Ihnen blieb die Anerkennung verwehrt

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Im Ersten Weltkrieg kämpften auch Soldaten jüdischen Glaubens in der deutschen Armee. Sie kämpften nicht zuletzt um Anerkennung als gleichberechtigte Bürger ihres Vaterlandes. Doch die blieb ihnen verwehrt. Und es kam noch schlimmer…

Von Beate Dahinten

„Die sämtlichen Bürgschaften zu unserer Auswanderung nach Nordamerika, auch für unsere Kinder von 9 und 11 Jahren habe ich in Händen. Und ist mein Mann zur Betreibung der nötigen Papiere zur alsbaldigen Auswanderung dringendst erforderlich. Bitte Sie inniglich dieses Gesuch zu befürworten und die baldigste Haftentlassung meines Mannes zu bewirken.“

Dieses Schreiben richtete Lea Zeilberger im November 1938 an die an die Staatspolizeistelle der Geheimen Staatspolizei in Würzburg. Ihr Mann Justin, ein gebürtiger Ermershäuser, hatte in der Sterngasse in Würzburg eine Schneiderwerkstatt betrieben. Während des Pogroms war er verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht worden.

Justin Zeilberger als Soldat im 1. Weltkrieg, Bild oben: Zeilbergers Kennkarte

Ihre Bitte hatte Lea Zeilberger mit dem Hinweis untermauert, dass ihr Mann von 1916 bis 1919 „im Feld“ war. Den Vermerken der Gestapo zufolge machte es allerdings einen Unterschied, ob jemand „nur“ Kriegsteilnehmer war oder an der Front gekämpft hatte. Dass bei ihrem Mann Letzteres zutraf, hatte Lea Zeilberger lediglich durch Briefe und Fotos vom östlichen Kriegsschauplatz nachweisen können, die Militärpapiere ihres Mannes waren schon 1925 verloren gegangen.

Fast 100.000 jüdische Männer haben nach Recherchen von Israel Schwierz am Ersten Weltkrieg teilgenommen – eine beachtliche Zahl bei schätzungsweise 500.000 jüdischen Einwohnern des Deutschen Reiches damals – etwa 12 000 ließen ihr Leben. Der mit 80 Prozent weitaus größte Teil der jüdischen Soldaten war an der Front eingesetzt.

Schon lange vorher hatte es in den Armeen auf deutschem Boden Soldaten jüdischen Glaubens gegeben. „Durch die aktive Teilnahme an Kriegen wollten die patriotischen Soldaten ihre Emanzipation erreichen, um dadurch – wenigstens teilweise – die Lage der Juden auch im Allgemeinen zu verbessern“, schreibt Schwierz in seiner Dokumentation über Denkmale und Gedenktafeln für jüdische Soldaten in Bayern. Allerdings gelang dies schon damals kaum oder gar nicht: Bald nach Ende eines Krieges setzten jedes Mal starke judenfeindliche Aktivitäten ein. Dennoch blieben die Juden „glühende Patrioten“, so Schwierz – und sahen 1914 erneut die Gelegenheit, dies unter Beweis zu stellen und die Emanzipation voranzubringen: Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs „eilten viele patriotisch gesinnte Juden aus dem ganzen Deutschen Reich freudig und opferbereit ‚zu den Fahnen‘“. Aus dem heutigen Landkreis Haßberge stammten den Aufzeichnungen von Cordula Kappner zufolge 152 jüdische Kriegsteilnehmer, davon allein 31 aus Haßfurt und 28 aus Burgpreppach gebürtig. Von den 152 Männern fanden 30 den Tod. Eine Meldung im „Bote vom Haßgau“ lässt annehmen, dass jüdischen Gefallenen – zunächst wenigstens – genauso ein ehrenvolles Gedenken und ihren Familien die gleiche Anteilnahme galt. Die Meldung verkündet den Tod des gebürtigen Hofheimers Max Reus. Sein Name findet sich auf dem Kriegerdenkmal in Hofheim, mit dem Sterbedatum 14. Dezember 1914.

Zwar wurden laut Schwierz ab der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges jüdische Soldaten bei Beförderungen und Auszeichnungen mehr berücksichtigt. Und die so genannte Judenzählung 1916 in der deutschen Armee untermauerte die patriotische Gesinnung der jüdischen Soldaten – entgegen der Absicht der antisemitischen Initiatoren, die Juden als Soldaten zweiter Klasse zu diffamieren, die sich vor dem Einsatz an der Front drückten. Dennoch war mit der Judenzählung „die giftige Saat der Verläumdung gesät worden“, so Schwierz. Noch dazu wurde nach dem verlorenen Krieg hauptsächlich den Juden die Schuld für die Niederlage zugeschoben.

Von dem zunehmenden Druck im Deutschen Reich ab 1933 blieben die jüdischen Soldaten nicht verschont, Auszeichnungen hin oder her. Der Antisemitismus ging so weit, dass mancherorts die Gräber von gefallenen jüdischen Soldaten geschändet oder ihre Namen von Kriegerdenkmälern weggelassen oder entfernt wurden. „Für Judenhasser früher und heute war und ist die Tatsache, dass Juden Deutschland als Soldaten gedient, dass sie für Deutschland gekämpft oder gar gefallen sein könnten, unbegreifbar“, schreibt Israel Schwierz.

Theodor Vandewart

Jedenfalls bewahrte der Einsatz für das Vaterland die Überlebenden und ihre Familien letztendlich nicht vor der Schreckensherrschaft des NS-Regimes. Das belegen einige Schicksale, die Cordula Kappner ebenfalls dokumentiert hat. Der Viehhändler Theodor Vandewart aus Lendershausen, von einer Kriegsverletzung sichtbar gezeichnet, schützte sich demnach zunächst vor einer drohenden Verhaftung, „indem er Polizisten, die ihn mitnehmen wollten, in der Uniform des Ersten Weltkrieges, versehen mit seinen Auszeichnungen, entgegentrat. Später half ihm auch das nicht mehr.“ Eine Notiz im „Bote vom Haßgau“ vom 4. April 1933 besagt, dass er tags zuvor in „Schutzhaft“ genommen wurde. Vandewart starb 1941 und liegt auf dem jüdischen Friedhof in Würzburg begraben.

Josef Rau aus Ermershausen, Jahrgang 1887, war infolge einer Kriegsverletzung an den Rollstuhl gefesselt. Eine Kugel in seinem Arm konnte nicht entfernt werden und bewirkte eine allmählich eintretende Lähmung. Im September 1939 mussten er und seine Frau in das jüdische Altersheim in Würzburg umziehen, wo Josef Rau zwei Tage später starb. Seine Frau kam 1942 in einem Konzentrationslager ums Leben.

Justin Zeilberger wurde tatsächlich Anfang Januar 1939 aus der so genannten Schutzhaft entlassen. Doch das Bemühen um die Auswanderung blieb erfolglos. Und damit nicht genug. Lea Zeilberger und Tochter Ilse verloren im KZ Stutthof bei Danzig ihr Leben, der Vater starb 1945, eine Woche nach der Räumung des KZ durch die Rote Armee, auf dem Todesmarsch nach Westen an Erschöpfung. Nur Sohn Fred überlebte. An das Schicksal der Familie erinnert ein so genannter Stolperstein vor ihrem früheren Haus in Würzburg.

Text & Repros: Beate Dahinten