Bei Bedrohungen und Hassäußerungen auf Onlineplattformen wird in Spanien mit zweierlei Maß gemessen: Wegen vermeintlicher Verherrlichung von Anschlägen der ETA und Todeswünschen gegen PolitikerInnen der Regierungspartei PP wurden Ende April 21 Twitterende und Bloggende bei einer Razzia verhaftet, bei Todeswünschen gegen Juden und Verherrlichung der Shoah mussten jetzt erst jüdische Organisationen Strafanzeige stellen, damit Staatsanwaltschaft und Polizei zu ermitteln begannen…
Gaston Kirsche
In einer Welle von Hass-Tweets und Threats hat sich der in Spanien weitverbreitete Antisemitismus nach einer Niederlage von Real Madrid im Basketballfinale der Final Four Europaliga gegen Maccabi Electra Tel Aviv am 18. Mai geäußert. Die Spielberichterstattung war wie üblich martialisch formuliert, aber ohne Diffamierungen. Als „gelbe Hölle“ titulierte etwa El País die Atmosphäre im Stadion in Anspielung auf die von den zahlreichen, lautstarken Fans getragene Vereinsfarbe von Maccabi. ((http://deportes.elpais.com/deportes/2014/05/18/actualidad/1400431646_220785.html))
Putos judios
Nach Spielende entwickelte sich am 19. Mai der Hashtag #putosjudios, wörtlich übersetzt: jüdische Stricher, Bedeutung etwa: verdammte Juden, zum Trending topic in Spanien. 17.692 Tweets wurden mit dem Hashtag #putosjudios gesendet. Darunter viele von Usern mit mehr als 1.000 Followern. Während in Tel Aviv unüberhörbar der Sieg von Maccabi freudig bejubelt wurde, setzte der User @rdereckless folgenden Tweet ab: „Dem Maccabi sollte nach dem Spiel eine Dusche zukommen … aber hoffentlich in der Gaskammer“, der von 41 anderen Usern weiterverbreitet wurde. @rdereckless hat seinen Twitter-Account mit einem Porträtfoto versehen, auf dem ein etwa 20-jähriger Langhaariger schüchtern in die Kamera schaut. „Jetzt verstehe ich Hitler und seinen Hass auf die Juden“ twitterte Guillermo de Alcázar, auf seinem Porträtfoto posiert ein Jungerwachsener mit Sportrad und Madrid-Trikot.
„Juden in die Gaskammer – vorwärts Madrid“ meinte Victor Guerrero Fernández, während eine Sara, auf ihrem Porträtfoto mit einem Madrid-Fußballtrikot bekleidet, erklärte: „Die nervenden Juden. Mit Hitler wäre dass nicht passiert“. Sergio de Frutos tweetete „Juden, ihr könnt kommen und wir feiern dass mein Kollege euch auf eine Liste setzt und gratis in den Ofen schiebt“, dazu ein Foto mit einem Offizier der NS-Wehrmacht.
Fünf Tweets von fünf Usern, deren Identität feststellbar ist. Und die deshalb namentlich angezeigt wurden von elf Organisationen aus Katalonien: Jüdische, Israelsolidarische und Antisemitismusbekämpfende. Einen Tag nach der Welle von hasserfüllten Tweets gaben sie am 20. Mai ihre Anzeige öffentlichkeitswirksam bei der Staatsanwaltschaft ab. Auf der vorangegangenen Pressekonferenz erklärte Uriel Benguigui, Vorsitzender der Israelitischen Gemeinschaft von Barcelona, die spanischen Juden hätten zulange dem „offenkundigen Antisemitismus“ welcher in der Gesellschaft vorherrsche, zugeschaut. Aber nach der Welle antijüdischer Äußerungen würden jetzt viele sagen: Es reicht!
Antoni Florido von der Katalanischen Vereinigung der Freunde Israels pflichtete ihm bei: „Gegenüber diesem Diskurs des Hasses muss die Gesellschaft reagieren“. Das wäre etwas neues – einige User haben, nachdem für sie überraschend eine Anzeige gegen die Tweets unter dem Hashtag #putosjudios vorbereitet wurde, ihre Äußerungen zurückgenommen. Andere bekräftigten dagegen ihre antisemitischen Tweets, neben dem Hashtag #putosjudios tauchte dabei öfter ein zweiter auf: #putoscatalanes, verdammte Katalanen. Weil die anzeigenstellenden Organisationen aus Katalonien kommen, einer spanischen Region mit starken separatistischen Tendenzen, wurden sie durch die tweetenden geistigen Hooligans gleich doppelt aus der vermeintlich stolzen spanischen Nation ausgegrenzt: Als Juden und als Katalanen.
Antisemitismus ist in vielen Tweets verwoben mit einem aggressiven spanischen Nationalismus, der auf die reaktionäre spanische Tradition bis zur Reconquista zurückreicht, als Christen, welche, eine vermeintlich rassische Reinheit ihres Blutes beschwörend, keine maurischen oder jüdischen Vorfahren zu haben, die arabischen Kalifate von Al Andalus aus Südspanien verjagten. Bis 1492 wurden die (sephardischen) Juden aus Spanien mit dem Schwert vertrieben. Für die sich daran anschließende jahrhundertelange Judenverfolgung und -diskriminierung in Spanien bis hin zur katholischen Inquisition, die es als eine ihrer Hauptaufgaben ansah, heimliche oder konvertierte Juden aufzuspüren und zu bestrafen, solle sich Spanien entschuldigen, wurde immer wieder gefordert, im Februar etwa vom Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt, dem Präsidenten der Konferenz Europäischer Rabbiner. ((http://www.publico.es/internacional/502428/espana-debe-disculparse-ante-los-judios-dice-el-lider-de-los-rabinos-europeo)) Im November 2012, bereits 520 Jahre nach ihrer Vertreibung, erhielten die sephardischen Juden immerhin vom spanischen Außenminister, José Manuel García-Margallo, und dem Justizminister, Alberto Ruiz-Gallardón, die öffentliche Zusage, dass sie ihre spanische Staatsangehörigkeit automatisch zurückbekommen könnten, wenn sie die Vertreibung ihrer Vorfahren nachweisen könnten. ((http://politica.elpais.com/politica/2012/11/22/actualidad/1353599231_756068.html))
Über die Anzeige wegen der antisemitischen Hass-Tweets wurde breit berichtet, der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz erklärte umgehend, dass Ermittlungen aufgenommen werden würden: so wie auch gegen die User ermittelt werde, die nach der Ermordung der Regionalpräsidentin Isabel Carrasco durch zwei von ihr enttäuschten Parteifreundinnen aus der konservativen Volkspartei PP ((http://jungle-world.com/artikel/2014/21/49912.html)) ihre Hoffnung auf weitere Morde an Regierungspolitikern geäußert haben: Zwei Jugendliche wurde binnen eines Tages nach entsprechenden Tweets verhaftet.
Ein solch promptes Eingreifen der Polizei hätten sich die Erstatter der Gemeinschaftsanzeige gegen die antisemitischen Tweets wohl auch gewünscht. Aber staatliche Stellen wurden nicht von sich aus tätig, wie auch der Sprecher der katalanischen Regionalregierung Generalitat, Francesc Homs, feststellen musste: Die Exekutive unter Präsident Mariano Rajoy würde bei Kommentaren in Online-Netzwerken zweierlei Maß anlegen: „Wenn es sie betrifft, nehmen sie es sofort wahr und verschärfen die Strafmasse, wenn nicht, schauen sie weg.“ Homs hob die Bedeutung der Meinungsfreiheit hervor, forderte aber: „Wenn es Exzesse gibt, muss gehandelt werden – egal ob es persönlich die Regierenden betrifft oder nicht“.
Ruben Novoa von Atid, der Jüdischen Gemeinschaft Kataloniens, der die Anzeige persönlich verantwortet, betont, ein staatliches Vorgehen sei möglich: „Die Anzeige enthält die Botschaften der fünf User, welche ihren Hass gegen Juden zeigen. Und ihre Namen und Anschriften. Es sind Botschaften, welche in einem Rechtsstaat nicht toleriert werden können.“
Der Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce kündigte am 20. Mai unmittelbar nachdem die Anzeige öffentlichkeitswirksam erstattet worden war, an, jetzt werde „mit Nachdruck“ ermittelt. Die für Cyberkriminalität zuständige Staatsanwältin Elvira Tejada de la Fuente, habe begonnen, Daten zu sammeln.
Die über Tage hinweg folgenlosen Absichtserklärungen von Innenminister und Staatsanwaltschaft, nun aber gegen die antisemitischen Tweets aktiv werden zu wollen stehen in einem eklatanten Missverhältnis zur prompten und überzogenen Verfolgung von Tweets, in welchen Linke Politiker angeblich bedrohen und ETA verherrlichen würden.
So wird gegen die Schriftstellerin Almudena Montero ermittelt, eine bekannte Bloggerin, die angeblich zur Gewalt gegen den Staat aufgerufen habe. Einer der Tweets, der ihr zur Last gelegt wird, besteht aus einem Zitat von Antonio Gramsci.
Auch gegen die Userin Loba Roja, rote Wölfin, wurde 2013 aus dem gleichen Grund ermittelt. Sie wurde im Februar angeklagt und ging auf einen von den Richtern an der Audiencia Nacional, dem für Terror- und Drogendelikte zuständigen nationalen Gerichtshof vorgeschlagenen Vergleich ein: Ein Jahr Gefängnis statt möglicher zwei Jahre, ohne Prozess. Auch ihr wurden zahlreiche Tweets vorgeworfen, deren Inhalt den Straftatbestand der Verherrlichung des Terrorismus erfüllen würden. Einer davon bestand aus einem Zitat des uruguayischen Schriftstellers Mario Benedetti. Gegenüber der linken online-Zeitung Público erklärte Loba Roja, ihre Tweets seien Ausdruck ihren angesammelten Zorns. Sie beziehe sich wegen deren Ideologie auf die ehemalige antifranquistische Guerrilla „Gruppen des antifaschistischen Widerstands des 1. Oktober“ (GRAPO), sei „Marxistin-Leninistin, Atheistin, Republikanerin und Antifaschistin“. Und so habe sie die Freilassung des noch inhaftierten GRAPO-Mitgliedes Manuel Pérez Martínez gefordert und auch mal „Viva los GRAPO“ getwittert.
Drei Wochen vor der Welle antisemitischer Tweets fand eine in linken Medien auch als „Hexenjagd“ bezeichnete Razzia gegen angebliche Cyberkriminelle statt. Dabei verhaftete die paramilitärische Polizeitruppe Guardia Civil über ganz Spanien verstreut 21 Menschen zwischen 16 und 53 Jahre – diese „Operation Spinne” hatte wiederum ein Richter am Obersten Strafgerichtshof, der Audiencia Nacional in Madrid, angeordnet – angeblich zur Bekämpfung des vermeintlich ausufernden Cyberterrorismus. Die Verhafteten sollen auf Twitter und bei Facebook Terrorismus verherrlicht haben, konkret: Aktionen von ETA. Die Verhafteten kannten sich untereinander nicht, höchstens zufällig aus dem Internet.
Einer soll, laut Guardia Civil auf Twitter ein Foto des 1973 von ETA in die Luft gesprengten Admirals und faschistischen Ministerpräsidenten Carrrero Blanco mit der Bildunterschrift „Ich will fliegen!” veröffentlicht haben. Andere hätten getwittert: „Schade, dass es ETA nicht mehr gibt”. Bis zu zwölf Stunden wurden die Verhafteten verhört, am nächsten Tag wieder freigelassen – unter Meldeauflagen. Ihnen droht bei Anklage bis zu zwei Jahren Haft.
Während die Solidarität mit den 21 Verhafteten im Internet groß ist und ihre Kriminalisierung in allen sich radikal links verstehenden Onlinemedien entschieden zurückgewiesen wurde, schweigen die gleichen linken Onlinemedien jetzt bei der Hasswelle antisemitischer Tweets. Dort, wo #putosjudios doch Thema ist, wie bei der linken Onlinezeitung Público, tun sich in den üblichen Kommentaren der Lesenden Abgründe auf: Unter dem ersten Artikel vom 20. Mai, der die Hass-Tweets und die Anzeige gegen sie darstellt, standen drei Tage später 120 Postings, von denen es in 66 darum geht, den Antisemitismus zu bagatellisieren, oder, und dies ist am häufigsten: reflexhaft darauf zu verweisen, dass Juden ja hinter Israel stünden, und Israel ein rassistischer, völkermordener Fremdkörper im Nahen Osten sei ((http://www.publico.es/politica/521871/la-comunidad-judia-denuncia-a-17-500-perfiles-de-twitter-por-antisemitismo-tras-la-victoria-del-maccabi)) – die Juden seien selbst schuld. In einigen Posting wurde sich auch darüber aufgeregt, dass „Público“ unter dem Artikel die Anzeige der elf Organisationen als PDF online gestellt hat – mit Namen und Twitteraccounts der fünf namentlich bekannten Verfasserinnen antisemitischer Tweets. Diese gelinde gesagt Ignoranz gegenüber dem eliminatorischen Antisemitismus von #putosjudios kommt im klassischen linken Jargon daher. Und verdeutlicht, dass sich die gegen Antisemitismus wendenden Organisationen in Spanien auf die staatsferne Linke genauso wenig wie auf den Staat verlassen können.