Yoram Kaniuk gestorben

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Der Schriftsteller Yoram Kaniuk ist am Samstag im Alter von 83 Jahren verstorben. Kaniuk wurde 1930 in Tel Aviv geboren und gehörte zu den wichtigsten, aber auch umstrittensten Schriftstellern Israels. Internationale Bekanntheit erlangte er unter anderem durch den Roman „Adam Hundesohn“ (1968)…

Yoram Kaniuk, 1930-2013
Yoram Kaniuk, 1930-2013

2001 erschien das Buch „Der letzte Berliner“, eine Sammlung von Berichten über seine Reisen nach Deutschland, angefangen 1985 bis Ende der 1990er Jahre. Das Buch ist eine Auseinandersetzung mit dem Land der Täter, gleichzeitig das Land, in das sein Vater als junger Mann aus Galizien gelangte und aus dem er später in das damalige Britische Mandatsgebiet Palästina auswanderte. Der Band erschien zunächst auf Deutsch und erst drei Jahre später, 2004, auf Hebräisch.

Präsident Shimon Peres schrieb in einem Beileidsbrief an die Familie Kaniuks:

„Der Tod Yorams ist ein großer Verlust für die Welt der Literatur, der Kultur und des Intellekts in Israel. Er hat auf seine einzigartige Weise auf Israel geblickt und das Land mit Talent und einem menschlichen Schreibstil beschrieben, der voll von Mitgefühl und gleichzeitig Wildheit war.
Er hatte niemals Angst davor, vom vorgezeichneten Weg abzuweichen und hat nie die innere, originelle, mutige und scharfsinnige Wahrheit verlassen, die ihn leitete, auch dann, wenn sie nicht zum Konsens passte. Seine Bücher werden das Volk auch nach seinem Tod noch lange begleiten.“

Ministerpräsident Netanyahu erklärte zum Tode Kaniuks bei der wöchentlichen Kabinettssitzung:

„Er hat vielen Aspekten der israelischen und jüdischen Erfahrungswelt Ausdruck verliehen. Er hat mich oft scharf kritisiert, doch ich muss sagen, dass er auch ein sehr talentierter Schriftsteller mit beeindruckenden literarischen Fähigkeiten war […].“

Haaretz/Präsidialamt/Amt des Ministerpräsidenten, 09.06.13, Newsletter der Botschaft des Staates Israel

6 Kommentare

  1. Ein kurzer Auszug aus diesem Nachruf erwähnt Details, die mir auch unvertraut waren:
    “ 2005 war Kaniuk bereits an Krebs erkrankt und konnte sich die Behandlung nicht leisten. Sein deutscher Freund Rolf Eden unterstützte ihn finanziell. »Er hat mir damit das Leben gerettet«, konstatierte Kaniuk später. Eden, den viele nur als Berliner Playboy kennen, war zusamen mit Kaniuk in der Palmach gewesen. Doch anders als Eden drängte es Kaniuk immer wieder zur Verarbeitung des Vergangenen. Nachdem er sich von dem zweiwöchigen Koma erholt hatte, in das er infolge von Komplikationen nach einer Krebsoperation gefallen war, schrieb er über diese Nahtoderfahrung einen zweiten autobiographischen Roman – »Zwischen Leben und Tod«.“

  2. Yoram Kaniuk war ein Großer der israelischen Literatur. Er war streitbar, visionär, klarsichtig, zornig.
    Zwei Nachrufe auf ihn seien erwähnt:
    http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/16170
    sowie Joachim Schlör im Spiegel:
    http://www.spiegel.de/kultur/literatur/nachruf-auf-den-israelischen-schriftsteller-yoram-kaniuk-a-904655.html

    Erinnert sei an Yoram Kaniuks Auseinandersetzung mit dem eitel-rechthaberischen Günter Grass, wie sie hier auf haGalil vor gut einem Jahr in vielfältiger Weise geführt wurde, etwas im Beitrag „Günter Grass mochte keine roten Rosen“:
    test.hagalil.com/2012/04/11/grass-8/

    Verwiesen sei auch auf die beiden deutschsprachigen Interviews mit Yoram Kaniuk über Grass:
    jungle world 12/2012: „Grass hat ein Problem mit Juden“. Yoram Kaniuk im Gespräch über Antisemitismus in Deutschland. … Mit der Jungle World sprach Kaniuk über Günter Grass…:
    jungle-world.com/artikel/2012/15/45228.htm
    Was war Ihre erste Reaktion, als Sie vom Inhalt des sogenannten Gedichts von Günter Grass erfuhren?
    Um ehrlich zu sein: Es interessiert mich nicht besonders. Ich denke nicht, dass dieses Gedicht irgendeine Bedeutung hat. Grass hatte schon immer problematische Ansichten zu Israel und den Juden. Auch wenn andere seine Bemerkungen als Antisemitismus bezeichnen – ich würde es nicht so nennen. Es ist einfach nur so, dass er ein Problem mit Juden hat. Ich hatte 1991 eine Diskussion mit ihm im deutschen Fernsehen. Ich wandte mich gegen die Tatsache, dass die deutsche Linke gegen den damaligen Krieg der USA gegen den Irak protestierte, ohne gleichzeitig gegen die Giftgaslieferungen deutscher Firmen an Saddam Hussein in den achtziger Jahren zu protestieren: Deutsche, Juden, Gas – diese Verbindung sollte es nicht mehr geben, und das habe ich ihm gesagt. Wir hatten damals eine lange Diskussion und meine Schlussfolgerung daraus war, dass er eine sehr schwierige Person ist, und dass er ein Problem mit all dem hat. (…)
    Die Israelis sagen nicht einmal: Wir mögen die Deutschen nicht. Auch wenn wir natürlich ein Problem damit haben, was Deutsche vor 70 oder 80 Jahren getan haben. Ahmadinejad hingegen sagt, die Juden sind Abschaum und Israel muss vernichtet werden. Wenn Günter Grass das gefällt, ist das sein Problem. Aber Grass war schon immer so. Schon als ich ihn in den sechziger Jahren traf, war Israel ein Problem für ihn. Er konnte nie über einen Juden schreiben. Er hat nie über den Holocaust geschrieben. Dabei war das so sehr ein Teil seiner Vergangenheit. Er sah, wie jüdische Kinder nicht mehr zur Schule kamen und stattdessen in Lager gebracht wurden. Er hatte jüdische Lehrer, er kannte Juden. Und doch konnte er nie darüber eine Geschichte schreiben.

    Sowie Die Welt: „Es lebt sich schwer mit dem Holocaust“:
    http://www.welt.de/politik/deutschland/article106170512/Es-lebt-sich-schwer-mit-dem-Holocaust.html
    Ein Zitat hieraus:
    „…Die wenigen Juden in seinen (Grass´, U. D.) Büchern wirken wie Stereotype und gehören nicht wirklich zu den Figuren seiner Romane. Er ist vielleicht noch fähig, Walter Benjamin als Philosoph zu verstehen, nicht aber als Juden.
    Dann ist da das Politische: Während des ersten Irakkrieges fragte ich ihn in Deutschland in einem Forumsgespräch, warum er und andere Linke nicht vor den Toren der deutschen Firmen demonstriert haben, mit deren Hilfe der Irak damals Gaswaffen produzierte. Diese Raketen bedrohten ganz Israel mit Vernichtung. Er wurde damals sehr ausfallend und gab irgendeine Antwort mit „kein Blut für Öl“. Die Gaswaffen hielt er für eine Erfindung, dabei gab es doch schon Jahre zuvor die Angriffe Saddam Husseins auf die Kurden.
    Welt Online: In ihrem Buch „1948“ beschreiben Sie Ihre Kriegserinnerungen auf sehr persönliche Art, nicht gerade dem üblichen Kriegsbild in Israel entsprechend. Würden Sie auch von Grass erwarten, seine SS-Vergangenheit literarisch aufzuarbeiten?

    Yoram Kaniuk: Ich hätte es erwartet, aber ich habe schon lange vor seiner SS-Enthüllung gespürt, schon bei unserer ersten Begegnung 1965, dass da etwas im Verborgenen rumorte. Ich habe das seinerzeit auch schon angesprochen. Da wusste ich nur von einer Vergangenheit als Flakhelfer, von der SS noch gar nichts. Für mich wäre es äußerst interessant zu hören, und auch darauf habe ich ihn angesprochen, warum schon in den Jahren vor Auschwitz geschwiegen wurde.

    Der Kölner Journalist Lorenz Beckhardt hatte in seiner Rezension von Kaniuks „Der letzte Berliner“ übrigens formuliert: „Wer nicht die Nerven hat, sich von einem zornigen Israeli zurechtweisen zu lassen, sollte dieses Buch besser nicht lesen.“

    Und diese Besprechung von „Der letzte Berliner“ ist lesenswert:
    http://www.zeit.de/1997/01/Ich_bin_der_letzte_Berliner

  3. Der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk ist mit 84 Jahren in Tel Aviv gestorben
    Frauke Meyer-Gosau im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich

    Er gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller Israels: Yoram Kaniuk hat in seinen Werken immer wieder das deutsch-jüdische und deutsch-israelische Verhältnis thematisiert. In seiner Heimat wurden seine Bücher jedoch lange unterschätzt. Am 8. Juni 2013 erlag Kaniuk in Tel Aviv seinem Krebsleiden.

    Burkhard Müller-Ullrich: Zunächst erinnern wir an den israelischen Schriftsteller Yoram Kaniuk, der im Alter von 83 Jahren in Tel Aviv gestorben ist. „Adam Hundesohn“ lautet der Titel des Buchs, das ihn – nicht zuletzt durch die Verfilmung Paul Schraders – weltbekannt machte: die Geschichte eines KZ-Häftlings, der gezwungen wird, Geige zu spielen, während seine Frau und seine Tochter vergast werden, der den Holocaust überlebt, aber daran wahnsinnig wird und in einer psychiatrischen Anstalt in Israel landet. Kaniuk wurde in Tel Aviv geboren, nachdem seine bereits nach Palästina emigrierten Eltern 1929 noch eine Deutschlandreise unternommen hatten. Er selbst sagte deshalb von sich, er sei zwischen Weimar und Buchenwald gezeugt worden.

    Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Frauke Meyer-Gosau, Redakteurin der Zeitschrift „Literaturen“, hat Kaniuk unlängst noch besucht. Frau Meyer-Gosau, „zwischen Weimar und Buchenwald gezeugt“, das ist ja schon starker Tobak und verrät eine gewisse Lust an grellen Pointen. War Kaniuk denn so ein ironischer Mensch auch im Privaten?

    Frauke Meyer-Gosau: Absolut! Ich habe es zu meiner eigenen Verwunderung erlebt. Ich habe ihn ja Anfang Mai in Tel Aviv besucht und sagte ihm, ich würde mir jetzt diese ganzen Untergrundarmee-Museen angucken, die es da in Tel Aviv gibt, und er hat ja seinen bei uns jüngsten Roman „1948“ genau über die Zeit des Unabhängigwerdens des Staates Israel geschrieben. Ich sagte ihm das am Telefon und hörte nur ein sehr trockenes Hüsteln oder Lachen. Am nächsten Tag sagte er: „Na, waren wir heldenhaft? Konnten Sie das im Museum sehen?“ – Also das war ein Mensch, der eine wirklich heilsame Distanz zwischen seinen Erfahrungen, den Erfahrungen seines Landes, seinen Hoffnungen und sich selbst gelegt hatte. Das war sehr beeindruckend.

    Müller-Ullrich: Sie haben ja gerade auf dieses Buch „1948“ angespielt. Da berichtet er von seinen eigenen Erlebnissen kurz vor der Gründung des Staates Israel im Unabhängigkeitskampf, wo er ja doch, kann man sagen, eine Heldenrolle gespielt hat.

    Meyer-Gosau: Er war ein Kriegsheld und ist als solcher auch gefeiert worden. Er hat aber diese Rolle benutzt für politische Interventionen, die den herrschenden Kräften in Israel schwerstens gegen den Strich gingen. Er war vom Kriegshelden zu einem Friedenskämpfer geworden.

    Müller-Ullrich: Was war der Kern dieser Ambivalenz, die ja doch darin liegt, dass er einerseits selbstverständlich den Staat Israel verteidigt hat, in jedem Fall auch zum Zionismus stand, und auf der anderen Seite einer der schärfsten Kritiker der israelischen – zum Beispiel – Besatzungspolitik ist oder war?

    Meyer-Gosau: Ich glaube, das hat alles sehr viel mit seinem Aufwachsen zu tun. Er gehörte in seiner Generation zu den wenigen späteren Literaten und Künstlern, die in Israel geboren waren, und lebte aber dieses Israeli-Leben in einer westeuropäischen Kulturszenerie. Sein Vater war Gründer des Kunstmuseums in Tel Aviv, seine Mutter war Schulinspektorin und es wurde sehr darauf geachtet, dass man humanistische Werte nicht vor sich hinplappert, sondern ihnen entsprechend lebt. Vor diesem Hintergrund hat er an dem Unabhängigkeitskrieg teilgenommen, hat aber aus diesen Erfahrungen und seinem familiären Hintergrund die Konsequenz gezogen, wir Israelis, wir Zionisten in seinem Fall, müssen einen Weg finden, mit den Palästinensern in Frieden zu leben, denn sonst bedeutet das für beide Seiten letztlich den Untergang.

    Müller-Ullrich: Ambivalent war sein Verhältnis auch zu Deutschland, verständlicherweise, oder unverständlicherweise, dass es überhaupt ambivalent ist, für jemanden, der jetzt mit 84 Jahren gestorben ist, also die ganze Nazi-Zeit und was danach kam miterlebt hat. Wie kam sein Verhältnis überhaupt zustande? Er ist ja relativ spät nach Deutschland gekommen.

    Meyer-Gosau: Ja. Er wollte zunächst überhaupt nicht dieses Land betreten, eher sehr geprägt von diesem deutschen Kulturhintergrund, den er über seinen Vater kennen lernte, hat auf der anderen Seite natürlich nicht verwinden können, was der Holocaust angerichtet hat in der Welt der Juden. Deswegen hatte er zwar immer Kontakt – er war ja befreundet mit seinem Kriegskameraden Rolf Eden, dem Berliner Playboy-König, könnte man sagen -, aber er hat sich sehr gescheut, in dieses Land zu kommen.

    Müller-Ullrich: Er war ja sehr produktiv als Schriftsteller. Es ist ein großes Werk, was da zusammengekommen ist: Romane, Erzählungen, auch Kinderbücher und Etliches mehr. Wie anerkannt war er in Israel als Schriftsteller im Verhältnis zum Kriegshelden?

    Meyer-Gosau: Das war, glaube ich, ein Lebensproblem für ihn, dass er in Israel erst seit ungefähr zehn Jahren als Schriftsteller die Anerkennung findet, die er weltweit ja längst gefunden hatte. Er selbst führte das darauf zurück, dass er einfach immer und immer und immer mit seiner pazifistischen Haltung provoziert hat und dass die Leute hinter dem politischen Provokateur den Weltschriftsteller nicht haben zur Kenntnis nehmen wollen. Und erst mit der neuen jungen Generation heute in Israel hat er Anerkennung erfahren, die ihn sehr glücklich gemacht hat. Er sagte zu mir, es ist ja schon ein (Glück), aber auch ein Trauerspiel, dass ich so alt werden konnte und musste, um zu erleben, dass meine Werke in Israel auch wahrgenommen werden.

    Müller-Ullrich: Frauke Meyer-Gosau – vielen Dank für Ihr Zeugnis. Wir sprachen aus Anlass des Todes von Yoram Kaniuk mit der Redakteurin der Zeitschrift „Literaturen“.

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