„Irgend eine Waffe, irgend ein Ziel“

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Nach Ausreiseverbot für Dschihad-Aspiranten erhöht sich die Terrorgefahr in Frankreich. Salafisten bedrängen Moscheen-Vereine – und diese rufen den Staat zur Hilfe…

Danny Leder, Paris

Bevor sie, Mitte Juli, zum ersten Mal zum Verhör in der Hochsicherheitszentrale des französischen Inlandsgeheimdiensts zusammentrafen, waren sie einander nie persönlich begegnet. Und trotzdem hatten sich die drei Dschihad-Aspiranten – zwei Jugendliche aus muslimischen Familien und ein frisch zum Islam übergetretener 19 Jähriger – per Internet und mit Hilfe eines Verschlüsselungs-Programms über Details ihrer Attentatspläne ausgetauscht: einig war man sich darin, eine Überwachungsstation der französischen Marine an der Mittelmeerküste zu überfallen.  Einer dieser angehenden Dschihadisten, Djebril Amara, mit 23 Jahren der älteste im Trio, hatte in dieser kleinen Militärbasis als Marinesoldat gedient, war aber wegen psychischer Labilität und weiterer gesundheitlicher Probleme für den Dienst auf einem Schiff als untauglich befunden und aus der Armee entlassen worden.

In ihrer Webkorrespondenz waren die drei übereingekommen, bei ihrem Attentat die Wachposten der Marine-Basis mit Hilfe von Schalldämpfer-Waffen zu erlegen. Strittig blieb bloß, ob der diensthabende Offizier vor laufender Gopro-Minikamera mit einem Messer oder einem Beil enthauptet werden sollte.

Es ist dies das jüngste, aber weder das erste und wohl noch lange nicht letzte  Attentatsvorhaben in Frankreich, das gerade noch verhindert werden konnte. Seit den Anschlägen von Januar in Paris gegen die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und einen koscheren Supermarkt wurden sieben gereifte Anschlagspläne von den Behörden durchkreuzt. In anderen europäischen Staaten wurden in dieser Zeitspanne etwa gleich viele Terroraktionen vereitelt.

Anschlagspläne auf Kirchen in der „Judenstadt“

In zwei Fällen schalteten die französischen Behörden zu spät, es gab jeweils ein Todesopfer, allerdings misslangen die dabei ursprünglich jeweils angestrebten, noch viel verheerenderen Mordpläne. Im April erschoss ein 24 jähriger algerischer Student, Sid Ahmed Ghlam, eine Autofahrerin, die er irrtümlich für eine, ihn beschattende Zivilfahnderin hielt. Aus Ungeschick schoss er sich dabei aber auch ins eigene Bein. Er rief die Rettung, die wiederum wegen der Schussverletzung die Polizei informierte. Immerhin konnte Ghlam deswegen seine ursprünglichen Anschlagspläne gegen zwei Kirchen im Pariser Einzugsgebiet nicht verwirklichen. Eine der Kirchen, auf die er es abgesehen hatte, wird von Christen aus dem Nahen Osten besucht. Bei der Ortswahl für sein Attentatsprojekt dürfte die Namens-Symbolik eine Rolle gespielt haben: die Lokalität heißt „Villejuif“ (jüdische Stadt).

Im Juni enthauptete ein 35 jähriger Franko-Maghrebiner, Yassin Salhi, der für eine Transportfirma arbeitete, seinen Chef. Anschließend fuhr er mit einem Lieferwagen seiner Firma in eine Chemiefabrik in der Nähe von Lyon, wo er den Kopf seines Opfers auf einem Werksgitter befestigte, sich dazu stellte und ein Selfie für die dschihadistische Schreckenspropaganda im Web knipste. Allerdings konnte Salhi sein weiteres Vorhaben, nämlich die Chemiefabrik zu sprengen, nicht verwirklichen, weil von einem Feuerwehrmann rechtzeitig überwältigt wurde. In diesen beiden Terror-Fällen, im April und Juni, waren die Täter schon zuvor wegen ihres Radikalismus ins Visier der Behörden geraten, zuletzt aber unbeaufsichtigt geblieben.

Da liegt auch das Hauptproblem der Behörden: es gibt zwar eine Vielzahl von Hinweisen auf potentielle Dschihadisten – von besorgten, meistens muslimischen Eltern über eine Hotline, Moscheen-Betreibern, Lehrern, Sozialbetreuern, beunruhigten Nachbarn. Das Pariser Blatt „Libération“ berichtet, dass über die von den Behörden eingerichtete Hotline und Meldungen in Polizei-Kommissariaten Hinweise auf 3786 Personen eingelangt sind: 25 Prozent würden Minderjährige betreffen, 40 Prozent Frauen, 40 Prozent Konvertiten. Außerdem meldeten Schulen den Sicherheitsbehörden 816 Fälle von „Radikalisierung“ –eine extrem heikle Gratwanderung für den Lehrkörper, weil es unendlich schwierig ist, die Entwicklung von Heranwachsenden unter einem Sicherheitsgesichtspunkt zu beurteilen, ohne die freie persönliche Entfaltung der Schüler zu mündigen Staatsbürgern zu beeinträchtigen.

Aus allen Schichten, aus allen Konfessionen

Auch ist das Herausfiltern der wirklich tatbereiten Personen und ihre Rund-um-die-Uhr-Beschattung für die Polizei unendlich schwierig. Es sind inzwischen Heranwachsende aus allen sozialen Schichten und den verschiedensten konfessionellen oder auch konfessionslosen Familien, die sich, etwa in Kontakt mit Schulfreunden oder Kumpeln aus der Nachbarschaft, manchmal aber auch in der Abgeschiedenheit des Internet-Zugangs zu Hause, blitzschnell für den Dschihadismus entscheiden.

„Al Kaida traf noch eine gewisse Auswahl der Terroristen, die sie als verlässlich einstufte“, erklärt der Pariser Anti-Terror-Untersuchungsrichter und Dschihad-Spezialist David Benichou: „Mit der Bewegung des Islamischen Staats gibt es den Terrorjob für Alle. Der IS sagt: In Frankreich bist Du ein Niemand, bei uns wirst du zu Jemandem. Nimm irgendeine Waffe und greif irgendein Ziel an. Das sind oft keine organisierten Netze mehr, sondern Facebook-Kontakte“.

Tatsächlich erklärte einer der drei eingangs erwähnten Dschihadisten, die Mitte Juli festgenommen wurden noch bevor sie zur Tat schreiten konnten, er habe sich „wie unter Hypnose“ im Web die IS-Videos über Enthauptungen wieder und wieder angeschaut. Der jüngste im Trio, der erst 17 jährige Ismael, der aus einer Kleinstadt in Nordfrankreich stammt, wurde von Nachbarn als „klug“, „hilfsbereit“ aber auch ein wenig „in sich gekehrt“ beschrieben. Er galt als hochtalentierter Internetfachmann, gesellte sich aber kaum zu den übrigen Jugendlichen aus seinem Viertel auf der Straße oder im Sport. Er ließ sich auch nie in der örtlichen Moschee blicken. Der Imam bedauerte das und erklärte, er hätte diesen Burschen durch die im Moscheen-Verein betriebene Betreuung ansonsten zu einem „richtigen“ und daher gewaltfreien Religionsverständnis veranlasst. Ismael hatte soeben die Matura mit Auszeichnung bestanden.

Die unerwünschten Folgen des Ausreiseverbots für Dschihadisten

Seine Eltern hatten freilich während seines wochenlangen Ausharrens vor dem PC auch sein Abdriften in den Cyber-Dschihadismus bemerkt. Die Mutter hatte deswegen bei den Behörden eine elterliche Verfügung gegen eine Ausreise aus Frankreich hinterlegt. Ismael war ein erstes Mal von der Polizei einvernommen worden. Die Gruppe musste von ihrem ursprünglichen Vorhaben Abstand nehmen, sich den Dschihadisten in Syrien anzuschließen. Daraufhin erteilte ein IS-Dschihadist in Syrien, der mit Ismael in Verbindung stand, der Gruppe per Web den Befehl, in Frankreich loszuschlagen.

„Libération“ zitiert in diesem Zusammenhang einen Dschihadismus-Experten der von einem unerwünschten Effekt einer der prominentesten Anti-Terrormaßnahmen der französischen Regierung spricht. Im vergangenen November war ein Gesetz beschlossen worden, dass den Zuzug von Jugendlichen aus Frankreich zum Dschihad nach Syrien durch Ausreiseverbote unterbinden sollte. Die Behörden können im Verdachtsfall den Pass konfiszieren. Bisher wurden 118 derartiger Ausreiseverbote verhängt. In wenigen Fällen erhoben Betroffene Einspruch vor Gericht, in einem einzigen Fall wurde dem statt gegeben. Diese Maßnahme dürfte aber jetzt dazu geführt haben, dass einige dieser Personen statt nach Syrien zu fahren, ermutigt durch ihre IS-Kontakte, in Frankreich zur Tat schreiten wollen.

Salafisten erobern Moscheen

Jenseits der Radikalisierung in der nur scheinbar virtuellen Welt des Webs bleibt zweifellos der sogenannte „Salafismus“ ein bevorzugtes Rekrutierungsfeld für Dschihadisten. Der Begriff leitet sich vom arabischen Wort für Vorfahre („Salaf“) ab. Es handelt sich um eine Bewegung, die die überlieferte Lebensart und Handlungsweise des Religionsgründers Mohamed und seiner ersten Gefährten haargenau nachahmen möchte. Gerade diese Strömung zieht viele jungen Menschen an, und besonders jene, die frisch zum Islam konvertieren. Kenner der Szene schätzen die Anhängerschaft der Salafisten in Frankreich auf etwa 100.000 Personen (unter insgesamt rund fünf Millionen Muslimen). Ein großer Teil der Salafisten begnügt sich zwar mit Abschottung und auffälliger, ultrarigider Frömmigkeit (etwa die Ganzkörperverschleierung für Frauen und eine Haar- und Hosentracht, wie sie Mohamed zugeschrieben wird). Ein Teil aber strebt nach politischer Einflussnahme und einige landen in gewaltbereiten Gruppen.

Durch ihre Umtriebigkeit bedrängen die Salafisten in muslimischen Gebetsstätten die alteingesessenen Imame. Laut Behörden hätten die Salafisten 89 der insgesamt etwa 2000 muslimischen Gebetsstätten in Frankreich übernommen, dutzende weitere seien hart umkämpft. Denn inzwischen setzen sich traditionelle muslimische Kultträger gegen die Infiltration radikaler Elemente zur Wehr, etwa indem sie gegen salafistische Agitatoren wegen „Störung der freien Religionsausübung“ Anzeige erstatten.

Imame rufen Staat zur Hilfe im Kampf gegen „die Monster“

Seit 2012 wurden 40 radikale Imame aus Frankreich ausgewiesen. Innenminister Bernard Cazeneuve hat inzwischen die Möglichkeit der Auflösung ganzer Moscheen erwogen, sollten sich die jeweiligen Trägervereine der Verherrlichung des Terrors verschreiben.

Die muslimischen Würdenträger würden einer derartigen Moscheen-Schließung die Amtsenthebung der „Hassprediger“ und die Auswechslung des betreffenden Trägervereins durch staatlich anerkannte muslimische Funktionäre vorziehen. Aber die Enthauptung des Firmenchefs und der Anschlagsversuch in einer Chemiefabrik durch einen Dschihadisten in der Nähe von Lyon im Juni hat die muslimischen Spitzen und traditionellen Moscheen-Betreiber dermaßen erschüttert, dass etliche jetzt, zusätzlich zu ihrem eigenen, mehr oder weniger starken Anti-Radikalismus-Bemühungen, die Behörden um Hilfe rufen:

„Wenn nichts unternommen wird, werden wir diesen Grüppchen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein. Wir brauchen Hilfe, um sie wieder zu entwurzeln“, erklärte Abdelkader Bendidi, Vorsitzender des „Regionalrats des islamischen Kults“ in Raum um Lyon in einem Gespräch mit der Zeitung „Le Monde“.  Der Rektor der Moschee Othmane in Villeurbanne (ein Vorort von Lyon) warnt: „Der Horror und die Grausamkeit des jüngsten Geschehens zeigt, wie sehr die gewalttätige Bewegung, die die Religion missbraucht, an Kraft gewonnen hat. Die Moscheen unserer Gegend durchleben schwierige Momente, sie dürfen nicht in die Hände dieser Leute fallen.“ Und der Rektor der Großmoschee von Lyon, Kamel Kabtane, sagt: „Diese Leute nützen jedes Vakuum aus, sie beobachten die Imame, sie erzeugen Unordnung, und wenn es in einer Moschee an Aktivitäten und persönlicher Präsenz mangelt, nisten sie sich ein.“

Dabei glaubte Kabtane noch vor kurzem, die Gefahr sei durch die Aufrüttelung der traditionellen Gläubigen und Republik-treuen Imame halbwegs gebannt: „Nach dem Schock der Anschläge vom Januar in Paris glaubten wir, das schlimmste wäre hinter uns. Aber jetzt erscheint alles, was wir seither unternommen haben, wieder zerstört. Jemand hat sich als ein Monster entpuppt und unsere gesamte Gemeinschaft erschüttert. Angesichts einer derartigen Heimsuchung können wir alleine nichts ausrichten. Wir sind auf die Hilfe des Staats angewiesen.“

1 Kommentar

  1. „Wir sind auf die Hilfe des Staats angewiesen.“

    Dieser Schlußsatz, der in ähnlicher Form immer wieder zu vernehmen ist, deutet gleichzeitig auf ein grundsätzliches Problem. Wer soll den Bankrott des Islams verhindern, wenn nicht die Muslime selbst? Der bequem-hilflose Ruf nach dem Staat weist auf den springenden Punkt: So wie der Antisemitismus nicht das strukturelle Problem der „Juden“ ist, ist der erschreckend leichte Ãœbergang von muslimischen Heranwachsenden zu terroristischen Gruppierungen nicht ein Problem des „Westens“. Es ist vorrangig die Aufgabe der muslimischen Gemeinschaft, hier nach den tieferen Ursachen zu suchen und ohne jegliches Selbstmitleid gegen diese vorzugehen.

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