Arabische Bürger: Die anderen Israeli

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Die Band spielte laut auf. Der Sänger ermutigte die Gäste den Rhythmus durch Applaus zu begleiten. Der Vater des Bräutigams nahm mich am Arm und zog mich durch den Kreis der Gäste, der sich um das tanzende Pärchen gebildet hatte. Ich ließ mich führen als ob ich eine Kuh wäre. Als wir den inneren Kreis erreicht hatten, versuchte ich die Tanzbewegungen nachzuahmen. Ich glaube, daß ich meine gute Absicht klar zeigte, auch wenn die vier Gläser Wodka, die ich getrunken hatte, mein Urteilsvermögen beeinträchtigten. Ich war hocherfreut…

von Yaron London, 27.Dezember 2010

TEL AVIV – Ich war hocherfreut, weil Khaled hocherfreut war, und ich liebe ihn. Selten zeigte sein Gesicht solche Freude. Gestern, zwei Wochen nach der großen Feier, rief ich ihn an und sagte ihm das. Er antwortete in dem perfekten Hebräisch eines versierten Studenten – „Was sollen wir machen, Yaron? Man ist geboren um zu leiden“, und lachte.

55 Jahre sind vergangen, seit wir beste Freunde am Internat wurden. Wir teilten uns einen Raum mit noch drei weiteren Jungs. Er war der einzige Araber in unserer Klasse. Ein kräftiger Dorfjunge. Um an unserer Schule aufgenommen zu werden brauchte er eine Erlaubnis des Westgaliläischen Militärverwalters. Davor hatte er sein Dorf nie verlassen und er sprach kein Hebräisch. Man kann sich vorstellen, wie schwer es für ihn war sich in unsere Gesellschaft einzugliedern. Die Anforderungen an ihn waren nicht geringer, als an einen Immigranten in einem entfernten Land.

Schnell fand er seinen Platz unter den anderen Jugendlichen, denn er war ein ernsthafter Schüler, fleißig und ein angenehmer Gesprächspartner. Er war der erste Araber, der nach der Staatsgründung ein israelisches Abitur-Zeugnis erwarb. Später studierte er Medizin und wurde ein anerkannter Arzt. Seine Frau ist eine Geschichtslehrerin, einer seiner Söhne ist Arzt, die anderen beiden sind Rechtsanwälte. Sie machten ihr Referendariat auf dem „High Court of Justice“ (Obergerichtshof) mit den bekanntesten Anwälten des Landes.

Zwei (Hochzeits-)Feiern wurden abgehalten für seinen Sohn Alaa und dessen glückliche Braut. Eine wurde in Nazareth veranstaltet, die andere in einer Banketthalle nahe Tel Aviv.
Das war ein großer Aufwand, aber die Eltern und deren Kinder wollten die Freude mit ihren vielen Freunden überall im Land teilen, wollten aber keinem eine schwere Anreise aufbürden.

Belastetes Leben: Immer wieder Beleidigungen und Verletzungen

Auf der Wiese neben der Banketthalle unterhielt ich mich mit Muslimen, Juden und Christen. Sogar einige Bahai waren dort. Die Männer tranken wenig, die Frauen vermieden den Alkohol insgesamt, jedoch nicht aufgrund ihres Glaubens, sondern eher um ihre Ehemänner sicher nach Hause fahren zu können. Beinahe alle Gäste waren Akademiker -Anwälte, Ärzte, Ingeneure und Kaufleute- und die meisten von ihnen hatten drei Kinder, ein bürgerliches Leben und bürgerliche Träume.

Natürlich handelte es sich hierbei um die Spitze der arabischen Gesellschaft, aber es gibt zehntausende davon.
Sie sind säkular und traditionell in ihrer religiösen Sichtweise, lebendig und aufmerksam, im wirtschaftlichen Leben des Landes eingegliedert, sprechen Hebräisch und haben jüdische Freunde. Dieses Bild ist den meisten von uns verborgen, denn die hebräische Presse ist an unseren arabischen Mitbürgern nicht interessiert, die ein Fünftel unserer Bevölkerung ausmachen.

Oft versuche ich meine Kollegen, die hebräisch sprechenden Journalisten, davon zu überzeugen, das zu ändern. „Deckt auch die arabische Gesellschaft ab“, bitte ich sie, „deckt auch die arabische Gesellschaft ab.“ Bislang ohne Erfolg. Sie interessieren sich eher für Afghanistan als für die nordisraelische Stadt Shfaram.

Khaled wollte Israeli sein. Er hat das Land seiner Vorväter eingebüßt, welches eingezogen wurde und seine Frau mußte den Reichtum ihrer Familie aufgeben, viel davon hat der Staat sich genommen. Sie sind erfolgreich und ihre gescheiten Kinder werden sogar noch erfolgreicher sein.
Alles ist eigentlich in Ordnung, aber ihr Leben hier wurde belastet durch kleine und größere Verletzungen, die ihnen vergegenwärtigten, daß sie niemals „echte“ Israeli sein werden.

Ich fühle mich mit ihnen verletzt, jedoch ist da ein Unterschied, wie wir uns äußern. Ein Jude wie ich, mit ungehobeltem Benehmen, darf sich ärgern und fluchen. Jedoch Khaled ist ein Bürger zweiter Klasse. Er hat sich beigebracht, seine Gefühle zu unterdrücken und diese Zurückhaltung fordert seinen Tribut an die Gesundheit. Deshalb, Masál Tov, mein Freund und bleib gesund.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=vGKUyGOoFt8[/youtube]
Yaron London ist eine israelische Medienpersönlichkeit und ein Journalist. Er ist Co-Moderator (im Video links) des täglich erscheinenden Fernsehmagazins „London & Kirschenbaum“ zu aktuellen Themen.

5 Kommentare

  1. – ÃœBERSETZUNG –
     
    Yaron Londons Dankesrede für den Eliav-Sartawi-Preis für Journalismus des Mittleren Ostens in Jerusalem am 15.Dezember 2010:
     
    Ich bin sehr dankbar für diesen Preis, für den Sie mich erwählten. Die Hauptperson meines Artikels, Dr.Khaleb Diab und seine Frau Bouran, sind hier und ich möchte die Gelegenheit ergreifen ihnen für die feste und anhaltende Freundschaft zu danken. Khaleb ist mir wie ein Bruder. Ich möchte Ihnen einige wenige Worte zu meiner jetzigen Gefühlslage sagen – bezogen auf meine Kolumne, genauso, wie bezogen auf die Menschen, die sich entschieden, mir diesen Preis zu verleihen.
     
    Vor etlichen Wochen riefen hunderte Rabbiner die Öffentlichkeit dazu auf, daß das Vermieten von Wohnungen oder das Verkaufen von Wohngrund an arabische Bürger Israels zu vermeiden sei. Viele dieser religiösen Weisungen kommen von lokalen Rabbinern, die ihre Gehälter vom Staat beziehen. Die beiden Oberrabbiner haben diesem Aufruf nicht widersprochen und der Premier (Prime Minister) hat nur sehr beiläufig auf sein Unverständnis hingewiesen während einer unbeachteten Zeremonie.
    Ich war bestürzt, aber nicht überrascht, als dem Aufruf der Rabbiner etliche Initiativen an die Gerichtsbarkeit folgten, die darauf abzielten, Israelische Araber von jedweder Beziehung zum öffentlichen System Israels auszuschließen. Gleichzeitig verschärften sich im Hintergrund die Spannungen zwischen jüdischen und arabischen Bürgern.
     
    Bezeichnendes ereignet sich nicht sehr weit von dieser Versammlung an einem Ort, Juden als Shimon Hatzadik bekannt – Sheik Jarrah. Juden wollen die Besitzrechte von Häusern erwerben, die von palästinensischen Arabern bewohnt werden. Gleichzeitig verwehren die selben Juden die Besitzrechte der Palästinenser, die geflohen sind oder aus West-Jerusalem vertrieben wurden während der Nakba – bekannt auch als Israelischer Unabhängigkeitskrieg. Dem Höchsten Gericht (Israel’s Supreme Court) ist es nicht gelungen uns von der moralischen Ungerechtigkeit zu befreien noch von dem politischen Irrsinn, der in dieser Angelegenheit eingebettet ist.
     
    Diejenigen, die meine journalistische Arbeit kennen, wissen, daß ich nicht zur Übertreibung neige und das ich sehr zögere, bevor ich eine Vorhersage von mir gebe. Jedoch, da ich kein junger Mann mehr bin, ich habe einige Fehler gemacht. Geschichte ist trügerisch und hält auch dem Umsichtigen Fallstricke bereit. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf erlaube ich mir den Zusatz, daß, wenn der Staat Israel seinen Kurs nicht ändert, er sich, in einigen Jahrzehnten oder sogar früher, im Mülleimer der Geschichte wiederfinden wird.
     
    Ich bin säkular, aber lese gerne in der Bibel, wo ich für meine humanistischen Ansichten Unterstützung finde. Isaiah und Amos, zwei wichtige Propheten, die im achten Jahrhundert v.Chr. lebten, haben verstanden, daß ein Königreich nicht zusammenbricht durch die Schläge seiner Feinde, sondern viel eher durch den eigenen gesellschaftlichen Verfall. Israels Behandlung seiner arabischen Bürger gegenüber ist als Form des gesellschaftlichen Verfalls anzusehen. Als Sohn von Eltern, die beinahe vor einem Jahrhundert nach Palästina immigrierten, die davon träumten es zu einer vorbildlichen Gesellschaft zu formen und als der Großvater von acht Kindern, die mit den Werten der Humanistik erzogen wurden, läßt mich diese Prognose Schlaf kosten.
     
    Danke fürs Zuhören, und ich möchte Ihnen nochmals danken für diesen Preis.

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