Frankreich vor den Bezirksparlamentswahlen…
Von Bernard Schmid, Paris
Die nächsten Bezirksparlamentswahlen, die in ganz Frankreich (mit Ausnahme von Paris und Lyon, wo Rathaus- und Bezirksregierung zusammenfallen) am selben Tag stattfinden, nahen heran. Die Stimmbeteiligung dürfte eher geringfügig ausfallen, im Augenblick wird eine Wahlenthaltung in Höhe von 57 Prozent prognostiziert, das wäre ähnlich hoch wie bei der Europaparlamentswahl 2014 in Frankreich.
Am 22. März 15 wird dazu der erste, und am 29. März d.J. der zweite Wahlgang stattfinden. Ein Sieger zeichnet sich ab, sofern die in den letzten Wochen angefertigten Umfragen und die dabei benutzen diversen Umrechnungsmodalitäten, die den Meinungsforschungsinstituten zur Berechnung nationaler Trends aus lokalen Einzelergebnissen denn die Realität widerspiegeln. Der rechtsextreme Front National (FN), dem je Umfrage 29 Prozent, 30 Prozent respektive 33 Prozent der Wahlabsichten winken, dürfte zumindest als politischer und moralischer Sieger dastehen.
Darüber hinaus hat er erhebliche Chancen darauf, zur stimmenstärksten Kraft zu werden, wie bereits bei der Europaparlamentswahl im Mai 2014, damals mit knapp 25 % der abgegebenen Stimmen. Je nach Umfrage rangiert der FN derzeit auf dem Platz der stärksten Partei, im Hinblick auf die herannahenden Bezirksparlamentswahlen; oder er teilt sich diesen Platz mit dem konservativ-wirtschaftsliberalen Parteienbündnis UMP/UDI, auf gleicher Höhe mit ihm. Wesentlich negativer noch: Während in der zuletzt – am Sonntag, den 1. März 15 – publizierten Umfrage des Instituts IFOP 29 Prozent der Befragten „den Sieg des FN wünschen“, erklären dies dem Institut zufolge 50 % der befragten Arbeiter[1]. Am Sonntag Abend erschien eine weitere Umfrage des Instituts Odoxa, welche ihrerseits den FN bei 33 % der Stimmabsichten ansiedelt, das Parteienbündnis der bürgerlichen Rechten UMP/UDI bei 27 %, und den regierenden Parti Socialiste (PS) bei 19 P%[2].
Das bedeutet noch nicht, dass er auch zur an Sitzen stärksten Partei werden wird: Die Mandate in den insgesamt rund 100 Bezirksparlamenten (Conseils départementaux; bis zur jüngst erfolgten Gebietsreform hießen sie noch Conseils généraux) werden nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben. Und dabei findet zwischen den beiden Wahlgängen eine Sammlung unterschiedlicher Kräfte auf beiden Seiten des politischen Spektrums statt, die i.d.R. zu Lasten des FN gehen dürfte, da dieser über keine stärkeren Verbündeten verfügt, mit welchen er sich vor der Stichwahl zusammenschließen könnte.
Bezirke mit FN-regierten Rathäusern
Nichtsdestotrotz gilt der FN als nicht unwahrscheinlicher Anwärter auf die Übernahme der Bezirksregierung in vier französischen Départements oder Verwaltungsbezirken: Var (um Toulon), Vaucluse (um Avignon), Aisne (um Laon, in der Picardie) sowie Pas-de-Calais (in Nordostfrankreich, mit Verwaltungssitz in Arras). In jedem dieser Départements zählt die extreme Rechte derzeit ein oder mehrere von ihr regierter Rathäuser, seit den letzten französischen Kommunalparlamentswahlen vom März 2014.
In einem Falle allerdings, dem des rechtsextrem geführten Rathauses von Le Pontet (Vorort von Avignon, 17.000 Einwohner/innen, Bezirk Vaucluse) wird die Wahl in wenigen Wochen wiederholt werden müssen. Am 25. Februar 15 annullierte der Conseil d’Etat, das oberste Verwaltungsgericht in Frankreich, die Wahl des dort amtierenden 32jährigen FN-Bürgermeisters Joris Hébrard[3]. Es könne nicht ausgeschlossen werden, schlussfolgerte das Gericht aus den ihm vorliegenden Beweiselementen, dass die Wahl durch Unregelmäßigkeiten beeinflusst worden sei. Bei der Rathauswahl im März 2014 lagen Joris Hébrard und sein damaliger konservativer Gegenkandidat von der UMP nur um insgesamt 17 Stimmen auseinander. Angesichts unleserlicher Unterschriften von Beisitzern in Wahlbüros, die möglicherweise nachträglich eingefügt wurden – während es die Aufgabe der Beisitzer/innen ist, für einen regulären Ablauf der Stimmabgabe zu garantieren – ist die Unverfälschtheit des Endergebnisses letztendlich nicht garantiert. Die Einwohner/innen zumindest eines der rechtsextremen Rathäuser müssen also demnächst an den Wahlurnen über seine Amtsführung befinden, und könnten ihm bei Unzufriedenheit die Quittung geben. Normalerweise müsste der FN ein solches Szenario fürchten. Allerdings wohl nicht, wenn die lokale Wahl in Le Pontet von einem möglichen Triumph des FN bei den französischen Bezirksparlamentswahlen überschattet wird.
Zwar droht auch noch einem zweiten Bürgermeister in einem FN-geführten Rathaus die gerichtliche Amtsenthebung, nämlich dem 35jährigen Fabien Engelmann (Lothringen) wegen des Vorwurfs illegaler Finanzierung seiner Wahlkampfkosten. Allerdings müsste er in seinem Falle nur die Amtsgeschäfte an ein anderes Mitglied der vom FN gestellten Mehrheit im Kommunalparlament übergeben; Letzteres würde anders als in Le Pontet nicht aufgelöst, also kein Mehrheitswechsel stattfinden.
Nicht überall stehen die rechtsextremen Amtsinhaber vor einem solchen Scherbenhaufen, auch wenn mancherorts die Proteste zusammen, vor allem in Beaucaire (im Raum Arles/Nîmes), wo der FN-Bürgermeister jüngst harte Einschnitte bei Schulkantinen und Sozialzentren vorgenommen hat. Aber mindestens einer von ihnen kann auch triumphieren. Steeve Briois, Bürgermeister von Hénin-Beaumont in Nordostfrankreich – und bis zum letzten FN-Parteitag in Lyon von Ende November 2014 auch Generalsekretär der Partei – verstand es, darauf zu achten, nicht allzu viel Wellen zu schlagen und unpopuläre Entscheidungen möglichst zu vermeiden. Am 27. Januar d.J. verlieh eine Journalistenjury, angeführt durch die prominente TV-Journalistin Arlette Chabot, ihm einen Preis, den für den „Lokalpolitiker des Jahres 2014“. Dieser Preis wurde ihm an jenem Dienstag in der Residenz des Präsidenten der französischen Nationalversammlung übergeben, zeitgleich zur Preisüberreichung an andere preisgekrönte PolitikerInnen (unter ihnen Umweltministerin Ségolène Royal). Parlamentspräsident Claude Bartolone selbst, der Inhaber der Räumlichkeiten, zog es vor, dem Ereignis fern zu bleiben – der Sozialdemokrat berief sich dabei ausdrücklich darauf, am Morgen desselben Tages habe er eine Ansprache zum Auschwitz-Gedenktag halten müssen, und beides passe nicht zusammen. Bei demselben Anlass wurde, wie man im Nachhinein erfuhr, der Fernsehjournalist Gilles Leclerc persönlich durch die FN-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen bedroht. Und zwar mit den Worten: „Wir kriegen Sie! Aber wenn Ihnen das dann passiert, dann wird ihnen das sehr weh tun.“[4]
Gruselkabinett
Zu diesen Bezirksparlamenten tritt der FN in über 92 Prozent der Kantone (Wahlkreise in den Bezirken) an. Dies bedeutet rund 7.650 Kandidaturen von Einzelpersonen, im Vergleich zu 2.720 Kandidat/inn/en des FN zu den Bezirksparlamentswahlen im März 2011[5]. Ein erheblicher Aufwand für eine Partei, die zwar formal vorgibt, über rund 80.000 Mitglieder zu verfügen, in Wirklichkeit jedoch nur über die Hälfte davon (wie anlässlich des letzten FN-Parteitags im November 2014 in Lyon die Auswertung der Mitgliedervoten im Vorfeld belegt). Deswegen tauchen auch dieses Mal – wie bei den Rathauswahlen im März 14 – vereinzelt Bewerber/innen auf, die unfreiwillig, also ohne ihr Zutun oder ohne klares Bewusstsein darüber zu haben, auf KandVgl. idatenlisten des FN stehen. Beispielsweise eine sehbehinderte, über siebzigjährige Frau in der Auvergne, die inzwischen Strafanzeige erstattet hat[6].
Dies ist beileibe nicht das Schlimmste. Am schlimmsten sind die Aussprüche von einigen Kandidat/inn/en, die – weil es sich nicht um geschulte langjährige Angehörige des Führungspersonals handelt – oft haarsträubend ausfallen. Einige Presseorgane haben sie nun z.T. genüsslich auszuschlachten begonnen[7], und dies ist auch gut so, weil es Öffentlichkeit für das schafft, was noch immer die politische Tiefennatur des FN ausmacht: die einer Partei, die Paranoide, Verschwörungstheoretiker, Rassisten und Hitlerfans anzieht wie das Licht die Motten. Ein paar Kostproben gefällig? Eine Kandidatin in den Westpyrenäen schlägt vor, „die Araber auf ein Schiff zu setzen und (dieses) zu versenken“; ihr droht der Parteiausschluss. Ein Kandidat im südwestfranzösischen Bezirk Aveyron schreibt das Internet mit Zeugs voll wie diesem, gespickt mit Rechtschreibfehlern: „Die Juden verdienen, getötet zu werden, wie sie Jesus getötet haben.“ Sein Kreisverband schloss ihn aus der Partei aus. Ein Kandidat in Narbonne spricht sich, angeblich „im Scherz“, für „Treibjagen auf Wildschweine, Wölfe, Luchse und auf Araber“ aus (nicht ausgeschlossen). Ein stellvertretender Kandidat im Bezirk Ardèche erklärt seiner Parteichefin gar im Internet: „Marine, Du bist die Reinkarnation von Adolf Hitler!“ (sic), was bislang noch keine parteioffizielle Reaktion nach sich zog.
Ausführlicheres dazu: demnächst in diesem Schauertheater…
[1] Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2015/03/01/97001-20150301FILWWW00021-departementales-fn-et-droite-a-egalite.php
[2] Vgl. http://www.leparisien.fr/politique/elections-departementales-le-fn-largement-en-tete-a-33-d-intentions-de-vote-01-03-2015-4567453.php oder http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2015/03/01/97001-20150301FILWWW00201-departementales-le-fn-en-tete-a-33-selon-un-sondage.php
[3] Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2015/02/25/l-annulation-de-l-election-du-maire-fn-du-pontet-validee_4583312_823448.html
[4] Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2015/01/29/97001-20150129FILWWW00149-marion-marechal-le-pen-on-va-vous-avoir.php und http://www.huffingtonpost.fr/2015/01/29/marion-marechal-le-pen-menace-journaliste-gilles-leclerc-_n_6568460.html
[5] Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/2015/02/17/01002-20150217ARTFIG00265-elections-departementales-le-front-national-investit-1912-candidats.php
[6] Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2015/02/18/97001-20150218FILWWW00456-candidate-fn-malgre-elle-elle-porte-plainte.php
[7] Vgl. http://www.liberation.fr/politiques/2015/02/26/des-candidats-fn-en-derapages-incontroles_1210572 oder http://www.linternaute.com/actualite/politique/1217196-candidats-fn-les-pires-derapages-des-departementales/