildungsangebot aufzubauen und gemeinsam mit verschiedenen Organisationen zum Beispiel das Thema der psychosozialen Unterstützung angehen.

Wie sahen die Reaktionen auf die Gründung aus?

Schapiro: Anfangs waren wir etwas unsicher. Schließlich haben wir Keshet als Reaktion auf die Erfahrungen der Ablehnung gegründet, die andere und wir innerhalb der jüdischen Community erlebt hatten. Dann aber erhielten wir jede Menge Zuspruch. Selbstverständlich gab es hinter vorgehaltener Hand auch einige negative Reaktionen. Doch der Grundton lautete überwiegend: „Endlich seid ihr da, es hat euch dringend gebraucht.“ Die Zeit schien reif, Etwas zu tun.

Vor Jahren gab es ja schon mit Yachad eine Gruppe, die sich die Belange queer-jüdischer Menschen auf die Fahnen geschrieben hat. Was will Keshet anders machen?

Ott: Yachad hatte für seine Zeit eine unfassbar wichtige Arbeit geleistet. Es ist sehr schade, dass die Gruppe inzwischen inaktiv ist. Yachad hatte sich vornehmlich zum Ziel gesetzt, queere Jüdinnen und Juden miteinander zu vernetzen, und das gezielt außerhalb der Gemeindestrukturen. Wir gehen den umgekehrten Weg. Für uns ist es wichtig, dass queere Jüdinnen und Juden innerhalb der jüdischen Gemeinden sichtbarer werden. Dafür wollen wir eine Infrastruktur aufbauen und zur Verfügung stellen, so dass sich in ganz Deutschland Menschen für Keshet und eine neue Selbstverständlichkeit in Sachen queer-jüdischem Leben engagieren können. Darüber hinaus ging es bei Yachad sehr stark um das Zusammensein, um die Schaffung eines Safespaces. Diesen Faden wollen wir einerseits aufnehmen. Andererseits planen wir darüber hinaus die Bereitstellung psychosozialer Unterstützungsmöglichkeiten und Bildungsangebote, damit sich über kurz oder lang das Bewusstsein innerhalb der jüdischen Community in Deutschland nachhaltig verändert.

Inwieweit erhält Keshet Unterstützung vom Zentralrat der Juden in Deutschland?

Grinfeld: Wir stehen aktuell mit dem Zentralrat in Kontakt. In ersten Gesprächen ist uns mitgeteilt worden, dass man unser Anliegen sehr begrüßt und für unterstützungswürdig hält. Nun muss man in den kommenden Monaten einen Modus Vivendi finden, in dem wir eine dauerhafte und belastbare Kooperation auf die Beine stellen.

Wie ist es um die Vernetzung mit anderen queeren jüdischen Gruppen außerhalb Deutschlands bestellt?

Ott: Bereits vor unserer Gründung hatten einige Gründungsmitglieder Kontakt zu diversen Gruppen im Ausland aufgenommen. Keshet UK und Keshet International haben auf unser Projekt in Deutschland sehr positiv reagiert und uns bereits informell unterstützt. Auch da wird sich in der kommenden Zeit zeigen, inwieweit man Kooperationen eingehen und ausbauen kann. Aber es ist sehr schön zu wissen, dass wir mit unserem Ziel, queer-jüdisches Leben innerhalb der jüdischen Gemeinschaft hierzulande zu empowern, überall breite Rückendeckung erfahren konnten.

www.facebook.com/keshetdeutschland/

1 Kommentar

  1. „Weil Yachad, der letzte größere Verein, der sich dem Thema annehmen wollte“… WIE BITTE? Yachad Deutschland wollte sich dem „Thema“ nicht annehmen, sondern hat 10 Jahre äusserst aktiv und auf internationaler Basis agiert!!! Dahin muss Keshet erst mal kommen…
    http://www.yachad.israel-live.de/01/home.htm

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