Europ. Presseschau: Grass überzogen

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Der israelische Innenminister Eli Jischai hat den deutschen Nobelpreisträger Günter Grass am Sonntag mit einem Einreiseverbot nach Israel belegt. Er begründete dies mit dem am Mittwoch veröffentlichten israelkritischen Gedicht des Schriftstellers. Während einige Kommentatoren die Eskalation des Streits bedauern, sehen andere im Einreiseverbot einen symbolischem Akt der Entrüstung…

Corriere della Sera – Italien

Mit dem israelkritischen Gedicht Was gesagt werden muss tut Günter Grass nur sich selbst einen Gefallen, meint die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera: „Grass hat schon immer sehr gute Werbung in eigener Sache betrieben. … Dies beweist er nun mit der Veröffentlichung eines Gedichts gegen Israel. Mit kühler Marketingstrategie hat er mehrere Zeitungen ausgewählt, um seine Brechtsche Schmährede gegen die große Lüge vom Stapel zu lassen. … Grass ist gerissen. Er hat umsichtig die zu erwartenden Anschuldigungen gleich mit gedichtet. Das Problem ist, dass die Anschuldigungen, gegen die Grass sich vorbeugend schützt, alle wahr sind. … Etwa die ‚ureigenen Verbrechen‘ seines Landes. Sicher, die Vergangenheit ist nicht leicht zu bewältigen, doch kann es sich Grass nicht leisten, ironische Worte zu benutzen über ein so heikles Thema wie die Unterstützung des deutschen Volks bei der Judenvernichtung in Europa. Über solch eine Gefühllosigkeit kann auch die Gedichtform nicht hinwegtäuschen.“ (05.04.2012) » weiter…

Neue Zürcher Zeitung – Schweiz

Günter Grass bleibt in seiner Israel-Kritik schwammig und undifferenziert, beklagt die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: „Wie man es besser macht, hat Mitte März der israelische Schriftsteller David Grossman demonstriert. … Auch Grossman warnt vehement vor einem atomaren Präventivschlag seines Landes. Er rügt die Hermetik von Netanyahus Gedankenwelt, bezweifelt, dass ein israelischer Angriff das iranische Atomprogramm ausschalten könnte, und er hat einen Blick für die skandalöse Kälte, mit welcher die militärischen Planspiele die Opfer unter der Zivilbevölkerung Irans ignorieren. … Grossman lieferte eine dezidierte politische Analyse. Grass schreibt ein schwammiges politisches Gedicht. Der Präzeptor Germaniae nutzt die Lyrik, um ichsüchtig und undifferenziert sein zu dürfen.“ (05.04.2012) » weiter…

tagesschau.de – Deutschland

Auf dem Nachrichtenportal tagesschau.de empört sich Thomas Nehls über die heftigen Reaktionen auf die Israel-Kritik von Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass: „Kaum einer Stellungnahme ist zu entnehmen, dass der Literaturnobelpreisträger sehr wohl auch die iranischen Atomanlagen einer unbehinderten, permanenten und internationalen Kontrolle unterziehen lassen will – aber eben auch die längst existierenden Atomwaffen-Arsenale der Israelis. … Die meisten Grass-Widersacher formulieren mit Schaum vorm Mund, und sie zeigen sich so, wie es der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, gerade umgekehrt Günter Grass nachsagt, nämlich unwissend über die politischen Verhältnisse im Nahen Osten. … Zur deutschen Staatsräson gehört es (nicht nur verständlicher-, sondern auch glücklicherweise) Israels Existenz sichern zu helfen. Das Prosagedicht von Günter Grass soll und kann dazu beitragen, dieser Verpflichtung zu entsprechen. Man muss es freilich richtig lesen. Und nicht als Vorlage für bösartige Unterstellungen missbrauchen wollen.“ (05.04.2012)

Wettbewerb der Narren
CHRISTIAN ULTSCH (Die Presse – Österreich)
Schwer zu sagen, was dümmer ist: Israels Einreiseverbot gegen Günter Grass oder dessen Gedicht.

Debatte ohne Erkenntnisgewinn
Die Reaktion der israelischen Regierung auf Günter Grass ist dumme und unnütze Scharfmacherei, meint die liberal-konservative Tageszeitung Die Presse: „Das Einreiseverbot ist ein symbolischer Akt der Entrüstung, mit dem Eli Yishai, der notorisch platte Innenminister der orthodoxen Shas-Partei, billige Punkte im innerisraelischen Wettbewerb ums goldene Halsband für den schärfsten Hund sammeln will. Dabei nimmt er in Kauf, Grass, den verbalen Aggressor, zum Opfer einer übertriebenen Strafe zu adeln. Israels Regierung wäre besser beraten gewesen, zur lyrischen Logorrhö des falsch getakteten ‚Blechtrommel‘-Autors zu schweigen und den Vorsitz im Scherbengericht dem deutschen Feuilleton zu überlassen. Doch so viel Zurückhaltung ist bei Israels regierender Testosterontruppe offenbar nicht drin. … Nicht nur Grass hätte länger nachdenken sollen, bevor er dumpf absondert, was angeblich so dringend gesagt werden muss. Wo ist die Stopptaste? Die Debatte um das Gedicht bringt keinen Erkenntnisgewinn.“ (10.04.2012) Orig., deutsch…

Lidové noviny – Tschechien

Die Behauptung von Günter Grass, die Atommacht Israel bedrohe den zerbrechlichen Weltfrieden, ist nach Ansicht der konservativen Tageszeitung Lidové noviny gefährlich: „Grass ist nicht irgendein Unbekannter. Er ist Literatur-Nobelpreisträger und gehört zu denen, die zur öffentlichen Meinungsbildung in Deutschland beitragen. … Weshalb wirft er Israel und den Iran in einen Topf? Hat er noch nie etwas von den iranischen Drohungen gehört, Israel von der Landkarte auszuradieren? … Er unterstützt das Bestreben, dem jüdischen Staat die Legitimation zu nehmen. Gefährlich für Israel sind weder die Altnazis noch die Neonazis. Die schänden hauptsächlich die schon toten Juden. Gefährlich sind Leute wie Grass, die den lebenden Juden und ihrem Staat das Recht auf Verteidigung absprechen.“ (05.04.2012) » weiter

Lidové noviny – Tschechien
Jetzt tut Israel Grass Unrecht
Die Eskalation im Streit um das Gedicht von Günter Grass, die jetzt in einem israelischen Einreiseverbot für den Schriftsteller gipfelt, ist aus der Sicht der konservativen Tageszeitung Lidové noviny bedauerlich: „In Grass‘ umfangreichem Werk gibt es nicht eine Stelle, die als antisemitisch bezeichnet werden könnte. Im Gegenteil: Er hat in seiner Belletristik künstlerisch die deutsche Schuld aufgearbeitet. … Jetzt wird er mit einer Äußerung, an deren Relevanz man zweifeln kann, die eine offene Gesellschaft aber aushalten muss, in Israel zur unerwünschten Person. Über Antisemitismus und über Grass selbst äußern sich Leute, die womöglich zum ersten Mal etwas über ihn hörten. Leute, die mit großer Wahrscheinlichkeit nie seine Bücher in der Hand hatten, die sie auch nie interessiert haben. Günter Grass hat Israel Unrecht getan, aber die Israeli tun ihm noch größeres Unrecht.“ (10.04.2012)
Original, tschechisch)

Die Welt – Deutschland
Überzogene Reaktion Israels
Das Einreiseverbot für Günter Grass ist die falsche Reaktion auf die Israel-Kritik des Nobelpreisträgers, meint die konservative Tageszeitung Die Welt: „Beispielsweise hätte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein deutsches Sprichwort zitieren können: ‚Was juckt es die Eiche, wenn sich die Sau dran reibt.‘ … Hätte Netanjahu im Anschluss erklärt, sich nun wieder den wichtigen Dingen zu widmen – etwa der iranischen Gefahr, die nur politische Narren wie Grass verkennen -, hätte er dann das weitere Feld den israelischen Intellektuellen überlassen, so wäre sein Verhalten als ein Musterbeispiel der israelischen Demokratie im eigenen wie in unserem Land verbucht worden. … Ernst zu nehmen ist …, dass das plumpe Verhalten des israelischen Innenministers erneut zeigt, wie schlicht die derzeitige israelische Führungsspitze ist. … Gerade mit Blick auf die iranische Bedrohung wünschte man sich einen Jizchak Rabin, einen Mosche Dajan oder Abba Eban zurück. Keiner ihres Formats ist in Sicht. Leider.“ (10.04.2012)
Orig., deutsch

El País – Spanien
Verstoß gegen die Meinungsfreiheit
Mit dem Einreiseverbot für den deutschen Schriftsteller Günter Grass verstößt Israel gegen die Meinungsfreiheit, urteilt die linksliberale Tageszeitung El País: „Wie jeder souveräne Staat, darf Israel bestimmen, wen es ins Land lässt. In diesem Fall hat [Innenminister] Jischai das Einreiseverbot allerdings mit einem schwer hinnehmbaren Argument begründet. … Am Ende seines Mandats gab der ehemalige Premier Olmert zu, dass Israel über ein Atomwaffenarsenal verfügt, obwohl es nicht zu den Unterzeichnern des Atomwaffensperrvertrags gehört. Iran hat den Vertrag verabschiedet und versichert seinerseits, dass es sich mit seinem Nuklearprogramm an die Regeln hält. Allerdings lässt die Weigerung, dies von Inspektoren überprüfen zu lassen, begründete Zweifel zu, ob es nicht doch Atomwaffen baut, die die gesamte Region destabilisieren würden. Israel will verhindern, dass Iran ein Atomwaffenarsenal aufbaut, während es das eigene behalten will. Über all das kann und muss man diskutieren und dazu Meinungen äußern dürfen. Doch die freie Meinungsäußerung zu verbieten, ist der falsche Weg.“ (10.04.2012)

http://www.eurotopics.net

1 Kommentar

  1. 1 : 0 für Grass!

    siehe:
     http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/17/0,3672,8507409,00.html?dr=1

    Den verbalen Schlagabtausch hat er gegen Israel schon einmal gewonnen.

    Die israelische Regierung ist mit Grass in ein Fettnäpfchen getreten.

    Ich bezweifle ob die Regierung das überhaupt begreift. So rechts außen wie die alle liegen, durchschauen die das eh nicht.

    Das ist ja interessant! So mies sein Gedicht auch war, aber er grät richtig in Fahrt in seinen alten Jahren.

    Dank israelischer Regierung.  

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