Reparationszahlungen – „Wiedergutmachung“ – Die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen

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Am Ende des Zweiten Weltkriegs redeten viele Juden von Rache. Es wurden sogar praktische Pläne entworfen. Zum Beispiel der Plan ehemaliger Partisanen, Überlebende des Holocaust aus osteuropäischen Ländern, in wichtigen Städten Deutschlands das Trinkwasser zu vergiften. Einige Male wurden solche Pläne sogar realisiert, zum Beispiel durch die Racheaktionen der Jüdischen Brigade der Britischen Armee, die nach dem Krieg in Europa stationiert war. Ofer Boord, Teilnehmer der von der israelischen Bildungsgewerkschaft Histadrut Hamorim und der Gewerkschaft Erziehung & Wissenschaft organisierten deutsch-israelischen Lehrerseminare, rekonstruiert die Geschichte der „Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen“…
 
Von Ofer Boord

Auch nach Gründung des Staates Israel hielt sich die Abscheu gegenüber den Deutschen und die Forderung, eine Blockade über Deutschland zu verhängen. Gershon Shocken, der Herausgeber der bedeutenden liberalen Zeitung „Haaretz“, früher selbst deutscher Staatsbürger, schlug Ende 1949 ein Gesetz vor, demzufolge den Bürgern Israels jegliche sozialen Kontakte mit Deutschen, einschließlich zufälliger Kontakte zwischen Touristen außerhalb Deutschlands, verboten sein sollten. Dieses Gesetz sollte Israelis verbieten, nach Deutschland zu gehen, ausgenommen waren nur festgelegte nationale Missionen. Das Auswärtige Amt Israels stempelte sogar Siegel auf jeden israelischen Paß, wodurch dieser Paß in Deutschland ungültig wurde.

Wie wurden – trotz dieser Situation – Schritte initiiert, um die Beziehungen zwischen den Staaten Israel und Westdeutschland und zwischen den beiden Nationen, Juden und Deutschen, wie wir sie heute kennen, zu entwickeln?

Reparationszahlungen – „Wiedergutmachung“

Wenn man das Thema genau untersucht, scheinen die Rache- und Embargoforderungen auch anderen Strömungen in der jüdischen Gemeinde Israels und außerhalb der israelischen Grenzen unterworfen gewesen zu sein.

Bereits während und insbesondere gegen Ende des zweiten Weltkriegs, schlugen verschiedene jüdische Zirkel im Lande die Möglichkeit vor, daß jüdische Bürger „Wiedergutmachungs“- und Kompensationsforderungen gegenüber den Deutschen stellen sollten.

Am 20. September 1945, ungefähr vier Monate nach dem Ende des Krieges, schickte Dr. Chaim Weizmann, Präsident der Jewish Agency, im Auftrag der Jewish Agency als Vertretung des Jüdischen Volkes, ein Schreiben an die Regierungen der vier in Deuschland regierenden Besatzungsmächte, USA, England, Rußland und Frankreich. In diesem Schreiben verlangte er die Rückgabe des jüdischen Eigentums, das von den Nazis geplündert worden war oder die Entschädigung der Eigentümer, soweit sie zu lokalisieren waren. Wenn die Eigentümer nicht auffindbar seien, schrieb Weizmann, sollte man in Anbetracht der Rehabilitation der Holocaust-Überlebenden, ihre Rechte auf die Jewish Agency übertragen. Diese Forderung hatte aber auch einen politischen Aspekt. Es war ein Appell an die Mächte, die Rechte der Jewish Agency anzuerkennen, ein Gremium, das von den Zionistischen Parteien geleitet wurde, im Namen aller Juden, der toten und der lebenden, Zionisten oder nicht Zionisten.

Die Briten, die zu dieser Zeit die jüdische Besiedlung in Eretz Israel zu verhindern trachteten, konnten einer Stärkung des Status der Jewish Agency nicht zustimmen. Auch andere jüdische Organisationen, hauptsächlich in den USA, waren gegen den Versuch der zionistischen Bewegung, die Kontrolle und das Vertretungsrecht für alle Juden zu erlangen. (…)

In der Zeit unmittelbar nach dem Krieg, begannen viele Bewohner von Eretz Israel, hauptsächlich ehemals in Deutschland Ansässige, die Beziehungen nach Deutschland zu erneuern und sogar dorthin zu reisen, aus beruflichen Gründen, um Bekannte zu besuchen oder um sich dort erneut niederzulassen. Viele reisten, um Eigentum zu suchen, Schulden einzutreiben, Pensions- oder Versicherungsansprüche zu klären und Entschädigung zu fordern. Es gab auch Überlebende aus osteuropäischen Staaten, die die Möglichkeiten einer Reparationszahlung prüften.

Während der Jahre 1949 und 1950 wurden im Auftrag des Staates Israel zusätzliche Maßnahmen ergriffen, aber noch nicht öffentlich gemacht.

Aber die Regierung Israels hatte die Notwendigkeit von Verhandlungen mit den Deutschen noch nicht eingesehen und hatte noch nicht dem Vorschlag zugestimmt, der ihr während der ersten zwei Jahre des Bestehens des Staates unterbreitet worden war, nämlich eine Delegation mit der Forderung nach Reparationszahlungen nach Deutschland zu entsenden. Stattdessen versuchte man, indirekt Maßnahmen zu ergreifen.

Am 6. Januar 1951 übermittelte Israels Regierung den vier Besatzungsmächten, die Deutschland nach wie vor formal regierten, eine Nachricht mit der Forderung, Deutschland zu Reparationszahlungen zu verpflichten; es war zu spät.

Tatsächlich erklärten die westlichen Mächte erst im Juli 1951 den Kriegszustand mit Deutschland für beendet und erst 1955 trat der „Deutschlandvertrag“ in Kraft, der Westdeutschland nahezu vollständige Souveränität auf seinem Gebiet zugestand, so daß der israelische Antrag zwar formal korrekt war, aber die beiden Deutschlands bereits unabhängige Länder waren.

Die Amerikaner, Engländer und Franzosen empfahlen Israel, sich direkt an die Deutschen zu wenden. Die UdSSR antwortete nicht.

Am 12. März 1951 wandte sich Israel erneut an die vier Mächte, um von den Deutschen Reparationszahlungen für Israel in Höhe von eineinhalb Milliarden Dollar zu fordern. In dem Schreiben hieß es u.a., daß sich der Staat Israel als Vertreter der Rechte von Millionen Ermordeter betrachte, und daß die Berechnung der Forderung auf der Belastung für Rehabilitation und Eingliederung einer halben Million Holocaust-Überlebender basiere, die nach Israel immigriert seien und eine große Belastung darstellten, die ausschließlich auf dem jungen Staat und der Judenheit der Welt laste. (…)

Dennnoch vergingen weitere fünf Monate mit Verhandlungen, die von ständigen Verzögerungen und Enttäuschungen gekennzeichnet waren, bis Kanzler Adenauer schließlich am 27. September 1951 im westdeutschen Bundestag in Bonn die Bereitschaft erklärte, Verhandlungen mit Vertretern des Jüdischen Volkes und der Regierung Israels über die „Wiedergutmachung“ von während des Naziregimes verursachten Schäden aufzunehmen. (…)

Am 26. Oktober 1951 wurde auf Initiative der Jewish Agency die Konferenz der jüdischen Organisationen (USA, Kanada, Südafrika, Lateinamerika, Westeuropa und Australien) und der internationalen jüdischen Organisationen in New York einberufen. Vorsitzender der Konferenz war Dr. Nahum Goldmann, seit 1949 Präsident des Jüdischen Weltkongresses. Bei dieser Konferenz wurde die „Jewish Claims Conference“, mit vollem Namen die „Konferenz über materielle Ansprüche von Juden gegen Deutschland“ einberufen. Außerdem forderte die Konferenz Zustimmung zu den anderen jüdischen Ansprüchen ein, einschließlich der Rückgabe des Eigentums und der Zahlung von Reparationen an Einzelpersonen.

Im Dezember 1951 traf Kanzler Adenauer Dr. Goldmann in London. Er gab Goldmann ein Schreiben (6. Dezember 1951), gerichtet an ihn als den Präsidenten der „Claims Conference“. Das Schreiben brachte Deutschlands Bereitschaft zum Ausdruck, mit Vertretern des jüdischen Volkes und der Regierung Israels über die „Wiedergutmachung“ für während des Nazi-Regimes verursachte Schäden in Verhandlungen zu treten.

Adenauer, von 1917 – 1933 Bürgermeister von Köln, überzeugter Katholik und bemerkenswerter Gegner der Naziherrschaft (der aus seinem Amt entfernt und sogar mehrmals inhaftiert worden war), war in einer vorteilhaften Position. Sein Gewissen und seine Moral, wie er sie verstand, waren mit den nationalen Interessen seines Landes vereinbar: Das „Wiedergutmachungsabkommen“ könnte die Reintegration Deutschlands in die Völkergemeinschaft erleichtern.

Nahum Goldmann, der viele Stunden von Angesicht zu Angesicht mit Adenauer verhandelt hatte, beschrieb ihn in seinen Memoiren als eine der eindrucksvollsten Personen, die er je getroffen habe. Eine Personen, die man nicht ignorieren könne. Laut Goldmann, verkörperte Adenauer ein seltenes Zusammentreffen moralischer und religiöser Prinzipien, verbunden mit einem großen politischen Talent; eine Person, deren Geheimnis ihrer Größe in der Synthese zwischen Moralität und religiösen und politischen Prinzipien lag. (…)

Die Situation vieler Israelis war genau das Gegenteil von der Adenauers. Die Ansprüche des Landes widersprachen den Vorgaben ihres Gewissens.

Die Debatte in Israel

In Israel entwickelten sich weiterhin tiefgreifende Kontroversen in bezug auf die  Notwendigkeit, direkte Verhandlungen mit Westdeutschland aufzunehmen und direkte „Wiedergutmachung“ zu verlangen. Die Absicht der Regierung Israels, mit der Regierung in Bonn Verhandlungen über ein Reparationsabkommen mit dem Staat Israel aufzunehmen, gaben den Anlaß für heftigste Kritik. Die meisten Gegner wandten sich nicht gegen den Erhalt von Geldern, sondern gegen die Notwendigkeit, für besagten Empfang mit Deutschland und den Deutschen in Verbindung zu treten.

Die Verfechter des Abkommens rechtfertigten sich hauptsächlich mit der Begründung, daß Deutschland jetzt von Menschen regiert würde, die während der Zeit des Nazi-Regimes nicht am öffentlichen Leben beteiligt waren. (…)

Die Knesset war gespalten: Auf der einen Seite standen die Parteien der Regierungskoalition, einschließlich Mapai, eine Partei, die damals als sozialdemokratische Partei mit Tendenz zur Mitte bezeichnet werden konnte, sowie die religiösen Parteien. An der Spitze standen David Ben-Gurion als Premier- und Verteidigungsminister und Moshe Sharrett als Außenminister.

Auf der anderen Seite stand die Opposition, die in sämtlichen Angelegenheiten gespalten war, ausgenommen beim Thema „Wiedergutmachung“. Sie umfaßte Parteien der Rechten und der Linken. Zur Rechten zählten Herut und die allgemeinen zionistischen Parteien, während die Linke Mapam (die sozial-demokratische Partei, die sich damals schnell nach links orientierte) und die Israelische Kommunistische Partei umfaße.

Mapam, aber mehr noch die Kommunisten, waren gegen Verhandlungen mit der Regierung in Bonn, auch aufgrund ihrer Verbindungen mit dem Westen. Mapams Zeitung enthielt sich nicht scharfer Ausdrücke gegenüber Westdeutschland: „Neonazi“, „Erben des Nazismus in Deutschland“, „Der Nazismus und seine Gefolgsleute“, „Hitlers Nachfolger“, „Die neonazistische Regierung in Bonn …“, „Antisemitismus in der Bonner Regierung“ etc. etc..

Dennoch, an ehemaligen Nazis, die in Ostdeutschland wichtige Positionen innehatten, störten sie sich nicht im gleichen Maße, und die Mitglieder von Mapam und der Kommunistischen Partei machten Besuche und standen mit Vertretern dieser Regierung in Verbindung. Dies verstärkte nur den Eindruck, daß die Opposition auf der Linken in bezug auf die „Wiedergutmachung“ zumindest bis zu einem gewissen Grad die Oppositon gegenüber dem Westen und den USA zu vertuschen suchte, Westdeutschland im Rahmen des Kalten Krieges als Front gegen kommunistische Unterwanderung, wie es damals hieß, zu stärken.

In seiner Rede in der Knesset anläßlich einer Debatte über die „Wiedergutmachung“, benannte ein Vertreter Mapams, Yaacov Hazan, den Knackpunkt dieser Auseinandersetzungen. Hazan behauptete, daß Westdeutschland nichts weiter als die Wiederbelebung Nazideutschlands sei, möglicherweise sogar sein direkter Nachfolger, eine Puppe, die vom Westen aufgestellt und ernährt werde, mit dem Ziel „… die Welt von neuem einzuschüchtern.“ Damit könne der Staat der Juden natürlich nicht in Verhandlungen treten, die wiederum“…eine Leugnung des heldenhaften Kampfes der Ghettokämpfer, einen Verrat der Hölle des Leidens, der jüdische Menschen ausgeliefert waren“ bedeuten würden.

Und er fährt fort und sagt der Regierung, daß ihre Erklärung zu Verhandlungen über die „Wiedergutmachung“ keinerlei Bedeutung habe ohne die Anerkennung derselben durch die Regierung Deutschlands.

Seiner Meinung nach stellen „die Verhandlungen über „Wiedergutmachung“ mit der Regierung in Bonn die Anerkennung Neo-Nazi-Deutschlands dar … da es scheint, daß der Dritte Weltkrieg kein Atomkrieg werden wird. Dementsprechend ist es notwendig, moderne Kannibalen zu haben, Mörder menschlicher Wesen, Nazis, ohne die es keinen Krieg gegeben hätte … diese Mörder möchten derzeit als Geschenk geben, was sie durch ihre Macht zu morden erlangt haben, möchten in das Zentrum Europas gerückt werden und der Preis dieses Geschenks – ein erneutes Weltmorden. Sie möchten Europa gegen die UdSSR anführen. Und Ihr wollt Euch an der Reinigung dieses widerwärtigen Reptils beteiligen?“

Die rechte Herut Party, unter Vorsitz des Parlamentsmitglieds Menahem Begin, war noch entschiedener in ihrer Opposition gegen die Position der Regierung in Sachen „Wiedergutmachungsabkommen“ mit Deutschland, eine Opposition, die hauptsächlich auf schwerwiegenden ideologisch-moralischen Argumenten basierte.

Aber die Herut Leute hatten auch noch eine Rechnung mit der herrschenden Regierung, Mapai, unter Vorsitz von Ben-Gurion offen, und zwar seit den Tagen des Kampfes um die Gründung des Staates Israel. Vor dem Hintergrund des Kampfes um „Wiedergutmachung“ beabsichtigten sie, auch politische Ergebnisse zu erzielen, die in Israels Öffentlichkeit große emotionale Unterstützung fanden. Auf diese Weise hoffte Herut, nach der schrecklichen Niederlage bei den Wahlen zur zweiten Knesset seine Macht zu stärken.

Moralisch definierte Herut die geplanten Verhandlungen mit Deutschland als Entweihung der nationalen Ehre. Sie war nicht bereit, zu unterscheiden zwischen Deutschen, die in der Nazibewegung aktiv waren und solchen, die dagegen waren. Die Verhandlungen wurden als „die Entweihung des Andenkens an unsere Heiligen, eine schreckliche Beleidigung der Gefühle der Waisen und Trauernden, eine schreckliche Demütigung Israels Ehre als Nationalität“ begriffen.

Unter politischen Aspekten sah Herut in Israels Zustimmung, mit Deutschland in Verhandlungen zu treten, eine Art Hilfe für Deutschland, in die Völkergemeinschaft zurückzukehren.

Heruts Anführer befürchteten auch, daß die Verhandlungen eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den Ländern herbeiführen und einen Prozeß schaffen könnten, an dessen Ende eine Freundschaft zwischen den beiden Nationen stehe, ein Punkt, gegen den sie ganz stark opponierten. (…)

Im Vorfeld der Abstimmung in der Knesset über die Bitte der Regierung um Zustimmung zur Initiierung direkter Reparationsverhandlungen mit Westdeutschland, organisierte sich die Koalition, um mit voller Kraft zu kämpfen und bestand auf Fraktionszwang. Die Opposition rekrutierte, nicht weniger fieberhaft, ebenfalls all ihre Kräfte.

Natürlich war die Opposition außerhalb der Knesset besonders aktiv.

Die Vertreter der Partisanen, Ghettokämpfer und des Anti-Nazi-Untergrunds, der Gefangenen in den Konzentrationslagern und der Soldaten der Jüdischen Brigade der Britischen Armee wurden rekrutiert, um in den von der Linken organisierten, öffentlichen Protestversammlungen zu erscheinen. Bei diesen Versammlungen sollte der Protest verschiedenster Anti-Nazi-Kämpfer deutlich zum Ausdruck gebracht werden.

Als sich der Tag der Debatte über das „Wiedergutmachungsabkommen“ in der Knesset näherte, stieg die Spannung. Herut bereitete eine Demonstration in Jerusalem vor. Ebenfalls geplant war eine Demonstration der Linken in Tel Aviv, gefolgt von einem Marsch einer Delegation von Partisanen und Ghetto-Kämpfern zur Knesset in Jerusalem.

Am Nachmittag des 7. Januar 1952 eröffnete Premierminister David Ben-Gurion die Erörterungen in der Knesset. Die Polizei hatte das Gebäude umstellt und war angewiesen, notfalls auch mit Gewalt zu verhindern, daß diese Kette durchbrochen wird.

Zur Zeit von Ben-Gurions Rede in der Knesset, sprach der Führer von Herut, Menahem Begin, auf einem nahegelegenen Platz. Mit erregter Stimme sagte Begin: „Dies wird ein Krieg auf Leben und Tod. Sie sagen, wir inszenieren den Zorn. Aber die Tausenden, die jetzt in diesem stürmischen Regen stehen, sind der lebende Beweis dafür, daß der Zorn des Volkes offen und öffentlich ausbricht … an diesem Tag, vier Jahre nach dem Morgengrauen der Errettung, stellt sich der hebräische Premierminister hin und teilt mit, daß er nach Deutschland gehen wird, um Geld zu erhalten, daß er geldgierig hingehen wird, um die Ehre Israels zu verkaufen und auf Ewigkeit Schande bringen … es gibt keinen einzigen Deutschen, der nicht einen unserer Vorväter getötet hat. Jeder Deutsche ist ein Mörder. Adenauer ist ein Mörder. Alle seine Helfer sind Mörder …“.

Und Begin fügte hinzu „Herr Ben-Gurion stellt Polizisten auf, und in ihren Händen halten sie – nach Informationen, die wir soeben erhalten haben – Granaten und Tränengas, in Deutschland hergestellt, das gleiche Gas, das unsere Vorfahren erstickte.“

Von dieser Versammlung aus ging Begin zu Gesprächen in die Knesset, gefolgt von seinen Anhängern. Danach stieß noch ein Teil der aus Tel Aviv angekommenen linken Versammlungsteilnehmer und eine Gruppe Studenten zu ihnen. Sie brachen durch die Polizeiverriegelung und warfen Steine auf das Knesset-Gebäude. Ein Teil der Polizisten kletterte auf die Dächer der Häuser und warf Rauchbomben und Tränengas, das der Wind in die Richtung des Plenarsaals der Knesset umleitete.

92 Polizisten und 36 Personen wurden verletzt: Schreie, Tränengasdämpfe, zerbrochenes Glas und Steine während des Durcheinanders, das im Plenarsaal entstand.

Um 7.00 Uhr abends rief Ben-Gurion die Armee, um Ordnung zu schaffen, aber die Situation hatte sich bereits entspannt. Die Versammlung wurde nach einer Pause noch am gleichen Abend fortgesetzt und wurde zu später Stunde aufgelöst.

Die Erörterung wurde am Morgen weiter fortgesetzt, und die Atmosphäre entspannte sich allmählich. Die Armeeeinheiten in Jerusalem blieben in Alarmbereitschaft, und aus Haifa und Tel Aviv wurden organisierte Gruppen von Arbeitern herbeigeholt, um die Knesset zu verteidigen.

Am Ende der Erörterungen, am 9. Januar 1952, fand eine Einzelabstimmung statt:

Für die Einleitung von Verhandlungen mit Deutschland stimmten 61 Mitglieder der Knesset (58 von der Koalition und 3 von der Opposition); 50 Mapai; 8 von den religiösen Parteien; 3 von der fortschrittlichen Partei der Opposition.

Dagegen stimmten 50 Mitglieder der Knesset von der Opposition (davon ein Mitglied der religiösen Parteien in der Koalition, das seine gesamte Familie im Holocaust verloren hatte); 8 Herut; 21 allgemeine Zionisten; 14 Mapam; 5 Kommunisten; 1 Progressiver; 1 Religiöser. 5 Enthaltungen (alle aus den religiösen Parteien in der Koalition). Zur Wahlzeit nicht anwesend: 4. (…)

Die Verhandlungen und die Vereinbarung

Die Bonner Regierung begüßte die Entscheidung der Knesset und sah darin den Beginn einer möglichen Verbesserung der Beziehungen, und innerhalb kurzer Zeit wurde eine Delegation aus Westdeutschland ernannt, um mit Vertretern des Staates Israel und des Judentums in der Welt Gespräche über „Wiedergutmachung“ zu führen.

Am 21. März 1952 begannen die Verhandlungen zwischen der israelischen Delegation, unter Vorsitz von Dr. Giora Josephthal und Dr. Felix E. Shinnar, zweier Experten, die als ehemalige Angehörige deutscher Universitäten Deutschland zu Beginn von Hitlers Herrschaft verlassen hatten und der westdeutschen Delegation unter Vorsitz von Prof. Franz Böhm, Rektor der Universität Frankfurt und zwar in Wassenaar in der Nähe von Den Haag in Holland.

Böhm, Mitglied der Christlich Demokratischen Union, war Mitglied der Gruppe, die das apolitische deutsche Unternehmen namens „Frieden mit Israel“ initiiert hatte, welches mehrere Wochen vor Adenauers Rede im Bundestag seine Arbeit begonnen und innerhalb eines Teils der deutschen Öffentlichkeit zur Schaffung einer günstigen Atmosphäre gegenüber Israel beigetragen hatte. Später wurde Böhm als Mitglied der Christlich Demokratischen Union Mitglied des Bundestags. Aufgrund seiner antinazistischen Einstellung und seiner Opposition gegenüber der Judenverfolgung hatte er seinerzeit selbst unter der Naziherrschaft gelitten.

Eine Woche nach Beginn der Verhandlungen explodierte in einem Münchner Postamt eine Bombe, die in einem an Adenauer adressierten Buch versteckt war. Einer der Sicherheitsbeamten, der das verdächtige Paket untersucht hatte, wurde dabei getötet. Die Absender, Mitglieder der Herut Partei, nahmen an, daß durch den Tod des Kanzlers die Verhandlungen gestoppt und der Sturz der Regierung in Israel ausgelöst würde.

Aber all dies störte nicht das Wesentliche, das erste offizielle Treffen zwischen dem offiziellen Vertreter Israels und dem offiziellen Vertreter Deutschlands, sieben Jahre nach Ende des Krieges und dem Ende Hitlers.

Das Treffen war begleitet von diffizilen Empfindlichkeiten und großer Anspannung auf israelischer Seite. Einer der beiden Leiter der israelischen Delegation,

Dr. Shinnar, schrieb in seinen Memoiren, daß „die Beschreibung dessen, was in den Herzen geschah, nicht weniger schwierig ist, als heute die Tragödie zu begreifen und zu verstehen, die Ursache für dieses Treffen war“.

Er lobte jedoch die Mitglieder der deutschen Delegation und insbesondere

Prof. Böhm, mit den Worten „… denn seine warmherzige Persönlichkeit, die Reinheit seines Herzens und seine hohe moralische Anerkennung trugen keinen geringen Anteil an dem Fortgang der Verhandlungen und ihren Ergebnissen“. Böhms Assistent, Otto Küster, der mit Shinnar zusammen ein Stuttgarter Gymnasium besucht hatte, wurde ebenfalls gelobt und von Shinnar als „ein Beispiel für Integrität und Hingabe“ beschrieben.

Aber Seite an Seite mit diesen beiden und anderen wohlwollenden Menschen, gab es in Westdeutschland auch diejenigen, die die Verhandlungen zu sabotieren versuchten, um den Abschluß des Abkommens zu verzögern oder sogar ganz und gar zu verhindern.

An der Spitze der Gegner stand Finanzminister Fritz Schäffer, der fürchtete, daß die Wirtschaft Deutschlands, die sich eben erst zu erholen begann, Schaden nehmen könne. Schäffer enthielt sich bei der Abstimmung im Bundestag über die Annahme des Abkommens sogar der Stimme.

Nahum Goldmann beschrieb ihn als rechtschaffenen Katholiken, Anti-Nazi, eine absolut ehrliche Person und einen der besten Finanzminister, den Deutschland je hatte. Laut Goldmann sagte Schäffer während eines Gesprächs mit ihm, daß er sich nicht erpressen lassen könne. Er war nie Nazi gewesen, war sogar inhaftiert gewesen. „Ihre Forderung ist berechtigt, und alle moralischen Rechte sind auf Ihrer Seite, obwohl ich keine moralische Person und kein Rabbi bin, sondern Finanzminister eines armen Landes. Dementsprechend muß ich die Frage bewerten, wieviel das alles Deutschland kosten wird.“

Ein weiterer wichtiger Gegner der Reparationszahlungen an den Staat Israel (nicht „persönlicher Wiedergutmachung“) war Franz-Josef Strauß. Er verurteilte die Ratifikation des Abkommens mit der Begründung, Deutschland könne nicht seine langjährigen freundschaftlichen Beziehungen mit den arabischen Ländern aufs Spiel setzen.

Die Arabische Liga stellte in der Tat klar, daß die Araber, sollte die Vereinbarung angenommen werden, ein arabisches Embargo gegen Deutschland verhängen würden.

Zeitungen, Geschäftsleute und Regierungsbeamte begannen allmählich, die Araber zu unterstützen. Die Arabische Liga drohte damit, daß kein arabisches Land mehr Importgenehmigungen für deutsche Firmen gewähren würde. Die Regierung Saudi-Arabiens informierte sogar alle deutschen Firmen, daß sie im Falle einer solchen Vereinbarung ihre Tätigkeit auf ihrem Gebiet einzustellen hätten.

Aber die Verhandlungen wurden trotz aller Hindernisse fortgesetzt. Sie dauerten ca. 6 Monate und machten viele Höhen und Tiefen durch, während sich die Erörterungen im Grunde um die Frage der Summe drehten, die von Deutschland zu bezahlen sein sollte.

Am 10.9.1952 schließlich wurde in Luxemburg vom Kanzler Westdeutschlands,

Dr. Konrad Adenauer, und dem Außenminister Israels, Moshe Sharett, die Vereinbarung über die „Wiedergutmachung“ unterzeichnet, die von Westdeutschland an den Staat Israel zu zahlen sei.

Nahum Goldmann unterzeichnete im Namen der „Claim Conference“ zwei Protokolle, die Teil des Abkommens waren und die die Ergebnisse der Verhandlungen über die persönliche „Wiedergutmachung“ beinhalteten, die von Westdeutschland an diejenigen Juden zu zahlen waren, denen unter der Naziherrschaft Schaden zugefügt wurde.

Ein halbes Jahr verging, bevor die beiden Parlamente die Vereinbarung am 18. März 1953 bestätigten. Von 360 Stimmen im Bundestag stimmten 239, das sind 65 %, dafür, 35, das sind 10 %, stimmten dagegen und 86, das sind 25 %, enthielten sich der Stimme.

Dagegen stimmten sämtliche Mitglieder der kommunistischen Fraktion, 14 der 35

Nein-Stimmen. Sie agierten konform mit der offiziellen Linie Ostdeutschlands, die das Gesamtkonzept der materiellen Entschädigung für Verbrechen des Naziregimes ablehnte und Israel feindselig als „Instrument des amerikanischen Imperialismus im Mittleren Osten“ bezeichnete, wobei die Amerikaner Deutschland zwängen, Israel zu stärken, um es – mit Blick auf eine weitere Expansion in der Region – in eine Festung zu verwandeln.

Die übrigen Gegner waren Mitglieder der extremen rechten Parteien sowie einige Mitglieder der regierenden Christdemokraten. Tatsächlich haben weniger als 50 % der regierenden Parteien für das Abkommen gestimmt (Gegenstimmen und Enthaltungen) und nur die unterstützenden Stimmen der Sozialdemokraten sicherten die Mehrheit.

Die Sozialdemokraten, Mitglieder der zweitgrößten Partei im Bundestag, stimmten allesamt für das Abkommen, eine Tatsache, die eine Art Demonstration ihrer Haltung gegenüber Israel und der Anerkennung ihrer historischen Verantwortung darstellte.

Ohne die volle und von ganzem Herzen kommende Unterstützung durch den sozialdemokratischen Vorsitzenden, Kurt Schumacher, wäre es schwierig gewesen, zu einer Ratifizierung des Abkommens zu kommen.

Die Sozialdemokraten traten hier als Verfechter einer engen Verbindung mit Israel und „Wiedergutmachung“ an die israelische Nation für die Taten der Nazis auf, eine Haltung, die sie auch später noch vertraten, nachdem sich zwischen den beiden Ländern Beziehungen entwickelt hatten.

Hier und jetzt ist der Platz, um zu betonen, daß die Öffentlichkeit Westdeutschlands noch weniger für das Abkommen war, als die von ihr gewählten Vertreter.

Eine Meinungsumfrage in Deutschland zum Thema „Wiedergutmachung“ an Israel aus dem Jahre 1952 zeigte, daß 44 % der Befragten meinten, daß es für eine Zahlung einer „Wiedergutmachung“ an die Juden überhaupt keine Rechtfertigung gäbe, 24 % unterstützten die Zahlung von Reparationen, während sie meinten, daß diese zu hoch seien und nur 11 % unterstützten die Reparationen.

Anscheinend war der Grund hierfür, unter anderem, daß 1945, zu Ende des Krieges, in Deutschland nach wie vor Antisemitismus und Ethnozentralismus vorhanden waren. In einem Referendum zum Beispiel, das 1948 in Deutschlands amerikanisch besetzter Zone durchgeführt wurde, definierten sich 33 % der Deutschen selbst als antisemitisch, weitere 26 % hatten rassistische Einstellungen.

Die „Wiedergutmachung“ repräsentierte in den Augen dieser Deutschen das Image, das sie zu hassen gelernt hatten, den Juden als „pursuer of fortunes“, und da Israel vorgab, alle Juden zu vertreten, haftete ihm als Staat der Juden dieses negative Image an.

Das Abkommen wurde gültig, als Vertreter Israels und Westdeutschlands am

27. März 1953 schriftliche Einwilligungen beim UN Sekretariat austauschten und das Wiedergutmachungsabkommen, oder wie sein offizieller Name lautet „Das Deutsch-Israelische Abkommen vom 10. September 1952“ (auch Luxemburger Abkommen genannt), für gültig erklärten.

Nachdem das Abkommen Fakt war, ließ die Opposition in Israel nach, sogar unter den Mitgliedern jener Parteien, die es zuvor bekämpft hatten.

Es gab jedoch auch letzte, handfeste Spuren von Opposition. Ein Mitglied der Herut-Partei wurde verhaftet, als er sich zum Außenministerium in Tel-Aviv begab, in seiner Tasche eine Zeitbombe und drei Kilogramm Sprengstoff. Im September 1953 vereitelte die Polizei ein Bombenattentat im Hafen von Haifa, mit dem das Abkommen verhindert werden sollte.

Laut Abkommen verpflichtete sich die westdeutsche Regierung, an die Regierung Israels innerhalb von 12 bis 14 Jahren 3,45 Milliarden Deutsche Mark zu zahlen. Von dieser Summe waren 450 Millionen Mark der „Vereinigung der Jüdischen Organisationen“ zugesprochen worden.

Es wurde vereinbart, daß ein Teil der Reparationszahlungen für die Bezahlung von Treibstoff genutzt wird, das Israel von England bezog, während das meiste Geld für die Anschaffung von Waren und Dienstleistungen von Westdeutschland verwendet werden sollte.

Die Regierung Deutschlands zahlte bis zum 31.3.54  400 Millionen Mark und den Rest wahlweise in gleichen jährlichen Raten über eine Dauer von 10 bis 12 Jahren, unter der Voraussetzung, daß die Summen nicht weniger als 250 Millionen Mark pro Jahr betragen.

Erfüllung des Abkommens

Die Regierung Israels beschloß, das Geld für die Entwicklung der Wirtschaft zu nutzen – Landwirtschaft, Industrie, Transportwesen und Elektrizitätsversorgung. Für diesen Zweck wurde ein besonderer organisatorischer Rahmen geschaffen, bestehend aus zwei Säulen:

1. einem staatlichen Unternehmen „Reparations Company“, das gemäß den Beschlüssen des Ministerrates für wirtschaftliche Angelegenheiten und in Koordination mit verschiedenen staatlichen Stellen zuständig war. Seine Rolle war es, sich bis zur Akquisition, d.h. der konkreten Anschaffung, um das „Wiedergutmachungsabkommen“ zu kümmern (Planung für Warenaufträge, Bestimmung einer Präferenzliste und Verkauf der bestellten Waren an Kunden im Lande). Seine Geschäftsstelle befand sich in Tel Aviv.

2. die israelischen Delegation (Beschaffungsdelegation), deren Rolle es war, das Abkommen zu implementieren. Ihr Sitz war in Westdeutschland, in Köln. Vorsitzender der Delegation war Dr. Felix A. Shinnar. Die Delegation war die einzige Vertretung des Staates Israel für die Implementierung des Abkommens in Deutschland und begann ihre Arbeit im Mai 1953.

Tatsächlich war diese Delegation auch die israelische Vertretung in Deutschland, da die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland erst 1965 wieder aufgenommen wurden. Seite an Seite mit der Beschaffungs-, Transport- und Bankabteilung arbeitete dementsprechend auch die politische und die Konsularabteilung.

Westdeutschland kam seinen Verpflichtungen nach und erfüllte sie 1965. Während dieser Zeit stand die „Wiedergutmachung“ für 12 bis 20 % von Israels Importen. Die Spitze wurde 1955 erreicht, als die Importe auf der Basis der „Wiedergutmachung“ 24 % der Importe des Landes ausmachten.

Der Gesamtwert der Waren und Dienstleitungen, die Israel im Rahmen der Reparationszahlungen erhielt, betrug 3,45 Milliarden Deutsche Mark oder 833 Millionen US-Dollar.

38 % dieser Summe wurden in die Beschaffung von Anlagen (wie Schiffe, Industrieanlagen und Zubehörausstattung) investiert.

24 % wurden für die Beschaffung von Metallen, Rohstoffen und Industrie- und Landwirtschaftsprodukten genutzt.

8 % wurden für die Zahlung von Transport- und Finanzleistungen genutzt.

Ungefähr 30 % wurden für die Zahlung von Treibstofflieferungen genutzt.

Parallel dazu und in Folge der Implementierung des „Wiedergutmachungs-abkommens“ zwischen den Ländern, wurde in Deutschland in zwei Phasen, 1953 und 1956, ein Gesetz über den Anspruch von Naziopfern auf „persönliche Wiedergutmachung“ verabschiedet.

Zusätzliche Gesetze erweiterten später die Einhaltung dieses Gesetzes. Gelder, die in Israel lebende Opfer der Nazis als direkte „Wiedergutmachung“ erhielten (ein Drittel der gesamten „persönlichen Wiedergutmachung“) nahmen in der Zahlungsbilanz des Staates Israel eine wichtige Position ein.

Heute, mehr als 40 Jahre nach Beginn der Überweisung der Reparationszahlungen stellen sie immer noch (heute als Renten und Pensionen) ein wichtiges Einkommen dar.

Wir haben in dieser Angelegenheit jedoch wichtige Details noch nicht erwähnt:

Nach Berechnungen der Deutschen wird Deutschland bis zum Jahr 2030 120 Milliarden Mark bezahlen. Das bedeuet bei 60 Millionen Deutschen auf 60 Jahre verteilt im Durchschnitt 33 DM pro Person pro Jahr.

Ein großer Teil dieser Summe ist Ersatz für das Vermögen, das den Juden geraubt wurde und in den Händen der Deutschen geblieben ist, ein Teil der Pensions-empfänger waren als Bürger Deutschlands in jedem Fall bezugsberechtigt, aber selbst wenn wir die Summe durch die Anzahl der insgesamt ermordeten Menschen teilen, ist es keine überwältigende Summe: 20.000 DM pro ermordeter Person.

Nach Schätzung der Bank of Israel wäre es dem Staat Israel auch ohne die Wiedergutmachung gelungen, die notwendigen Mittel mit Hilfe von Krediten oder sogar Subventionen aus anderen Quellen zu beschaffen.

Unter diesem Aspekt repräsentierte die „Wiedergutmachung“ nicht die Rettung vor einem allgemeinem Kollaps, sondern beschleunigte nur die allgemeine Entwicklung und verbesserte die Situation Israels.

Wir sprechen über die Zeit der fünf Jahre nach Gründung des Staates, Hunderttausende lebten in Transitlagern: eine Zeit der Entsagung und Lebensmittelrationen und der Spannung an den Grenzen. Unter diesem Aspekt war die „Wiedergutmachung“ psychologisch und politisch äußerst wichtig.

Die Reparationszahlungen erhöhten das Angebot auf den Märkten und verbesserten die Produktionsprozesse und die Anzahl der Arbeitsplätze, beschleunigten die Bautätigkeit und verbesserten die Infrastruktur. All dies verbesserte die Atmosphäre in der israelischen Gesellschaft, die sich aus Hunderttausenden von Flüchtlingen aus vielen Ländern zusammensetzte.

Die meisten Empfänger „persönlicher Wiedergutmachung“ wurden dadurch nicht reich, aber dieses Geld ermöglichte es ihnen, eine angenehmeres Leben zu führen, ohne Sorge um ihren Lebensunterhalt: keine „Wiedergutmachung“ für die Schrecken, aber zumindest Frieden im Alter. 10 % der Empfänger solcher „Wiedergutmachung“, ein großer Teil ehemalige Bürger Deutschlands, erhielten 31 bis 43 % der Summe.

Schlußfolgerungen

Das Reparationsabkommen wurde durch eine mutige Entscheidung zweier politischer Führer, Ben Gurion und Konrad Adenauer, erzielt.

Ersterer hatte auf dem Weg zu einer allmählichen Aussöhnung eine Nation anzuführen, die belastet war durch erlittene Qualen, feindselig gegenüber Deutschland und den Deutschen aufgrund des fürchterlichen Holocausts, den die Deutschen angerichtet hatten; er stand einer militanten Opposition von rechts und links gegenüber.

Der zweite sah sich einer immer noch antisemitisch eingestellten Nation mit einer modernen Bürokratie gegenüber; er trug das Risiko, daß die Aussöhnung mit Israel aufgrund des Kalten Krieges und der Auseinandersetzung Israels mit seinen Nachbarn schwierig werden würde.

Adenauer hat wahrscheinlich gewußt, daß Deutschland die Zustimmung der israelischen Nation, des Staates Israel, benötigt, um wieder in die Staatengemein-schaft aufgenommen zu werden. Ben Gurion war bereit, ihm dies zu gewähren, wissend, daß dies sowieso geschehen würde, aber mit dem Ziel, für Israel soviel wie möglich dabei zu gewinnen. David Ben-Gurion dachte an die Zukunft. Vielleicht hatten diejenigen, die schon zu Beginn der 50er Jahre behauptet hatten, daß ein „Wiedergutmachungsabkommen“ Grundlage für die Aufnahme zukünftiger Beziehungen sein würde, recht. Er hielt Deutschland für eine aufstrebende Macht, deren Hilfe Israel zu seiner eigenen Sicherheit in einer feindlichen Welt gewinnen müsse.

Das „Wiedergutmachungsabkommen“ markierte den Beginn der Aussöhnung zwischen dem jüdischen und dem deutschen Volk und der allmählichen Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, deren Höhepunkt durch die Aufnahme der militärischen Beziehungen zwischen beiden Ländern Ende der 50 Jahre durch Ben Gurion und den jungen Shimon Peres und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Ende 1965 markiert wurde.

Es gibt keinen Zweifel, daß die Bedenken der Gegner bezüglich der „Wiedergutmachung“ gesehen wurden. Die ernsten Bedenken in Israel zu Zeiten des Tumults in der Knesset verflüchtigten sich nicht, aber die aktuelle Verbindung und vielfache Kontakte ermöglichten das allmähliche Abflauen der Dämonisierung Deutschlands, und es wurde mit realistischeren Augen betrachtet.

Am Ende wurden die Bundesrepbulik Deutschland und Israel durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Partnern. Offizielle Beziehungen wurden aufgenommen, eine Tatsache, damals ein mutiger Schritt. Seither haben sich die wirtschaftlichen Beziehungen enorm entwickelt. Deutsche Investitionen wurden in Israel getätigt, und der Jugendaustausch zwischen Deutschland und Israel wurde implementiert. Scheinbar wachsen die Touristenströme ohne Ende. Es ist zu hoffen, daß dies so weitergehen und sich sogar noch verstärken wird, zum Wohle beider Länder. Aber bei all dem sollten die Schrecken der Vergangenheit nicht vergessen werden und der Holocaust immer im Gedächtnis bleiben.

(Übersetzung: Karin Gaines)

Dieser Beitrag wurde dem von Roland Kaufhold und Till Lieberz-Groß (Hg. 2001) herausgegebenen psychosozial-Band: Deutsch-israelische Begegnungen, psychosozial Heft 1/2001, S. 55-66 entnommen und von R. Kaufhold für haGalil gekürzt.

Wir danken den Herausgebern sowie dem Inhaber des Psychosozial-Verlag, Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth für die freundlich erteilte Nachdruckgenehmigung.

Literatur:
Gewerkschaft Erziehung & Wissenschaft (Hg.) (2009): „Die Verantwortung aber bleibt“ (Reader)
https://www.hagalil.com/2009/05/27/gew/
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gew-shop@callagift.de, Fax: 06103-30332-20, Einzelexemplare über: broschueren@gew.de, Fax: 069/78973-70161

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