Netanjahus Regierung erklärt Europa den Krieg

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Glaubt Netanjahu wirklich, dass die EU-Regierungschefs stillhalten, wenn die israelische Regierung Organisationen zum Schweigen bringt, die die Verletzung zentraler Artikel des Handelsabkommens zwischen Israel und der EU von 2002 überwachen?…

Von Akiva Eldar

Es ist schwer zu glauben, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der auch Außenminister, stellvertretender Außenminister, Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen und stellvertretender Botschafter in den Vereinigten Staaten war, die jüngsten selbstmörderischen Gesetzvorschläge, ernst nimmt, die darauf abzielen, NGO’s zu lähmen, denen politische Neigungen vorgehalten werden.

Netanjahus ehemaliger Sprecher, der Abgeordnete Ofir Akunis vom „Likud“, steht hinter dem Gesetz, Zuwendungen auswärtiger Regierungen in Höhe von 20.000 Neue Shekel [~ 4.500 Euro] zu deckeln, und die Abgeordnete Fania Kirshenbaum von „Israel Beiteinu“ ((„Unser Haus Israel“. Vorsitzender der Partei ist Außenminister Avigdor Lieberman.)) versucht, eine 45prozentige Steuer auf Zuwendungen auswärtiger Regierungen an NGO’s erheben zu lassen, die kein staatliches Geld [aus Israel] erhalten.

Ist es möglich, dass Netanjahu nicht mit dem Assoziierungsabkommen zwischen Israel und der Europäischen Union von 2002 vertraut ist? Das wegweisende Abkommen gewährt Israel Zollvergünstigungen und vertieft die Zusammenarbeit zwischen Israel und den EU-Staaten in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Kultur und Gesellschaft. Darüber hinaus sieht Artikel 2 des Abkommens vor: „Die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien sowie alle Bestimmungen des Abkommens selbst gründen auf der Achtung der Menschenrechte und der demokratischen Prinzipien, die ihre Innen- und Außenpolitik leiten, und stellen einen wesentlichen Bestandteil dieses Abkommens dar.“

Was denkt sich Netanjahu? Glaubt er wirklich, dass die EU-Regierungschefs stillhalten, wenn die israelische Regierung Organisationen zum Schweigen bringt, welche die Verletzung von zentralen Artikeln dieses Abkommens überwachen? Es ist zu hoffen, dass Netanjahu zur Kenntnis nimmt, dass sich nur totale Ignoranten des Arguments bedienen, wonach kein Land in Europa hinzunehmen bereit sei, wenn sich ein fremdes Land in seine inneren Angelegenheiten einmischt. Die EU stellt Milliarden Euro für die Menschenrechtsorganisationen auf dem gesamten europäischen Kontinent zur Verfügung.

Es ist richtig, dass die Initiatoren des Gesetzes großzügigen Freunden in Europa erlauben, Gelder an gemeinnützige Organisationen zu überweisen, die sich der Unterstützung seitens der israelischen Regierung erfreuen. Das heißt, sie erwarten das Einverständnis der Europäer, dass die rechtsgerichtete Regierung Israels darüber entscheidet, welche gemeinnützige Organisationen vom Geld europäischer Steuerzahler profitieren dürfen. Zum Beispiel würde Finanzminister Yuval Steinitz die Europäer nicht daran hindern, für Siedlerorganisationen zu spenden, die Siedler zur Anlage von illegalen Außenlagern ermutigen. Es gibt auch eine ganze Reihe gemeinnütziger Talmud-Torah-Schulen (Yeshivot), die als Brutstätten für jüdische Terroristen dienen und sich freuen würden, mit der Hand in die undichten Kassen Griechenlands und Italiens zu greifen. Und vielleicht glaubt Netanjahu dem alten israelischen Spruch, wonach Blutsauger nie sterben – man muss sie nur ersetzen.

Es ist zu bezweifeln, dass das gefährliche und antidemokratische Gesetz vor dem Obersten Gerichtshof Bestand hat (es sei denn, in der Knesset wird das Gesetz angenommen, das den Abgeordneten David Rotem von „Israel Beiteinu“ und seine Freunde auf der extremen Rechten in die Lage versetzt, ihre Kandidaten als Richter am Obersten Gerichtshof durchzusetzen).

Was wird der Generalstaatsanwalt auf die Frage des Gerichtshofs antworten, welche Kriterien eine gemeinnützige NGO „politisch“ macht? Die Dokumentation der Zeugenaussagen von Soldaten, die in den besetzten Gebieten gedient haben (Breaking the Silence) ((„Das Schweigen brechen“: Eine Gruppe israelischer Soldaten, die Interessenten aus dem In- und Ausland an neuralgische Punkte in den besetzten palästinensischen Gebieten führen und über ihren eigenen Militärdienst berichten. )) ? Ein Bericht über Außenlager auf Böden im Privatbesitz von Palästinensern („Peace Now“)? Unterstützung der Zivilgesellschaft („New Israel Fund“) ((Präsidentin des in den USA tätigen „New Israel Fund“ ist die frühere „Meretz“-Abgeordnete und stellvertretende Knesset-Präsidentin Prof. Dr. Naomi Chazan (Hebräische Universität Jerusalem). ))? Überwachung von Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten („B’Tselem“) ((Größte israelische Menschenrechtsorganisation. B’Tselem“ = „Im Angesicht“ (Gen. 1,27). )), Bekämpfung der Diskriminierung israelischer Araber (Adalah) ((Menschenrechtsorganisation israelischer Staatsbürger arabischer Volkszugehörigkeit mit Sitz in Haifa. ))?

Und was wird der Vertreter des Staates auf die Frage der Richter antworten, warum das Gesetz nur bei Zuwendungen aus dem Ausland und nicht bei ausländischen Gebern angewendet werden soll? Warum ist das Geld eines christlichen Fundamentalisten aus den Vereinigten Staaten mehr koscher als das Geld von einem spanischen Steuerzahler? Was wird der Generalstaatsanwalt über das Geständnis von Ahuva Shiloh vom Januar 2005 sagen, der Sprecherin des Regionalrates in Samaria, wenn die Spenden von Evangelikalen zur Sprache kommen? „Die Siedler wollen das Land zu besiedeln, zum Teil weil sie glauben, dass die Besiedlung des Landes die Erlösung bringen wird gemäß der jüdischen Theologie. Die Website von „Hadrei Haredim“ ((Hadrei Haredim“ = „Zimmer der Gottesfürchtigen“ (vgl. Gen. 6,2). Mit „Charedim“ sind die ultraorthodoxen Juden gemeint, die im Gegensatz zur modernen Orthodoxie darauf achten, dass striktere Standards der religiösen Observanz eingehalten werden. Der an der Bar-Ilan-Universität lehrende Soziologe Menachem Friedman hat für sie das Wort „Präzision ohne Kompromiss” geprägt. Der an der Hebräischen Universität in Jerusalem jüdische Philosophie lehrende Aviezer Ravitzky Ravitzky rechnete zu den Charedim alle Gruppen, für die der Staat Israel nicht die theologische und spirituelle Entfremdung des Exils überwunden hat.)) zitierte sie mit den Worten: „Die Christen sind daran interessiert, den Juden bei der Besiedlung des Landes zu helfen, damit die christliche Erlösung kommt.“

Wie bekannt, glauben viele Christen, dass die Erlösung erst dann beginnt, wenn die Juden entweder zum Christentum konvertiert oder ausgelöscht worden sind. Aber das scheint ihre Spenden nicht weniger koscher zu machen.

Netanjahu hat die Hoffnung, dass Israels Versuch, fremde Länder von der israelischen Politik fernzuhalten, sie nicht auf die Idee bringt zu erkennen, dass Israel sich in ihre Angelegenheiten einmischt. Was wird passieren, wenn Nicolas Sarkozy als Abschiedsgeschenk am Vorabend seiner Niederlage bei den französischen Präsidentschaftswahlen die Entscheidung fällt, die Büros der „Jewish Agency“ ((Die „Jewish Agency“ – eine NGO – mit Sitz in Jerusalem ist die Exekutive der Zionistischen Weltorganisation mit dem Ziel, die Juden in der Diaspora zur Einwanderung nach Israel zu ermutigen und ihnen bei der Integration zu helfen.)) in Paris zu schließen? Er könnte die Schließung damit begründen, dass Lockungen, französische Bürger zur Einwanderung in Israel zu bewegen, eine scharfe Form der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs sei.

Immer wenn eine Behauptung über ausländische Einmischungen aufkommt, muss sich Netanjahu in seinem Glashaus verstecken. Bei jedem Besuch in den USA springt er zwischen den jüdischen Organisationen und den Kongress-Mitgliedern hin und her. Es hat nie ein Politiker in Israel gegeben, der sich mehr in der amerikanische Politik eingemischt hat (und das noch tut) als er. Es ist wahr: Die Pro-Israel-Lobby AIPAC ((„Israel America Public Affairs Committee“.)) bekommt nicht einen Cent aus Israel. Aber sie hat mehr als genug Geld, um Politiker zu ermutigen, Ja und Amen zu allem zu sagen, was von der israelischen Regierung kommt.

Journalistische Immunität

Hier eine Rekonstruktion eines Gesprächs am vergangenen Freitag [11.11.2011] zwischen zwei Journalisten, deren Wege sich bei einer Demonstration linker Organisationen am Rande der Siedlung Anatot in der Westbank kreuzten:

Journalist A: „Ich hatte eine starke Geschichte über jenen Richter ((Gemeint sein dürfte der am Jerusalemer Bezirksgericht tätige Richter Noam Sohlberg, der in der Siedlung Alon Svut (Westbank) wohnt.)) aufgeschnappt, der für den Obersten Gerichtshof kandidiert. Leider darf ich nicht darüber schreiben. Er hat in einem Verleumdungsprozess, den die Siedler angestrengt haben gegen mich entschieden, und die Leute sagen, dass es nicht ethisch ist“ [wenn er dennoch darüber berichtet].

Journalist B: „Ich würde mich auch freuen, den Bericht zu schreiben, aber ich habe auch in einem Fall verloren, den ein Siedler vor Gericht durchgesetzt hat.“

Eine interessante Methode. Die Siedler überschwemmen die Gerichte mit Verleumdungsklagen, die Verfahren werden bei einem Richter eingereicht, der sich auf üble Nachrede spezialisiert hat, und dem Richter wird von einem zweiten Journalisten Immunität gewährt.

Übrigens schaute die Polizei bei einer früheren Demonstration, etwa vor sechs Wochen von der Seitenlinie zu, als Siedler – unter ihnen auch Polizeioffiziere ohne Uniform – Schläge auf die Demonstranten niedersausen ließen. Dutzende Polizeioffiziere umringten den Pferch, in den sie die Linke pressten, und filmten sie aus jedem Blickwinkel. Dies wird als „Schließen der Stalltüren“ bezeichnet, nachdem „die Pferde das Weite gesucht haben“. Bis heute ist kein einziger Siedler festgenommen worden.

Akiva Eldar, With controversial bills, Netanyahu is declaring war on Europe, in „Haaretz“ 15.11.2011. Aus dem Englischen unter Verwendung des hebräischsprachigen Originals übersetzt und durch Fußnoten ergänzt von Judith & Reiner Bernstein, München. Vgl. den Beitrag von Gideon Levy „Ein neues Israel entsteht“ in der Menüleiste „Berichte aus Israel“ dieser Homepage. Zuletzt hat Staatspräsident Shimon Peres Bedenken gegen ein solches Gesetz erhoben.

2 Kommentare

  1. Lie Likud will paepstlicher sein wie der Papst und Liberman rechts ueberholen zumindest wollen das einige von den Jungen, die „Prinzen“ Begin und Meridor und noch einige „echte“ Likudnikim meinen mit recht dass Jabotinski, Menachem Begin und viele andere echte liberale Revisionisten sich im Grabe umdrehen; was wird sein, wird? Nataniahu weiter mitmachen? Heute hat er zumindest eine Entwicklung nicht unterstutzt dass die Richter in Zukunft der Regierung auf Fragen nach polischer Einstellung Rechenschaft geben muessen. Er sollte schnellstens wieder sich besinnen und die echte Likud wiedervereinen wem’s nicht passt soll zu Libermann gehen, sonst werden in den naechsten Wahlen viele den „echten“ (Liberman) waehlen und nicht die Kopie.Ich von der linken Seite der Karte sehe unser Unglueck darin dass wir keine relevante alternative haben fuer Nataniahu in den naechsten Wahlen.

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