Schriftsteller und Menschenrechtler Dogan Akhanli zu Unrecht in Haft

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Am 10.8.2010 wurde der in der Türkei bekannte Schriftsteller Dogan Akhanli, deutscher Staatsbürger seit 2001, am Flughafen in Istanbul verhaftet und in die Haftanstalt Metris verbracht. Seit dem 20.8.2010 wird er in einer Haftanstalt in Tekirdag festgehalten. Akhanli ist zum ersten Mal seit seiner Flucht 1991 in die Türkei gekommen. Er wollte seinen kranken Vater besuchen…

Die türkische Staatsanwaltschaft wirft Akhanli vor, er sei im Oktober 1989 an einem Raubüberfall auf eine Istanbuler Wechselstube beteiligt gewesen, bei dem ein Mensch getötet wurde. Akhanli hat diesen Vorwurf und jegliche Verbindung zu dem Überfall entschieden zurückgewiesen. Seine Anwälte, Haydar Erol (Istanbul) und Ilias Uyar (Köln), halten die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismittel für völlig haltlos.

Rasant, ja überstürzt hat die türkische Justiz am 31.8.2010 die 3. Haftbeschwerde der Anwälte von Dogan Akanli abgelehnt. Die 9. Kammer des Strafgerichts Istanbul brauchte nicht einmal einen Arbeitstag – die Haftbeschwerde war erst in den Vormittagsstunden desselben Tages eingereicht worden. Begründet war der Antrag auf Haftentlassung von Dogan Akhanli mit drei Argumenten:

1. Der erste ehemalige Belastungszeuge von 1992 hat gegenüber dem Gericht schriftlich seine damalige Aussage zurückgezogen. Sie war ihm durch Folter erpresst worden. (Das Dokument finden Sie unter www.das-kulturforum.de ; dort weiter zu: „Juristischer Hintergrund“; „Zeugenaussage Hamsa Kopal“.)

2. Der zweite ehemalige Belastungszeuge von 1992 hat seine Aussage ebenfalls schriftlich gegenüber dem Gericht zurückgezogen und überdies erklärt, schon 1992 sei ihm nicht einmal ein Foto von Dogan Akhanli zur Identifizierung vorgelegt worden. Bei der Vorlage von Fotos am 13.8.2010 habe er Dogan Akhanli nicht als einen möglichen Täter erkannt (auch diese Aussage finden Sie unter der angegebenen Webadresse: „Zeugenaussage Mustafa Tutum“).

3. 21 Jahre nach der Tat haben sich die türkischen Ermittlungsbehörden tatsächlich aufgemacht, Fingerabdrücke von zwei Taschen zu nehmen, die bei dem Raubüberfall im Oktober 1989 von den Tätern zurückgelassen worden waren. Darauf fanden sich keine Fingerabdrücke von Dogan Akhanli. (Dokument „Identifizierungsprotokoll“.)

Für das Gericht zählten diese Fakten nicht. Es begründet die Fortdauer der Haft ausschließlich mit dem Hinweis, Dogan Akhanli sei mit einem schweren Vorwurf belastet. Von wem oder aufgrund welcher Indizien – darüber schweigt sich das Gericht aus (den Wortlaut der Ablehnung finden Sie ebenfalls in Kürze unter der angegebenen Webadresse).

Ein ungeheuerlicher, skandalöser Vorgang, der jedem Rechtsverständnis Hohn spricht. Spätestens jetzt ist die Frage an die deutsche Regierung, namentlich an das Auswärtige Amt zu stellen, ob sie es weiter zulassen will, dass ein deutscher Staatsbürger auf diese Weise schikaniert, gedemütigt und ausschließlich aus politischen Gründen unrechtmäßig in Haft gehalten wird.

Es ist Zeit für eine scharfen Protest gegenüber der türkischen Regierung.

Wir bitten weiterhin Menschenrechtsorganisationen, Verbände und Einzelpersonen, gegen die willkürliche Inhaftierung von Dogan Akhanli zu protestieren: beim Auswärtigen Amt in Berlin, bei der türkischen Botschaft in Berlin und beim türkischen Generalkonsulat in Köln.

Pressemeldungen KulturForum TürkeiDeutschland v. 24.08./02.09.2010, Hintergründe und Adressen unter: http://www.das-kulturforum.de

Dogan Akhanli war nach dem Militärputsch von 1980 im Untergrund. 1985-1987 war er als politischer Häftling im Militärgefängnis von Istanbul inhaftiert und wurde dort gefoltert. Er floh 1991 nach Deutschland, wurde hier als politischer Flüchtling anerkannt und später von der Türkei ausgebürgert. Seit Mitte der 90er Jahre lebt er als Schriftsteller in Köln. Seitdem hat er sich in Romanen, Aufsätzen und Interviews und in Projekten in Deutschland immer wieder für den offenen Umgang mit historischer Gewalt und für die Unteilbarkeit der Menschenrechte eingesetzt.

Schwerpunkt seines zivilgesellschaftlichen Engagements sind das Gedenken an die Genozide des 20. Jahrhunderts (unter Einschluss des Völkermords an den Armeniern) und der interkulturelle, auf Versöhnung orientierte Dialog. Akhanlis Projekte wurde unter anderem von der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gefördert und vom Bündnis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet. Akhanlis Romane wurden zu den wichtigsten Roman-Veröffentlichungen in der Türkei gewählt (Madonna’nin Son Hayali, 2005). Er erhielt 2009 den Literaturpreis der Zeitung „Hürriyet“. Dogan Akhanli hat sich intensiv für die Aufklärung des Mordes an Hrant Dink eingesetzt und erinnert an die friedensstiftende Arbeit dieses Journalisten und Autoren.

Dogan Akhanli ist Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins „Recherche International“. Der Verein befasst sich vorrangig mit der bildungsorientierten Aufarbeitung von genozidalen Gewalterfahrungen; der Verein ist u.a. Träger des Projekts „Die 3. Welt im 2. Weltkrieg“ (www.3www2.de). Spenden zur Finanzierung von Akhanlis Verteidigung werden auf folgendes Konto erbeten: Recherche International e.V., Kontonummer 238 120 43, Sparkasse Köln, BLZ 370 501 98; Stichwort: Dogan Akhanli.

7 Kommentare

  1. Am kommenden Donnerstag, 9.9.2010 findet ab 20 Uhr im Kölner Arkadas Theater – Bühne der Kulturen (Platenstr. 32, 50825 Köln) eine mit „Freiheit für Dogan Akhanli“ betitelte literarisch-musikalische Solidaritätsveranstaltung für Arkhanli statt; Eintritt: 10 Euro. Aktuelle Infos im Internet: http://www.das-kulturforum.de 

  2. nicht vergessen  werden, sollte auch Dogans Engagement für die „Raphael Lemkin- Bibliothek“ im Kölner Allerweltshaus. Die Bibliothek soll Literatur zu Genoziden sammeln. Lemkin stammte aus einer polnisch-jüdischen Familie und hat wesentlichen Anteil an der Völkermord-Konvention der UNO.

  3. Die Türkei verkommt einem Staatsgebilde, welches Terror und Einsüchterung immer mehr zu seiner Maxime macht. Islamofaschismus gepaart mit Antisemitismus und übertriebenem Nationalstolz. Oh Länder des Nahen Ostens zieht Euch warm an….

  4. Noch ein Zusatz, zu Dogan Akhanlis literarischem Engagement: 2005 ist Akhanlis letzter, mit „Der Traum der Madonna“ betitelter Roman in der Türkei erschienen. Dieser Roman ist ein Abschluss seiner Trilogie, in welcher er die politische Entwicklung in der Türkei literarisch analysiert. Das Buch handelt von der Versenkung eines Schiffs mit über 700 jüdischen Flüchtlingen im Jahr 1942 im Schwarzen Meer. Es wurde zu den wichtigsten Romanveröffentlichungen in der Türkei gewählt. 2009 erhielt Dogan Akhanli hierfür den Literaturpreis der Zeitung Hürriyet. Der Kölner Journalist und Schriftsteller Günter Wallraff, seit knapp 20 Jahren mit seinem Kollegen eng befreundet, hat sich in einem Interview in der taz soeben für Akhanlis sofortige Freilassung eingesetzt und ein Portrait von Akhanlis Wirken erstellt:
     
    http://taz.de/1/politik/europa/artikel/1/die-begruendung-ist-laecherlich/

  5. Die offenkundig aus politischen Gründen erfolgte Verhaftung der deutschen Staatsbürgers Dogan Akhanlis ist ein Skandal. Die türkischen Behörden gefährden ihren Ruf.
    Dogan Akhanli genießt in Köln wie auch darüber hinaus für sein unerschrockenes demokratisches, staatsbürgerliches Engagement, welches er in Köln seit 20 Jahren entfaltet – nach seiner Flucht aus der Türkei im Jahre 1991, wo er zuvor gefoltert worden ist – einen sehr guten Ruf. Die Anklage gegen ihn ist eine Farce, wie vielfach belegt worden ist.
    Dogan Akhanli hat sich in seinen Büchern, die sogar in der Türkei ausgezeichnet wurden, u. a. für eine radikale Aufklärung über den Völkermord der Türkei gegenüber den Armeniern engagiert. Hierbei wurde er von dem jüdischen Schriftsteller Edgar Hilsenrath beraten und unterstützt.
    Im Kölner NS-Dokumentationszentrum, dem EL-De-Haus, macht Dogan Akhanli seit vielen Jahren Führungen mit türkischen und kurdischen Jugendlichen und Erwachsenen, um über die Verfolgung der Juden in Köln während der Nazizeit aufzuklären.  
    Der sehr betagte jüdische Schriftsteller Edgar Hilsenrath, der Autor des Romans „Das Märchen vom letzten Gedanken“, hat wegen der Verhaftung seines Freundes und Schriftstellerkollegen DoÄŸan Akhanlı in der türkischen Botschaft in Berlin am Freitag, dem 27.08.2010, um 11.00 Uhr eine persönliche Protestnote überreicht. Wegen Abwesenheit des  Botschafters hat der stellvertretende Botschafter, Herr Okyay, Herrn Hilsenrath empfangen:
    http://www.das-kulturforum.de/archiv/hilsenrath-pressefotos/
    Edgar Hildenrath fordert wie zahlreiche andere Persönlichkeiten, darunter auch der PEN-Club, die sofortige Freilassung Dogan Akhanlis.

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