Auf Distanz halten

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Iran baut seine militärische Präsenz in Syrien auf. Genau das will Israel verhindern. Dabei setzt man nicht nur auf militärische Mittel, sondern auch auf die guten Kontakte zwischen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Russlands Machthaber Wladimir Putin…

Von Ralf Balke

„Wir werden dem Iran nicht erlauben, sich militärisch in Syrien zu etablieren.“ So lautet seit Monaten Benjamin Netanyahus Mantra. Die Präsenz der Mullahs in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel sei zu „einer existentielle Bedrohung“ geworden, erklärte der israelische Ministerpräsident mehrfach. Denn längst war das Mullah-Regime neben Russland nicht nur zum wichtigsten Alliierten des syrischen Diktators Bashar al-Assad in seinem nunmehr über sieben Jahre anhaltenden Krieg gegen die eigene Bevölkerung mutiert. Vielmehr möchte der Iran nun die Ernte für sein militärisches Engagement in dem Konflikt einfahren: die Bildung einer Einflusssphäre, die vom persischen Golf bis an die Mittelmeerküste reicht, gerne auch „schiitischer Halbmond“ genannt. Iranische Truppen unmittelbar an der israelischen Grenze – das kann Israel nicht so einfach hinnehmen. Schließlich bereiteten die Aktivitäten der schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon, die von Teheran massivst in der Vergangenheit aufgerüstet wurde, schon genug Kopfzerbrechen.

In den vergangenen Monaten flogen israelische Kampfjets deshalb zahlreiche Angriffe auf iranische Ziele in Syrien. Die Antwort erfolgte umgehend. Im Mai feuerten die Iraner 32 Raketen auf den Golan. Nur vier davon erreichten den israelischen Luftraum und wurden erfolgreich vom Luftabwehrsystem Iron Dome abgefangen. Innerhalb weniger Stunden griffen die Israelis daraufhin militärische Einrichtungen der Iraner in Syrien an. Darunter befanden sich Raketendepots und Armeebasen sowie Stellungen der Quds-Brigaden, einer Eliteeinheit der Iranischen Revolutionsgarde, und das syrische Flugabwehrsystem. Diese Operation, benannt nach der TV-Serie „House of Cards“, war die größte Israels seit dem Yom-Kippur-Krieg im Jahr 1973, weshalb die Spannungen zwischen Jerusalem und Teheran im Frühsommer auch einen neuen Höhepunkt erreichen sollten. Zugleich formulierte Netanyahu erstmals klare Warnungen an die Adresse des syrischen Diktators. Bis dato habe sich Israel aus dem Bürgerkrieg im Nachbarland herausgehalten. Das könne sich ändern, wenn Bashar al-Assad die Iraner weiter gewähren lassen sollte wie bisher. „Er ist dann nicht länger immun. Genauso wenig wie sein Regime“, so Netanyahu anlässlich seines Besuches vor wenigen Wochen in London. „Ich glaube, darüber sollte er sich ernsthaft ein paar Gedanken machen.“

Doch dass der Konflikt zwischen Israel und dem Iran nicht in einem ausgewachsenen Krieg mündete, ist unter anderem Russland zu verdanken. Ausgerechnet das Land, das dafür sorgte, dass der syrische Diktator weiterhin an der Macht sitzt und deswegen auch vor dem Einsatz von Fassbomben gegen die syrische Zivilbevölkerung nicht zurückschreckte, spielte eine entscheidende Rolle. „Stunden vor den massiven Luftschlägen der israelischen Jets im Mai war Netanyahu nach Moskau gereist“ schreibt der Militär- und Geheimdienstexperte Yossi Melman. „Dort nahm er an den jährlichen Feierlichkeiten zum Sieg über Nazideutschland teil.“

Es war das neunte Treffen zwischen den beiden Politikern innerhalb von 32 Monaten – mittlerweile kam noch ein zehntes im Juli hinzu. Unmittelbar danach verkündete ein russischer Regierungssprecher, dass man nicht wie geplant, Damaskus das hochmoderne S300-Flugabwehrsystem liefern würde, was die Bewegungsfreiheit israelischer Kampfflugzeuge im syrischen Luftraum deutlich eingeschränkt hätte, weshalb Jerusalem explizit gegen diesen Deal war. Und kurz darauf gab ein Offizier der israelischen Luftwaffe bei einem Pressegespräch zu, dass Jerusalem seine russischen Partner über die bevorstehende Operation „House of Cards“ in Kenntnis gesetzt hatte. Details über die konkreten Ziele seien jedoch nicht genannt worden. Auch vor anderen militärischen Aktionen – beispielsweise nach dem Abschuss einer syrischen Drohne über dem Golan Anfang Juli – wartete man eine Viertelstunde mit der militärischen Antwort. Jerusalem wollte zuerst sicher sein, dass russische Flugzeuge sich nicht in der Nähe befanden. Auf keinen Fall durfte es zu einer ähnlichen Katastrophe wie im syrisch-türkischen Grenzgebiet im November 2015 kommen, als eine türkische F-16 eine russische Sukhoi Su-24 vom Himmel holte, was die Beziehungen beider Länder stark belastete.

„All diese Faktoren zusammen hinterlassen den Eindruck, dass der Kreml sein in Hinsicht auf Israel doppeltes Spiel in Syrien langsam revidiert“, lautet dazu Melmans Einschätzung. „Zuvor sah es so aus, dass man gemeinsam mit Teheran das Assad-Regime in seinem Krieg gegen die Rebellen unterstützte und gleichzeitig über die israelischen Militärschläge gegen den Iran dort geflissentlich hinwegsah.“ Zwar greife die russische Seite immer noch gerne auf iranische Berater zurück und sei über die Teilnahme schiitischer Kämpfer aus dem Irak, Pakistan, Afghanistan oder der Hisbollah an dem Krieg ebenfalls weiterhin froh. „Doch je mehr Assad die Kontrolle über das Land zurückgewinnt, desto weniger brauchen die Russen die Mullahs.“ Und weil Moskau selbst langfristige Ziele in Syrien verfolgt und der Iran dabei ein Konkurrent werden könnte, kann man in Russland eigentlich ganz gut damit leben, wenn Israel die Iraner durch Militärschläge gelegenltich in ihre Grenzen verweist. Last but not least gibt es auch für Teheran einige handfeste Gründe, den Konflikt mit dem jüdischen Staat nicht hochkochen zu lassen. Die iranische Wirtschaft schwächelt mächtig, das Land ist an vier Fronten – Syrien, Jemen, Irak und Libanon – militärisch aktiv. Das bedeutet lange Transportwege, eine komplizierte Logistik und strapaziert in vielerlei Hinsicht die ohnehin knappen Ressourcen. Und nun kommen noch die erneuten Sanktionen der Vereinigten Staaten hinzu. Dabei will Experte Melman keine Entwarnung aussprechen. „Nichtsdestotrotz ist der Iran fest entschlossen, seine Stellungen in Syrien auszubauen und Israel weiterhin herauszufordern. Zweifellos wird man aus den Erfahrungen der vergangenen Monate lernen und seine geheimdienstlichen sowie militärischen Fähigkeiten verbessern.“

Auffällig in diesem Kontext ist gleichfalls das Verhältnis zwischen Benjamin Netanyahu und Wladimir Putin. Gar von einer „Männerfreundschaft“ ist gelegentlich die Rede. Fakt ist, die Chemie zwischen beiden Politikern stimmt. „Wir koordinieren uns permanent mit den Russen“, heißt es dazu aus dem Außenministerium in Jerusalem. Und obwohl Putin von Kritikern nicht zu Unrecht ein wenig demokratisches Verhalten sowie ein nationalistischer Kurs vorgeworfen wird, der oftmals mit Menschenrechtsverletzungen einhergeht: ein Antisemit wie viele andere russische Politiker in der Vergangenheit ist der Kremlchef nicht. „Die Kooperation zwischen Russland und Israel ist der Schlüssel, um einer weitere Eskalation des Konflikts in der Region zu vermeiden“, sagte denn jüngst auch Netanyahu bei einem Treffen am 11. Juli in Moskau. „Es ist offensichtlich, dass unsere ganze Aufmerksamkeit Syrien und dem Iran gilt. Unsere Meinung dazu lautet, dass der Iran aus dem Land abziehen sollte. Aber das wissen Sie ja bereits“, so der israelische Ministerpräsident zu seinem russischen Amtskollegen. „Wir kennen ihre Bedenken“, lautete dessen Antwort. Tags darauf war übrigens Ali Akbar Velayati, Irans Ex-Außenminister und Berater von Revolutionsführer Khamenei bei Putin zu Gast.

Damit zeigt sich erneut: Nach Jahren der Abwesenheit ist Moskau nicht nur wieder ein Akteur in der Region. Durch seine rücksichtslose Interventionspolitik im syrischen Bürgerkrieg wurde Russland auch zu einem politischen Schwergewicht. Wenn der Kreml es will, ziehen sich womöglich sogar die Iraner von der israelischen Grenze zurück. So verkündete Putin vor wenigen Tagen, dass sie sich 85 Kilometer hinein ins Landesinnere bewegen werden. Zuvor war bei einer Begegnung zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und dem Generalstabschef Waleri Gerassimow einerseits und Netanyahu sowie Israels Außenminister Avigdor Lieberman und Generalstabschef Gadi Eisenkot andererseits noch die alte Forderung Israels wiederholt worden: Iran müsse aus ganz Syrien abziehen. Die Russen hatten daraufhin 100 Kilometer Mindestabstand zur israelischen Grenze als Option ins Spiel gebracht, jetzt ist die Rede von 85 Kilometern. In diesem Gebiet dürften sich dann keine iranischen Truppen oder Hisbollah-Milizen aufhalten – aber im Rest des Landes. „Schließlich spielt der Iran eine sehr wichtige Rolle in Syrien“, so Lawrow. Und Russlands Botschafter in Israel ergänzte: „Zu diesem Zeitpunkt ist die Forderung nach einem völligen Abzug ausländischer Kämpfer vom syrischen Territorium absolut unrealistisch. Die iranische Präsenz in Syrien stimmt zudem mit den Entscheidungen der Vereinten Nationen überein“, meinte der Diplomat. „Schließlich sei von Damaskus dazu eingeladen worden.“ Aber man sei übereingekommen, dass es auf der syrischen Seite des Golans keine ausländischen Soldaten stationiert werden dürften.

All das wirft die Frage auf, warum Moskau überhaupt die israelischen Forderungen in seine Syrienpolitik mit einfließen lässt. Eine Antwort darauf weiß Amos Yadlin, ehemals Chef des militärischen Geheimdiensts Aman. „Israels Bereitschaft, die erneute Herrschaft Assads über bald ganz Syrien zu akzeptieren, ist keine kleine Konzession“, glaubt der Sicherheitsexperte. „Aktuell könnte derzeit Niemand das Regime in Damaskus ernsthaft destabilisieren – außer Israel natürlich.“ Genau das wissen auch die Russen, weshalb sie von Israel gerne Garantien hätten, nicht weiter zu intervenieren. Und der Preis dafür wäre, den Iran auf Distanz zum jüdischen Staat zu halten. Irgendwie zumindest.

Bild oben: Premierminister Netanyahu und Präsident Putin in Moskau (GPO/Kobi Gideon), Botschaft des Staates Israel