Erneut macht sich auch eine terroristische Linke bemerkbar

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41 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ gibt es in der Bundesrepublik Deutschland offenbar neu entstehende links-terroristische Strukturen. Ein Anschlag in Berlin (26. März 2018) wie auch die Straßenschlachten während des G 20 Gipfels in Hamburg (7./8. Juli 2017) zeigen, dass viele linke Aktivisten die verheerenden Wirkungen des deutschen Linksterrorismus der 70er und 80er Jahre nicht begriffen haben. Ein Neuanfang wird allem Anschein nach gerade vor unseren Augen gemacht…

Von Martin Jander

Die bislang unbekannten Täter eines Anschlags auf einen Teil des Stromnetzes in Berlin am 26. März 2018 lassen keinen Zweifel daran, worum es ihnen geht.[1] „Die Herrschaft“ heißt es in ihrem Aufruf, „über die Menschen organisiert sich neu: über die Netze, die Algorithmen und die Zugriffe des Staates und der Konzerne – auf unser Leben und im Alltag. Auf unsere Gefühle, unser Denken, unser Tun. Jetzt und in der Zukunft. Und weitet sich immer tiefer aus. Wir werden überwacht, gesteuert und gelenkt.“ Eine geballte Ladung linker Verschwörungstheorie.

Die autonomen Mechaniker („Vulkangruppe NetzHerrschaft zerreißen“), die möglicherweise auch für ähnliche Anschläge in Berlin in der Vergangenheit verantwortlich sind[2], sehen sich nicht unbedingt durch das „Proletariat“ legitimiert, wie damals noch RAF und andere. Hier scheint es eher die von der „Globalisierung“ betroffene Menschheit schlechthin zu sein, in deren Namen man handelt. Im Aufruf heißt es: „Wir haben heute ein paar wichtige Netzwerkverbindungen gekappt und dadurch den Zugriff auf unser Leben unterbrochen – ein bescheidener Beitrag, einen Moment unkontrollierten Lebens zu schaffen.“  

Nach einer Aufzählung der verschiedenen Netzbetreiber, die man mit dem Anschlag treffen wollte, wird behauptet, man könne jeden Schaden für Menschen durch den Anschlag ausschließen. Ganz wie in den Zeiten der Studentenbewegung, in denen die Organisatoren der späteren RAF u. a. behaupteten, man greife lediglich die Filialen des Zeitungskonzerns Springer und die Fahrzeuge dieses Konzerns an, keineswegs jedoch Menschen, formuliert die „Vulkangruppe“: „Zu diesem Zweck haben wir am 26.3.2018 an der Mörschbrücke in Berlin an zwei je vier Meter breiten und dreißig Meter auseinander liegenden Kabelsträngen Feuer gelegt. Die Gasleitungen lagen von unseren Brandherden zu beiden Seiten 15 Meter entfernt. Die Brandherde lagen nicht zugänglich innerhalb der Brückenkonstruktion, abgeschirmt von 1 Meter dicken Betonwänden auf einer Höhe von mehr als zwei Metern. Weder Fußgänger_innen (noch Fahrzeuge) unter noch auf der Brücke konnten unmittelbar mit dem Feuer in Berührung kommen. Eine Gefährdung von Menschen haben wir ausgeschlossen. Der hoffentlich hohe wirtschaftliche Schaden ist uns eine Freude! Herrschaftsnetze sind angreifbar.“

Wer noch die Texte von „Roter Armee Fraktion“ (RAF), „Bewegung 2. Juni“, „Revolutionäre Zellen“ (RZ) auf dem Bücherregal stehen hat und nachblättert, wird unschwer erkennen, dass hier offenbar eine vergleichbarer Ton angeschlagen wird. Im Gründungsaufruf der RAF, formuliert nach der Befreiung Andreas Baaders aus der Gefängnishaft am 14. Mai 1970, hatte es geheißen: „Glaubten die Schweine wirklich, wir würden den Genossen Baader 2 oder 3 Jahre sitzen lassen? Glaubten die Schweine wirklich, wir würden ewig mit Farbeiern gegen Knüppel, mit Steinen gegen Pistolen, mit Mollies gegen MG`s kämpfen? Glaubte irgendein Schwein wirklich, wir würden von der Entfaltung der Klassenkämpfe, der Reorganisation des Proletariats reden, ohne uns gleichzeitig zu bewaffnen?“[3]

Auch wenn das Wort von einer „Faschisierung“ im Aufruf der autonomen Vulkanisten nicht zu finden ist, gemeint ist es sehr wohl. Eben diese angebliche „Faschisierung“ bildete bei RAF und Co. die Legitimation der gewaltförmigen Angriffe auf Staat und Kapital sowie diejenigen, die man als ihre „Charaktermasken“ ansah. Eben in diese Richtung steuern wohl auch die autonomen Mechaniker. In ihrem Aufruf drohen sie im Schlusssatz unverhohlen: „Aus gegebenem Anlass: Deutsche Waffen und türkisches Militär raus aus Efrin! Die Verantwortlichen des Krieges in Efrin sitzen auch in Deutschland. Sie sind zu finden.“

Anschläge auf Bastionen des verhassten „Systems“, wie gerade in Berlin, Nutzung friedlicher Demonstrationen zur Initiierung kleinerer oder größerer Konfrontationen mit der Polizei, wie erst kürzlich in Hamburg, sind Vorformen des Terrorismus. Die Ermordung von Menschen ist noch nicht das öffentlich gerechtfertigte Ziel. Der Tod von Menschen wird jedoch billigend in Kauf genommen.

Dieser linke Terror begleitet die Geschichte der deutschen „Neuen Linken“ seit den 60er Jahren. In Italien wurde am Ende der 60er Jahre die „Autonomia Operaia“ kreiert. In München und West-Berlin verwendete man für ähnliche Konzepte den Namen „Tupamaros“. Die Übertragung der Idee einer Stadtguerilla auf westliche Demokratien brachten in der Bundesrepublik Deutschland Rudi Dutschke und Hans Jürgen Krahl ins Gespräch. Krahl war zu der Zeit der Entstehung der RAF schon tot. Dutschke hielt, wie er Horst Mahler auf dessen Aufforderung hin, in der RAF mitzuwirken, entgegnete, das Konzept für chancenlos.

Das spätere Aktionsmodell der 1968/69 entstehenden Terrornetzwerke probierten Dutschke und andere jedoch bereits im Winter 1964 aus. Als am 18. Dezember der kongolesische Ministerpräsident Moise Tschombé West-Berlin besuchte, lieferten sich protestierende Aktivisten unter Führung Dutschkes mit der Polizei, „Mörder“ „Mörder“ skandierend, eine regelrechte Jagd durch die Stadt. Mit dazu gehörte auch ein „Tomaten-Terror-Bombardement“ auf das Fahrzeug Tschombés.

Dutschke feierte später den „sinnlichen Charakter“ der Aktion.[4] Die Teilnehmer seien zur „Illegalisierung“ ihrer Demonstration bereit gewesen. „Selbstaufklärung in der Aktion“ hätten sie betrieben und „tendenziell alle bisherigen Werte und Normen des Etablierten in Frage gestellt“. Dutschke bezeichnete das Katz und Maus Spiel als „Beginn unserer Kulturrevolution“. Ihre Wirkung sei durch die aufgeschreckten Zeitungskommentare am Tag danach noch gesteigert worden. Nicht nur der repressive Charakter der kapitalistischen Verhältnisse, auch der manipulative Charakter der bürgerlichen Öffentlichkeit sei gleich mit entlarvt worden.

Solcherlei Provokation der Staatsmacht in spätkapitalistischen Gesellschaften charakterisierte Jürgen Habermas 1967 als „linksfaschistisch“. Er nahm die Etikettierung später zurück, beharrte aber darauf, dass solche „Scheinrevolutionen“ kontraproduktiv seien.[5] Sie trügen nicht zur Aufklärung der Gesellschaft bei und diskreditierten den guten Sinn zivilen Ungehorsams. Bei zivilem Ungehorsam übertrete man Gesetze und nehme dabei eine Verurteilung in Kauf, um an den demokratischen Sinn der Gesetze zu appellieren. Ihre Verteidigung und Verankerung in der Gesellschaft, nicht ihre Zerstörung ständen im Mittelpunkt jedes aufklärerischen Aktivismus.       

Schon 1967 positionierte sich ein großer Teil der Wortführer der verschiedenen linken Richtungen an der Seite Dutschkes. „Die Linke antwortet Habermas“ hieß ein damals viel verkauftes Buch.[6] Diese Linken hielten bereits damals Habermas klugen Verweis auf den zivilen Ungehorsam und dessen humanem Sinn, die friedliche Reform der Demokratie, für naiv.

Aber nicht nur die Debatte Dutschke/Habermas scheint vergessen. Auch die Geschichte der linksterroristischen Formationen, die ganz wesentlich aus den Reihen derjenigen hervorgingen, die am Ende der 60er Jahre mit Dutschke „Selbstaufklärung in der Aktion“ betrieben und dabei „tendenziell alle bisherigen Werte und Normen des Etablierten in Frage“ gestellt hatten. Schreibend und schießend ließen die Streetfighter, Leninisten, Maoisten wie Spontis ihre von Kunzelmann denunzierte Solidarität mit Israel hinter sich („Judenknax“) und verbreiteten nun Parolen wie „Zionismus ist Faschismus“. Die Faszination von den USA hatten sie bereits mit dem Vietnamkrieg in die schuldabwehrende Parole „USA-SA-SS“ verwandelt.

Manche von ihnen schritten gleich am 9. November 1969 in West-Berlin zur Tat und legten einen Sprengsatz in das Jüdische Gemeindehaus. Nur ein technischer Fehler rettete die Versammelten vor Tod und schweren Schäden. Andere vermieden in München am 13. Februar 1970 solche technischen Fehler. Im brennenden jüdischen Gemeindezentrum starben sieben Holocaust-Überlebende. Manch anderer wartete bis zum Sommer 1976 in Entebbe und separierte dort jüdische von nicht jüdischen Geiseln. Der Hass auf die Demokratie, auf die USA und Israel sowie die Diskreditierung des zivilen Ungehorsams sind einige der schrecklichen Fratzen deutscher Linker nach der Shoah.

Bereits mit der Entstehung der damals noch nicht „autonom“ genannten Vorformen des Linksterrorismus in der Bundesrepublik setzte die Verniedlichung ihres kriminellen und demokratiefeindlichen Charakters ein. Nicht nur die Aktivisten selbst, wie z. B. Fritz Teufel, sprachen von einer „Spaßguerilla“. Auch angesehene Professoren deuteten den beginnenden linken Terror unter Verweis auf die nazistische Vergangenheit Deutschlands als verständlichen Protest oder künstlerisches Stilmittel.

Solche Beschwichtigung waren und sind leicht durchschaubar. Man muss schon Tomaten auf den Augen haben, die lange vorher geplante Gewaltexplosion von Hamburg 2017 und den Anschlag in Berlin nicht als das Resultat einer linksautonomen Partisanenstrategie anzusehen. Regelmäßig nutzen Autonome verschiedene Themen und Großereignisse, um ihre Mission, das Training weiterer autonomer Aktivisten und die Provokation der Staatsmacht, umzusetzen.

Am 29. Juni 2017 publizierte die „Jungle World“ ein ausgezeichnetes Dossier des „Roten Salon“ von „Conne Island“ in Leipzig, das alle öffentlich verfügbaren Informationen zu der geplanten Eskalationsstrategie während der Proteste gegen den G 20 Gipfel in Hamburg enthielt und keine Zweifel an der geplanten Groß-Schlacht zuließ.[7] Das Dossier wies auch ganz zu Recht auf die Affinität des autonomen Politik-Modells mit dem der SED hin. Absolute Feindsetzungen, die Ablehnung jedes rationalen Diskurses sowie die Verachtung politischen Pluralismus sind solche Elemente.

Selbstredend wurde auch schon am Ende der 60er Jahre behauptet, man setze nicht auf Gewalt, es sei immer nur die Gegenseite und natürlich gab man sich auch damals schon „antifaschistisch“. Ein möglichst repressives Agieren der Staatsmacht ist bei den provozierten Schlachten erwünscht. Ihre Diskreditierung als fast-faschistisch gehört mit zum Kalkül. Friedliche Demonstranten bilden in einer solchen Eskalationsstrategie nur das schützende Hinterland.

Verschwörungstheorien, Hass und Gewalt, Antisemitismus, die Ablehnung von Demokratie, Pluralismus und die Faszination antihumanen Handelns, haben ihren Platz in Deutschland nicht nur auf der Seite der völkischen Rechten. Die blutigen Spuren des „linken“ Terrorismus und einer „linken“ Diktatur, eines „linken“ Antisemitismus, die im Namen des Proletariats und der Menschheit, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zerstörten und sich auch an den Kriegen gegen Israel beteiligten, sind noch frisch. Wenn nicht alles täuscht, dann sind wir in der Bundesrepublik nicht nur mit dem Aufstieg einer Mord und Totschlag befördernden rassistischen Rechten konfrontiert. Auch eine terroristische Linke macht sich erneut bemerkbar.

[1] Einen Link zum vollständigen Aufruf findet man auf der Internetplattform „indymedia“: https://de.indymedia.org/node/19279

[2] Siehe zum Beispiel: https://www.bz-berlin.de/berlin/treptow-koepenick/brandanschlag-am-s-bahnhof-treptower-park-legt-s-bahn-lahm;

[3] Zitiert nach: Agit 883, Ausgabe vom 22. Mai 1970, 2. Jg., Nr. 61, S. 2. (http://www.agit883.infopartisan.net/)

[4] Siehe den Aufsatz Dutschkes in: Bergmann u. a., Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition, Reinbek 1968. Auch im Internet ist eine Version des Aufsatzes Dutschkes einsehbar: http://www.glasnost.de/hist/apo/DutschkeTschombe.html

[5] Jürgen Habermas, Die Scheinrevolution und ihre Kinder, in: Jürgen Habermas, Protesbewegung und Hochsachulreform, Frankfurt 1969. 

[6] Oskar Negt (Hrsg.), Die Linke antwortet Jürgen Habermas, Frankfurt 1968.

[7] Siehe: Conne Island, Roter Salon: „ Hölle, Hölle, Hölle: Der Vorschein des Schlimmeren”, Junge World vom 29. Juni 2017: https://jungle.world/artikel/2017/26/hoelle-hoelle-hoelle-der-vorschein-des-schlimmeren

Bild oben: S-Bahnhof Treptower Park, (c) IngolfBLN