Der Ruf nach Freiheit im Nahen Osten

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Es waren vor allem junge Menschen, die binnen weniger Wochen mit ihrem Mut und mit dem Ruf nach Demokratie und Freiheit eine scheinstabile Ordnung im Nahen Osten ins Wanken brachten. Sie haben die Machthaber in Tunesien, Ägypten, Jemen und anderswo als das kenntlich gemacht, was sie in all´ den Jahrzehnten waren: Unterdrücker von Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung, die sich und ihre Cliquen auf Kosten ihrer Völker schamlos bereichert haben, Herrscher diktatorischer Regime, in denen Bürger- und Menschenrechte tagtäglich unterdrückt wurden…

Von Frieder Wolf

Die Revolte der arabischen Jugend hat die kollaborative Außenpolitik der westlichen Staaten und der Europäischen Union uralt aussehen lassen. Auf der Höhe der Zeit angekommen ist sie bis heute nicht. Die israelische Regierung hat sie noch mehr auf dem falschem Fuße erwischt. Dass diese sich noch immer an Potentaten zu klammern scheint, deren Zeit abgelaufen ist, demonstriert in erschreckender Weise die Kurzsichtigkeit und Perspektivlosigkeit einer Politik, die existentiell notwendige Sicherheit allein militärisch zu buchstabieren weiß.

Der Ruf nach Freiheit und Demokratie erschüttert nicht nur die Machtbasis arabischer Potentaten, er hat auch feste Glaubenssätze der westlichen und israelischen Politik als ressentimentgeladene Ideologie überführt. Dass die Bürgerinnen und Bürger der arabischen Staaten zur Demokratie unfähig seien und Freiheit ihnen fremd sei, war einer davon. Ein anderer, dass sie mehrheitlich islamistisch seien und die einzige Alternative zur säkularen Militärdiktatur deshalb das noch größere Übel, der islamistische Totalitarismus, wäre. Von islamistischer Propaganda war auf den Massendemonstrationen in Tunis, Kairo und den vielen anderen Orten ebenso wenig zu sehen und zu hören wie von antiisraelischen oder antiamerikanischen Losungen. Arabien hat ein freiheitliches, säkulares, junges, weltoffenes und selbstbewusstes Gesicht bekommen, das dem Feindbild Islamismus eine neue Wirklichkeit gegenüberstellt. Welch´ eine Chance! Die „einzige Demokratie im Nahen Osten“, als die sich Israel unter Ausblendung der Türkei so gerne selbst bezeichnet, könnte in naher Zukunft von weiteren demokratisch regierten Nachbarn umgeben sein.

Wenn der historisch evidente Lehrsatz stimmt, dass Demokratien nicht gegeneinander Krieg führen, müsste die israelische Regierung eigentlich frohlocken, zumindest aber leise Signale der Sympathie senden. Weshalb tut sie es nicht? Hat sie Sorge, dass die israelische Variante der Muslimbrüderschaft, die immer stärker werdenden Ultra-Orthodoxen und die sich radikalisierende Siedlerbewegung, sowie der geduldete, bisweilen sogar legalisierte Rassismus gegenüber der arabischen Bevölkerung im eigenen Land verstärkt in den Blickwinkel der Weltöffentlichkeit gerät? Befürchtet sie, dass die Demokratiebewegung ihr eine wichtige legitimatorische Basis für die anhaltende Besatzung der Westbank, die Blockade des Gaza, den Bau der Sperrmauer und die Siedlungspolitik entzieht? Oder muss sie, um Antworten verlegen, einfach nur erkennen, dass Frieden nicht gegen, sondern nur mit den Nachbarvölkern geschaffen werden kann? Dass die überlebensnotwendige militärische Stärke dringend um eine Regionalstrategie vertrauensbildender Maßnahmen ergänzt werden muss, die Menschen in ihrem Alltag erreicht, Begegnungen ermöglicht und grenzüberschreitende Kooperationsnetwerke schafft, zu der die amtierende Regierungskoalition aber nicht in der Lage ist, weil sich eine solche Strategie mit Besatzung, Blockade und Siedlungsbau nicht vereinbaren lässt?

Noch ist nicht entschieden, dass radikale islamistische Kräfte nicht am Ende doch die Oberhand gewinnen. Wie sich der Westen, wie sich auch Israel derzeit gegenüber der Demokratiebewegung verhält, nämlich passiv, abwartend, zögerlich und zurückweisend, provozieren sie genau dies. 30 Jahre Mubarak-Regime haben den Islamismus in Ägypten nicht geschwächt, sondern gestärkt, so wie die anhaltende Okkupation der Westbank und Abriegelung des Gaza die gesellschaftliche Durchdringung Palästinas durch die Hamas eher zu fördern als wirkungsvoll zu bekämpfen scheint.

Wenn der Westen im Nahen Osten Glaubwürdigkeit und Einfluss behalten will, muss er sich mit aller Entschiedenheit auf die Seite der demokratischen Kräfte stellen und tatkräftig den Aufbau demokratischer, rechtsstaatlicher und säkularer Strukturen unterstützen. Es könnte einmal mehr zur Stunde der politischen Stiftungen werden. Sie sind die prädestinierten und idealen Partner zivilgesellschaftlicher Demokratieförderung. Sie sind vor Ort verankert. Und sie arbeiten genau in dem vorpolitischen Raum, in dem sich jetzt die neuen demokratischen Kräfte formieren werden.

Eine nicht minder wichtige Aufgabe ist die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Demokratie wächst von unten. Das ist die Erfahrung Europas nach den Erfahrungen von Krieg und Gewaltherrschaft. Städtepartnerschaften haben nach 1945 und 1989 maßgeblich dazu beigetragen, dass Europa zusammen wächst. Auch die Städtepartnerschaftsbewegung und die kommunalen Netzwerke sind deshalb gefordert, über kommunale Partnerschaften die lokale Demokratie zu stärken und den Nahostfriedensprozess bürgerschaftlich zu fundieren. Als leider nach wie vor einzige deutsche Stadt, die mit Tel Aviv-Yafo und Bethlehem sowohl in Israel als auch in Palästina städtepartnerschaftlich verankert ist, hat Köln neben zahlreichen anderen europäischen Städten bewiesen, dass solche trilaterale Projekte möglich sind. Das im Mai 2011 von der Stadt Köln in enger Zusammenarbeit mit israelischen, palästinensischen und europäischen Kommunalverbänden geplante „Cologne Mayors’ Forum: Euro – Middle East City-to-City-Cooperation” wird dazu weitere wichtige Impulse liefern.

Es ist ermutigend, nach 1989 einmal mehr zu erleben, dass Geheimdienste die eruptive Kraft demokratischer Bewegungen nicht erkannt haben und, einmal ausgebrochen, auch nicht brechen konnten. Beklemmend bleibt, dass mit Omar Suleiman der Chef des gefürchteten ägyptischen Geheimdienstes Mukhabarat als neuer Vizepräsident der Mann zu sein scheint, auf den die westlichen Regierungen und wohl auch Israel ihre Hoffnungen setzen. Mubarak ist nach wie vor im Amt. Man stelle sich vor, der freie Westen hätte nach der demokratischen Revolution in der DDR auf Erich Mielke gesetzt und Erich Honecker bis auf Weiteres im Amt gelassen. Ein absurder, ein zynischer Gedanke, der im Falle Ägyptens plötzlich aber wieder Realpolitik sein soll.

1994 wurde der Friedensnobelpreis an den jetzigen israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres, den 1995 von einem rechtsradikalen Israeli ermordeten Premier Yitzhak Rabin und den 2004 verstorbenen Palästinenserpräsident Jassir Arafat verliehen. Wofür eigentlich, fragt man sich nicht erst im 27. Jahr danach. Wenn jemand den Friedensnobelpreis 2011 verdient, dann sind es die vielen namenlosen jungen Menschen, die seit Dezember 2010 in den arabischen Städten gewaltfrei auf die Straßen gehen, der Staatsgewalt trotzen, für ihre Bürger- und Menschenrechte kämpfen und ihren Völkern den Weg in die Demokratie aufgestoßen haben.

Köln, 8. Februar 2011

Köln – Tel Aviv-Yafo – Bethlehem
Frieder Wolf über kommunale Allianzen für den Frieden im Nahen Osten

1 Kommentar

  1. „1984 wurde der Friedensnobelpreis an den jetzigen israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres, den 1995 von einem rechtsradikalen Israeli ermordeten Premier Yitzhak Rabin und den 2004 verstorbenen Palästinenserpräsident Jassir Arafat verliehen. Wofür eigentlich, fragt man sich nicht erst im 27. Jahr danach.“
     
    Nun, es war 1994… und spätestens seit Arafat ist der Friedensnobelpreis nicht mehr das, was er einmal war.
     

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