Wie ein Flugzeug ohne Pilot

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Amira Hass warnt vor der Illusion, die Besatzungs- und Besiedlungsrealität könne einfach per Beschluss eines Baustopps beendet werden. Sie meint, dass selbst wenn kein einziges jüdisches Haus in den besetzen Gebieten mehr gebaut werden sollte, der riesige Herrschaftsapparat noch über Jaher hinaus weiterbestehen wird. Ministerpräsident Benyamin Netanyahu nimmt sie vor ungerechtfertigter Kritik in Schutz. Die Politik der Besatzung gehe auch ohne seine Beteiligung weiter, wie ein riesiges Flugzeug ohne einen Piloten…

Amira Hass, am 05.05.2010 in Ha’aretz

Ministerpräsidenten kommen und gehen, Verhandlungen bleiben stecken und gehen weiter, neue Koalitionen bilden sich. Dieser Herrschaftsapparat hat sein eigenes Leben. Er bewahrt und entwickelt die Privilegien der Juden in Ganz-Israel. Er setzt die Grenzen der „Reservate“ fest. Wenn er will, verbindet er sie mit einander; wenn er dies nicht will, schneidet er sie von einander ab. Sein Wunsch und Wille wird getan: Arbeitslosigkeit von 52% oder 19 %, Bevölkerungsdichte der Dörfer und Städte, Durchmesser der Wasserleitungen, die Anzahl der Tage, die man warten muss, um ein lebensrettendes Medikament zu bekommen. Wenn die Einheimischen es wollen, können sie in den Reservaten leben ; wenn sie nicht wollen – lasst sie gehen.

Zum Beispiel: die Abrissorder, die am 26. April eine Konstruktion in der Dorfgemeinde von Umm al-Kheir in den südlichen Hebroner Bergen betraf. Das genormte Formular war vom Inspektionsunterkomitee der Zivilverwaltung unterzeichnet. Die Order informiert, dass es von „Carlo“ in Gegenwart des Operationsoffiziers von Hebron D.C.O. postiert worden war. Wir nehmen an, dass sie von Soldaten begleitet wurde. Wir wissen, dass scharfäugige Inspektoren die kriminelle Konstruktion ausfindig gemacht haben.

Der Chef der Zivilverwaltung, Brigadegeneral Yoav Mordechai weiß wahrscheinlich nicht, dass das Montageband, für das er verantwortlich ist, diese Order zur Zerstörung „einer Betontoilette von ca. 3 qm“ produzierte. Netanyahu hat gewiss keine Ahnung. Aber die Order umfasst eine alte israelische Philosophie, die Palästinensern verbietet, Toiletten zu bauen, Regenwassersammelbecken zu graben oder in mehr als der Hälfte der besetzen Gebiete sich dem Stromnetz anzuschließen.

Die Soldaten haben die Philosophie verinnerlicht und sie nehmen sie mit nach Hause nach Israel. Unterdessen sabotiert das Verbot des Stromanschlusses die Möglichkeit für Kinder zu lernen. Weder der Baustop in den Siedlungen noch die indirekten Friedensgespräche, die beginnen, werden diesen Sabotageakt gegen die Bildung der Kinder verhindern, die der israelische Apparat selbstverständlich hinnimmt. Tatsächlich ist es nicht nur ein Apparat, sondern eine gigantische Fabrik. Nicht ein Montageband sondern viele.

Hinter solch einem Montageband stehen die Planer. Sie sind die Architekturgenies, Absolventen der besten Schulen in Israel, die das Gewirr von Straßen erfanden, das duale, getrennte Straßennetzwerk für Palästinenser und Israelis (besonders Juden), oder die Trennungsmauer bzw. den Zaun , der sich hervortut, stark bevölkerte Wohngebiete von dem dazugehörigen Land, seiner Vergangenheit und Zukunft zu trennen.

Der Zaun ist hässlich und erschreckend, noch mehr als das Holylandprojekt. Die Labyrinthe der Trennung schaffen Widerstand gegen sie. Und dann schafft der Apparat noch ein Montageband: das militärische Gerichtssystem. Absolventen der israelischen Rechtsschulen, im Reservedienst oder in der Karriere-Armee sind eingezogen, um den Einheimischen klar zu machen, dass Widerstand schmerzhaft ist. Man schickt sie ins Gefängnis und erhebt hohe Strafgelder. Dann exportieren sie die Philosophie der Unterdrückung an Zivile Gerichte und in Kollegklassenräume in Tel Aviv.

Hinter den Montagebändern sind Vertreter des ganzen Volkes von Zion, Hunderttausende von Zivilisten und Soldaten. Jeder hat ein persönliches Interesse an der Fortsetzung des Apparates, selbst wenn das Interesse in ein nationales oder Sicherheitszellophanpapier eingehüllt ist. Netanyahu ist nicht der einzige Verantwortliche. Er allein kann das riesige Flugzeug ohne Piloten nicht stoppen. Es sind sehr viele Leute in Israel, die gezwungen werden sollten, das Programm des Herrschaftsapparates zu streichen, bevor es sich gegen seinen Schöpfer, seinen Unternehmer und diejenigen wendet, die von ihm profitieren: nämlich wir alle.

Übersetzung: Ellen Rohlfs

1 Kommentar

  1. Ist haGalil seit immer eine Plattform für die israelische Ultralinke gewesen, oder ist es etwas Neues ??

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