Eine israelische Sicht: Negative Konsequenzen sind bereits im Sinai sichtbar

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Weil die Geschehnisse in Ägypten weiterhin in die Kategorie „revolutionäre Situation“ fallen, wissen wir, daß sie Einfluß auf die israelisch-palästinensische Beziehungen haben werden, aber wir wissen noch nicht welcher Art. Dieses erfordert Umsicht, ist aber trotzdem eine nützliche Übung in Hinsicht auf unsere Vorbereitungen für die möglichen Ereignisse, die uns erwarten…

Von Yossi Alpher 

Um mit einer hoffnungsvollen Note zu beginnen, Ägypten wird das bevölkerungsreichste und stärkste Land der arabischen Welt bleiben. Wenn es ihm gelingt, allmählich und moderat zu demokratisieren, könnte es auf lange Sicht eine dominante Rolle im regionalen Friedensprozeß, und, neben Israel, im Kampf gegen den militanten islamistischen Einfluß spielen.

Jedoch müssen wir uns momentan noch wahrscheinlicher mit eher negativen Szenarien befassen. Zunächst und sehr offensichtlich wird Ägypten in naher Zukunft sehr mit inneren Angelegenheiten beschäftigt sein. Wenn die vergangenen Jahre unter der Regierung eines alternden und kränkelnden Hosni Mubarak von einem abnehmenden Einfluß Kairos in der Region begleitet waren, wird dieser Zustand nun verstärkt, unabhängig davon, wer das Land regiert. Das bedeutet einen abnehmenden ägyptischen Einfluß auf den israelisch-palästinensischen Friedensprozeß, auf die Fatah-Hamas Versöhnung und dergleichen. Wer, wenn überhaupt, diese Lücke füllen wird, ist noch vollkommen unklar.

Als eine Folgeerscheinung der Schwächung dieser regionalen Führung erleben wir bereits eine Abnahme der ägyptischen Sicherheitskontrollen über den nördlichen Sinai. Die Gas-Explosion vom vergangenen Wochenende und  die Anfrage der ägyptischen Armee um Erlaubnis von Israel, weitere Truppen im Sinai aufstellen zu dürfen (eine Erlaubnis die unter dem Aspekt des Friedensvertrags der beiden Länder erforderlich ist) widerspiegeln die Eskalation, im Schatten der Unruhen des Landes, in der fortdauernden Feindschaft der Beduinen des Sinai gegenüber der Zentralautorität. Dies könnte wichtige und negative Verzweigungen für die erstaunlich durchlässige Sinai-Grenze erbringen, es zeichnet sich ein Gespenst von zunehmender anti-israelischer Gewalt und Gesetzlosigkeit  ab, ausgehend vom Gazastreifen und dem ägyptischen Sinai. Normalerweise denken wir bei Ägypten nicht an ein Land, welches zuweilen von einer Schwächung durch regionalen und ethnischen Separatismus bedrängt ist, verglichen mit Ländern der Kategorie wie Sudan oder Irak. Jedoch der Sinai –speziell der Norden des Sinai– wird von Beduinen bevölkert, die sich selbst nicht als Ägypter sehen.

Apropos Gaza und seine Hamas-Regierung, in gewissem Ausmaß haben ägyptische Islamisten erfolgreich einen Fuß in die Tür der Regierung von Kairo gesetzt, Ägyptens Beziehung zur Hamas könnte aufgewertet werden. Hamas ist immerhin ein Ableger der ägyptischen Muslim-Bruderschaft. Dies wiederum könnte Einfluß haben auf den Stand der PLO in der Westbank, um nicht zu sagen, auf das Gleichgewicht der Kräfte in der gesamten Region. Jede Stärkung des politischen Islams in Ägypten könnte auch Jordanien beeinflussen und so auch die säkulare Palästinenser-Regierung in Ramallah isolieren.

Offensichtlich, unter solcher Berücksichtigung, das schlimmste Szenario für Ägypten (von Israels Standpunkt aus) wäre eine extremistische Regierung, die den Friedensvertrag aufkündigt, was die Region in eine kritische Situation tauchen würde, geeignet um jederman von den israelisch-palästinensischen Beziehungen, dem Friedensprozeß und der Besatzung abzulenken. Es ist nicht wahrscheinlich, daß das so passiert. Jedoch sogar die gegenwärtige Situation, in der Ägyptens Verläßlichkeit gegenüber Israels strategischen Erwägungen offensichtlich nachläßt, ergibt die Notwendigkeit eines ernsthaften strategischen Umdenkens bei den Israeli.

Traurigerweise, trotz den bereits tendenziell sichtbaren Bahnen dieses Prozesses des Umdenkens, niemand in Israel scheint sein/ihr Denken zu ändern: Israels Falken werden „falkischer“ und die Tauben „taubischer“, speziell gegenüber der Palästinenser-Sache. Schon hören wir die Verfechter eines zukunftsorientierten Friedens-Prozesses, auch Präsident Shimon Peres, die anraten, daß Israel wesentlich fähiger sei, mit regionalen Erschütterungen umzugehen, wenn es die Aussicht auf Frieden zu den Nachbarn hätte. Jene, die einen Palästinenserstaat in unmittelbarer Nachbarschaft nie an erster Stelle begrüßten, erklären, daß die Ereignisse in Ägypten von Israel verlangen, an seinem territorialen Anspruch festzuhalten und Risiken zu vermeiden, besonders in Anbetracht der Instabilität seiner Nachbarn. Dieses von Premier Binyamin Netanyahu angeführte Lager ist auch bemüht, den USA und den Europäischen Staaten zu erklären, daß Israel, mehr denn je, ihr verläßlichster und wertvollster Freund in der Region ist, und daß die Ereignisse in Ägypten belegen, daß die bedeutendsten Probleme der Region nichts mit der Existenz Israels und dem Palästinenserkonflikt zu tun haben.

Es ist bereits vorhersehbar, wie diese verschiedenen Ströme israelisch strategischen Denkens auf lange Sicht in Washington und Brüssel wirken werden. Während Netanyahu sich momentan selbst gratulieren kann, da die Hauptbeschäftigung des Westens mit Ägypten die Hitzigkeit um den Friedensprozeß von Israel nimmt, hat er sich selbst mit einer Reihe von unmittelbaren gewichtigen Folgen zu beschäftigen, die sich aus den Ereignissen in Ägypten ergeben. Diese beginnen heute mit der Brennstoff – und Grenzsicherheit. Wo sie enden weiß niemand. Aber sicher ist, was auch immer in Ägypten passiert, die Palästinenserangelegenheit wird nicht verschwinden. – © bitterlemons.org

Yossi Alpher ist Mitherausgeber der bitterlemons Gruppe. Er ist ehemaliger Direktor des  ‚Jaffee Center for Strategic Studies‘ der Tel Aviv University.
Übersetzung: A.mOr