Über den Antisemiten, der für Israel Partei ergreift: Methode Breivik

7
48

„Ist’s Wahnsinn auch, so hat es doch Methode“ – so lautet das Shakespeare-Zitat, das vielen jetzt zur unausdenkbar grausamen Tat von Oslo einfallen mag, sobald sie einen Blick in das 1500seitige Manifest des Täters geworfen haben…

Von Gerhard Scheit

Die Linken ergreifen die Gelegenheit, von der Tat und vom Leid selbst sich gleich wieder abzuwenden: Dem gesunden Hausverstand, den Freerk Huisken besitzt, erscheint die Methode dieses Wahnsinns nämlich völlig identisch mit der, als ganz normal angesehenen Methode rechter Politiker, „die Kriege gegen islamisch geführte Staaten anzetteln (…) und den Anhängern des in Terrorismusverdacht geratenen Glaubens in den europäischen Metropolen per Staatsgewalt – z.B. durch Bourka- bzw. Kopftuchverbot – die Schönheiten und Herrlichkeiten der europäische Kultur aufzwingen“. Die imperialistischen Politiker hätten es dabei nur „nicht nötig, dafür in Hinterhöfen aus Dünger Bomben zu basteln. Diese und vieles andere liefert die internationale Rüstungsindustrie den Damen und Herren, die im freien Westen über die Staatsgewalt verfügen, zu freiem Gebrauch frei Haus. Welch Wahnsinn!“ (Der Doppelanschlag von Oslo: „Ist’s Wahnsinn auch, so hat es doch Methode.“ ((http://www.fhuisken.de/oslo.pdf ))

Liberale, die sich ihren eigenen Menschenverstand vom gesunden noch nicht ganz austreiben haben lassen, beschränken sich einstweilen darauf, Politiker und Publizisten zur Besonnenheit, zum Innehalten und zur „ideellen Selbsthygiene“ zu ermahnen. Richard Herzinger in der Welt sieht nun auch die „Islamkritik“ in der Pflicht, sich ihrerseits vom Terrorismus zu distanzieren – nicht anders als die anderen politischen Milieus heutiger Demokratie, ob es nun Linke oder Muslime seien: Nur wenn er „in dem jeweils ‚eigenen’ Milieu, in dem er Rückhalt sucht, systematisch isoliert und geächtet wird, kann er erfolgreich ausgetrocknet werden. In diesem Sinne bedeutete es kein irgendwie geartetes Schuldeingeständnis und wäre kein Ausdruck schlechten Gewissens, wenn ‚Rechtspopulisten’ und andere Verfechter der These, wir seien akut von ‚Islamisierung’ und ‚Multikulturalismus’ bedroht, den Schock von Oslo zum Anlass nähmen, sich deutlicher als bisher von apokalyptischen Untergangsphantasien und hasserfüllter Endzeit-Paranoia loszusagen.“ („Geht euren Phrasen nach“, Die Welt, 27.7.2011) Das heißt, Herzinger beruft sich auf die „Grundwerte unserer demokratischen Zivilisation insgesamt“. Elementare Säulen dieser Werte seien „die Tugenden der Mäßigung und Selbstdisziplinierung, die gegen die Überschreitung der Grenzen zu Terminologie und Tonfall des Hasses sensibilisieren. Nicht jeden Affekt, und entstammt er auch noch so tiefer Überzeugung, die ganze Wahrheit erkannt zu haben, ungefiltert und ohne Rücksicht auf die Folgen in die Welt zu schreien, bedeutet keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern im Gegenteil ihre aktive Pflege.“ Soweit diese Diätetik nur abstrakt den Grad, die Intensität, die Gefühle des Handelns betrifft, nicht aber deren Inhalte, klingt sie ein wenig wie die Spießermoral „Alles mit Maß und Ziel“ und könnte auch als Aufruf zum Appeasement missverstanden werden.

Dabei ist nun das Manifest von Brevik, was seine politischen Ziele betrifft, keineswegs von messianischen Untergangsphantasien erfüllt oder von totalitären Vorstellungen von Demokratie, wie auch Caroline Click unter Bezugnahmen auf Talmons historische Untersuchungen zu erkennen meint. ((http://www.carolineglick.com/e/2011/07/breivik-and-totalitarian-democ.php)) Das Zukunftsideal des irren Massenmörders widerspricht nicht unbedingt dem, was auch manche antitotalitär gesinnte Demokraten wollen: Favorisiert wird ein Zustand, den etwa Südkorea und Japan erreicht haben, oder eine Ordnung, wie sie Europa vor dem Ersten Weltkrieg kennzeichnete. Von christlichem Fundamentalismus kann insofern keine Rede sein, als sich kein ausgeprägter Bezug zur Bibel oder zu Jesus Christus erkennen lässt. Die Apokalypse erscheint – ähnlich wie bei Carl Schmitt nach 1945 – nur als notwendiger Durchgangspunkt auf dem Weg ins 19. Jahrhundert, an dem Breivik nicht zuletzt die Unterordnung der Frau im Rahmen der Kleinfamilie schätzt.

Dafür überträgt sich die apokalyptische Phantasie sofort auf die Öffentlichkeit, die über Manifest und Anschlag berichtet: Man malt eine Welle antiislamischen Gegenterrorismus an die Wand; die gewaltbereite Szene rechter und nationalistischer Gruppen werde sich nun an der Tat Breiviks orientieren und zum bevorstehenden endzeitlichen Gefecht zur Verteidigung des Abendlands gegen Islamisierung und multikulturelle Zersetzung rüsten. Die Erkenntnis, dass es sich um die Tat und das Manifest eines Einzelnen handelt, eines Einzeltäters im eminenten Sinn, wird dabei hintertrieben, auch wenn die Ermittlungen der Polizei und die Kommentare von Psychiatern genau darauf hinauslaufen. Die Berichterstattung scheint von der Intention besessen, die Unterschiede zwischen diesem vereinzelten antislamisch motivierten Anschlag und den systematischen islamischen Attentaten der letzten Jahrzehnte möglichst rasch zu verwischen und alle Proportionen zu beseitigen, als sollte der Eindruck erzeugt werden, es wäre mit Breiviks monströsem Amoklauf aufgewogen, was der massenhafte Amoklauf des Jihad an Leid über die Menschheit gebracht hat und weiterhin bringt. Wie groß muss da das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach einer solchen Tat gewesen sein – und woher kommt es, wäre zu fragen. Schließlich fehlten nur noch die Verschwörungstheorien, die natürlich nicht lange auf sich warten ließen, wonach Israel hinter dem Anschlag stecke – oder in der gemäßigten Form wie im Spiegel, für den Breivik zeige, „wie weit verzweigt das Netzwerk rechtspopulistischer Gruppen und Parteien in Europa tatsächlich“ sei, es reiche „vom Front National in Frankreich über Vlaams Belang in Belgien bis zur Freiheitlichen Partei Österreichs“ – und es sei Israel, das an dieser Rechten „Interesse“ habe. ((http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,777210,00.html))

Der Kern des Manifestes

Ist es auch die Methode eines Einzeltäters, so besitzt sie dennoch den Wahn des Kollektivs. Darauf stößt auch Richard Herzinger, wenn er über Breivik schreibt, es sei nicht mehr von der Hand zu weisen, dass sich „fanatische Randgruppen unter dem Vorwand der Angst vor der (Selbst-)Auslöschung des ‚christlichen Abendlandes’ ihren islamistischen Antipoden – deren paranoiden Wahn sie in Wahrheit teilen – angleichen und ihre Methoden übernehmen könnten“. Die Nähe zum Amoklauf hat hier ihren Ursprung: Denn jene Angleichung an den jihadistischen Antipoden ist durchaus nicht möglich ohne entsprechende Ideologie, ohne den Zusammenhalt des islamisch geprägten Rackets; oder besser gesagt, sie kann ohne solche Voraussetzungen überhaupt nur in Gestalt eines psychopathischen Einzeltäters vollzogen werden, der den Amoklauf gegen einen ganzen Staat versucht, eines Führers ohne Masse, dessen Phantasien in ihrer Kombination so abstrus und „idiotisch“, d.h.: vereinzelt und verborgen sind, dass er sie mit anderen, gar mit einer längerfristig bestehenden Gruppe von Fanatikern, nicht mehr teilen kann. So musste er einen ganzen Koran selber schreiben, bzw. aus Zitaten der verschiedensten Websites zusammenmontieren, den kaum einer gelesen hätte ohne seine Tat; so war er genötigt, sich widerstandslos festnehmen zu lassen, statt wie ein Jihadist sich selbst zu opfern, um nur ja noch einmal Gelegenheit zu bekommen, seine Motive öffentlich darzulegen und das am besten in einer seiner Phantasie-Uniformen.

Das Auffälligste an Breiviks Mimikry ist jedoch, dass er den Hass auf die Juden nur fragmentarisch nachvollzieht (was die Medien in ihrer Berichterstattung dazu nützten, ihn ganz zu unterschlagen). Sein gesamtes Manifest folgt geradezu dem Prinzip, von den Antisemiten bis ins Detail der Ressentiments möglichst viel zu übernehmen – so vor allem das Feindbild, worin „Marxisten“ und „kapitalistische Globalisten“ ineinander aufgehen, aber auch die spezifisch ausgeprägte Polemik gegen die Emanzipation der Frauen –, nur nicht den Antisemitismus selbst dabei ins Zentrum zu rücken. Dadurch wird es möglich, dass er sich positiv auf Henryk Broder und Imre Kertész beruft (freilich nur, soweit sie nicht über die Shoah sondern von europäischen Werten sprechen); die Juden, die Israel unterstützen sogar als seine Brüder bezeichnet; und statt vom Judentum, das die abendländischen  Werte zersetze, lieber von der Frankfurter Schule spricht, die genau damit begonnen habe. Von Hitler aber, den er eigentlich ablehnt wie die gesamte Ordnung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg etabliert hat, zitiert er zustimmend die hohe Meinung über Karl Martell, der das Abendland rettete.

Wo es gegen den Islam geht, versteht das Manifest demnach die Juden im selben Sinn wie Hitler als Bündnispartner. So sieht die Parteinahme für Israel aus: Breivik gehört zwar nicht zu den Holocaust-Leugnern, aber es ist ihm allererst um Relativierung der Vernichtung der europäischen Juden zu tun: „The ‚holocaust religion’ has grown into a destructive anti-European monster, which prevents nationalistic doctrines from emerging. And without nationalistic doctrines, Europe will wither and die, which we are seeing today. It’s quite ironic that even Israel would appear to have become a victim of it. Needless to say, while I am a strong supporter of Israel and of all patriotic Jews I acknowledge that the anti-European holocaust religion must be deconstructed, and instead replaced with an anti-Islamic version. After all we are talking about a disproportion of 6 million killed Jews vs. 300 million massacred Jews/Christians/Hindus/Buddhists/Zoroastrians/Animists. As of now, the “holocaust religion” is one of the major factors that are making Europe vulnerable and susceptible for Islamic conquest through demographical warfare.”

Israel wird also nicht seinem Wesen nach als Zufluchtsstätte der Juden vor dem Antisemitismus betrachtet, sondern als Bollwerk gegen den Islam, die Grundlage des Staats wird ignoriert und ebenso der Hauptgrund dafür, den radikalen Islam zu bekämpfen: die von diesem Islam drohende Wiederholung von Auschwitz. (Die Stellen, wo das Manifest sich gezwungen sieht, den Status Israels als Reaktion auf den europäischen „Anti-Judaismus“ irgendwie anzuerkennen, sind darum etwa nach dem Muster formuliert: Nur unter der Voraussetzung, man akzeptiert, dass der Islam an allem schuld ist, kann auch dieser Status akzeptiert werden.) Eben darin zeigt sich, dass Breivik selbst durch und durch Antisemit ist, was en passant auch ganz offen hervortritt – so gerade, wenn das Manifest herauszustreichen sucht, es gebe in Westeuropa „kein Judenproblem“. In den USA allerdings verhalte es sich da anders, und wenn hier die Warnung angefügt wird, „nicht den gleichen Fehler wie die NSDAP“ zu machen, dann bezieht sich das auf Europa, während für die USA Hitlers Methode offenkundig nicht ausgeschlossen bleibt und zwar gegenüber denjenigen Juden, die sich, statt nach Israel zu gehen, assimilieren wollen.

Die Imitation des jihadistischen Antipoden, die Breivik vollführt, geschieht durch Projektion vom Standpunkt Israels aus, der aber nicht nur bloß willkürlich bezogen, sondern dessen eigenste Grundlage in toto missachtet wird und werden muss: die Notwendigkeit einer Zufluchtsstätte für Jüdinnen und Juden. Denn Breivik selber ist als Antisemit Bestandteil dieser Notwendigkeit. Durch die Parteinahme für Israel ist er in der Logik seines Wahns lediglich gezwungen, den Hass auf die Juden vordergründig herabzustufen. Eben dadurch fehlt ihm wiederum der Zusammenhalt der fanatischen Gruppe, der anzugleichen seine Propaganda der Tat doch unternimmt. Die politische Synthese ist nicht möglich, insofern erst dieser Hass die vielen vereinzelten Fanatiker zur politischen Kraft und zum terroristischen Racket vereinigt. Und es ist gerade der Neid auf die Gemeinschaft enragierter Muslime und die Schlagkraft und Gewalttätigkeit ihrer Rackets, die den Attentäter von Oslo umtreibt. Der auf Gewalt sinnende Antisemit, der für Israel Partei ergreift, bleibt notwenig ganz isoliert. (So war für ihn auch in der norwegischen „Fortschrittspartei“ schließlich kein Platz mehr.) Also phantasiert er Gemeinschaft und Racket herbei und entwickelt dabei die infantilsten Vorstellungen. Jihadist des Westens, der nur als Psychopath Wirklichkeit wird, hascht er im Sortiment der Kulturindustrie nach den unterschiedlichsten Kostümen und posiert als Tempelritter-Animation, Putin-Doppelgänger mit Orden, Marxistenkiller im Kampfanzug mit vorgehaltenem Gewehr.

Aber beliebig ist das alles dennoch nicht: Breivik hat bis zur letzten Konsequenz vorgeführt, was es heißt, wenn ein Antisemit für Israel Partei ergreift. Er verwandelt sich genau in das Monster, das die Antizionisten in Israel verkörpert sehen wollen. Die Jugendlichen der sozialdemokratischen Jugend, die er tötete, übten sich auf ihrer Ferieninsel in antizionistischer Solidarität mit den Palästinensern und der Free Gaza Flotte, und (wie einige wenige Medien berichteten) als der Massenmörder sie jagte, glaubten manche von ihnen noch, es handle sich um eine zur politischen Belehrung inszenierte Vorführung israelischen „Staatsterrors“, und fielen ihm darum umso leichter zum Opfer.

In ihrer Ungeheuerlichkeit übertrifft Breiviks Tat jene, die wirklich als seine Vorgänger gelten könnten, den „Una-Bomber“ Ted Kaczynski in den USA, von dem er auch einiges in sein Manifest übernommen hat, oder den Briefbombenattentäter aus der Steiermark Franz Fuchs, der sich als „Bajuwarische Befreiungsarmee“ ausgegeben hatte. Diese Steigerung hängt fraglos mit dem neuen Bezugspunkt zusammen, den Breivik besitzt, mit der übermächtigen Konkurrenz, die er in den jihadistischen Rackets erblickt. Der Una-Bomber nahm in seinem Irrsinn noch die technologische Elite ins Visier, um gegen die Umweltverschmutzung zu kämpfen; die „Bajuwarische Befreiungsarmee“ eröffnete ihren wahnhaften „Partisanenkampf“ gegen die ‚Verschmutzung’ des „Volks“. Gemeinsam ist ihnen, dass hier das Politische sich aus einem bestimmten Grund nur noch unmittelbar aus ihrer individuellen Psychopathologie erschließen lässt: Dieser Grund besteht darin, dass ihnen etwas fehlt, was sie erst zur fanatischen Gemeinschaft und zum terroristischen Racket befähigen würde. Daraus resultiert eine Gefährlichkeit, die sich mit politischen Mitteln im Grunde nicht bekämpfen lässt, sondern nur mit Psychiatrie und Polizei.

Andererseits bleibt die Frage, ob solche Attentäter gerade darin nicht wiederum etwas Politisches verkörpern; ob Breivik, eben strikt als Psychopath betrachtet, den gegenwärtigen Zustand bestimmter Kräfte, die unters Schlagwort Rechtspopulismus subsumiert werden, in extrem verzerrten Zügen widerspiegelt. Aber auch da wäre zu präzisieren: Sein Manifest beruft sich in ähnlicher Weise auf Geert Wilders wie auf eine „Wiener Schule“, worunter wohl die FPÖ gemeint sein dürfte. Der Punkt, der in Breiviks Manifest keine Wichtigkeit bekommen darf, von dem aus sich aber die Methode seines Wahns erst erschließt, wäre auch hier der entscheidende, um zu differenzieren. Offiziell antisemitisch zu sein, ist fast überall mehr oder weniger tabu. Den Hass auf die Juden aber hinter dem Hass der Jihadisten auf das Abendland zum Verschwinden zu bringen und die „Holocaust-Religion“ zu dekonstruieren, weil sie Deutschland und dem Nationalismus in Europa schade, wie Breiviks Manifest es fordert, dieses Manöver ist der Verfassung des postnazistischen Subjekts, postnazistisch im engsten Sinn verstanden, wie angemessen, denn die Leistungen der Vergangenheit, die in der Vernichtung der Juden kulminierten, dürfen unter keinen Umständen, auch nicht im Konkurrenzkampf mit dem Islam, angetastet werden, weil sie die Grundlage der eigenen Gesellschaft sind. Es entspricht auch exakt der aktuellen Politik der FPÖ, die neuerdings eine Wende im Verhältnis zu Israel herbeizuführen sucht, ohne darum etwa die Sympathien für die Politik der Islamischen Republik Iran preiszugeben. Das Problem ist nur, dass es sich hierbei noch immer um eine Partei und nicht um das Hirn eines Psychopathen handelt, und das bedeutet für ihre Funktionäre und Mitglieder, dass sie sich zwangsläufig in heillose Widersprüche verwickeln, kaum noch zu einer längerfristig geltenden Parteilinie zusammenfinden können, in einem Chaos der gegensätzlichen Parteitaktiken sich untereinander isolieren, zusammengehalten nur durch das Grinsen ihres Führers H. C. Strache. Aber auch das entspricht der Verfassung des postnazistischen Subjekts, und so kann die Partei, je mehr sie diffundiert, vermutlich mit umso mehr Zuspruch aus der Bevölkerung rechnen, die sich ebenso nach dem Ausnahmezustand sehnt wie sie ihn fürchtet.

Breivik ist der terroristische Quisling dieses postnazistischen Subjekts. Nicht die Fehler der NSDAP wiederholen: das ist der Kern seiner Methode – und zum Ungeheuerlichen dieser Methode gehört auch, wie viel an Vorwand sie dem linken Antisemitismus liefert und noch liefern wird.

Über den Autor: Gerhard Scheit hat nach einem Musikstudium Theaterwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Musik in Wien und Berlin studiert. Er hat an mehreren Universitäten in Österreich gelehrt und lebt als freier Autor und Essayist in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte bildeten zunächst Geschichte von Drama und Musikdrama sowie Antisemitismus in Literatur- und Musikgeschichte, seit Mitte der 1990er Jahre Studien zu einer kritischen Theorie des Staats- und des Völkerrechts. Ausgehend von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Franz Neumann betrachtet er die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie wie die Freudsche Psychoanalyse als Voraussetzung gesellschaftskritischer Analyse. Er publiziert in den 1990er Jahren regelmäßig in der Zeitschrift konkret, später vor allem in der antideutschen Zeitschrift Bahamas und auf der Webseite Café-Critique. Scheit gab mehrere Bände der bei Klett-Cotta erschienenen Werkausgabe des Schriftstellers Jean Améry heraus.

7 Kommentare

  1. Herr Pfeifer,
    Dershowitz hat keine „unangenehmen Wahrheiten“ ausgesprochen, sondern ein paar provokante Thesen, die aus Ihrer Sicht wohl eines wegwischen sollen: wie weit Rassismus und Islamfeindlichkeit ins Lager der rechtsgerichteten „Israelfreunde“ hineinreichen – übrigens wohl auch Antisemitismus, sofern er durch andere, anscheinend „akzeptablere“ Ressentiments überlagert wird (wie im Falle Breiviks).
     
    Es wäre unfair, Breivik einfach zum extremistischen Repräsentanten einer rechtslastigen „Pro Israel-Fraktion“ zu erklären, aber ebenso falsch ist es, so zu tun, als gäbe es keine ideologischen Schnittmengen. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, daß das Massaker von Utoya einen nennenswerten Israelbezug besitzen könnte, wenn nicht „Israelfreunde“ wie Sahm und Dershowitz so penetrant darauf hingearbeitet hätten, aus Opfern Täter zu machen.
     
    Natürlich behauptet Dershowitz in dem von Ihnen verlinkten Artikel nicht, daß die Norweger die Terroranschläge „verdient“ hätten, Doch außer einer pflichtgemäßen formellen Distanzierung besteht seine „Argumentation“ v.a. aus einer pauschalen Diffamierung der Norweger: Sie seien heute das anti-semitischste und anti-israelischste Volk in Europa, das Jugendcamp wäre am Tag vor den Schüssen mit einer „Orgie“ anti-israelischen Hasses beschäftigt gewesen, man solle nicht erwarten, daß „die“ Norweger irgendwelche Lehren aus ihrer eigenen Opferrolle zögen, denen er schließlich eine „sordid history of complicity with all forms of bigotry ranging from anti-Semitic Nazis to anti-Semitic Hamas“ attestiert…
    Ganz ehrlich: Wenn Herr Dershowitz noch eine Rechnung mit „den“ Norwegern offenhat, ist dies die ungeeignetste und menschlich schäbigste Art sie zu begleichen.
     
    Es geht nicht darum, ob Dershowitz auch irgendwekche „Wahrheiten“ zu verkünden hat, sondern welche Bedeutung er diesen für das Massaker auf Utoya zuschreibt. Die „Methode Esther“ besteht dann wohl in der Zurückweisung „Pfeifer’scher Verknüpfungen“ von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben.
     

  2. „Dershowitz ist dafür, Tieren im Gesetz begrenzt Rechte zuzugestehen, und befürwortete 2002 in Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, dem Staat die legale Möglichkeit zum Einsatz von Folter zu geben.
    Beispielsweise schlug er in einem Artikel vom 11. März 2002 in der The Jerusalem Post[2] unter dem Eindruck zahlreicher Anschläge von Selbstmord-Attentätern auf die israelische Zivilbevölkerung vor, ein Moratorium anzukündigen, nach jedem weiteren solchen Terroranschlag kleine palästinensische Dörfer aus einer vorher festgelegten Liste dem Erdboden gleichzumachen, nachdem den Einwohner 24 Stunden zur Räumung ihres Dorfes eingeräumt wurden. “
    http://de.wikipedia.org/wiki/Alan_M._Dershowitz

    Wenn solch einem K_tzbrocken Abneigung und Verachtung entgegen schlägt, sollte er mal versuchen, die Ursache nicht in seiner Religion sondern in seiner grundlegenden Amoralität zu sehen.

    • Die Zerstörung palästinensischer Dörfer wäre Terror gegen unschuldige Zivilisten, den Dershowitz angeblich ablehnt. Als nächstes könnte er dann erklären, was er unter „single standard“ versteht…

  3. Esther warum können Sie die Wahrheit nicht vertragen. Nirgendwo hat Dershowitz behauptet, die Norweger verdienten einen Teroranschlag.
    „I know of no reasonable person who has tried to justify the terrorist attacks against Norway. Yet there are many Norwegians who not only justify terrorist attacks against Israel, but praise them, support them, help finance them, and legitimate them.
    The world must unite in condemning and punishing all terrorist attacks against innocent civilians, regardless of the motive or purported cause of the terrorism. Norway, as a nation, has failed to do this. It wants us all to condemn the terrorist attack on its civilians, and we should all do that, but it refuses to live by a single standard.“
     
    Er hat einige unangenehme Wahrheiten ausgesprochen, was natürlich sofort mit Unterstellungen von Esther weggewischt werden solle.
    So sagt Dershowitz: „Its political and academic leaders openly make statements that cross the line from anti-Zionism to anti-Semitism, such as when Norway’s former Prime Minister condemned Barak Obama for appointing a Jew as his Chief of Staff. No other European leader would make such a statement and get away with it. In Norway, this bigoted statement was praised, as were similar statements made by a leading academic.“
    Wenn ich jetzt die Methode Esther anwenden würde, dann könnte ich behaupten, sie – Esther – fände das total in Ordnung und richtig wenn ein Sozialdemokrat den amerikanischen Präsidenten kritisiert, weil dieser einen Juden angestellt hat.
     
     
     

  4. Ja, Breivik ist u.a. wohl auch ein Antisemit… Wie praktisch! Da brauchen sich dann jene rechtsgerichteten „Israelfreunde“, die sich mit seiner Tat identifizieren oder – als „Islamkritiker“, „Araberfresser“, „Multikulti-Gegner“ oder „Linkenbasher“ – völlig zu Unrecht damit identifiziert werden, nicht mehr davon zu distanzieren oder gar Mitleid mit den Opfern zeigen…
     
    Die sind schließlich selber schuld, haben in ihrem verblendeten Israelhaß geglaubt, wie uns auch Ulrich W. Sahm bestätigt,
    http://test.hagalil.com/2011/07/24/norwegen/
    es würde sich um eine „Simulation der Gräuel Israels“ handeln… Zumindest aber haben sie’s verdient, haben am Vortag ein Transparent mit „Boikott Israel“ hochgehalten und sogar mit ihrem Außenminister darüber debattiert. Sie haben es verdient, die Norweger, dieses, wie uns der von Karl Pfeifer verlinkte Alan M. Dershowitz wissen läßt
    http://test.hagalil.com/2011/07/28/ehrenmord/comment-page-1/#comment-22693
    Volk von Nazi- und Hamas-Sympathisanten.
     
    Aber wenigstens hat kein Pseudo-Israelfreund zur „Feier“ des Massakers Süßigkeiten auf der Straße verteilt… nehme ich mal an, genau weiß ich es natürlich nicht – schließlich besuche ich keine Hetzseiten, die sowas kolportieren würden.

  5.  
     
    Das sind durchaus interessante Ãœberlegungen, ein paar kleine Fehler wären jedoch aufzuzeigen – so ist zB Breivik ganz sicher kein Amokläufer, als welcher er im Beitrag bezeichnet wird, er verkörpert mit Sicherheit etwas ganz anderes.
     
    Auch ich habe dieses ominöse „Manifest“ zu lesen begonnen, nach einer Weile nur noch nach Stichwörtern überflogen und sehe persönlich aber keinen Anlass, aus diesem Sammelsurium zusammen gestellter, allerdings einschlägiger Fremdmeinungen etwas anderes herauszulesen, als ein dahinter stehendes akribisch-pedantisches Bemühen.
     
    Es entsteht der Eindruck, dass hier ein Versuch unternommen ist, eine vorgefasste, fixe Idee ideologisch zu untermauern, darüber hinaus eventuell sogar zweierlei zu versuchen: Erstens,  durch die jahrelange, unbeirrbar zielgerichtet gedankliche Beschäftigung mit djeser unzweideutigen, gesellschaftspolitisch hoch populär vorgegebenen Thematik, intrapsychisch die eine Verwirklichung seines Vorhabens bedingende  Verdichtung zu erreichen, einerseits, sowie andererseits, psychodynamisch den Punkt ohne Wiederkehr  zu überschreiten, und zweitens, den lange phantasierten finalen Akt, den Massenmord, der Außenwelt erklärbar, logisch verständlich machen zu wollen, bzw. seinen Anspruch auf außerordentliche, herausragende persönliche Bedeutung und exklusive Sonderstellung innerhalb der europäischen Gesellschaften einzufordern.
     
    Einschränkend muss allerdings gesagt sein, dass ohne Anamese, ohne psychiatrische Untersuchung, notwendiger Weise auch unter Miteinbeziehung der Eltern, nichts Substanzielles festgestellt werden kann. Ich selbst kann mir aber nichts desto trotz sehr gut vorstellen, dass man in Hinblick auf diesen Massenmörder durchaus unter „Herostratos“, siehe zB auch Sartre 1936, fündig werden könnte.
     
    Vielleicht noch eine kleine Randbemerkung, bezüglich folgender Festschreibung, …
     
    und (wie einige wenige Medien berichteten) als der Massenmörder sie jagte, glaubten manche von ihnen noch, es handle sich um eine zur politischen Belehrung inszenierte Vorführung israelischen „Staatsterrors“, und fielen ihm darum umso leichter zum Opfer.
     
    … möchte ich doch noch darauf hinweisen, dass mir nach gründlicher Recherche, anlassbezogen damals vor ein paar Tagen, kein seriöses Medium bekannt geworden ist, das davon berichtet hätte. Es handelt sich vielmehr nahezu ausschließlich um rechtskonservative, islamfeindliche Seiten, die diese nicht verifizierbare Geschichte – vor eindeutigem Hintergrund – oft bei gegenseitiger Nennung als Quelle übernommen haben.
     
    Nun ja.
     
     
     
     
     
     

Kommentarfunktion ist geschlossen.