Isolierung Israels

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Die Isolierung Israels hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Mike Leigh, der „beste Filmregisseur Englands“, hat in einem Brief an Renen Schorr, dem Leiter der Sam Spiegel TV und Film Schule in Jerusalem, kurzfristig eine Absage erteilt…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 19. Oktober 2010

Am 6. April hatte der britische Regisseur „widerwillig“ einem Besuch in Israel zugestimmt. Schorr hatte Leigh daraufhin bestätigt, dass der Brite „mutig“ sei. Doch jetzt habe Leigh keine Wahl: „Ich kann nicht kommen, ich will nicht kommen, ich werde nicht kommen.“ In einem zweiseitigen Brief zählt Leigh die Gründe für seine Absage einzeln auf. Am 31. Mai kam es zu der israelischen Attacke auf die türkische „Hilfsflotte“. Die Welt verurteilte diese „Grausamkeit“.

Seitdem habe die israelische Regierung „immer schlimmere Schritte“ getan, wie die Wiederaufnahme der Bautätigkeit in Siedlungen im Westjordanland. „Abgesehen von der Blockade des Gazastreifens, dem endlosen Erschießen von Menschen dort, inklusive Jugendlicher“, so Leigh, sei der jetzt von der Regierung beschlossene Treue-Eid für jene, die die israelische Staatsangehörigkeit erwerben wollen, der „letzte Strohalm“ gewesen, (der den Rücken des Kamels zerbrochen habe), schreibt Leigh. Ein medienwirksamer Besuch Leigh´s in Israel würde den Eindruck erwecken, als ob er sich mit der Politik Israels identifiziere.

Renen Schorr blieb dem jüdischen Briten, der 1990 das letzte Mal in Israel war, nichts schuldig. In einem Antwortbrief, der wie Leigh´s Schreiben als Originalkopie an Journalisten verteilt worden ist, äußert sich Schorr „erschüttert“. Jeder könne legitime politische Ansichten befolgen, und „zutiefst enttäuscht über Israels Politik“ sein, schrieb Schorr. „Doch der akademisch-künstlerische Boykott, dem Sie sich jetzt angeschlossen haben, hilft nicht der israelischen Öffentlichkeit oder ihren humanitären Elementen, die sich der Boshaftigkeit der Besatzung bewusst sind. Ihr Schritt schwächt uns. Boykott und Bann sind die Antithese zum Dialog.“

Tausende Israelis seien in Friedensorganisationen aktiv, Hunderte demonstrieren und israelische Filmemacher wie Künstler anderer Sparten hätten mit Dokumentarfilmen „undemokratische und unethische Taten“ verurteilt. Weder Studenten noch Lehrer der Filmschule könnten für die israelische Regierungspolitik verantwortlich gemacht werden. Die Schüler und Studenten mit Regierung und Militär zu vermischen, sei eine „böse Verallgemeinerung“. Schorr schreibt, dass die Filmschule Leigh angeboten habe, bei einer Pressekonferenz alle seine Kritik an Israel offen auszusprechen. „Ein Boykott und eine Ablehnung aller Israelis und israelischer Künstler überschreitet eine rote Linie.“ Israel wurde seit seiner Gründung zunächst von der Arabischen Liga boykottiert. Die arabischen Staaten setzten Firmen aus aller Welt auf eine rote Liste, sowie herauskam, dass sie ihre Waren nach Israel verkauften. So haben sich früher Coca Cola und Pepsi Cola die Welt aufgeteilt. Deutsche Hersteller von Rasierapparaten und Kaffeemaschinen verzeichnen in ihren Gebrauchsanweisungen keine Serviceadressen in Israel und rücken die Adresse auch bei telefonischer Anfrage nicht heraus, obgleich man deren Produkte in Israel kaufen und reparieren lassen kann. Bis zu den Osloer Verträgen 1994 war in Israel nur eine einzige deutsche Firma offiziell vertreten: Lufthansa. Andere Firmen, wie Volkswagen benutzten Decknamen wie „Champion Motors“.

Doch dieser Boykott der arabischen Liga bewirkte eher das Gegenteil. Statt Israel zu schwächen und zu vernichten – so die Absicht – produzierten die Israelis die ihnen verweigerten Waren, vom Susita-Auto mit Plexiglas-Karosserie bis hin zum Uzi-Maschinengewehr, dem Kampfflugzeug Kfir und dem Merkava-Panzer. Selbstverständlich sind arabische Staaten angehalten, israelische Waren zu boykottieren. Doch spätestens seit den Friedensverträgen Israels mit Ägypten und Jordanien haben sich längst die Grenzen geöffnet, weiter als die Israelis veröffentlichen und die Araber eingestehen wollen. Vor einem Jahr verweigerten libanesische Banken ganz offen eine Teilnahme am Boykott. Denn wer will schon auf die Computer mit den in Israel entwickelten und hergestellten Intel-Prozessoren verzichten. Und wer kann auf Microsoft-Programme verzichten, mit der Möglichkeit, am PC auf Arabisch von rechts nach links zu schreiben.

Eine neue Entwicklung sind massive Versuche anti-israelischer Organisationen in aller Welt, Israel zu boykottieren. Universitäten in Kanada wurden aufgefordert, alle akademischen Kontakte mit israelischen Kollegen abzubrechen. Schwedische Hafenarbeiter verweigerten das Entladen israelischer Handelsschiffe. Im Internet werden Listen israelischer Firmen veröffentlicht, die in den besetzten Gebieten produzieren. Die palästinensische Autonomiebehörde übt Druck auf alle Regierungen der OECD aus, einen Tourismuskongress in Jerusalem zu boykottieren, nur weil der israelische Tourismusminister dummerweise erklärt hat, dass er den Kongress als eine Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels betrachte. Spanien und Großbritannien gaben dem Druck schon statt, trotz diplomatischer Beziehungen mit Israel und Konsulaten in Jerusalem.

Die Anlässe wechseln, je nach aktuellen Entwicklungen. Mal wird gegen Kriege protestiert, mal ist es die Siedlungspolitik, wegen der Israel gar sein Existenzrecht verlieren solle. Neuerdings ist der Anlass Protest gegen das israelische „Massaker“ auf der Mavi Marmara oder die Seeblockade des Gazastreifens.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

2 Kommentare

  1. „Aber Richard Strauss dirigierte es, nachdem Otto Klemperer und Bruno Walter das Land der Nazis verlassen hatten. Ein Karrierist, der gegen den Boykott war.“
     
    ‚Unser‘ Richard Strauss, das prominenteste Münchner Kindl, das den Nationalsozialisten eine glanzvolle Fortsetzung seiner steilen Jubellaufbahn verdankt. Obwohl – er hätte auch emigrieren können; bei seinem Bekanntheitsgrad bis ’33 wäre es kein Problem gewesen, wenn er den Anstand besessen hätte, den er bedauerlicherweise nicht besass.
    Klar, er hatte eine jüdische Schwiegertochter, die „Volljüdin“ Alice von Grab-Hermannswört, und er liebte seinen halbjüdischen Enkel sehr, aber dass er sich derart anbiedern musste, dass er sich derart zum Narren der größten Verbrecher der Weltgeschichte machen musste?
     
    Er war schon ein sehr selbstverliebter, karrieregeiler, eitler, alter Geck, der Strauss Richard.
     
    1928 etwa äußerte er seine Ansichten von der Notwendigkeit einer Diktatur in Deutschland.
    Im April 1933 war er Mitunterzeichner der Protestschrift einiger sog. Honoratioren der Richard-Wagner-Stadt München gegen Thomas Manns „Leiden und Größe Richard Wagners“.
    Ab 1933 liess er sich als kulturelles Aushängeschild mit Weltruf von den Nazis instrumentalisieren, verhalf er diesen kraft seines Namens zu Seriosität und Glaubwürdigkeit in gewissen (naiven) internationalen Kreisen.
    Im November 1933 dirigierte er mit dem anderen, nur scheinbar grossen, weil ebenfalls korrumpierbaren, prominenten Musiker seiner Zeit, mit Furtwängler, beim Festakt zur Eröffnung der Reichskulturkammer vor Hitler (welche Ehre!), vor Goebbels und anderen Angehörigen der NS-Reichsregierung.
    Kurz darauf lässt er sich zum Präsidenten der Goebbels unterstellten Reichsmusikkammer wählen, gewiss nicht unfreiwillig (!). Diese Kammer war u.a. für die Berufsverbote „unarischer“ Musiker im Reich zuständig.
    Im Februar 1934 spricht Strauss dem „Führer“ und Goebbels Dank für die Schaffung der Kulturkammergesetze (Berufsverbote für jüdische Musiker!) aus.
    Im April 1934 überreicht der bejahrte, aber flotte Musikus Strauss Göring und Gattin anlässlich deren Hochzeit die Handschrift seiner Oper „Arabella“, sicherlich doch höchst freiwillig.
    Juni 1934: Strauss empfängt beglückt die hohe NS-Auszeichnung „Adlerschild des Deutschen Reiches“.
    1935 nennt Strauss in einem Brief Bruno Walter einen „schmierigen Lauselumpen„.
    Im gleichen Brief an Stefan Zweig, seinen Librettisten, lügt er sich selber vor: „Daß ich den Präsidenten der Reichskulturkammer mime? Um Gutes zu tun und größeres Unglück zu verhüten. Einfach aus künstlerischem Pflichtbewußtsein! Unter jeder Regierung hätte ich dieses ärgerreiche Ehrenamt angenommen. Aber weder Kaiser Wilhelm noch Herr Rathenau hat es mir angeboten.“ Er merkt es nicht, wie er sich im letzten Satz selbst demaskiert, der senile Trottel. Nur um seine Karriere ging es Richard Strauss, um nichts sonst. Und so einer wird heute noch verehrt! Es ist unfassbar.
    1938, anlässlich der Reichsmusiktage in Düsseldorf, bei der es zur Schmähung jüdischer Musik bei der Schau „Entartete Musik“ kam, war es Strauss eine Ehre (ebenfalls freiwillig!) seine Oper zu dirigieren.
    1943, Hans Frank, genannt „Polenschlächter“, einer der blutiigsten Eliminatoren der Deutschen, verantwortlich für den grausamen Tod von Hunderttausenden von Polen, Juden und Roma, erfährt durch Strauss eine besondere Huldigung: Das Danklied „Wer tritt herein so fesch und schlank„.
    („Es ist der Freund Minister Frank/
    Wie Lohengrin von Gott gesandt,/
    hat Unheil er von uns abgewandt./
    Drum ruf ich Lob und tausend Dank/
    dem lieben Freund Minister Frank„)
    Rührend, nicht wahr? Und ganz freiwillig!
    1944. Durch die Aufführung seiner Oper „Ariadne auf Naxos“ und andere seiner Musikstücke, beteiligt sich Strauss wie zahlreiche andere ‚Künstler‘ des sog. „Dritten Reiches“ an der Zerstreuung und Unterhaltung der Deutschen, lenkt er sie vom Krieg und vom alltäglichen Rassenhass ab, wird er zum mit dem NS-Regime kollaborierenden ‚Mitverführer‘, zum Mitschuldigen.
     
     

  2. Man kann die Politik der Netanjahu-Regierung kritisieren, und alle, die Menschenrechte vor eigene Parteilichkeit stellen, können das erst recht. In einem sehr guten Beitrag hier auf hagalil hat Gassan Khatib auf vieles hingewiesen.
    Vielleicht muß man manchen Kritikern, die zu (mir völlig falsch scheinenden) Boykotten aufrufen, zugestehen, daß derzeit einfach nicht viel geschieht, um das Leben der Palästinenser zu erleichtern. Es werden neue Siedlungen gebaut, das Land, auf dem mal ein Staat für die Palästinenser entstehen soll, wird immer zerstückelter, zum Beispiel. Man kann das ganz ruhig und ohne gegenseitige Vorwürfe nachprüfen, es gibt natürlich verschiedene Ansichten dazu.
    Aber warum Leigh nicht nach Israel fährt, verstehe ich nicht. Wie tausende in einer postmodernen Generation betonte er doch immer, für seine Filme gälte, daß er „nie Antworten geben“ würde. Er wisse sie nämlich nicht. Das war leider schon oft eher ein Gehabe, ein Anbiedern an die Mode, denn wir Menschen geben immer alle Antworten. Und oft sind sie falsch, ja 🙂 – ein guter Grund, warum es so viele von uns gibt, nicht wahr :-)? Aber so ein Boykott ist eben doch eine Art Antwort. Und dazu eine falsche, so wie es jetzt steht. Ein guter Boykott wäre z.B. der gewesen, 1933 ein klassisches Konzert, das Bruno Walter schon nicht mehr dirigieren durfte, NICHT zu dirigieren. Aber Richard Strauss dirigierte es, nachdem Otto Klemperer und Bruno Walter das Land der Nazis verlassen hatten. Ein Karrierist, der gegen den Boykott war. Es gibt sinnvolle Boykotte – Toscanini weigerte sich z.B. dann 1933 zum Glück, aus Protest, in Bayreuth zu dirigieren. Aber diesen Boykott von Mike Leigh verstehe ich nicht.
    Ich weiß nicht, warum Leigh nicht einfach nach Israel fährt, und dann mit Friedensgruppen Kontakt sucht, und damit seine Meinung klar macht – zum Beispiel.

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