Jüdische Positionen zur Sterbehilfe

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„Injanim / Kernfragen“ heißt eine neue Reihe, die bei Hentrich & Hentrich von Rabbinerin Elisa Klapeck herausgegeben wird. Der erste Band widmet sich der Sterbehilfedebatte, die auch jüdische Experten und Rabbiner beschäftigt. In fünf Beiträgen nehmen hier jüdische Autoren Stellung zu passiver und aktiver Sterbehilfe, assistiertem Suizid, palliativ-medizinischen Erwägungen und der aktuellen Gesetzesregelung…

Der Band basiert auf dem einem im Mai 2015 in Bielefeld abgehaltenen Seminar über „Jüdische Perspektiven auf das Ende des Lebens“, das eine eindrucksvolle Zahl an Interessierten als Publikum hatte. Die Veröffentlichung der vorgetragenen Überlegungen ist zwar nicht der erste Band über Sterbehilfe aus jüdischer Sicht, sehr wohl aber die erste Veröffentlichung, die sich auf Deutschland bezieht. Die Autoren sind Rabbiner, Mediziner und Juristen und widmen sich den unterschiedlichen Aspekten der Sterbehilfe.

Stephan M. Probst, leitender Oberarzt am Klinikum Bielefeld und Leiter der dortigen Palliativstation, stellt die palliativmedizinischen Herausforderungen für die jüdische Medizinethik vor. Anhand konkreter Fragen zu lebensverlängernden Maßnahmen erläutert Probst die Grundsätze der Palliativmedizin und ihren Einklang mit halachischen Bestimmungen. Die Halacha verlange nicht, „einen Sterbenden künstlich und um jeden Preis am Sterben zu hindern.“ Im Einzelfall sei jedoch immer der offene Austausch zwischen Betroffenen, ihren Familien, dem Rabbiner und den betreuenden Ärzten notwendig. Dabei geht es Probst auch darum, dem Sterbenden die Aussicht zu ermöglichen, „dass bei qualvollen Situationen eine palliative Sedierung sonst nicht behandelbare Beschwerden lindern kann und dass begonnene medizinische Maßnahmen auch wieder zurückgenommen werden dürfen, ohne dass dies aktive Sterbehilfe wäre“.

Rabbiner Dr. Tom Kučera zeigt die halachischen Positionen zu aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe. In einer persönlichen Stellungnahme schildert er seine Gedanken zu assistiertem Suizid und betont zum Schluß, dass das neue Gesetz von 2015, das Sterbehilfevereine verbietet, wenig hilfreich scheint und für „eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem drängenden Thema in Deutschland“ nicht förderlich sei.

Rabbiner Elisa Klapheck und Abraham de Wolf, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vereins Torat haKalkala zur Förderung der angewandten jüdischen Wirtschafts- und Sozialethik, widmen sich in ihrem Beitrag juristischen und rabbinischen Gesichtspunkten der Sterbehilfe. Der Darstellung der Rechtsentwicklung in Deutschland folgt ein Vergleich mit den Regelungen der Sterbehilfe im Ausland, darunter auch in Israel. Die Autoren vertreten den Standpunkt, dass „die Würde gerade in jüdisch-religiöser und in der Konsequenz in halachischer Hinsicht über dem Leben steht.“ Davon ausgehend schlagen sie eine Brücke zum geltenden Recht in konkreten Fragen wie etwa dem Willen des Patienten, Fällen von Hirn- oder Herztod, Töten auf Verlangen. „Eine „Halacha der Würde““, so die Autoren abschließend, „kann nicht über die lebendige Beziehung des Sterbenden zu Gott verfügen, sie muss vielmehr dessen Wissen als Teil der Beziehung zu Gott halachisch ermessen lernen.“

Leo Latasch, Mediziner und Mitglied im Deutschen Ethikrat, beschreibt das ärztliche Dilemma der Sterbehilfe. Oft habe er den Eindruck, dass „sowohl seitens der Religion, die kein Verständnis für Suizidhilfe hat, als auch seitens der Politik über ein Thema geredet wird, das man erst beurteilen kann, wenn es selbst erlebt hat – in der Familie oder auch als Arzt.“ Er als Arzt sieht sich der Würde des Menschen verpflichtet, was heißt, Leiden zu lindern. „Ein religiöser oder theologischer Formalismus, der abstrakten Kriterien folgt, hilft mir als Arzt mit meinem ethischen Dilemma in der jeweiligen akuten Situation oft nicht weiter.“

Der abschließende Beitrag gibt ein Gespräch zwischen Rabbinerin Elisa Klapheck mit Pfarrer Kurt Schmidt wider, der Leiter des Zentrums für Ethik in der Medizin am Agaplesio Markus Krankenhaus in Frankfurt a.M. ist. Die beiden Theologen tauschen sich aus über Ethik und Medizin, die Beziehung zwischen Ethik und Religion und über das Sterben als eigene Phase des Lebens. (al)

Elisa Klapheck (Ed.), Jüdische Positionen zur Sterbehilfe, Hentrich & Hentrich 2016, 192 S., 19.90 €, Bestellen?