Interview mit dem Leiter des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Joachim von Wachter anlässlich der Wanderausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ in Bremerhaven am 19.5.2014…
Von Orlando Berliner/ Susanne Benöhr-Laqueur
Der Abend begann witzig. Der Moderator erklärte kichernd und breit grinsend, er habe noch nie neben einem Leiter eines Landesamtes für Verfassungsschutz gesessen. Klar, der Verfassungsschutz gehört zum Geheimdienst und deren Mitarbeiter werden irgendwie zwischen „007“, John le Carré, Schlapphut und langen schweren Ledermänteln verortet. Herr von Wachter entspricht diesem Image nicht. Er erschien höchst unauffällig im mausgrauen Anzug mit Aktentasche. Die Bemerkung des Moderators quittierte er mit einem leicht gequälten Lächeln.
Die Reaktion war verständlich. Der NSU verübte binnen 11 Jahren zahlreiche Morde, Raubüberfälle sowie zwei Bombenattentate. Am Abend des 4. November 2011 waren Böhnhardt und Mundlos nach einem gescheiterten Raubüberfall tot und Zschäpe auf der Flucht. Dies war nicht nur das Ende des NSU, sondern zudem der Anfang vom Ende der innerdeutschen Sicherheitspolitik in puncto Rechtsextremismus.
Der Verfassungsschutz – also der Inlandsgeheimdienst – hatte nämlich (offenbar) überhaupt keine Kenntnis von der rechten Terrorzelle. Oder doch?! Vieles ist ungeklärt und wird es auch bleiben. Am Ende der Affäre traten jedenfalls der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie vier Leiter bzw. Präsidenten von Landesämtern zurück. Diverse Landtage und nicht zuletzt der Bundestag errichteten Untersuchungsausschüsse.
Letzterem gehörte der zweite Gast des Abends, Serkan Tören (FDP), an. Eine interessante Kombination. So möchte man meinen. Aber falsch gedacht: Die Bremerhavener blieben zu Hause. Nur ein kleines Häufchen Interessierter hatte sich eingefunden. Warum eigentlich? Die Veranstaltung war hochprofessionell angekündigt und beworben worden ((http://www.bremerhaven.de/meer-erleben/bildung/volkshochschule-bremerhaven/die-opfer-des-nsu-und-die-aufarbeitung-der-verbrechen.83539.html (Zugriff 30.5.2014)), sogar das Fernsehen war vor Ort.
Aber der NSU, so scheint es, ist mittlerweile Geschichte: Mundlos und Böhnhardt sind tot und Zschäpe schweigt. Vermutlich wird sie ihre Freiheitsstrafe verbüßen, wegen guter Führung vorher entlassen werden, um sodann, sicherlich ohne finanzielle Not und im Schutze der Ihrigen ein angenehmes Leben führen.
War da was?! War es das?! Nein. Der Terror des NSU hat bei näherem Hinsehen in mehrfacher Hinsicht die bequeme bundesdeutsche Befindlichkeit erschüttert.
Totalversagen
Serkan Tören redete an diesem Abend Tacheles. Die Sicherheitsbehörden hätten versagt. Mittlerweile seien die gesetzlichen Bestimmungen aber geändert worden. Eine innere und äußere Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden müsse erfolgen und dazu gehöre auch, dass mehr Migranten in den Behörden auf der Entscheidungsebene tätig werden sollen. Gefordert sei eine interkulturelle Akzeptanz, nur diese könne vor Fehleinschätzungen wie im Falle des NSU bewahren. Im Übrigen habe niemand den Terror der NSU auch nur erahnen können. Es habe weder ein Bekennerschreiben gegeben noch hätte man Hinweise aus der Mitte der Gesellschaft – z.B. von Journalisten – erhalten.
Nun ist Herr Tören nicht nur Jurist, sondern auch ein eloquenter Politiker und so mancher Zuhörer mag es an dieser Stelle mit Goethe gehalten haben: Die Botschaft hör` ich wohl, alleine mir fehlt der Glaube.
Zum einen sind in Deutschland sozialisierte Migranten mit akademischen Abschlüssen nach wie vor die Ausnahme. Zum anderen dürften Behördenstrukturen, die seit mehr als fünfzig Jahren bestehen, nicht einfach aufzubrechen seien, zumal wenn es sich um den Geheimdienst handelt. Oder noch präziser formuliert: Um die Geheimdienste. Denn Deutschland kümmern sich mindestens (!) 35 Behörden um die innere und äußere Sicherheit.
16 mal 2 plus 3
Nach 1945 veranlasste das Ausmaß des nationalsozialistischen Terrors die westlichen Besatzungsmächte zu einem radikalen Schritt. Der Inlandsgeheimdienst, besser bekannt als Geheime Staatspolizei (Gestapo) mit seiner Zentrale in Berlin, wurde zerschlagen. Darüber hinaus sollte der neu zu formierende Inlandsnachrichtendienst keine polizeilichen Befugnisse mehr erhalten. Fortan hatten Verhaftungen im Morgengrauen von Männern in langen schwarzen Ledermänteln der Vergangenheit anzugehören.
Dies hatte kurioserweise zwangsläufig zur Folge, dass in jedem Bundesland ein Landesamt bzw. eine Abteilung für Verfassungsschutz errichtet wurde. Daneben existiert seit 1950 das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Daneben bestehen 16 Landeskriminalämter sowie das Bundeskriminalamt. Der BND (als Auslandsnachrichtendienst) und der MAD (Militärische Abschirmdienst) vervollständigen das Bild. ((Der Vollständigkeit halber müsste man jetzt noch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie sowie den Zoll hinzufügen.))
Jedes Bundesland hat sein eigenes Verfassungsschutzgesetz – neben dem Gesetz des Bundesamtes für Verfassungsschutz – und selbstverständlich haben alle Bundesländer ein eigenes Polizeigesetz. Da der Verfassungsschutz keine exekutiven Befugnisse hat, muss er eng mit den jeweiligen Landespolizeibehörden zusammenarbeiten, um effektiv handeln zu können. Zudem darf, höflich formuliert, die Kommunikation zwischen den Landesämtern untereinander und dem Bundesamt nicht gestört sein. Angesichts des ausgeprägten deutschen Föderalismus` war dies in der Vergangenheit ein großes Problem. Im Zuge der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen wurde die Schwachstellen überdeutlich.
So erklärte der ehemalige Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vor dem Bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss, dass die Kooperation mit dem Verfassungsschutz in Thüringen wenig vertrauensvoll gewesen sei. Nur durch Zufall habe man erfahren, dass in der Mitte der 1990-er Jahre im Raum Coburg gegründete „Fränkische Heimatschutz“ von einem V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes geführt worden sei. Dieser habe damals einen „Rattenschwanz an Rechtsextremen“ mit nach Bayern gebracht. Er habe bei seinem thüringischen Amtskollegen deshalb interveniert und den Abzug des Mannes gefordert (…):„Wir wollten die wieder aus Bayern draußen haben.“ Dies sei dann mit Unterstützung des Bundesamtes für Verfassungsschutz auch gelungen (…) ((https://www.bayern.landtag.de/aktuelles/sitzungen/aus-den-ausschuessen/nsu-untersuchungsausschuss-startet-mit-der-zeugeneinvernahme/ (Zugriff 30.5.2014))
Das war bei weitem kein Einzelfall. Angesichts dessen, konnte man gespannt sein, was der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Bremen über die Reformansätze zu berichten hatte.
Need to know – need to share!
Herr von Wachter eröffnete die Diskussion mit einem prägnanten Anglizismus: „Need to know – need to share“. Das hört sich natürlich gut an und bedeutet wohl soviel, als dass die Sicherheitsbehörden untereinander – also Verfassungsschutz und/oder Polizei – ihre Erkenntnisse austauschen. Daraus kann man logischer Weise folgern, dass dergleichen in der Vergangenheit eher nicht der Fall war. Aber Herr von Wachter ging noch weiter: Vor laufender Fernsehkamera erklärte er, dass der Verfassungsschutz mehr Transparenz anstrebe und sich als Dienstleister verstehe. ((http://www.radiobremen.de/fernsehen/buten_un_binnen/video60524-popup.html (Zugriff 30.5.2014)) Das ist natürlich interessant: Ein transparenter Geheimdienst? Ein Dienstleister!? Aber ist die aktuelle Gesetzeslage nicht eine ganz andere? Fragen, die Hagalil in einem persönlichen Gespräch mit dem Juristen zu klären versuchte.
Hagalil: Herr von Wachter, in § 5 Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes steht zu lesen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (…) die Landesbehörden für Verfassungsschutz über alle Unterlagen unterrichtet, deren Kenntnis für das Land zum Zwecke des Verfassungsschutzes erforderlich ist. Was heißt denn „erforderlich“?
Hans-Joachim von Wachter: Ja, das ist der aktuelle Wortlaut. Ein neues Bundesverfassungsschutzgesetz steht aber kurz vor der Beschlussfassung. Dort ist der Wortlaut dann der seit dem 6.12.2012 existierenden Koordinierungsrichtlinie angepasst. Darin ist festgelegt, dass die Zusammenarbeit der Landesämter untereinander und des Bundesamtes deutlich verbessert wurde. ((http://www.verfassungsschutz-mv.de/cms2/Verfassungsschutz_prod/Verfassungsschutz/content/de/_Service/Archivmeldungen/_meldungen/Innenminister_und_-senatoren_einig_bei_Sicherheit_in_Stadien,_Verfassungsschutz_und_GETZ/index.jsp, Zitat: Prävention und Aufklärung der Öffentlichkeit müssen im Aufgabenprofil ein noch stärkeres Gewicht bekommen. Eine neue Philosophie, sich nicht nur auf seine herkömmliche Aufgabe als Nachrichtendienst zu beschränken, sondern als aktiver Partner und Dienstleister in der Mitte der Gesellschaft zu stehen, soll helfen, das Vertrauen der Bevölkerung in den Verfassungsschutz zu stärken. Die erarbeitete Zusammenarbeitsrichtlinie wird zum 1. Januar 2013 in Kraft treten. Die im Laufe des vergangenen Jahres erkannten Defizite in der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden können damit unterbunden werden, so auch: http://www.rv-lg.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=14797&article_id=111261&_psmand=33 (Zugriff 30.5.2014))
Hagalil: Spricht angesichts der zahlreichen Pannen im Rahmen des NSU-Komplexes nicht vieles für eine Zentralbehörde oder eine Zusammenlegung von Landesämtern?
Hans-Joachim von Wachter: Nein. Die Bundesrepublik ist ein föderaler Staat. Die Innenministerkonferenz hat sich gegen eine Zentralbehörde entschieden. Wir arbeiten vertrauensvoll mit unseren Kollegen, z.B. den Niedersachsen, zusammen.
Hagalil: Die rechte Szene ist enorm gut vernetzt und kommuniziert vortrefflich über das Internet. Ihre Kollegen vom Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen haben in diesem Zusammenhang einen „Internetatlas 2013 – Aktivitäten rechtsextremistischer Bestrebungen im Internet“ ((http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/Internetatlas_2013.pdf (Zugriff 30.5.2014)) online publiziert. Auf dieser Site finden sich unzählige Hinweise und Links zu rechtsextremen Radioprogrammen, Internetseiten, Kameradschaften, Aktionen, Läden und Internetforen im Bundesland Sachsen. Plant Bremen auch dergleichen?
Hans-Joachim von Wachter: Wir informieren punktuell, sobald sich im Lande Bremen Vorfälle ereignen.
Hagalil: Sie haben das Schlagwort des „Verfassungsschutzes als Dienstleister“ verwendet. Dazu gehört auch die entsprechende Homepage. Die Website des Bremer Verfassungsschutzes ((http://www.verfassungsschutz.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen02.c.732.de (Zugriff 30.5.2014)) ist – verglichen mit anderen Landesämtern – ein wenig spärlich…
Hans-Joachim von Wachter: Dafür habe ich keine Leute. Ich habe nur 51 Mitarbeiter. Wie gesagt, wir informieren fallbezogen.
Hagalil: Aber Herr von Wachter genau deshalb spricht doch viel für eine Zentralbehörde oder eine Zusammenlegung, dann gebe es doch Leute!
Hans-Joachim von Wachter: Wie bereits gesagt: Die Bundesrepublik ist ein föderaler Staat und die Zusammenarbeit funktioniert optimal.
Frau Röpke klärt auf: Der stille Terror von Rechts
Zwei Tage später referierte Andrea Röpke. Sie ist eine profunde Kennerin der rechten Szene und präsentierte fakten-facetten- und bilderreich Auszüge aus dem von ihr mitverfassten Buch „Blut und Ehre: Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“. ((http://www.amazon.de/Blut-Ehre-Geschichte-Gegenwart-Deutschland/dp/3861537079 (Zugriff 30.5.2014)) Ihre Schlussfolgerung war eine völlig andere: Der rechte Terror sei „still“. Bekennerschreiben würden nicht verschickt werden. Die Attentäter entzögen sich nicht selten der Strafverfolgung durch Selbstmord. Die Sicherheitsbehörden hätten total versagt und journalistischen Hinweise auf die besonders radikale Szene um die „Anti-Antifa-Thüringen“, der Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angehörten, habe man in den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz als „übertrieben“ abgetan.
Damit widersprach Andrea Röpke nicht nur der Einschätzung von Serkan Tören. Sie problematisierte in aller Ausführlichkeit zudem einen Vorfall, der vor einem Vierteljahr in Bremen stattgefunden hat und die neue optimale strategische Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in puncto Rechtsextremismus kritisch hinterfragt.
Schiffchen fahren…
Am Samstag, den 1. März 2014 fand im Bremer Weserstadion das 100. Nordderby statt, also ein Fußballspiel zwischen Werder Bremen und dem HSV. Diese Bundesligaspiele ziehen nicht nur Sportbegeisterte an, sondern auch Rechtsextreme. Um die zahlreichen Sicherheitssperren zu umgehen, mieteten diese ein Ausflugsschiff, um damit die Weser hinauf zum Weserstadion zu fahren. ((http://www.taz.de/!134102/, http://www.weser-kurier.de/bremen/vermischtes2_artikel,-Polizei-entert-Hooligan-Schiff-_arid,793061.html (Zugriff 30.5.2014)) An Bord befanden sich 130 zum Teil maskierte, bewaffnete und mit Pyrotechnik ausgestattete Personen. Darunter waren Neonazis und Hooligans aus Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin. ((http://www.taz.de/!134102/, http://www.weser-kurier.de/bremen/vermischtes2_artikel,-Polizei-entert-Hooligan-Schiff-_arid,793061.html, http://standarte-bremen.de/. Die Internetseite von „Standarte Bremen“ spricht von Essenern, Bochumern und Berlinern. (Zugriff 30.5.2014)) Kurz vor dem Weserstadion zwang die Wasserschutzpolizei den Kapitän abzudrehen. ((Hierzu ein Foto der rechten Szene: http://standarte-bremen.de/. Es zeigt deutlich, wie nahe sich das Ausflugsschiff dem Weserstadion bereits genähert hatte. (Zugriff 30.5.2014)) Am Martinianleger, mitten in der Innenstadt, verließ ein Teil der Gruppe das Schiff, schwärmte in die nahe City aus, wo sie Passanten und Journalisten bedrohten bzw. verfolgten. ((http://www.taz.de/!134102/, http://www.weser-kurier.de/bremen/vermischtes2_artikel,-Polizei-entert-Hooligan-Schiff-_arid,793061.html (Zugriff 30.5.2014)) Die völlig überforderte Polizei reagierte zu spät oder gar nicht. ((http://www.spiegel.de/video/rechtsfreie-raeume-nazihooligans-in-bremen-video-1347015.html (Zugriff 30.5.2014))
Im Jahre 2011 hatte Hans-Joachim von Wachter in einem Interview noch erklärt: „In Bremen arbeiten NPD-Mitglieder, Neonazis und rechtsextreme Hooligans eng zusammen.“ ((http://www.bild.de/regional/bremen/bremen/gefaehrliche-neonazis-leben-unter-uns-20170584.bild.html)) Diese Erkenntnis dürfte sich nach der „Schiffsfahrt“ nicht nur als richtig erwiesen haben, sie muss wohl auch um das Wörtchen „bundesweit“ ergänzt werden.
Und so kann man angesichts der Bemühungen der deutschen Sicherheitsorgane in puncto Rechtsextremismus letztendlich nur kopfschüttelnd Bert Brecht zitieren: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ ((Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan, 1. Auflage, Frankfurt/Main 1963, Epilog.))