Zum Jubiläum des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts

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Im März 2001 wurde in Nürnberg ein kleines Institut zur Erforschung des Nationalsozialismus und der jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts gegründet. Heute, zehn Jahre später, ist klar, dass das Institut einen Meilenstein in der Vermittlung des Neubeginns nach der Schoa leistet, nämlich die „Darstellung von Juden als politisch handelnde Menschen, die den Aufenthalt in den Displaced Persons Camps als Vorbereitung auf ihre Zukunft im eigenen Staat ansahen“…

Von Andrea Livnat

Herz und Seele des „Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e.V.“ ist der Journalist, Historiker und Dokumentarfilmer Jim G. Tobias.

Tobias, Jahrgang 1953, begann sich bereits als Jugendlicher in politischer Basisarbeit zu engagieren und für Geschichte zu interessieren. Die Frage nach der deutschen Vergangenheit und eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sei dann sehr schnell zentrales Thema geworden. „Irgendwann habe ich gedacht, mir platzt der Kopf, wenn ich das nicht raus lasse“, so Tobias im Rückblick. Das war der Start für seine journalistische Arbeit.

Tobias schrieb zehn Jahre für den Aufbau – die bedeutende deutsch-jüdische Emigrantenzeitung, die zwischen 1934 und 2004 in New York erschien – und als freier Mitarbeiter für zahlreiche andere Zeitungen, wie die Jüdische Allgemeine, Nürnberger Nachrichten und die Süddeutsche Zeitung.

Von Beginn an war Regionalgeschichte für den gebürtigen Düsseldorfer, der seit Jahrzehnten in Nürnberg lebt, faszinierend. „Geschichten, die vor der Haustür liegen“, so Tobias, seien schließlich das, was die Menschen am meisten interessiert.

Zum 60. Jahrestag der Verkündung der „Nürnberger Rassengesetze“ erstellte Tobias 1995 die foto-dokumentarische Ausstellung „Judenfrei!“ Nur noch Steine zeugen vom jüdischen Landleben in Franken, für die er 60 Orte und Objekte jüdischer Landgemeinden der Region fotografierte und dabei auf Spuren vergessenen jüdischen Lebens stieß. Dabei stellte er auch fest, dass es an zahlreichen Orten auch ein kurzes Intermezzo jüdischen Lebens nach 1945 gab, nämlich in Form von Ausbildungslagern für Überlebende der Schoa, die sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten.


Aus dem Ausstellungskatalog „Judenfrei“: Friedhof und das Tahara-Haus in Waldsdorf (LK Bamberg). Der Friedhof wurde Anfang des 17. Jahrhunderts angelegt.

Zur selben Zeit erschien der von Angelika Königseder und Juliane Wetzel herausgegebene Sammelband „Lebensmut im Wartesaal“, in dem Tobias einen Hinweis auf einen Kibbutz am sog. „Streicher-Hof“ vor den Toren der Stadt Nürnberg bestätigt fand. Der Startschuss für seine unermüdliche und grundlegende Forschung zur Geschichte der DP-Camps im Nachkriegsdeutschland war damit gelegt.

Über einen Aufruf im Aufbau fand Tobias drei Zeitzeugen in Israel, die in diesem Trainingskibbuz auf dem Pleikershof von Julius Streicher ausgebildet wurden und ihm berichteten. 1996 konnte Tobias schließlich den Film „Der Kibbuz auf dem Streicher-Hof“, dem eine gleichnamige Ausstellung und Publikation folgten, präsentieren.

Seit 1998 forschte Tobias zusammen mit dem Historiker Peter Zinke über jüdische Rache an NS-Tätern. 1999 erschien dazu ein Fernsehbeitrag und 2000 schließlich das Buch „Nakam„. Ein faszinierendes Buch über ein gänzlich unbekanntes Kapitel der Nachkriegsgeschichte, das den Autoren auch Kritik einbrachte. Racheaktionen an der deutschen Zivilbevölkerung durch jüdische Überlebende, das sei ein Thema, das den Antisemitismus nur anheizen würde, lautete der Vorwurf. Ganz im Gegenteil, begründeten die Autoren im Vorwort zu Recht ihr Anliegen: „So zu tun, als hätten Juden und Jüdinnen sich überhaupt nicht gegen ihre Vernichtung zur Wehr gesetzt und an Nazis Vergeltung geübt, stützt das Vorurteil des feigen und hilflosen Opfers.“ „Nakam“ hat auf jeden Fall Interesse geweckt und ist in der zweiten Auflage (Taschenbuch, Aufbau Verlag 2003) vergriffen.

Mit Peter Zinke zusammen gründete Jim G. Tobias im Anschluss das Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts, ein gemeinnütziger Verein, der sich der Förderung der Wissenschaft verpflichtet hat. Zu den Projekten des Instituts zählten neben der Erforschung der Geschichte verschiedener DP-Camps beispielsweise „Gustav Schickedanz und der Nationalsozialismus“, die „Scheunensynagoge Bechhofen“ oder „Lebenswege Nürnberger Juden“. Aktuell widmen sich Projekte u.a. der Emigration jüdischer DPs nach Australien und der Entstehungsgeschichte der Bibliotheken in den jüdischen DP-Camps.

Seit 2002 erscheint im 2-jährigen Abstand das Jahrbuch des Instituts; mit dem Schwerpunkt „Gesundheit, medizinische Versorgung, Rehabilitation“ wird 2012 das sechste publiziert. In zahlreichen weiteren Veröffentlichungen breiten Jim G. Tobias und andere Instituts-Mitarbeiter viele unbekannte Kapitel der DP- und jüdischen Nachkriegsgeschichte auf. So etwa in „Heimat auf Zeit“ von der Geschichte des „Transient Children’s Center“ in Rosenheim und den jüdischen DP-Kinderlager in Aschau, Bayerisch Gmain, Indersdorf, Prien und Pürten.  In „Sie sind Bürger Israels“ beschreibt Tobias, wie die Hagana in den DP-Camps unter den überlebenden Juden Soldaten rekrutierte und auf deutschem Boden Ausbildungslager und Offiziersschulen einrichtete.

Großes Interesse rief die deutsche Übersetzung der „Geheimen Notizen des K. Sakowicz“ hervor. Der polnische Journalist Kazimierz Sakowicz wohnte in Ponary bei einem Waldgebiet unweit von Wilna, in dem von Juli 1941 bis Juli 1944 zwischen 70.000 und 100.000 Menschen, zumeist Juden, ermordet wurden. 1999 wurde das in Polnisch geschriebene Tagebuch erstmals veröffentlicht. Die kommentierte deutsche Ausgabe des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts, die auch die Geschichte des Tagebuchs und seiner Entdeckung, sowie eine Dokumentation der juristischen und historischen Aufarbeitung des Massenmordes in Ponary durch die deutschen Behörden enthält, wurde auch in die schwarze Serie des Fischer Verlages übernommen.

Darüber hinaus ist der kleine, aber feine Mitarbeiterkreis des Instituts auf nationalen und internationalen Konferenzen aktiv und stellt seine Expertise im Besonderen zur Mitgestaltung von Ausstellungen in diversen Museen zur Verfügung. Aktuell etwa das Video-Zeitzeugenprojekt zum DP-Camp Zeilsheim in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Frankfurt.


Dreharbeiten vor der Skyline von Manhattan. Kameramann Winny Schuhmann, Interviewpartner Hans Rosenfeld. Hans ist in Franken geboren und Ende der 1930er Jahre emigriert. Er ist einer der Wenigen, die noch Lachoudisch sprechen können. Foto: © jgt-archiv

Besonders sei noch auf das „Nürnberger Videoarchiv der Erinnerung“ hingewiesen, das Jim G. Tobias in Kooperation mit dem Institut und der Medienwerkstatt Franken realisierte. Das Archiv enthält zahlreiche Zeitzeugenberichte jüdischer Überlebenden, die einst im Großraum Nürnberg lebten oder immer noch leben. Das Archiv stellt Bildungsmaterialien für den Unterricht zur Verfügung, Filmbeiträge können als DVD erworben oder im Jüdischen Museum Franken eingesehen werden.

Zum 10-jährigen Bestehen wünschen wir dem Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts alles Gute und masal tov! Wir freuen uns auf viele weitere produktive Jahre, die uns Lesern sicherlich weitere spannende Veröffentlichungen und Projekte bringen werden.

–> http://www.nurinst.org

2 Kommentare

  1. Herzlichen Glückwunsch!
    Es ist sicher nicht einfach ohne die Anbindung an etablierte Institutionen, sich treu zu bleiben. Aber vermutlich wäre es mit dieser Anbindung gänzlich unmöglich.

  2. Vielen Dank für den Artikel. Als Jemand, der nur wenige Kilometer von Nürnberg entfert wohnt und die Entwic´klung des Instituts verfolgen konnte, schließe ich mich den Glückwünschen an.

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