Entrechtet. Entwürdigt. Beraubt.

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In einer neuen Sonderausstellung zeigt das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände vom 17. November 2012 bis zum 31. Juli 2013 den Prozess von Entrechtung, Beraubung und Ausgrenzung der Juden in Nürnberg und Fürth von 1933 bis 1945…

Bereits im März 1933 führten die NS-Machthaber erste Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte durch. Danach verschlechterte sich die Situation der Juden im Deutschen Reich zusehends. Berufsverbote und Arbeitsplatzverluste führten in die Armut. Durch die Arisierung der jüdischen Gewerbebetriebe verlor die große Mehrheit der deutschen Juden bis 1939 ihre Lebensbasis. In Franken und besonders in den Städten Nürnberg und Fürth kam es dabei zu erheblich stärkeren Ausschreitungen und persönlicher Bereicherung der Beteiligten als im übrigen Reichsgebiet.

Das Wort Arisierung stammt aus dem völkisch-antisemitischen Gedankengut der 1920er Jahre und bezeichnet die weitgehende oder vollständige Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft. Die Arisierung umfasste sowohl die Enteignung jüdischen Besitzes und Vermögens zugunsten von Nichtjuden (Ariern) als auch die Einschränkung jüdischer Erwerbstätigkeit.

Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Fachleuten und Historikern aus der Region unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes. Sie knüpft an frühere Projekte des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände zur Erschließung der Geschichte Frankens im Nationalsozialismus an.

Straßenszene Fürth: "Straße der deutschen Geschäfte"
Straßenszene Fürth: „Straße der deutschen Geschäfte“. Abgrenzung der „Arischen“ gegen die jüdischen Geschäfte in Fürth, o.J., (C) Stadtarchiv Fürth

Die Sonderausstellung gliedert sich in fünf thematische Schwerpunkte, die gleichermaßen sowohl Parteiaktivisten und Behörden, die die Arisierung umsetzten, „Arisierungsgewinnler“ und ausgewählte Fallbeispiele betroffener jüdischer Unternehmen vorstellt:

Zu Beginn wird das reiche jüdische Leben in Nürnberg und Fürth vor 1933 gewürdigt. Jüdische Bürger hatten in Nürnberg als Unternehmer Fabriken von Weltruf gegründet und aufgebaut. Zu ihnen zählten die Vereinigten Papierwerke in Nürnberg und Heroldsberg (Camelia-Binden, Tempo-Taschentücher) oder die Metallwarenfabrik Gebrüder Bing. In der Zweiradfabrikation waren es die Hercules-, Victoria-, Triumph-, Mars- und Ardie-Werke, in der Spielwarenbranche unter anderem Schuco und Trix, im Finanzgewerbe das Bankhaus Anton Kohn. Auch die Stadt Fürth profitierte in hohem Maß von jüdischen Unternehmern, Händlern und der Arbeitskraft jüdischer Bürger. Dort gehörte etwa die Hälfte der Exportgeschäfte und des Großhandels jüdischen Unternehmern, daneben Industriebetriebe wie die Hosenträger-und Gummibandweberei Heymann, die Chemische Fabrik Julius Schwab oder die Spielwarenfabrik Lothar Apfelbaum. Seit den zwanziger Jahren sahen sich die Juden in Nürnberg und Fürth allerdings den fortwährend Tiraden eines Julius Streicher ausgesetzt, der hier sein antisemitisches Hetzblatt „Der Stürmer“ herausgab und darin viele Juden namentlich verunglimpfte und diffamierte.

Der nachfolgende Themenbereich beschreibt erste Boykottaktionen, Verfolgungen und berufliche Verdrängungen. Ab 1933 lebte die jüdische Bevölkerung in einem Klima der Angst, für das die Gauleitung Franken und die als Hilfspolizei fungierende SA und andere Parteigliederungen mit ihren antisemitischen Terroraktionen verantwortlich waren. Neben Boykotten bildeten behördliche Diskriminierungen, physische Übergriffe und Terror von Beginn an eine tragende Säule der Arisierung. Fallbeispiele zeigen die mit dem im April 1933 erlassenen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ einsetzende Verdrängung jüdischer Ärzte, Rechtsanwälte und Beamte aus dem Berufsleben.

Im Mittelpunkt des dritten Themenbereichs veranschaulicht ein neun Meter breites Organigramm, wie – ausgehend von Direktiven auf Reichsebene – in Nürnberg und Fürth viele kommunale und staatliche Organe (die Stadtverwaltungen, Finanzbehörden, Gestapo und Polizei, Partei, Deutsche Arbeitsfront und Wirtschaftsinstitutionen) ein „Arisierungsnetzwerk“ bildeten, aus dem es kein Entrinnen gab. Initiator und Motor der wirtschaftlichen Verdrängung der hiesigen jüdischen Bevölkerung war eine Clique von Hoheitsträgern der NSDAP in Franken unter der Regie von Gauleiter Julius Streicher. Ihm zur Seite standen sein Stellvertreter Karl Holz und sein Adjutant Hanns König. Ausgewählte Fallbeispiele wie der Wäscheversandhandel Joel, das Kaufhaus Schocken, das Bekleidungsgeschäft „Marmorecke“ oder die Vereinigten Papierwerke zeigen einerseits die wirtschaftliche Ausschaltung jüdischer Unternehmen und andererseits -gleichfalls exemplarisch – die Beteiligung arischer Unternehmer und ihre profitablen „Arisierungsgewinne“.

Der vierte Themenbereich beschreibt die ab dem Novemberpogrom 1938 dramatisch zunehmende Radikalisierung. In der Pogromnacht sah die NSDAP vor allem eine Gelegenheit zur Begünstigung „verdienter“ Parteigenossen. Dazu bildete die fränkische Gauleitung zwei Kommissionen unter der Regie von Karl Holz in Nürnberg und Hans Sandreuter in Fürth. Sie zwangen in den folgenden Wochen unter anderem sämtliche jüdische Betriebs- und Grundstückseigner in beiden Städten, ihren Besitz für fünf bis zehn Prozent des Verkehrswertes zu verkaufen. Der vereinbarte Kaufpreis wurde den Besitzern nicht ausgezahlt, sondern gewöhnlich auf Sperrkonten überwiesen, über das die Beauftragten für die Arisierung verfügten. Hinsichtlich der Gier, des Ignorierens jeglicher Vorschriften und ebenso des Ausmaßes von Korruption und persönlicher Bereicherung der Beteiligten übertraf die „Holzaktion“ mit einem „Reingewinn“ von mindestens 35 Millionen Reichsmark alle anderen Arisierungen reichsweit. Von der Arisierung in dieser Phase waren beispielweise die Spielefabrik J.W. Spear & Söhne, das Einzelhandelsgeschäft Siegfried Goldmann oder die Fürther Bronzefabrik Adolf Baer & Co. KG betroffen. Reichsminister Hermann Göring erteilte Polizeipräsident Benno Martin schließlich den Sonderauftrag, die Arisierungen der „Holzaktion“ in Franken als rechtsunwirksam zu bezeichnen und rückgängig zu machen. Allerdings wurden nun mitnichten die ehemaligen Eigentümer entschädigt, sondern die Gewinne lediglich „korrekt“ der staatlichen Finanzverwaltung zugeführt. Julius Streicher wurde entmachtet und musste daraufhin alle Ämter abgeben.

Wie der fünfte und letzte Teil der Ausstellung zeigt, erfolgte ab 1939 schließlich die letzte Stufe der systematischen Ausplünderung der Juden. Die jüdische Bevölkerung musste alle Schmuckgegenstände und Wertsachen beim Städtischen Leihamt abgeben und ihre Wohnungen verlassen, um in sogenannten Judenhäusern zusammengepfercht zu werden. Im Oktober 1941 erfolgte ein ausnahmsloses Auswanderungsverbot. Jeder Fluchtweg war damit versperrt. Die Juden waren spätestens jetzt entrechtet und verarmt. Ab Herbst 1941 begannen die Deportationen von Juden zur Vernichtung im Osten, der bis 1945 etwa 165.000 deutsche Juden zum Opfer fielen, davon 2.400 aus Nürnberg und mehr als 1.100 aus Fürth. Damit verfielen alle jüdischen Vermögenswerte dem Deutschen Reich, der Restbesitz der Deportierten ebenso wie das gesperrte Vermögen der Zwangsemigranten. Die Reichsfinanzverwaltung erfasste, konfiszierte, verwaltete und verwertete die letzte Habe der Juden unter dem Decknamen „Aktion 3″. Bei den Versteigerungen jüdischen Hausrats machten Zigtausende Arier – oft ehemalige Nachbarn – ihr Schnäppchen.

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BEGLEITPROGRAMM

Öffentliche Führungen durch die Ausstellung
Sonntag, 18. November und 9. Dezember 2012 sowie 13. Januar, 10. Februar, 10. März, 14. April, 12. Mai, 9. Juni und 7. Juli 2013, jeweils 15 Uhr
3 Euro, ermäßigt 2 Euro zzgl. Eintritt in die Ausstellung

„Menschliches Versagen“ (D 2008, 90 Minuten)
Film und Diskussion mit Regisseur Michael Verhoeven Donnerstag, 21. März 2013, 18.30 Uhr Eintritt frei

Die Nürnberger Polizei – Vollstrecker der Rassenpolitik und Akteur der Arisierung
Vortrag von Thomas Auburger Donnerstag, 11. April 2013, 18.30 Uhr Eintritt frei

„In vorderster Front gegen das Judentum“. Die Nürnberger Finanzämter und ihr Anteil an der fiskalischen „Endlösung“
Vortrag von Jim Tobias Dienstag, 18. Juni 2013, 18 Uhr Eintritt frei

Thematische Stadtrundgänge:
Susanne Rieger/transiturs Städtereisen Nürnberg-München Sonntag, 3. Februar, 3. März, 7. April und 5. Mai 2013, jeweils 15 Uhr
Information und Anmeldung unter: www.transiturs.de, Gruppen können Führungen durch die Ausstellung separat buchen, für Schulen gibt es ein gesondertes pädagogisches Begleitangebot, Informationen unter Telefon +49 911 231-5666.

Dauer der Ausstellung
17. November 2012 bis 31. Juli 2013
Montag bis Freitag 9-18 Uhr, Samstag und Sonntag 10-18 Uhr
Eine Ausstellung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände
Die Sonderausstellung ist im Eintritt des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände enthalten, der Eintritt nur für die Sonderausstellung beträgt regulär 3 Euro, ermäßigt 2 Euro.
Weitere Informationen: http://www.museen.nuernberg.de/dokuzentrum/

Publikation
Ein wissenschaftliches Begleitbuch zur Ausstellung mit dem Titel „Entrechtet. Entwürdigt. Beraubt. Die Arisierung in Nürnberg und Fürth. Begleitbuch zur Ausstellung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ kann zum Preis von 14,80 Euro an der Kasse des Dokumentationszentrums erworben werden.

2 Kommentare

  1. http://taz.de/Pro–Contra-Israel-Warenboykott/!112711/
    -#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-#-
    Jetzt kommen sie schon mit, kauft keine Israel Produkte. Nun mal eine Frage, warum sollte man deutsche Produkte kaufen ? Siehe das Schweigen der Quandts ! Nun wirklich die Frage, warum sollte man Produkte von einem Massenmörder der 20 mio ermordete kaufen. Und wenn in Deutschland Leute rumlaufen, die so drauf sind, warum sollen die dann „gute“ Geschädte machen ?

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