Die erste Tschechoslowakische Republik hatte einen großen deutschen Bevölkerungsteil und mit ihm eine breite deutschsprachige Presselandschaft. Darunter befanden sich solch renommierte Zeitungen wie die „Bohemia“ und das „Prager Tagblatt“, aber auch zahlreiche kleine Regionalblätter. Nach der Okkupation 1939 endete diese Tradition, die Zeitungen wurden eingestellt oder gleichgeschaltet…
01-10-2011, Marco Zimmermann, Radio Praha
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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann die deutsche Bevölkerung vertrieben und die verbleibenden Deutschen hatten nicht mehr das Recht, eine eigene Presse zu unterhalten. Erst im September 1951 erschien wieder eine deutsche Publikation, diesmal auf Bestreben der kommunistischen Machthaber. Am 27. September sind genau 60 Jahre seit der ersten Ausgabe vergangen. In einem weiteren Kapitel aus der tschechischen Geschichte erfahren sie nun mehr über die Zeitung und ihre Entwicklung.
Die Zeitung war ein kommunistisches Propagandablatt, das vom Zentralrat der Gewerkschaften herausgegeben wurde. Im Geleitwort der ersten Ausgabe vom 27. September 1951 hieß es:
„Die neue Zeitschrift ´Aufbau und Frieden´ wird für unsere Leser ein freudig willkommener Berater, Informator und Helfer beim Aufbau des Sozialismus, zugleich aber auch Wegweiser und Ratgeber im Kampfe um die Erhaltung des Weltfriedens sein.“
Ein Ziel der Kommunisten war es, die in der Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen zur Mitarbeit im Staat und zu einer höheren Produktivität zu motivieren. Sicherlich keine leichte Aufgabe, zumal die Deutschen Anfang der 1950er Jahre noch nicht einmal die Staatsbürgerschaft zurückerlangt hatten. Die Konflikte zwischen Deutschen und Tschechen in den Jahren vor, während und nach der Besatzung durch Deutschland wurden heruntergespielt. Und es wurde ein neues, gemeinsames Feindbild geschaffen, wie František Zupka, Vorsitzender des Zentralrats der Gewerkschaften in seinem Leitartikel ausführte:
„Die Bourgeoisie hetzte die Völker der Republik gegeneinander auf. Die Bourgeoisie brauchte dies, ihre Interessen erforderten es, denn die Bourgeoisie schlug Kapital aus diesem Kampfe einer Nation gegen die andere.“
Die Zeitung erschien dreimal wöchentlich in Prag und berichtete hauptsächlich über das Erreichen von Planzielen, über neue Arbeitsmethoden und sie stellte die neueste Technik aus der Sowjetunion vor. Daneben wurde für die (sozialistische) Freundschaft mit der DDR geworben. Informationen über die Deutschen und ihre Probleme in der Tschechoslowakei wurden zwar veröffentlicht, das Hauptaugenmerk lag jedoch auf der Situation am Arbeitsplatz.
Schon bald aber kam eine Diskussion in der Zeitung auf, die sich um die deutsche Sprache drehte. Arbeiter forderten in Leserbriefen deutschsprachige Schulen, um ihren Kindern das Erlernen der Muttersprache zu ermöglichen. Dies wollte die kommunistische Partei aber unbedingt verhindern. Der Redakteur Fritz Schalek führte dazu einen Briefwechsel mit dem kommunistischen Funktionär Leopold Pötzl, der ihm am 7. Dezember 1954 schrieb:
„Deshalb lieber Genosse Schalek müssen wir alles tun, was unsere Menschen verbindet, alles unterlassen, was sie trennt, dabei natürlich die gesunden Empfindungen unserer deutschen Werktätigen berücksichtigen, das heißt weder deutsche Schulen noch Assimilierung, dafür aber wirklich die bestehenden Sprachzirkel gut ausbauen, weitere schaffen, damit deutsche Kinder auch deutsch lesen und schreiben lernen.“
Diese Diskussionen wurden jedoch nicht offen in der Zeitung geführt, sondern nur zwischen Redakteuren und Funktionären. Der erste Chefredakteur war Kurt Babel, ein linientreuer Kommunist, sein Stellvertreter war Fritz Schalek. Erst mit dem Tod Stalins und der darauf folgenden Entstalinisierung wurde der Ton freier, und die Zeitung erhielt mehr Möglichkeiten, unabhängig zu schreiben. Im Jahr 1966 wurde das Blatt in „Volkszeitung“ umbenannt. Aber nicht nur das: Im Vorfeld des Prager Frühling wurde vor allem die kulturelle Sparte des Blattes immer besser, wie Petr Brod, Politikwissenschaftler, Publizist und Mitarbeiter am Collegium Bohemicum weiß:
„Die Zeitung hatte zwar einen recht langweiligen politischen Teil, wo natürlich über Parteitagsbeschlüsse der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei berichtet wurde und über Ernteerfolge der tschechoslowakischen Bauern, aber der Kulturteil war relativ gut. Darin spiegelte sich nicht nur das aktuelle Geschehen in der tschechoslowakischen Kultur wieder, sondern es gab auch Rückblicke auf die deutschsprachige Vergangenheit des Landes und auf die deutschsprachige Kultur.“
Treibende Kraft hinter dieser Entwicklung waren einige Redakteure mit jüdischen Wurzeln, unter ihnen auch der Vater von Petr Brod:
„Beigetragen haben dazu mehrere Leute, die die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg noch gut in Erinnerung hatten, zum Beispiel mein Vater Leo Brod, der dort ab und zu über deutschsprachige Schriftsteller in der Tschechoslowakei oder über jüdische Themen schrieb. Mit dabei war auch Lenka Reinerová, die später sehr bekannt wurde. Gelegentlich schrieb auch Pavel Eckstein, der bekannte Musikkritiker, für die Zeitung – und aus diesen Gründen waren auch kulturinteressierte Menschen im westlichen Ausland an der Lektüre der Volkszeitung interessiert.“
Aber nicht nur im westlichen Ausland, sondern auch in der DDR wurde die Zeitung gelesen. Der SED gefiel jedoch überhaupt nicht, was dort zu lesen war. Die Entwicklung gipfelte schließlich in einem Verbot von zwei Nummern der Volkszeitung in der DDR im Jahr 1968 sowie einem Einreiseverbot für den damaligen Chefredakteur, Vojmír Šimonek, im gleichen Jahr.
Šimonek war es dann auch, der im April 1968 davon sprach, mit „Stolz“ die Tradition des ehemals „weltberühmten Prager Tagblatts“ wiederaufnehmen wollte. Dazu kam es aber nicht mehr, der Einmarsch der sozialistischen Bruderstaaten beendete den Prager Frühling. Šimonek, der sich zu dieser Zeit gerade in Hamburg aufhielt, nutzte die Gelegenheit und kehrte nicht mehr nach Prag zurück. Durch seine Emigration wurde Fritz Schalek Chefredakteur der Volkszeitung in der Phase der Normalisierung. Bevor alle Freiheiten eingeschränkt wurden, gelang es ihm im Frühjahr 1969 aber noch, den Deutschen Kulturverband tschechoslowakischer Bürger deutscher Nationalität zu gründen und die Zeitung zu ihrem Organ zu machen.
In den 1970er und 1980er Jahren war die Zeitung dann zwar das Organ der deutschen Minderheit, aber politisch stark kontrolliert. Radio-Prag-Redakteur Lothar Martin, 1983 aus der DDR in die Tschechoslowakei übergesiedelt und in der Prager Volkszeitung Redakteur für Sport und Tourismus, erinnert sich:
„Innenpolitik und Außenpolitik wurden natürlich von Redakteuren besetzt, die linientreu waren. Es gab das geflügelte Wort, dass die Prager Volkszeitung in den Jahren der Normalisierung das `Rudé Právo´ in Deutsch war. Der stellvertretende Chefredakteur hat mit einer Sekretärin zusammen die innenpolitischen Seiten der `Rudé Právo´ übersetzt und ins Deutsche formuliert, damit man die Parteilinie einhielt. Das galt auch für die Außenpolitik. Die Seiten in der Zeitung, die politikbezogen waren, waren ein Spiegel der Gesellschaft hier.“
Allerdings gab es auch in den 1980er Jahren noch Freiräume für die Redakteure, und die Zeitung war weiterhin vor allem in der DDR beliebt. Der Fokus verschob sich jedoch auf unpolitische Themen. Da die Tschechoslowakei ein Hauptreiseziel für Ostdeutsche war, standen vor allem touristische Berichte im Vordergrund, aber auch Sportberichte wurden immer gerne gelesen.
Als Ende der 1980er Jahre die Reformbewegung stärker wurde und sich auch in der Tschechoslowakei Bürgerbewegungen formten und Menschen auf die Straße gingen, waren auch Redakteure der Volkszeitung dabei. Lothar Martin:
„Ich habe damals jede Demonstration genutzt, bei der ich dabei sein konnte. Eine Kollegin von mir, die den Wirtschaftsteil der Zeitung betreute, ist dann fotografisch stark in Erscheinung getreten. Sie war sogar bei der Demonstration dabei, bei der die Studenten von den Polizeitruppen niedergeknüppelt wurden. Es war die Demonstration, die die `Samtene Revolution´, wie sie später genannt wurde, ausgelöst hat.“
Allerdings war damals die Leitung der Redaktion nicht dieser Meinung und versuchte, die Redaktion in Schach zu halten:
„Dann gab es natürlich Auseinandersetzungen in der Redaktion: Die Hardliner wollten das alles nicht glauben und wollten auch den Rest der Redaktion unter Druck setzen, damit wir uns nicht dem Bürgerforum anschließen und auch keine Resolution veröffentlichen wie andere Redaktionen.“
Letztlich konnten sich aber die progressiven Kräfte in der Redaktion durchsetzen. Lothar Martin erläutert, wie der Konflikt gelöst wurde:
„Es hat sich dann doch herausgestellt, dass diejenigen, die der Zeitung ein neues Antlitz geben wollten, sich durchgesetzt haben. Die älteren Genossen haben die Flucht angetreten und sind in Rente gegangen. Die Zeitung hat es dann auch ein paar Monate nicht gegeben, weil es keine Druckerei gab, die sie drucken wollte.“
Im Januar 1990 erschienen die letzen Ausgaben der Zeitung, und bis zum April desselben Jahres konnte keine weitere Ausgabe gedruckt werden. Erst dann wurde eine Druckerei in Liberec / Reichenberg gefunden. Lothar Martin wurde kurzfristig zum Chefredakteur gewählt und versuchte, die Zeitung am Leben zu halten. Sie erschien nun in einem kleineren Format und mit weniger Seiten, aber die technischen Schwierigkeiten waren weiter groß. Hinzukam, dass zwar die Hardliner aus der Redaktion verschwunden waren, aber im Kulturverband der Deutschen, dessen offizielles Verbandsorgan die Zeitung war und der die Finanzen verwaltete, noch immer alte Parteikader saßen. Sie wollten, dass die Zeitung weiterhin nach ihren Vorstellungen funktionierte. Ende 1990 wurde dann ein neuer Chefredakteur eingestellt – und Lothar Martin zog sich zurück:
„Mein Nachfolger Uwe Müller, der dann die Zeitung übernommen hatte oder als Chefredakteur eingestellt wurde, hat es dann nach mir geschafft, aus der Volkszeitung die ´Prager Zeitung´ zu machen. Die hat die Problematik der hier lebenden Deutschen dann aus einer anderen Sichtweise gesehen.“
Aus dem ehemaligen kommunistischen Propagandablatt „Aufbau und Frieden“ sind also gleich mehrere deutschsprachige Zeitungen hervorgegangen: Die „Prager Volkszeitung“, die heutige „Prager Zeitung“ sowie die „Landeszeitung“, die Publikation der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien.
auch wenns nur .. nein .. nicht wirklich zum Thema gehört ..
Ich finde es schade, dass hier gestern der 100.ste Geburtstag „des Pianisten“ nicht gewürdigt wurde.
Liebe Kollegen, ein recht interessanter Artikel. Setzen Sie aber bitte den Begriff „Normalisierung“ in Anführungszeichen, weil dies der offizielle Ausdruck der Machthaber nach 1968 war. In Wirklichkeit war es ja keine Normalisierung sondern die Wiederherstellung poststalinistischer Machtstrukturen durch die wieder gleichgeschaltete Kommunistische Partei. Für diese war die Gleichschaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens eine „Normalisierung“, denn Freiheit ist im Kommunismus/Sozialismus nicht erwünscht und daher unnormal.
Mit freundlichen Grüßen
Richard Schnabl
Online-Redakteur
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