Lieder von Trauer und Freude

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Mai 1946: „Jewish Ex-Concentration Camp Orchestra“ spielte im Nürnberger Opernhaus für Mitarbeiter des Kriegsverbrecher-Tribunals – Zusatzkonzert zum ersten Jahrestag der Befreiung im Displaced Persons Camp (DP) in Fürth…

Von Jim G. Tobias

Die Inszenierungen von Wagners „Meistersinger“ gehörten ab 1933 zum festen Kulturprogramm der Nazi-Reichsparteitage. Wie Adolf Hitler besuchte auch Julius Streicher regelmäßig die Aufführungen im Nürnberger Opernhaus, wenngleich der „Frankenführer“ eigentlich für die leichte Muse schwärmte. Dennoch saß der Gauleiter oft an Hitlers Seite in der eigens angelegten baldachinüberdachten „Führerloge“. Zum Ausgleich hörte Julius Streicher dafür seine Lieblingsoperette „Schwarzwaldmädel“, die, obwohl sie aus der Feder des jüdischen Komponisten Leon Jessel stammt, auf seinen Wunsch hin bis 1937 mit großem Erfolg in Nürnberg gespielt wurde.

Dass knapp zehn Jahre später ein jüdisches Orchester im fränkischen Musentempel auftreten würde, hätte sich Streicher wohl kaum vorstellen können. Auf Einladung von Mitarbeitern des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals gastierte am 7. Mai 1946 das „Jewish Ex-Concentration Camp Orchestra“ im Opernhaus. Überlebende des „Kovnoer-Ghetto-Orchesters“ (Litauen) und andere jüdische Ex-Häftlinge hatten nach dem Krieg im bayerischen Benediktinerkloster St. Ottilien, das sich ab April 1945 in ein DP-Krankenhaus verwandelt hatte, dieses erste jüdische Nachkriegsensemble gegründet. Von den einstmals 45 litauischen Orchestermitgliedern lebten nur noch neun. Dennoch gelang es den Musikern, unter der Leitung ihres Dirigenten Michael Hofmekler, zur bekanntesten jüdischen Musikgruppe in der Nachkriegszeit aufzusteigen. Mit jiddischen und hebräischen Liedern erwärmte die Kapelle die Herzen der an Leib und Seele verletzten Leidensgenossen.


Die Mitglieder des „Jewish Ex-Concentration Camp Orchestra“. Repro: jgt

Bislang war das Gastspiel des „Jewish Ex-Concentration Camp Orchestra“ in der ehemaligen Stadt der Reichsparteitage nur Wenigen bekannt. Dank einer in Bamberg verlegten jiddisch-sprachigen Zeitung, die im Archiv des „YIVO Institute for Jewish Research“ in New York aufgehoben wird, ist es jedoch möglich die Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Unter der Überschrift „Ajndruksfuler jidiszer Koncert“ berichtet „Undzer Wort“ über den Auftritt der jüdischen Musiker im Nürnberger Opernhaus. Dabei beschreibt die Zeitung ausführlich das Bühnenszenario: „An ungehojer sztarkn rojszem (Eindruck) hot gemacht ojf di onweznde hojche gest, wen der forhang hot zich ojfgehojbn un s’ hot zich antplekt (enthüllt) dos bild: wi di muziker, geklajdet in originele kacet-heftlings-klejder, jeder mit zajn numer un a geln Mogen Dowid ojf der brust. Iber zej a grojse ojfszrift ‚Am Isroejl Chaj‘. Ojf der rechter zajt abisl tifer in szotn fun a palmen-bojm – a Mogen Dowid mit der ojfszrift ‚Cijon‘“.


Der Dirigent des jüdischen Orchesters Michael Hofmekler. Der Davidstern trägt die hebräische Inschrift „Zion“. Repro: jgt

Mit dieser Dekoration wollten die Musiker ihre Absicht auf eine baldige Übersiedlung nach Erez Israel unterstreichen. Denn der sich noch im Aufbau befindliche jüdische Staat stellte für sie die einzige wirkliche Hoffnung dar in einer Welt, die sie als Hölle erfahren hatten. Neben dem Glauben an die Zukunft thematisierten die Interpreten in ihren Liedern aber auch Tod und Verfolgung. Gleichwohl zeigte sich das Publikum von dem „herlichn koncert“, so beeindruckt, dass es, nachdem Dirigent Michael Hofmekler und sein Orchester mit viel Applaus bedacht worden waren, noch lange still im Saal sitzen blieb.

Auf Einladung des „Jüdischen Kulturamts“ trat das Orchester einen Tag später, zur Feier des ersten Jahrestages der Niederschlagung des Nationalsozialismus, noch im Theatersaal des Fürther DP-Camps auf. Die von der US-Militärverwaltung beschlagnahmte Arbeitersiedlung „Eigenes Heim“ diente seit Anfang 1946 rund 800 Holocaust-Überlebenden als vorübergehendes Zuhause. „Baj a ful gepaktn zal hot der forsztejer bagrist di kinstler mit zer wareme werter“, schrieb „Undzer Wort“. Über den bewegenden Auftritt der Musiker heißt es: „Der rojszem (Eindruck) fun dem cojberndn koncert wet lang farblajbn in zikorn (Erinnerung) fun der Fürther Szeejrit Haplejta zidlung.“

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