„Die Juden zu Passau“ und „Des Knaben Wunderhorn“

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Kaum ein deutscher Gymnasiast dürfte sein Abitur ablegen, ohne zuvor im Deutschunterricht nicht wenigstens einmal von jener legendären Sammlung deutscher Volksliedtexte „Des Knaben Wunderhorn“ gehört zu haben. Nur wenigen Deutschen, in erster Linie Germanisten und Antisemitismusforschern, wird bekannt sein, dass in diesem Kompendium deutscher Lyrik zwei Stücke mit jüdischer Thematik enthalten sind. Eines davon besingt eine angebliche Hostienschändung im niederbayerischen Passau…

Von Robert Schlickewitz

Die unten wiedergegebene Fassung von „Die Juden zu Passau“ stammt aus dem „Bayern-Buch“ des zu seiner Zeit weithin anerkannten bayerischen Publizisten Joseph Maria Mayer von 1869. haGalil-Lesern ist dieser Autor inzwischen wohl vertraut – wir veröffentlichten bereits mehrfach kommentierte Kapitel aus diesem und aus seinem zweiten Werk, dem „Münchener Stadtbuch“.

Die Juden zu Passau

1477.

Mit Gott, der allen Dingen
Ein Anfang geben hat,
So heben wir an zu singen
Eine wunderliche That.

Der C h r i s t o p h   E i s e n h a m m e r
Durch sein groß Missethat
Fing an ein großen Jammer
Zu Passau in der Stadt.

Zu’n Juden thät er laufen,
Und fragen sie behend:
„Ob sie nit wollten kaufen
Das heilig Sakrament?“

Alsbald sie Antwort gaben:
„Er soll’s ihnen bringen nun,
Sie wollten ihm mit Gaben
Ein völlig G’nüge thun.“

In stürmischer Nacht, im Finstern,
Brach er die Thüre auf
Von unserer Frauen Münster,
Nahm acht Partikel aus.

Um einen Gulden, merk‘ eben,
Er sie alle acht verkauft,
Daß einer, wie zu sehen,
Auf dreißig Pfennig lauft.

Die Juden ließen’s zum Tempel
Bald tragen auf den Altar,
Ein Messer sie auszogen,
Und stachen grimmig drein.

Bald sahen sie heraus fließen
Das Blut ganz wild und reich,
Gestalt sich sehen ließen
Ein’m jungen Kindlein gleich.

Das brachte großen Schrecken,
Sie gingen bald zu Rath:
Zwo Hostien zu schicken
Gen Salzburg in die Stadt.

In die Neustadt auch zwo senden,
Zwo schickten sie gen Prag,
Zwo hielten sie bei Händen,
Hätten darüber Frag.

Sie meinten und verhofften,
Christum auszutilgen gar,
Drum heizten sie ein’n Ofen,
Worin die Hostien war’n.

Doch seht! Vor ihren Augen
Flogen zwei Engel raus,
Dazu zwo schöne Tauben,
Das machte Furcht und Graus.

C h r i s t o p h, der Uebelthäter,
In Sünden hart verblendt,
Wie Judas der Verräther,
Stiehlt weiter was er findt.

Als er zu  G e r m a n s b e r g e n
Angriff den Kirchenstock,
Ergriffen ihn die Schergen,
Sie schlugen ihn in Stock.

Da er nun lag gefangen
Zu Passau im Oberhaus,
Was er je hätt begangen,
Bekennt er frei heraus.

Da wurden die Unthaten
Der Juden auch vermehrt,
Wie sie gerathen hatten,
Das Sakrament entehrt.

Dem Bischof ging zu Herzen
Solch lästerliche That,
Darauf ohn alles Scherzen
Er nach ihnen greifen hat.

Da haben sie bekennet,
Daß sie das Sakrament
Gestochen und gebrennet,
Und in drei Städt‘ gesendt.

Zwar vier aus den Gefangnen
Haben sich weisen la’n,
Die Seligkeit zu erlangen
Den Glauben g’nommen an.

Die andern sind verbrennet;
Die vier, so sich bekehrt,
Die Christen sich genennet,
Die gab man zu dem Schwert.

C h r i s t o p h, der’s angefangen,
Das Sakrament verkauft,
Ward auch mit heißen Zangen
Nach etlich Wochen gestraft.

 

Zum geografischen und historischen Hintergrund: Passau in Niederbayern ist die südöstlichste größere Stadt Deutschlands, am Zusammenfluss von Donau, Inn und Ilz gelegen, katholischer Bischofssitz, Universitätsstadt und zählt mehr als 50 000 Einwohner. Besonderheiten Passaus sind: Es beherbergt die größte Kirchenorgel der Welt und es stand noch bis vor wenigen Jahren im Ruf die „braunste Stadt Deutschlands“ zu sein. Als die bekannteste Persönlichkeit Passaus von nach 1945 dürfte Anna Rosmus gelten, die durch ihre Enthüllungen über die weit über das Kriegsende hinaus andauernde Nazizeit in Passau sich auch international einen besonderen Ruf erwarb.

Die Gründung der Stadt geht auf eine Keltensiedlung aus dem ersten Jahrhundert vor der Zeitrechnung zurück, die sich auf dem Fleck Land zwischen Donau und Inn befand. Später bestimmten die Römer die Geschicke der Region und ab dem 7. Jahrhundert herrschten Agilolfinger und Karolinger. Seit 1803 gehört Passau zu Bayern.

Eine erste Erwähnung von Juden in Passau enthält die sog. „Raffelstätter Zollordnung“ von um 900, die sich der Regelung des Handelsverkehrs zwischen Bayern, Böhmen und Mähren annahm.

Erst für das 12. Jahrhundert liegen Nachweise über jüdisches Leben in der Stadt vor, als die Angehörigen der Minderheit der Jurisdiktion des Bischofs von Passau unterstanden. Der vorliegenden Literatur nach war die Stellung der Juden anfangs günstig, weil ihnen eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung zukam. Jedoch bereits für 1210 wird von der Plünderung jüdischen Besitzes berichtet, wobei sich allerdings anscheinend die Obrigkeit für die Juden eingesetzt hat, denn es ist auch von sehr großzügiger Entschädigung für jene ungesetzlichen Akte die Rede. Es soll sich darauf, im 13. Jahrhundert, erneut eine Periode einvernehmlichen Auskommens zwischen Juden und Bischof eingestellt haben. Juden durften Zins nehmen und sie stellten dem Kirchenfürsten, wenn er darum ersuchte, Darlehen zur Verfügung. Erst der 1267 in Wien gefasste Beschluss, Juden und Christen voneinander zu trennen, verschlechterte wieder die Lage der Angehörigen der Minderheit in Passau und anderswo. Als weitere Eckdaten werden genannt: für 1314 die Erwähnung in Urkunden einer Synagoge, für 1328 einer „Judenstraße“ und für 1418 eines eigenen Friedhofs. Bis dahin waren Passauer Juden offensichtlich verpflichtet gewesen ihre Toten im, damals noch mehrere Tagesreisen entfernten, Regensburg zu bestatten. Judenverfolgungen sind für die Jahre 1349, im Gefolge einer Pestepidemie, und für 1390 belegt. Vorübergehende Verhaftungen von Juden von gegen Ende des 14. Jahrhunderts werden in der Literatur mit einem Schuldentilgungserlass des Königs Wenzel in Verbindung gebracht.

Im März 1478 soll ein Dieb ‚gestanden‘ haben, Hostien gestohlen und an Juden verkauft zu haben. Zehn Juden gaben darauf unter Folter zu, die Hostie mit dem Messer durchstoßen zu haben, wodurch diese heftig angefangen habe zu ‚bluten‘. In der Folge wurden diese Juden, einschließlich des Diebes, zum Tode verurteilt. 40 Juden sollen nun spontan das Christentum angenommen haben, während die übrigen aus der Stadt vertrieben worden seien. Die Synagoge und die Behausungen der Juden wurden anschließend abgerissen und an Stelle der Synagoge eine Wallfahrts-(„Sühne-„)kirche errichtet.

Der Wikipedia-Eintrag zu dieser Passauer St. Salvator Kirche nennt folgende teils ergänzende, teils von der mir vorliegenden Literatur zum Teil abweichende Einzelheiten:

„Die Kirche St. Salvator wurde 1479 bis 1495 als Sühnekirche für einen angeblichen Hostienfrevel an Stelle einer Synagoge … errichtet.

Den in Passau im heutigen Ortsteil Ilzstadt ansässigen Juden wurde 1477 nachgesagt, eine geweihte Hostie mit einem Messer durchstochen zu haben, woraufhin aus ihr Blut geflossen sei. Die Angeklagten wurden verbrannt, die Juden aus Passau vertrieben, die Synagoge und das Judenviertel niedergerissen. Der Ablauf wurde auf einem Holzschnitt drastisch dargestellt, das für die angebliche Schändung benutzte Messer machte man zu einer Reliquie.“

Weiter entnimmt man dieser virtuellen Quelle zur Geschichte des Bauwerks, dass die sich einstellenden Wallfahrten niemals die Bedeutung etwa der „Deggendorfer Gnad“ um die Deggendorfer Grabkirche erlangten. Ferner sei nach der Säkularisierung von 1803 die Kirche profaniert und verkauft worden. Der neue Eigentümer habe sie in ein Wohnhaus umgebaut und genutzt. 1842 sei der Bau von Bischof Heinrich erworben und regotisiert worden; 1861 habe eine erneute Weihe stattgefunden und die Kirche sei dem Orden der Englischen Fräulein überlassen worden. Heute werde der Sakralbau wegen seiner besonderen Akustik als Konzertsaal genutzt und sei sonst nicht für die Allgemeinheit zugänglich. Vom sogenannten Hostienfrevel zeugten in der Gegenwart noch Tafelbildreihen, die aus dem 17. bis 19. Jh. stammten und die zum Teil im Oberhausmuseum aufbewahrt würden.   

Das Jüdische Lexikon von 1927 weist darauf hin, dass „noch heute“ – „dort (wohl in der Kirche; R.S.) einige Erinnerungen an den Prozeß gezeigt“ würden.

Von beträchtlichem Interesse dürfte sein, wie die katholische Kirche, die in Passau immer noch einen bedeutenden Einflussfaktor darstellt, in ihrer höchsteigenen Geschichtsschreibung die jüdischen Spuren der Bischofsstadt darstellt. Als pdf-Dokument ist im Internet zu Beginn des Jahres 2011 unter dem Titel „Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Passaus“ ein Aufsatz des Passauer Diözesan-Archivars Dr. Herbert Wurster abrufbar gewesen, aus dem einige Passagen hier wiedergegeben werden sollen.

„… Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Europas, Deutschlands, Passaus ist eine leidvolle Geschichte, deren Tragik auch den nicht unmittelbar Betroffenen die unvermeidbare Einsicht beschert, daß die heute so sehr beschworene humane Kultur- und Wertegemeinschaft Europas in frühen Tagen oft nur ein Ideal weit abseits der rauhen Wirklichkeit war. In der Geschichte Europas waren nicht nur die Juden Opfer, es hat auch andere Gruppen und Gemeinschaftsbildungen gegeben, die zu Opfern wurden, die Juden aber hat es immer wieder getroffen, und daher beachten wir ihren Leidensweg zurecht mit besonderer Aufmerksamkeit.

Wie vielerorts hat auch in Passau alles friedlich begonnen…

Schon 1210 wurden die Juden erstmals verfolgt, bei einer innerstädtischen Aufruhr, wobei neben dem innerbürgerlichen Konflikt wohl doch auch das jüdische Geldleihgeschäft eine Rolle spielte. Bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts konnten die Passauer Juden sich dann ihrer Heimatstadt erfreuen; die Brüche des Spätmittelalters haben danach in mehreren Verfolgungsphasen das Ende der jüdischen Gemeinde gebracht. Dies waren zunächst die bayerisch-österreichischen Hostienfrevelanklagen von 1338 wie die Pogrome der Pestzeit ab 1349; die Passauer Gemeinde scheint davon aber nicht zerstört worden zu sein und weiter bestanden zu haben…

Nach 1420 kamen aus Österreich vertriebene Juden hierher und ließen das „Oppidum Judaeorum“ auf 54 Familien anwachsen. Damit konnte sich doch eine recht eigenständige und differenzierte Gemeinde mit dem Brauch der Landshuter Juden entwickeln, u.a. mit einem eigenen Judenrichter.

Schließlich führte die von dem spanischen Hauptwerk der antisemitischen Propaganda, dem „Fortalitium Fidei“ (1471), ausgelöste Ritualmordhysterie von Trient und Regensburg (1474-1476) zur Passauer Judenverfolgung 1478. Deren Anlaß war ein angeblicher jüdischer Hostienfrevel im Jahre 1477. Sogar in dem berüchtigten Flugblatt von 1480 über die Passauer Ereignisse wird jedoch klar, daß der angebliche jüdische Hostienfrevel seinen Ausgang bei einem christlichen Kirchendieb nahm, der nach seiner Verhaftung die Passauer Juden denunzierte. Alle Männer der jüdischen Gemeinde wurden daraufhin inhaftiert. Aufgrund von unter Folter gemachten Schuldbekenntnissen wurden 10 davon am 10.3.1478 hingerichtet, etwa 40 Juden ließen sich taufen, die übrigen wurden aus der Stadt verwiesen. Die Judensiedlung und die Synagoge wurden niedergerissen, und 1479 wurde an Stelle der Synagoge diese Kirche St. Salvator errichtet…“

Die apologetische Strategie des Autors in bischöflichen Diensten tritt nur zu deutlich zu Tage: Ablenkung auf andere und scheinbar vergleichbare Ereignisse und Orte (Europa, Deutschland, Österreich, Spanien, Trient, Regensburg etc.), Ablenkung von der Fixierung auf das Schicksal der Juden (auch andere Opfergruppen), Verständnis wecken für die eigenen Passauer Vorfahren, die doch nicht anders konnten, angesichts von so viel jüdischer Bosheit („wobei… wohl doch auch das jüdische Geldleihgeschäft eine Rolle spielte“), Verharmlosen der historischen Wirklichkeit („Bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts konnten die Passauer Juden sich dann ihrer Heimatstadt erfreuen“), Ausflüchte ins Unkonkrete („die Brüche des Spätmittelalters“), platte Feststellungen zur ‚Aufpolsterung‘ („Wie vielerorts hat auch in Passau alles friedlich begonnen“, „die Passauer Gemeinde scheint davon aber nicht zerstört worden zu sein und weiter bestanden zu haben“, “Damit konnte sich doch eine recht eigenständige und differenzierte Gemeinde … entwickeln“), erneute Ablenkung von der Verantwortung der Kirche, ‚die ja grundsätzlich an allem unschuldig war‘, dabei Verwendung eines unpassenden Schlagwortes – bekanntlich spricht man bei judenfeindlicher Haltung bis zum 19. Jh. von (zumeist kirchlichem) Antijudaismus und nicht von (Rassen-)Antisemitismus  („führte die von dem spanischen Hauptwerk der antisemitischen Propaganda … ausgelöste Ritualmordhysterie…“).

Ganz entsprechend fehlt jedwedes Eingeständnis kirchlicher Verantwortung oder gar Schuld am Schicksal der Juden. Diözesan-Archivar Wurster steht mit seinem Beitrag zur jüdischen Geschichte Passaus weit hinter den Einsichten des Historikers und katholischen Geistlichen Ignaz von Döllinger („Die Juden in Europa“) zurück, der bereits im ausgehenden 19. Jh. die Schuld der Kirche anerkannte, sie detailliert benannte und ehrliche Worte menschlichen Bedauerns fand.

Literatur:

Joseph Maria Mayer, Das Bayern-Buch, München 1869; S.421-425
„Passau“ in: Klaus-Dieter Alicke, Lexikon der Jüdischen Gemeinden im Deutschen Sprachraum, Gütersloh und München 2008
„Passau“ in: Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bdn., Leipzig und Mannheim 2006
„Passau“ in: Jüdisches Lexikon, Berlin 1927
„Passau“ in: Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971
Herbert Wurster, Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Passaus, pdf-Dokument:
http://www.untergrund.de/g-lock/media/geschichte_juden_in_passau.pdf, aufgerufen am 4.1.2011
http://de.wikipedia.org/wiki/St._Salvator_(Passau),  aufgerufen am 4.1.2011
http://de.wikipedia.org/wiki/Des_Knaben_Wunderhorn, aufgerufen am 4.1.2011
http://archiv.twoday.net/stories/5422165/, aufgerufen am 4.1.2011
http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Elisabeth_Rosmus, aufgerufen am 14.1.2011
http://nachrichten.t-online.de/rechtsextremismus-in-passau-neonazis-greifen-nach-beerdigung-menschen-an/id_15721692/index, aufgerufen am 14.1.2011
http://www.welt.de/politik/article2944036/Der-Fall-Passau-und-die-ganz-grosse-Ratlosigkeit.html, aufgerufen am 14.1.2011
http://de.wikipedia.org/wiki/Passau, aufgerufen am 14.1.2011

9 Kommentare

  1. Passau/Donau (Bayern)

    Die Passauer Judensiedlung in der heutigen Ilzstadt wurde mitsamt der Synagoge abgerissen; an Stelle der Synagoge wurde um 1480 die Sühnekirche „St. Salvator“ errichtet.
     
    Erst Generationen später hielten sich jüdische Kaufleute zu Marktzeiten wieder zeitweilig in Passau auf bzw. tätigten hier Geldgeschäfte. Zu dauerhaften Ansiedlungen von Juden – wenn auch nur wenigen – kam es aber erst im Zuge der Judenemanzipation ab Mitte des 19. Jahrhunderts.
     
    1903 schloss sich die immer noch geringe Zahl der Passauer Juden der Kultusgemeinde in Straubing an. Da die jüdische Gemeinschaft auch keine eigene Schule besaß, besuchten die wenigen jüdischen Kinder die Mädchenschule St. Nicola und die protestantische Volksschule. Unterrichtung in jüdischer Religion blieb zunächst den Elternhäusern überlassen.
     
    Juden in Passau
    1867 – 8 Juden
    1880 – 16
    1903 – ca. 40
    1910 – 73
    1916 – 98
    1925 – 48
    1933 – 40
    1941 – 2 in „Mischehe“ lebende Jüdinnen
    1946 – 150 / 484 (Volkszählung/Einwohnerliste)
     
    Textil- und Holzhandel waren die wesentlichen Erwerbszweige der Passauer Juden.
    Bereits vor der NS-Zeit zeigten sich in Passau antisemitische Tendenzen, die auch von der Katholischen Kirche mitgetragen wurden.
    Die Juden Passaus waren bereits 1935/1936 fast völlig aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet; 1938/39 lebten kaum noch Juden in der Stadt.
    Jüdische Ãœberlebende aus den NS-Lagern – allerdings keine ehemals ansässigen Passauer – gründeten in den Nachkriegsjahren eine jüdische Gemeinde, die von der US-Militärregierung im „Hotel Deutscher Kaiser“ ein Gemeindezentrum – mit Betsaal und später auch einer Mikwe – zugewiesen bekam.
    Ortsvorsitzender der jüdischen Gemeinde in Passau war der Fuhrunternehmer Leon Wrobel, der im Herbst 1945 aus dem norddeutschen DP-Camp Bergen-Belsen nach Passau übergesiedelt war.
    In den darauffolgenden Jahren schmolz die Zahl der Gemeindemitglieder schnell wieder, sodass sich 1950 die Gemeinde auflöste; 1961 lebten nur noch 13 Glaubensjuden in Passau.
     
    Erst seit der Öffnung der Grenzen zu den osteuropäischen Staaten wurde auch die Stadt Passau neue Heimat für Juden aus Südosteuropa.
     
    In Pocking – etwa 25 km südwestlich von Passau – befand sich nach Kriegsende ein jüdisches DP-Camp, das nach Bergen-Hohne das zweitgrößte in den westlichen Besatzungszonen war. Es war auf dem Lagergelände eines ehemaligen Außenlagers des KZ Flossenbürg untergebracht.
     
    Im Jahre 1946 erreichte es mit mehr als 7500 Menschen seine höchste Belegung. Anfang 1949 wurde es aufgelöst…
     
    Klaus-Dieter Alicke, Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Gütersloh und München 2008

  2. Passau im Dritten Reich
     
    Die Stadt Passau hat in den Nachkriegsjahren so schwer gelitten wie nur irgendeine Grenzstadt. Schwerer als irgendwo anders mußte auch im nationalsozialistischen Staat eine wirksame Belebung Passaus sein. Denn die Not weist dort so viele Ursachen auf, die vom Reich aus nicht oder nur in langen Zeiträumen beeinflußt bzw. beseitigt werden können. Zunächst muß alles eingesetzt werden, um auch unter der gegenwärtigen Großlage der Politik im Donauraum Lebensmöglichkeiten für Passau zu schaffen. Die Ausführung größerer öffentlicher Arbeiten brachte erste Hilfe. Die Errichtung des Ostmark-Museums, der Bau der Nibelungenhalle und der Weihestätte auf Oberhaus, der Ausbau der Hochwald-Ringstraße, die Werbung für Passau, belebte als neuen Erwerbszweig den Fremdenverkehr. Die langsame wirtschaftliche Erholung des Bayerischen Waldes belebt den nordöstlichen Einzugsbereich. Der Bau der Ostmarkstraße, die voraussichtlich über die Burg Oberhaus nach Passau eingeführt wird, wird auf längere Frist Arbeitsmöglichkeiten geben und auf die Dauer Fremdenverkehr und wirtschaftlichen Austausch mit der übrigen Ostmark fördern. Äußerst wichtig für Passau wären besondere Begünstigungen für Ferienkarten auf der Reichsbahn nach Passau, um damit einigermaßen wenigstens wirtschaftlich die Last der Verkehrsferne von Passau zu nehmen. Alle diese Maßnahmen werden Passau wenigstens das notwendige Existenzminimum sicherstellen und die Stadt für ihre große Zukunftsaufgabe erstarken lassen.
     
    In Passau verlebte der Führer eine Zeit seiner Jugend. Passau gehört auch zu den ersten Städten, in denen er als Politiker hervortrat. Ein vergilbter Zeitungsausschnitt berichtet uns, wie im Jahre 1920 ein damals nur einem ganz kleinen Kreis bekannter Redner, Adolf Hitler aus München, vor der Passauer Einwohnerwehr über das Friedensdiktat sprach. Daß dieser entflammende Sprecher der Mann der Tat sein würde, der die Schmach endet, über die er damals in bitterem Grimm sprach, das ahnte wohl kaum einer der Zuhörer.
     
    (Bildtext)
    Rechts: Im Hause mit der Hakenkreuzfahne (…) wohnte der Führer von 1892-1894.
     
    Des Führers erste Rede in Passau. Ein Pressebericht vom 22. Februar 1920:
     
    Die Einwohnerwehr Passau hat sich am Donnerstag Abends im Hollkeller wieder einmal ein gemütliches Stelldichein gegeben in Form einer in einfachem Rahmen gehaltenen Familienunterhaltung. Der Einladung hiezu war erfreulicher Weise sehr zahlreich Folge geleistet worden: außer den Mitgliedern der Wehr mit ihren Angehörigen hatten sich auch zahlreiche Reichswehrtruppen (mit ihrem Kommandeur Herrn Major Hofmann und mehreren Herren Offizieren an der Spitze) sowie die Mitglieder der hiesigen großen Veteranen- und Kriegervereine eingefunden. Der Führer der Einwohnerwehr Herr Oberst Lacher begrüßte die Erschienenen auf das herzlichste und dankte dabei besonders Herrn Major Hofmann, der für diesen Abend die Garnisonsmusik in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt hatte. Im Laufe des Abends hielt Herr Hittler-München (sic!) einen mit stürmischem Beifall angenommenen vaterländischen Vortrag, in welchem der gewandte Redner in überzeugenden, eindringlichen Worten auf die äußeren und inneren Ursachen unseres Zusammenbruchs und auf die seitherigen untauglichen Mittel zur Bekämpfung der Not unserer Tage durch Phrasen und Schlagwörter hinwies. Nur gemeinsame, unermüdliche Arbeit und Hebung unserer Produktion  kann uns schließlich wieder aus dem Chaos herausführen. Referent beleuchtete auch einige hauptsächliche Punkte des Schandfriedens von Versailles und forderte besonders auf zur einmütigen Selbsthilfe gegen die innere Revolutionierung und gegen die Zertrümmerer unseres Landes. Dazu müsse jeder Einzelne mit seiner ganzen Kraft mithelfen und dann werde auch die Zeit wieder kommen, in der Deutschland sich neuerdings erhebt zu Macht und Größe. Der Abend wurde im übrigen verschönt durch die hervorragenden, auf künstlerischer Höhe stehenden und darum auch außerordentlich beifällig aufgenommenen Darbietungen der hiesigen Garnisonskapelle unter der anerkannt tüchtigen Direktion des Herrn Obermusikmeisters Wolter. Den würdigen Abschluß der Veranstaltung bildete das gemeinsam gesungene Lied „Deutschland über Alles“. Alles in allem eine sehr anregend und gemütlich verlaufene Festlichkeit, die der Einwohnerwehr hoffentlich auch wieder manchen Freund und Mitarbeiter gewonnen hat.
     
    Passau – Schicksal und Aufgabe einer deutschen Grenzstadt, (Hg.) Stadt Passau, Bayreuth 1937, S.111f.

  3. Passau
    Hier existierte vermutlich bereits gegen Ende des 9. Jh.s bis 1478 eine, wenn auch kleine, Jüdische Kultusgemeinde, die urkundlich jedoch erst in den Jahren 1204, 1210, 1244, 1260 u.a.m. erwähnt wurde. Die Juden wohnten 1204 (wie damals fast allgemein üblich in einem abgeschlossenen Quartier) in der Sichlinggasse, die bald nach der Jahrhundertwende Judengasse hieß und heute Steiningergasse genannt wird, sowie im 14. Jh. in der früheren Schulgasse bzw. Judenschulgasse, der heutigen Carlone-Gasse, die ebenfalls in der Passauer Altstadt liegt. Am Ende der früheren Judenschulgasse hatten sie eine (1314 erstmals und 1427 letztmals genannte) Synagoge und eine Mikwe.
     
    Um 1100 sollen aus Regensburg vertriebene Juden sich in dem Stadtteil Ilzstadt am Ufer der Ilz angesiedelt haben. 1360 siedelten dort angeblich 54 jüdische Familien. 1412 sind sie jedenfalls an diesem Ort erstmals urkundlich erwähnt. Hier, wo Platz war für 10-12 Häuschen, hatte die Passauer Jüdische Gemeinde in einer eigenen kleinen Judenstadt (die angeblich wegen der Trennung Juden/Christen von einer Mauer umgeben gewesen sein soll) nachweislich eine Synagoge, diese stand an der Stelle, wo heute die Kirche „St. Salvator“ in Passau-Ilzstadt steht, in der heutigen Ilzstadt, dazu einen Friedhof nördlich der Freyung und der „Oberhauser Leite“, heute „Am Vogelherd“. Dieser Friedhof wurde urkundlich 1418 erwähnt.
     
    1478, nach dem sog. „Judenmordprozeß von Passau“ wurde die Jüdische Gemeinde vollkommen zerstört. Die Juden wurden entweder vertrieben oder ermordet, die Synagoge, von der heute deshalb keine Spur mehr erhalten ist, wurde vernichtet. Auf ihrem Grund wurde die „Sühnekirche St. Salvator“ errichtet.
     
    Bis ins 20. Jahrhundert gab es in Passau keine Jüdische Gemeinde mehr, wiewohl immer wieder einzelne Juden hier wohnten. Obwohl es in der Stadt im Jahre 1910 immerhin 73 Juden gab, 1925 noch 48 und 1933 immer noch 40, gelang es doch nicht (trotz vergeblichen Versuches) eine eigene Gemeinde zu gründen, sondern die Passauer Juden schlossen sich der Jüdischen Gemeinde Straubing an.
     
    Erst ab 1946 gab es, allerdings nicht sehr lange, in Passau eine eigene Jüdische Kultusgemeinde, deren Mitglieder sich aus ehemaligen KZ-Opfern zusammensetzten, die sich zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit in der Stadt befanden und großenteils auf die Emigration vorbereiteten. Die Gemeinde besaß eine Mikwe und einen Betsaal im Hotel „Deutscher Kaiser“ in der Bahnhofstraße 30. Nach dem Wegzug der DP’s nach Israel und den USA löste sich die Gemeinde von alleine wieder auf. Das Hotel „Deutscher Kaiser“ wird heute wieder als Hotel benutzt…
     
    Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, München 1992 (Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A 85), S. 341f

  4. Eine Geschichtslehrerin aus Passau hat sich bei mir gemeldet und mich gebeten soviel wie möglich weitere Angaben zu der Judengeschichte ihrer Stadt zu veröffentlichen; die Stadtoberen und die historischen Vereine der Dreiflüssestadt, so die Dame weiter, hätten alle versagt – es gäbe kein Buch, keine Broschüre, ja, nicht einmal ein Faltblatt zu der Geschichte der Juden in Passau. Selbst in den Antiquariaten habe sie vergeblich Ausschau gehalten.
     
    Gerne bin ich bereit sämtliche Angaben, die mir vorliegen, mit den Passauer Lehrern und Schülern zu teilen. Selbstverständlich freue ich mich, dass das Medium haGalil auch zur Vorbereitung des Schulunterrichts in Bayern genutzt wird.
     
    Unten gebe ich eine Passage aus der „Volkstümlichen Geschichte der Juden“ (3 Bde.) des angesehensten jüdisch-deutschen Historikers des 19. Jh., Heinrich Graetz (1817-1891), wieder, der die Ereignisse in Regensburg mit denen in Passau verknüpft.
     
    … Die lügenhafte Nachricht von dem Kindermorde in Trient verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch viele Länder der Christenheit und verursachte den Juden neues Leidwesen, aber nirgends in so hartnäckiger Weise, wie in der Gemeinde der ehrenfesten Reichsstadt Regensburg, einer der ältesten in Süddeutschland. Sie galt im allgemeinen nicht bloß als sehr fromm, sondern auch als sehr sittlich. Seit Menschengedenken wurde kein eingeborener Jude dieser Stadt wegen eines sittlichen Vergehens vor Gericht gestellt. Die Gemeinde wurde als die gelehrteste und als die Mutter aller übrigen deutschen Gemeinden angesehen. Sie hatte verbriefte Freiheiten von Alters her, welche die Kaiser für die Leistung der Kronengelder beim Regierungsantritt zu erneuern pflegten. Die Regensburger Juden wurden halb und halb als Stadtbürger anerkannt und bezogen gleich den Christen als Miliz die Wache. Man könnte fast sagen, daß sich die baierischen Fürsten und Körperschaften um die Regensburger Juden rissen – freilich um Geld von ihnen zu zapfen. Sie waren daher in der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts ein wahrer Zankapfel geworden zwischen dem Kaiser Friedrich III. und dem Herzog von Baiern-Landsberg. Außerdem machte das Geschlecht der Kamerauer Ansprüche auf sie geltend, auch der Rat der Stadt und allenfalls auch der Bischof. Es kamen bald von der einen, bald von der andern Seite Befehle an den Rat, die Juden oder die Vorsteher oder ihren Rabbinen – damals der vielgeprüfte Israel Bruna – so lange zu verhaften, bis sie, durch den Kerker mürbe gemacht, sich zur Zahlung entschlössen. Der Rat der Stadt suchte sie zwar zu schützen, aber nur so lange keine Fährlichkeit für die Bürger in Aussicht stand, und so lange die Juden nicht den christlichen Zünftlern Konkurrenz machten.
     
    Um den Plackereien und den herzlosen Willkürlichkeiten zu entgehen, gab ihnen Klugheit den Rat ein, sich unter den Schutz des einen oder des anderen hussitischen Edelmannes oder Kriegers zu begeben, um solchergestalt mehr Sicherheit zu genießen, als unter des Kaisers sogenannter Schirmherrschaft. Denn die raschen Hussiten waren noch immer von den schwerfälligen Deutschen gefürchtet. Der Heldenmut der Kelchner flößte noch immer den Katholiken und namentlich der Geistlichkeit einen großen Schrecken ein. Ein neugewählter Bischof Heinrich, von finsterer Gemütsart, der streng auf die Ausführung der kanonischen Beschränkungen gegen die Juden hielt, und der Herzog Ludwig, gleichgestimmt in Judenhaß, befolgten nun einen, wie es scheint, gemeinsam verabredeten Plan, die Regensburger Juden zu ruinieren oder zu bekehren. Sie versicherten sich dazu einerseits der Zustimmung des Papstes und andererseits der Beihilfe einflußreicher Personen im Bürgerrate und bedienten sich dabei zweier nichtswürdiger getaufter Juden. Der eine namens Peter Schwarz, verfaßte Anklage- und Schmähschriften gegen seine ehemaligen Glaubensgenossen, und der andere Hans Bayol schleuderte die schwersten Beschuldigungen gegen den greisen Rabbinen Israel Bruna, darunter auch, als habe er ihm ein siebenjähriges Christenkind abgekauft und es geschlachtet. Der bereits durch schwere Leiden geknickte Rabbiner von Regensburg wurde infolge dessen auf den Tod angeklagt. Israel Bruna war einer jener Unglücksmenschen, die von einer Widerwärtigkeit in die andere geraten. Als der Kaiser Friedrich von der Regensburger Gemeinde die Kronengelder forderte, der Herzog Ludwig Einspruch dagegen erhob, und der Rat von Regensburg ratlos war, nach welcher Seite er Willfährigkeit und nach welcher er Widerstand zeigen sollte, ließ der Kaiser den Rabbinen Israel Bruna in Haft bringen, damit er durch den Bannspruch die Gemeinde zur Leistung des dritten Teils vom ganzen Vermögen der Gemeinde nötigen sollte. Und nun wurde noch dazu gegen den bereits abgelebten Mann von dem getauften Juden Hans Bayol die fürchterliche Anklage des Kindesmordes und anderer Verbechen erhoben.
     
    In Regensburg zweifelte niemand an seiner Schuld, und er sollte schon auf Antrag der Geistlichkeit gerichtet werden. Um ihn der Wut des Volkes zu entziehen, ließ ihn der Rat, welcher dafür verantwortlich gemacht zu werden fürchtete, in Kerkerhaft bringen
     
    Indessen wendete sich die geängstigte Gemeinde nicht bloß an den machtlosen Kaiser, sondern auch an den mehr gefürchteten böhmischen König Ladislaus, und bald darauf liefen von beiden dringende Schreiben ein, denselben ohne Entgeld aus dem Gefängnisse zu entlssen. Der Rat entschuldigte sich aber mit der Furcht vor dem Bischof und dem Pöbel. In der großen Verlegenheit entschloß sich der Rat zu einem entschiedenen Akte. Er ließ den Ankläger Hans Bayol auf die steinerne Brücke führen, dort fand er den Scharfrichter, und er wurde angegangen, nicht mit einer Lüge ins Jenseits überzugehen. Der verstockte Sünder blieb indes bei seiner Anschuldigung gegen die Juden im allgemeinen, gestand jedoch ein, daß der Rabbiner Israel Bruna unschuldig an dem im zur Last gelegten Kindesmord sei. Infolge dessen und auf eine neue Zuschrift des Kaisers wurde Bayol verbrannt und der Rabbiner der Haft entlassen. Er mußte aber Urfehde schwören, daß er keine Rache für die langen Leiden nehmen würde. Der arme, schwache Greis, er sollte sich rächen!
     
    Nun kam die Nachricht von der angeblichen Marter des Kindes Simon von Trient nach Regensburg und goß Öl ins Feuer. Der Bischof Heinrich war recht glücklich, eine Gelegenheit gefunden zu haben, die Juden ungestraft im Interesse des Glaubens martern und verfolgen zu können. Es war für den Bischof eine hochwichtige Angelegenheit, den Rat zu bestimmen, gegen die von Wolfkan bezeichneten Juden einen hochnotpeinlichen Prozeß einzuleiten. Infolge der durch die Folter erpreßten Aussagen wurde die ganze Gemeinde in Haft gehalten. Wachen standen Tag und Nacht an den vier Toren des Regensburger Judenquartiers und ließen niemanden hinaus oder herein. Das ganze Vermögen sämtlicher Regensburger Juden nahmen die Kommissarien und Richter in Beschlag. Ein entsetzliches Gericht erwartete die Unglücklichen.
     
    Indessen fiel dieser Prozeß, der zu seiner Zeit viel Aufsehen machte, ebenso sehr zum Nachteil der Bürger, wie der Juden aus. Man muß dem sonst so schlaffen Kaiser Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er in diesem Prozeße viel Tatkraft und Beharrlichkeit gezeigt hat. Er war nämlich von der Lügenhaftigkeit der Blutbeschuldigung gegen die Juden so fest überzeugt, daß er sich durch keine Vorspiegelungen irre machen ließ. Er erließ Handschreiben über Handschreiben an den Regensburger Rat, die eingekerkerten Juden von Stunde an frei zu lassen und die Haft auf die Gemeinden und deren Vermögen aufzuheben, und da dieser aus Furcht vor dem Bischof und dem Herzog zauderte, geriet der Kaiser in aufwallenden Zorn, zumal ihm hinterbracht worden war: der Rat habe, gegen die kaiserlichen Befehle, einige Juden hinrichten lassen. Er erklärte daher die Stadt in des Reiches „Pön, Strafe und Buß“ wegen halsstarrigen Ungehorsams verfallen und lud sie zur Verantwortung vor sich. Zugleich sandte er den kaiserlichen Fiskal ab, der Stadt den Blutbann zu entziehen und mit andern schweren Strafen zu drohen. Friedrich, sonst so schlaff, zeigte sich bei dieser Angelegenheit überraschend fest, obwohl neue kirchenschänderische Anklagen gegen die Juden erhoben worden. Sie wurden beschuldigt bei Passau Hostien von einem Christen gekauft und gemartert zu haben, wobei Wunder geschehen seien. Der Bischof von Passau hatte eine große Menge Juden hinrichten lassen, einige glimpflich durchs Schwert, andere auf dem Scheiterhaufen und noch andere mit glühenden Zangen. Und „zur Ehre Gottes“ und zum Andenken an diese Unmenschlichkeit wurde eine neue Kirche erbaut (Frühjahr 1478). Ein Jude und eine Jüdin aus Regensburg waren der Teilnahme angeklagt und ebenfalls in den Kerker geworfen worden. Alle diese Vorfälle wurden dem Kaiser von verschiedenen Seiten mitgeteilt, um in ihm Fanatismus rege zu machen. Allein er blieb bei seiner Ãœberzeugung von der Unschuld der Regensburger Juden und erließ einen neuen Befehl: die wegen Hostienschändung Eingekerkerten weder zu martern, noch zu töten, sondern mit diesen wie mit den anderen Gefangenen zu verfahren. Friedrich erklärte rund heraus: „Mit Fug und Ehren mag und will ich die Juden nimmermehr töten lassen, und die von Regensburg dürfen in der Verachtung und in dem Ungehorsam, in dem sie so lange verharrt sind, dieselben nimmermehr richten“.
     
    So mußte denn der Rat nach langem Sträuben eine schriftliche Versicherung ausstellen, die gefangenen Juden zu entlassen und die Juden überhaupt wegen dieses Prozesses nicht aus der Stadt zu jagen. Außerdem sollte die Stadt 8000 Gulden Strafgelder an den kaiserlichen Schatz zahlen und dann Bürgen für 10 000 Gulden Buße stellen, welche die Regensburger Juden – man weiß nicht warum – zu leisten hätten. An den Papst zu appellieren, verbot die Einsicht „daß der päpstliche Hof noch goldgieriger sei als der kaiserliche.“
     
    Als der Regensburger Gemeinde dieser Beschluß eröffnet wurde, daß sie unter der Bedingung frei werden würden, wenn sie nicht bloß die auferlegte Summe, sondern auch die Strafgelder der Stadt und Prozeßkosten zahlte, weigerte sie sich darauf einzugehen. Es überstieg all ihr Vermögen, bemerkten ihre Vertreter, zumal sie drei lange Jahre der Freiheit und Gelegenheit zum Erwerb beraubt waren. Die Gefangenen und in Haft Gehaltenen wollten lieber in ihrem elenden Zustande verharren, als Bettler werden. Und so blieben sie noch zwei Jahre in Arresthaft und wurden erst in Freiheit gesetzt, als die Urfehde versprochen und geschworen, daß sie weder ihren Leib, noch ihr Gut aus der Stadt Regensburg bringen würden (1480). Aber sämtliche Juden aus Schwaben sind in dieser Zeit verjagt worden, ohne Zweifel infolge der lügenhaften Beschuldigung des Kindesmords in Trient. Noch bis ins achtzehnte Jahrhundert wurde die unverschämte Lüge wiederholt und kostete den Juden in verschiedenen Gegenden Opfer an Gut und Blut…

  5. Weitere Angaben zur ersten Phase jüdischen Lebens in Passau enthält die angesehene GERMANIA JUDAICA („von den ältesten Zeiten bis 1238“), die von den damaligen Spitzenhistorikern Ismar Elbogen, Aron Freimann und Haim Tykocinski herausgegeben, 1934 in Breslau erschien:
     
    Passau, lat. Patavia, altdeutsch Pazzouwe, … , Stadt in Bayern an der Mündung des Inns in die Donau. Passau, dessen Ursprung bis in die Zeit der Römer und Kelten hinaufreicht, wurde 739 Sitz eines Bistums, und 999 verlieh Kaiser Otto III. dem Bischof für die Stadt Markt-, Münz- und Zollrecht. Die günstige Lage des Ortes an der wichtigen Wasserstraße zwischen Ost und West, an der Mündung des Inns und der Ilz, die ihm den Weg nach Italien, den Salzbergwerken im Gebiete der Salzach und nach Böhmen wiesen, machten ihn zu einem bedeutenden Handelsplatz. Einen regen Handel in der Nähe von P. nach dem Osten bezeugt die Raffelstetter Zollordnung aus dem 1. Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts. Kaiserliche Privilegien aus dem 9. und 10. Jahrhundert gewährten den Passauer Kaufleuten Zollfreiheit auf allen Flüssen des Reiches. Das Wiener Stadtrecht von 1221 kennt auch Passauer Kaufleute, die Handel nach Wien trieben
     
    Die eben erwähnte Zollordnung spricht auch von Juden, die in den östlichen Gegenden von Bayern zu Handelszwecken reisten. Doch erst 1210 erhalten wir durch eine Urkunde bestimmte Nachrichten über die Anwesenheit von Juden in Passau selbst. Bischof Mangold verglich sich in diesem Jahre mit den Juden, die durch Beraubung ihrer Habe in P. schweren Schaden erlitten haben, für 400 Mark, sodaß die Stadt nun von allen Forderungen der Christen und Juden, die in gleicher Weise geschädigt worden sind, frei sein sollte. Zu diesem Zwecke zahlten drei Passauer Bürger den Juden für den Bischof gegen Verpfändung des Passauer Zolls 200 Pfund Passauer Münze aus. Durch wen und aus welcher Veranlassung diese Beraubung geschah, sagt uns die Urkunde nicht. Sie gibt nicht einmal Aufschluß darüber, ob die beraubten Juden in P. ansässig waren oder dort nur vorübergehend Geschäfte betrieben. Das erstere läßt sich nur als wahrscheinlich voraussetzen. Da nur die Juden Schadenersatz erhielten, und durch die an sie gezahlte Summe auch die Ansprüche der Christen abgefunden wurden, so liegt die Annahme nahe, daß die bei den Juden geraubten Waren teilweise Christen gehört haben. Das würde die Bereitwilligkeit des Bischofs zum Schadenersatz erklären.

  6. Meine Leser werden möglicherweise bei der Lektüre der letzten beiden Absätze meines Beitrags über das Wort „Schuld“ in Bezug auf die Kirche stutzig geworden sein und haben dieses Wort möglicherweise nicht sofort zuordnen können.
     
    Daher hier weitere Aufschlüsse.
     
    Wer war denn Papst um die Zeit der Passauer Ereignisse von 1477/1478 in Rom? Wie war dieses Papstes Einstellung den Juden gegenüber bzw. den Menschen im allgemeinen?
     
    Fragen, auf die man Antworten bedauerlicherweise nicht in jedem Nachschlagewerk erhält, Fragen, deren Beantwortung jedoch möglich ist, wenn man Karlheinz Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“, Band 8 zu Rate zieht.
     
    „Sixtus IV. (1471-1484)
     
    Francesco della Rovere, in relativ bescheidenen Verhältnissen 1414 in Celle (Ligurien) geboren, wurde schon früh in ein Franziskanerkloster gebracht, stieg 1464 zum General seines Ordens auf, 1467 zum Kardinal, am 9. August 1471 zum Papst; wobei es noch bei den Krönungsfeierlichkeiten zu einer Volksaufruhr und Steinwürfen nach Sixtus‘ Sänfte kam…
     
    Die Krönung des Rovere nahm Rodrigo Borgia vor, und wie dieser lebte auch Sixtus, der einstige Mönch, nicht gerade zölibatär, ein Papst der Feste mit offiziellen Mättressen gab…“
     
    (Es folgt eine mehrere Seiten umfassende Auflistung von Fakten, die keinen Zweifel an einem wenig menschenfreundlichen Lebenswandel des Papstes Sixtus IV. zulassen, ihn vielmehr als eine skrupellose, geldgierige, vergnügungssüchtige und verlogene Persönlichkeit erscheinen lassen)
     
    „Dieses katholische Superscheusal, das führend das große Judenpogrom von 1492 mit vorbereitet und in dem von ihm noch gegen sein Lebensende gegründeten Dominikanerkonvent Santo Tomas (de Aquino) statutarisch auf ‚Reinheit des Blutes‘ (…) als Norm besteht, jagt nun vor allem die angeblich judaisierenden ‚Neuchristen‘, Juden also, die Christen geworden waren. Die Scheiterhaufenexzesse werden als regelrechte Volksschauspiele begangen und noch unter Sixtus an drei Tagen in Toledo 2400 Marranen verbrannt, wie die zum Katholizismus konvertierten Juden hießen, was ‚Schwein‘ bedeutet.
    Als eigentlicher Begründer der Spanischen Inquisition, die insgesamt über 300 000 Menschen vernichtet haben soll, als Organisator wie Ideologe ihres Terrors, hat Torquemada, der sich für ‚ein Instrument der göttlichen Vorsehung‘ hielt und somit auch von seinem Gewissen her alles erlauben konnte, in seinem achtzehnjährigen Wirken als Leiter des Inquisitionstribunals 10 220 Menschen lebend verbrannt, 6840 ‚in effigie‘, weil sie verstorben oder geflohen waren. 97 321 wurden durch ihn aus staatlichen oder sonstigen Ämtern gestoßen und ehrlos, insgesamt somit etwa 114 300 Familien für immer ruiniert – Angaben Juan Antonio Llorentes, des späteren Sekretärs der Spanischen Inquisition, der sich dabei auf deren Archive stützt…
    Noch 1484, in seinem Todesjahr, übermittelt Papst Sixtus IV. ein Lob des Kardinals Borgia an den spanischen Großinquisitor…“
     
    Man setze diese Angaben Deschners einmal denen des zitierten Diözesan-Archivars, Dr. Herbert Wurster, gegenüber!
     

  7. In Passau inhaftierte Juden machten damals unter Folter angeblich Aussagen, wonach Teile der besagten Hostie nach Regensburg verkauft worden seien. Daraufhin versuchte der Regensburger Magistrat im Jahr 1478 die Anschuldigungen von Passau auf Regensburg auszudehnen. So kam es in Regensburg ebenso zu einem „Hostienfrevel“-Prozess (Mai – September 1478), der nach einer Intervention von Kaiser Friederich III. ohne Schuldspruch beendet wurde.
    In Regensburg fand von 1476-1480 zudem der große „Ritualmord-Prozess“ gegen 17 Juden statt, der auch vom Kaiser unterbunden wurde. Der Versuch zusätzlich wegen „Hostienfrevel“ anzuklagen, ist vor diesem Hintergrund zu sehen.
    Moritz Stern hat dazu einen ausführlichen Artikel verfasst und arbeitete ein Interesse der prozessführenden Passauer Geistlichkeit an einer Hostienwallfahrt heraus, das mit neidischem Blick auf die berüchtigte „Deggendorfer Gnad“ entstanden sei.
    Siehe: Moritz Stern, Der Passauer Judenprozeß 1478, in: Jeschurun 11/12, 1928, S.647- 673.
    Der Artikel steht „online“ unter:
    http://www.compactmemory.de/
    zur Verfügung.

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