Gott ist körperlos, mit männlichen und weiblichen Aspekten

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Aber „Er“ darf im Judentum nicht bildlich dargestellt werden und wir sollen uns auch geistig keine bildliche Vorstellung von „Ihm“ machen. Das Judentum kennt 72 Gottesnamen, von denen manche „verborgen“ also nur bei den Mystikern zu finden sind…

Von Tanja Kröni

Darunter gibt es keine weiblichen Namen, obwohl die Hebräische Bibel auch von Gottes mütterlichen Funktionen ((Deuteronomium 32,18, Psalm 27,10, Jesaja 49,15, 66,13f; Hosea 11,3))spricht. Die meisten Namen sprechen vom Herrscher, vom König, also vom Patriarchen, und dies, obwohl Gott als männlich und weiblich verstanden wird, was sich schon daraus ergibt, dass Adam in seinem Ebenbild männlich und weiblich erschaffen wurde.

Bereits in der Hebräischen Bibel gibt es verschiedene weiblichen Aspekte Gottes,  die natürlich auch zu anthropologischen Bildern führten: Da ist Ruach Elohim, die heilige Geistin, die bei der Erschaffung der Welt „brütend über den Wassern schwebt“. ((Jerusalemer Talmud, Chagiga 2,1)) Sie ist eine Kraft, Energie, die von Gott ausgeht, wird in den Interpretationen meist als Taube beschrieben, aber niemals in menschlicher Gestalt. Chochma, die Weisheit, hingegen dürfte in der Antike stark personifiziert gewesen sein. Darauf deuten die Texte in den Sprüchen Salomons ((Sprüche Salomos 8,4-31))hin. Doch auch sie ist ein Aspekt Gottes, nach Jesus Sirach 24,3.6 „…hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten….“ Da Susanne Schneeberger diese Stellen ausführlich beschreibt, verzichte ich auf eine Wiederholung.

Nicht in der Hebräischen Bibel erscheint die „Schechina“. Dieses Wort wird oft als „Einwohnung“ Gottes übersetzt und als seine Immanenz verstanden. Dieser weibliche Begriff wird in den aramäischen Targumim ((Am bekanntesten ist der im ersten oder zweiten Jahrhundert geschriebene Targum Onkelos, der auch ins Englische übersetzt wurde.))(Volksbibeln mit Interpretation) immer dann gebraucht, wenn Gott mitfühlt, mit leidet, weibliche Gefühle zeigt und mütterliche Tätigkeiten ausübt. Sie wird auch im Babylonischen Talmud und in der nachtalmudischen Literatur erwähnt: Sie weilt bei den Kranken, um sie zu erquicken. ((Schabbat 12 b)) In den Sprüchen der Väter, Pirke Avot 3,3 ist die Schechina bei den Menschen, die sich mit den Worten der Tora befassen. Nach verschiedenen Kommentaren begleitet die Schechina die Israeliten in dieVerbannung: „Überall wo Israel im Exil war, war die Schechina mit ihnen im Exil…“ ((Mechilta, massechta de Pischa, S. 51-52))Moses wurde  von früher Kindheit an von der Schechina begleitet ((Babylonischer Talmud Sota 12b))und sie sprach mit ihm zu jeder Stunde. ((Babylonischer Talmud Schabbat 87a))Wie weit sie bis ins Mittelalter weiblich personifiziert wurde, ist nicht feststellbar.

Die Kabbala schuf im Mittelalter ein neues Gottesbild: das unendliche, gestaltlose, sich ständig bewegende Eyn Sof, das am ehesten mit einem ineinander fliessenden Yin und Yang bildhaft gemacht werden kann. Es schwebt über 10 Sefirot, Energien, männlichen und weiblichen Aspekten, mit denen das Eyn Sof (Gott) in der Welt wirkt. Hier ist die Schechina die unterste Sefira, Verbindung zwischen Transzendenz und Immanenz und wirkt in die Schöpfung hinein. In der Kabbala wird sie als weibliche Dimension Gottes personifiziert, ist Prinzessin, Tochter, Königin und Matrone. Sie verfügt über einen eigenen, manchmal sehr unabhängigen Willen, den sie sogar Gott entgegensetzt. Die Schechina ist die „himmlische Donna“ ((Gershom Scholem in „Von der mystischen Gestalt der Gottheit“, S. 177)), in deren Geheimnis alles, was in der Welt weiblich ist, gründet, also das Ewig-Weibliche“ (Sohar 2 54b). Nach Rabbinerin Pauline Bebe ((Pauline Bebe, „Isha“, S. 317-320))entsprechen die Bilder und Wirkungsweisen der Schechina  trotz allem in etwa dem patriarchalem Frauenbild der Mystiker jener Zeit.

Die Schechina lebt mit dem Volk Israel im Exil und kann nicht zu Gott zurückkehren, denn die Sünden der Menschen halten sie im Exil fest. Für den Mystiker ist die irdische Welt ein Abbild der himmlischen Welt und das irdische Geschehen hat direkten Einfluss auf die Sphäre des Göttlichen. Durch die Erfüllung der Gebote schafft der Mensch den Tikkun Olam, die Wiederherstellung des harmonischen Urzustandes der Welt. Dieser ist die Voraussetzung für die Einswerdung der männlichen und weiblichen göttlichen Kräfte, der erneuten ständigen Verschmelzung von Gott und der Schechina. So wird auch die Vereinigung von Mann und Frau in der Schabbat(Freitag)nacht „zu einer symbolischen Verwirklichung der Vereinigung Gottes und der Schechina“. ((Gershom Scholem in „Von der mystischen Gestalt der Gottheit“, S. 256))

Weiblich personifiziert ist in der Kabbala ebenfalls die Sefira, Energie, Bina, die Einsicht oder unterscheidende Vernunft. Sie wird auch „die obere Schechina“ genannt, das mütterliche Prinzip, aus dem alles kosmische Leben hervorgeht. Weiter heisst Bina auch „die  Erhabene“, „Herrin“ und „Matrone“. Sie hat aber nicht die Bedeutung der Schechina, die die Mutter aller Kinder Israels und die irgendwie in allen Sefirot, Energien vorhanden ist. Auch sollen alle Matriarchinnen, Sara, Rebekka und Rachel, Inkarnationen der Schechina gewesen sein. ((Joseph Gikatillia, „Scha’arei Ora“ (Tore des Lichts), 13. Jh. Kap. 5, S. 230)) Die Schechina und Rachel kommen ebenfalls in kabbalistischen Liturgien und Meditationen vor, wie im Tikkun Chazot, der Mitternachtsliturgie vor Schawuotbeginn.

Natürliche hat die jüdische feministische Theologie diese Bilder und auch Teile dieser Liturgien aufgegriffen. Die Schechina wird zusammen mit Adonaj, dem Herrn, oder allein angesprochen. Die Schweiz erreichte der jüdische Feminismus in den 80ziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Pionierinnen waren Miriam Brassloff ((Miriam Brassloff-Kugelmann: Zuhören und Zuschauen. Erfahrungen im christlich-jüdischen Dialog unter Frauen, in: Siehe, ich schaffe Neues. Aufbrüche von Frauen in Protestantismus, Katholizismus, Christkatholizismus und Judentum, hg. v. Doris Brodbeck, Yvonne Domhardt, Judith Stofer, Zürich, 1998, S. 211-218.)) (orthodox), Marianne Wallach ((Marianne Wallach verfasste Texte zu feministischer Theologie und interpretierte Frauengestalten der Hebräischen Bibel in Marianne Wallach „Die Frau im Tallit, Judentum feministisch gelesen“,  nach ihrem Tode herausgegeben von Doris Brodbeck und Yvonne Domhardt, 2000, Chronos Verlag Zürich, ISBN 3-905313-65-0))und Rachel Rybowski (ICZ/ILG). Zu den beiden letzteren stiess auch ich um 1987. ((Tanja Kröni, Artikel und Texte zu den jüdischen Wochenabschnitten, zu Judentum, zum jüdisch-christlichen Dialog in Jüdische Rundschau, Israelitisches Wochenblatt, tachles, Allgemeine jüdische Zeitung (D), Leben & Glauben, ideaSchweiz, Luzerner Tagblatt, u.v.a.Tanja Leutenegger-Kröni: Ewiger, ich danke dir (1992), in: Unerhörte Worte. Religiöse Gesellschaftskritik von Frauen im 20. Jahrhundert, hb. v. Doris Brodbeck, Bern/Wettingen 2003, S. 256-259.)) Wir wollten nicht die Frauen aus den USA kopieren sondern bemühten uns eigene europäische Wege zu gehen. Dabei orientierten wir uns vor allem an Pnina Navè Levinson. Wir feierten gemeinsam Rosch Chodesch ((Neumond, Monatsanfang, Halbfeiertag für die Frauen)), Frauenschabbatot und Frauenseder ((Seder = das Vorabendritual von Pessach, der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten)).

Heute bin ich immer noch daran meine eigene Theologie weiter zu entwickeln. Für mich ist wichtig, dass Gott mindestens weiblich und männlich bleibt. In den Gebeten und Segenssprüchen wird das Göttliche immer mit Schechina und Adonaj angesprochen. Manchmal, wenn der Gottesname „Elohim“ mehrmals verwendet wird, wechsle ich auch mit „HaElahut“, der weiblichen Form ab. Wird der Väter Abraham, Isaak und Jakob gedacht, setze ich die Matriarchinnen Sarah, Rivka (Rebekka) und Rachel daneben. Dies ist bereits seit Jahren auch in den Liturgien der Reformgemeinden, wenigstens in den Hauptgebeten, Brauch. In eigenen Pijutim, religiösen Gedichten, Gebeten, erinnere ich an die Taten nicht so bekannter Vorfahrinnen, bitte Bina um Einsicht und Chochma um Weisheit.

Zusammen mit Rachel Rybowski erarbeitete ich Liturgien für Rosch Chodesch, für Feiertage und auch für den Seder. Am Anfang ernteten wir, wenn eine von uns in der liberalen Gemeinde einen Gottesdienst leitete und predigte, ein mildes Lächeln oder ein Kopfschütteln, wenn wir weibliche Formen in den Gebeten verwendeten und die Frauengestalten aus dem Wochenabschnitt ins Zentrum der Predigt stellten, sie auf dem Hintergrund der Kommentare neu beleuchteten. Mann gewöhnte sich aber bald daran. Bis heute liegt uns beiden eine ganzheitliche Theologie und nicht nur eine reine Frauentheologie am Herzen.

Männer waren und sind immer zu meinen Liturgien willkommen und werden mit einbezogen. Seit einiger Zeit lese ich mit einer gemischten Gruppe kabbalistische Texte auf Deutsch, weil nur wenige wirklich gut Hebräisch lesen können. Das hat den Vorteil, dass diese Sprache – im Gegensatz zum Hebräischen – eine neutrale sächliche Form hat. So wurde konsequent das Eyn Sof das Unendliche, der Ewige das Ewige, der Schöpfer das Erschaffende und der Herrscher das Herrschende. Am Anfang bereitete diese Umstellung einigen in der Gruppe Mühe. Zu fest verwurzelt waren die alten männlichen Formen. Doch heute verspricht sich in der Diskussion niemand mehr und alle sind froh darüber, dass die (männlichen) körperlichen Vorstellungen, Bilder langsam verblassen.

Erschienen in: Judith Stofer/Rifa’at Lenzin (Hg.), Körperlichkeit – Ein interreligiös-feministischer Dialog, Religion & Kultur Verlag 2007, Bestellen?

1 Kommentar

  1. Ein nicht zu verdrängender Aspekt ist, dass „Schechima“ leider zu oft nicht bei den leidenden Menschen war. „Jah“ aus den hebräischen Buchstaben Jod und He gebildet, ist nicht nur eine Kurzform, weil man XXXX den G´ttesnamen nicht aussprechen soll. Diese Abkürzung begegnet man, wenn G´tt gesehen wird als der Schöpfer, der im fernen Himmel, aber nicht eigentlich hier ist.
    In meiner kleinen Publikation „Hope lives when people remember – Gemälde – Skulpturen – Texte von Josef Mudde van Duren“ findet man unter „Die Weltzeitliebe ist tot“ ein Gemälde und einen Text zum Bildverständnis.
    Josef Mudde van Duren

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