Misstrauen zwischen Muslimen und übrigen Franzosen tritt wieder verstärkt zutage

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Wie erst nachträglich bekannt wurde, verhinderten junge Muslime an hunderten Schulen die Trauerminuten für die Terroropfer. Unterdessen häufen sich Attacken auf Moscheen…

Von Danny Leder, Paris

Frankreichs Öffentlichkeit durchlebt ein Wechselbad der Gefühle. Nach den überwältigenden Märschen im Zeichen des Zusammenhalts der gesamten Nation gegen den Terror, die am Wochenende mit vier Millionen Teilnehmern alle historischen Rekorde brachen, tritt jetzt der zunehmende Vertrauensverlust zwischen den Muslimen und der übrigen Bevölkerung umso deutlicher hervor.

Am meisten gehen der Öffentlichkeit die sukzessiven Enthüllungen über die Vorfälle an Schulen unter die Haut. Ursprünglich hieß es, in 60 hätten einzelne Schüler die vom Unterrichtsministerium empfohlene Schweigeminute für die Terroropfer in ihren jeweiligen Klassen verweigert. Dann wurde klar, dass es sich um Pfeifkonzerte und Gejohle gehandelt hatte. Inzwischen ist die Zahl der betroffenen Schulen auf schätzungsweise mehrere Hundert angewachsen. Die Zeitung „Le Parisien“ veröffentlichte Auszüge aus einem vertraulichen Behördenbericht, in dem die Autoren zugeben, vom Ausmaß des Phänomens überrascht worden zu sein. Die Details sind beeindruckend: mal zerreißen die Schüler Traueraufrufe und Solidaritätsplakate für „Charlie-Hebdo“, mal werden andersdenkende Mitschüler und Lehrer mit Todesdrohungen bedacht, mal rufen Dutzende im Chor: „Allahu Akbar“. Vorgeladene Eltern finden, daran sei nichts auszusetzen, weil „Charlie den Propheten beleidigt hat“.

Dschihadisten-Verehrung und Judenhass

Daneben gibt es natürlich immer wieder auch Beispiele aus Schulen mit starkem Anteil an muslimischen Schülern, in denen Besinnung und Trauer vorherrschten. Aber an anderen Schulen, namentlich in sozial belasteten Vororten, wurden erst gar keine Anstalten gemacht, eine Schweigeminute oder auch Diskussionen über die Anschläge zu organisieren, weil sich die jeweilige Schulleitung und der Lehrkörper eine Flut von Provokationen ersparen wollte. Dem „Parisien“ berichtete ein Lehrer, gleich nach dem Anschlag auf „Charlie-Hebdo“ habe er „Schreckliches“ zu hören bekommen: „Man muss alle Journalisten umlegen, damit sie die Schnauze halten“. Während die Nachrichten über die Geiselnahme im jüdischen Supermarkt auf Smartphones eintrafen, zeigten sich Schüler erfreut, einer sagte: „Hitler hätte alle töten sollen“.

Andere Lehrkräfte gestanden, sie würden der Diskussion ausweichen, weil sich ihre Klassen, nach entsprechender Lektüre im Internet, darauf versteiften, die Anschläge als „Manipulation“ abzutun: wahlweise erklärten sie der französische Staat oder Israel hätten den Terror organisiert, um die Muslime anzuschwärzen. Die Schüler, die damit nicht einverstanden waren, wagten nicht sich zu äußern. Ein vom „Parisien“ befragter muslimischer Gymnasiast drehte den Spieß um und bedauerte allen Ernstes: „Wir haben lange mit unseren Professoren diskutiert, aber es ist schwierig. Die sind ja doch alle Charlie“.

Einiges davon kann als pubertäre Wichtigtuerei im Rahmen allgemeiner Unterrichtsprobleme in sozialen Randvierteln relativiert werden. Aber es ist höchst beunruhigend, dass in diesen Vierteln, aus denen die Attentäter stammen, bei Jugendlichen ein kollektiver Trend zu Dschihadisten-Verehrung und Judenhass spürbar ist. Was Premier Manuel Valls in einer Parlamentsrede auf den Punkt brachte: „Es ist unerträglich, wenn Schüler angesichts der jüngsten Anschläge erklären, ihr Feind sie Der Jude“.

Dutzende Attacken auf Moscheen

Ihrerseits klagen Muslime darüber, sie stünden ständig unter Rechtfertigungsdruck seitens ihrer Kollegen, Vorgesetzten oder Geschäftspartner. Passanten würden sie scheel ansehen, manchmal beschimpfen und sogar bedrohen. Junge Frauen, die das islamische Kopftuch tragen, berichteten, sie wären in den vergangenen Tagen durchwegs rassistisch beschimpft worden. Vor allem in Kleinstädten wurden mehrere dutzend Angriffe auf Moscheen verübt: es fielen Schüsse, Brandsätze und Schweinsköpfen wurden gegen in die Gebäude geschleudert. Eine 19 jährige muslimische Absolventin einer Hotelfachschule wurde von einer Rassistengruppe umringt und durch einen Messerstich verletzt.

Defacto ist es so, dass in kleinen Provinzstädten sich eher die Muslime vor Gewaltakten fürchten. Während in den volkstümlichen Vierteln in und um die größeren Städte die übrige Bevölkerung, und besonders die als Juden erkenntlichen Personen, dem Druck Jugendlicher ausgesetzt sehen, die sich an der Schnittstelle zwischen Kriminalität und Islamismus bewegen. Diese gewalttätigen Jugendlichen ängstigen und drangsalieren aber auch viele muslimische Familien in ihrer Nachbarschaft.

„Die Muslime, sind die ersten Opfer des Fanatismus. Der Islam ist mit der Demokratie vereinbar“, betonte Präsident Francois Hollande in einer Rede im Pariser Institut der Arabischen Welt. „Wir müssen Verallgemeinerungen zurückweisen. Die Franzosen muslimischer Konfession haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Bürger.“