Dogan Akhanli: Eine Lesung und ein Gespräch

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Nach seiner Freilassung aus einem türkischen Gefängnis lebt Dogan Akhanli, deutsch-türkischer Schriftsteller und Menschenrechtler, wieder in Köln. Und findet Zeit und Kraft, wieder als Schriftsteller zu wirken. Am 20. April wird Dogan Akhanli im Kölner Literaturhaus aus seinem deutschsprachigen Werk lesen. In einem mit „Wenn ich auf Deutsch schreiben könnte, wäre es natürlich einfacher…“ betitelten schönen Interview mit der Zeitschrift „rheinische ART“ hat er über seine literarische Arbeit und sein Verhältnis zur Kunst gesprochen…
Von Uri Degania

Akhanli wurde vor 25 Jahren wegen seines politischen Engagements in der Türkei inhaftiert und gefoltert. Diese traumatische Erfahrung hat er in seinem kürzlich in der Türkei erschienenen Buch „Fasil“ behandelt. Das Werk, unmittelbar nach seiner Freilassung Anfang Dezember 2010 erschienen, nähert sich der Folter als individuellem und gesellschaftlichem Trauma an, sowohl aus der Perspektive des Opfers als auch des Täters, es hat in der Türkei eine breite Resonanz ausgelöst.

In seinem Interview mit der Zeitschrift „rheinische ART“ verwahrt sich Dogan Akhanli dagegen, als Opfer der türkischen Justiz gesehen zu werden: Er ist ein Menschenrechtler – und nun, in Köln, ein Schriftsteller, ein Chronist und Zeuge gesellschaftlicher und kultureller Ereignisse. „Das ist mir wichtig. Denn das Unrecht, das ich erlebte, ist in der Türkei vielfach präsent.“

Die Literatur soll nun im Zentrum seines Wirkens stehen, vertieft und erweitert durch sein weiterhin fortbestehendes Engagement für Menschenrechte – auch und vor allem beim Exil-P.E.N. – Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, dessen aktives Mitglied er nun ist (siehe auch Writers-in-Prison Projekt).

Dogan Akhanli hebt in dem Interview mit „rheinische ART“ hervor:

“Ich bin Schriftsteller. Die Literatur ist für mich ein wichtiger Teil meines Lebens. Ohne Literatur kann ich nicht sein. Meine glücklichsten Momente sind die, während ich schreibe. Und ich möchte ein guter Literat sein. Ich will diese, meine Kunst entwickeln und suche ständig neue Wege. (…)

Wo sehen Sie ihre literarische Heimat?

(,,,) Ich schreibe auf Türkisch, aber ich lebe in Deutschland. Das ist eine schwierige Situation, denn ich bin nicht Teil der deutschen Literatur; ich bin Teil der türkischen Literatur. Weil ich aber weit von der türkischen Literatur entfernt lebe, ist die lebendige Sprache in der Türkei ein Problem für mich. Ich erlebe ihre Entwicklung nicht, und ich habe demnach keinen so engen Bezug zu ihr – dies ist ein Nachteil. (…) Und für die türkischen Verlage ist es von Nachteil, dass ich durch die räumliche Entfernung nicht so präsent sein kann, wie es wünschenswert wäre.“

Seine nun errungene Bekanntheit empfindet Dogan Akhanli auch als Belastung. Die Rolle als eine öffentliche Person, mit damit einhergehenden Erwartungen und Projektionen, weist er zurück:

„Ich möchte authentisch sein. Das ist der einzige und ehrliche Weg. Ich muss nicht, will mich nicht als etwas anderes zeigen als ich bin. Ich möchte aus dem Bauch heraus reden und sagen, was ich gerade fühle oder denke. Ich möchte meine Sätze sprechen oder schreiben, auch wenn sie fehlerhaft sind. Was ich sage, muss mich spiegeln. Es muss mir gehören. Wenn ich meine Fehler im Deutschen sehe, kann ich mich ja auch entschuldigen. Ich weiß ohnehin nicht, was die Öffentlichkeit braucht oder will.

Diese Aussagen spiegeln den Intellektuellen wider. Was bedeutet Ihnen denn Kunst? Beschäftigen Sie sich auch damit?

Ja. In dem früheren Manuskript von Ona Sevdiğimi Söyle (Sag ihr, dass ich sie lieb habe), einer 13-teiligen Serie, die ich für das türkische Fernsehen verfasst habe, ist mein Bezug zur Malerei eindeutig und sogar Teil der Geschichte. (…) In dieser Geschichte habe ich versucht, die Malerei und die Literatur zusammen zu bringen. Ich habe versucht, den Inhalt so zu strukturieren, dass ich einmal als Kunstkritiker und einmal als Autor auftauche. (…)

Ihr jüngster Roman trägt den Titel „Fasıl“. Welche genreübergreifenden Bezüge gibt es hier?

In „Fasıl“ habe ich die osmanische Musik und Musiktradition mit Literatur zusammen gebracht. In einem früheren Werk, „Tage ohne Vater“, habe ich versucht, Mathematik und Literatur zu verbinden. Ich versuche jedes Mal einen anderen außerliterarischen Bereich durch die Literatur dem Leser etwas näher zu bringen. (…)

In Deutschland sind Sie ja hauptsächlich als politischer Schriftsteller bekannt geworden. In „Die Richter des Jüngsten Gerichts“ haben Sie die Armenierfrage aufgegriffen und in „Der letzter Traum der Madonna“ das Flüchtlingsproblem auf dem jüdischen Rettungsschiff „Struma“ im Winter 1941/42. Würden Sie sich als politischen Schriftsteller sehen wollen?

Ich möchte meine schriftstellerische Arbeit von politischer Aktivität getrennt sehen. Die Literatur ist mir näher als die Politik. Doch sicherlich bin ich auch ein politischer Schriftsteller. Meine Themen sind politische Ereignisse. Doch politische Hintergrundgedanken können für ein Buch auch schädlich sein. Zuvorderst will ich eine gute Geschichte erzählen. (…)

Kann man über Literatur die türkische Politik beeinflussen?

Nein. Man kann nur dem Leser ein Gefühl für das geben, was gerade passiert. Was ich versuche, ist, über Probleme zu erzählen. Ich schreibe hauptsächlich subtile Geschichten, zum Beispiel in „Der letzte Traum der Madonna“ oder in „Die Richter des Jüngsten Gerichts“. Das war auch eine authentische Erfahrung für mich. Ich komme aus einem Land, in dem eines der schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts passierte. Die Türkei hat die Armenier 1915 und 1916 ausgelöscht. Und dann erreicht man ein Fluchtland, in meinem Falle die Bundesrepublik Deutschland, in dem man Freiheit genießt; und plötzlich lernt man, dass dieses Land eine noch fürchterlichere Geschichte hat, den Holocaust.

Wie sind Sie mit dieser Erkenntnis umgegangen?

Du fragst dich: Was hast du denn mit dieser Geschichte zu tun? Ich kann ja sagen, ich bin 1957 geboren, ich habe damit nichts zu tun. Warum beschäftige ich mich also weiter damit? Sagen wir mal, ich beschäftige mich weiter mit dem Genozid an den Armeniern, weil ich aufgrund meiner eigenen Erfahrung eine emotionale Beziehung zu Gewalt, Gewaltverbrechen und Völkermord habe. Genozid, das ist für mich ein Verbrechen gegen die Menschheit. Was ist die Dimension der Gewalt? Und dann hört man immer wieder, dass der Holocaust unvergleichbar ist. (…) Dann habe ich begonnen, mich mit der Geschichte zu beschäftigen. Ich bin immer tiefer gerutscht; es ist immer komplizierter geworden nach meiner Recherche. Und dann kommt das Wort Verantwortung.

Haben Sie mit Ihren deutschen Freunden diese Dinge einmal diskutiert?

Frage ich meine deutschstämmigen Freunde, antworten sie: „Wir sind verantwortlich, weil wir Deutsche sind.“ Ich aber bin kein Deutscher. Doch es gibt Verbrechen gegen die Menschheit. Wenn ein Teil der Menschheit einen anderen Teil ausgelöscht hat, betrifft das auch mich. Also, entweder gehöre ich der Menschheit an oder nicht, entweder bin ich ein Teil von ihr oder nicht. Wenn aber, dann bin ich Teil beider Seiten. Ich könnte ja auch zu denen gehören, die ausgelöscht haben oder ausgelöscht wurden oder künftig einmal auslöschen oder ausgelöscht werden.

Was möchten Sie in nächster Zeit verwirklichen?

Ich wünsche mir, dass meine Bücher, zunächst einmal „Fasıl“ und „Madonna’nın Son Hayali“ (Der letzte Traum der Madonna) übersetzt werden. Auch wenn ich bekannt bin; ich habe es bislang nur einmal geschafft, übersetzt zu werden. Ich bin Schriftsteller. Ich nehme diesen Beruf sehr ernst.

Letzte Frage: Sind Sie ein Schriftsteller im Exil?

Auf eine Art schon, vielleicht. Wenn ich auf Deutsch schreiben könnte, würde ich sagen: Ich bin nicht im Exil. Wenn ich aber im deutschsprachigen Raum in einer anderen Sprache schreibe, dann bin ich im Exil. Wenn ich auf Deutsch schreiben könnte, wäre es natürlich einfacher…“

http://www.rheinische-art.de/cms/topics/der-in-koeln-lebende-schriftsteller-und-menschenrechtler-dogan-akhanli.php

Veranstaltungshinweis:

20.4. 20 Uhr
Dogan Akhanli liest aus seinem Roman Die Richter des Jüngsten Gerichts, deutsche Texte: Heidrun Grote
Ort: Literaturhaus, Schönhauser Str. 8, 50968 Köln

Links:
Georg Simet: „Wenn ich auf Deutsch schreiben könnte, wäre es natürlich einfacher…“. Interview mit Dogan Akhanli, in: rheinische ART http://www.rheinische-art.de/cms/topics/der-in-koeln-lebende-schriftsteller-und-menschenrechtler-dogan-akhanli.php
http://www.exilpen.net/mitglieder/neu/akanli.html
Writers-in-Prison Projekt des Exil-P.E.N: http://www.exilpen.net/wip/writers-in-prison-day.html

1 Kommentar

  1. Frage ich meine deutschstämmigen Freunde, antworten sie: „Wir sind verantwortlich, weil wir Deutsche sind.“ Ich aber bin kein Deutscher. Doch es gibt Verbrechen gegen die Menschheit. Wenn ein Teil der Menschheit einen anderen Teil ausgelöscht hat, betrifft das auch mich. Also, entweder gehöre ich der Menschheit an oder nicht, entweder bin ich ein Teil von ihr oder nicht. Wenn aber, dann bin ich Teil beider Seiten. Ich könnte ja auch zu denen gehören, die ausgelöscht haben oder ausgelöscht wurden oder künftig einmal auslöschen oder ausgelöscht werden.
     
    Überwältigend schlicht, beeindruckend einfach und klar, ja!

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