Israel – Diaspora: Gemeinsame Stärke

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Der Weg aus der Krise in den Beziehungen zwischen Israel und der Diaspora führt nur über Partnerschaft…

Von Stephan J. Kramer Jüdische Allgemeine vom 27.05.2010

Bei offiziellen Anlässen wird sie gern propagiert: die Brüderlichkeit zwischen Israel und der Diaspora, den 40 Prozent des jüdischen Volkes, die in der biblischen Heimat leben und den 60 Prozent, die rund um den Globus zerstreut sind. Mit umso mehr Aufmerksamkeit wird der politische Streit beobachtet, der zwischen der israelischen Regierung und ihren Kritikern ausgefochten wird. Im Mittelpunkt steht dabei die vor zwei Jahren in den USA gegründete jüdische Organisation J-Street. Unter dem Motto »Für Israel. Für den Frieden« setzt sie sich für die Zweistaatenlösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ein, geißelt das rechtsgerichtete Kabinett Benjamin Netanjahus für die von ihr vermutete Unwilligkeit, Kompromisse einzugehen und fordert amerikanischen Druck auf Israel.

Entfremdung

Aus Sicht der israelischen Regierung ist damit die Grenze zur Illoyalität überschritten. Inzwischen ist der von J-Street propagierte Aktionismus auch in Europa angekommen. Unter dem Namen JCall haben mittlerweile mehr als 6.000 europäische Juden eine Internet-Petition unterzeichnet, in der sie die EU auffordern, Israel und die Palästinenser zur Vernunft zu bringen. Doch die Hauptgefahr für das Verhältnis zwischen den beiden Teilen des jüdischen Volkes ist nicht gegenseitige Kritik, sondern Entfremdung. Und diese greift immer mehr um sich. Als typisch seien zwei in den vergangenen Jahren durchgeführte Umfragen genannt. Laut einer von ihnen sieht ein volles Drittel der israelischen Juden keinen gemeinsamen Nenner mit der Diaspora. Umgekehrt ergab eine Umfrage in den Vereinigten Staaten, dass nur noch weniger als drei von zehn US-Juden eine tiefe emotionale Verbindung zu Israel empfinden. In europäischen Gemeinden mögen solche Tendenzen weniger stark ausgeprägt sein, doch sind auch sie von dem Phänomen betroffen.

Daher ist die Umkehr dieses Trends das Hauptziel, das sich die Verantwortlichen in Israel wie in der Diaspora setzen sollten. Denn durch ein Auseinanderdriften können beide Seiten nur verlieren. Ohne enge Bindung an die Wiege des Judentums würden Diasporagemeinden ein prägendes Element ihrer Identität aufgeben. Und ohne Verbundenheit mit der Diaspora kann sich den Israelis die geistige Vielfalt des Judentums nicht in vollem Maße erschließen. Freilich setzt eine Reform voraus, den Istzustand schonungslos zu diagnostizieren. Zunächst einmal muss Israel erkennen, dass das alte Muster einer starken Diaspora, die sich um den heldenhaften, aber kleinen und armen Judenstaat kümmert, heute so nicht mehr zutrifft. Auf der einen Seite ist Israel, auch nach europäischen Maßstäben, kein wirtschaftlich notleidender Staat. Gleichzeitig steigen die Eigenbedürfnisse der an Überalterung und Armut leidenden Diasporagemeinden. Das führt zu einer Umschichtung der politischen wie finanziellen Ressourcen.

Ergebnis

Der Generationswechsel spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. In den ersten Jahrzehnten der israelischen Staatlichkeit wurde das Verhältnis zwischen Israel und der Diaspora von Menschen getragen, die noch von der »alten Welt«, dem osteuropäischen Judentum der Vorkriegsära, geprägt waren. Die kulturellen und sprachlichen Gemeinsamkeiten machten ein instinktives Einvernehmen möglich, wie es die heutigen Nachfahren nicht ohne Weiteres nachvollziehen können. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Umfragen zu dem Ergebnis kommen: In der jüngeren Generation der Diasporajuden wird Israel weniger als Teil des eigenen Lebens aufgefasst, als es bei Senioren der Fall ist. Und in Israel geht das Interesse für die Diaspora mit abnehmendem Alter ebenfalls zurück.

Der Weg aus der Krise führt über Partnerschaft. Der jüdische Staat kann der Diaspora unersetzliche Hilfe bei der Stärkung ihres Erziehungswesens sowie ihres religiösen und geistigen Lebens leisten. Auf israelischer Seite gibt es eine lange Reihe von Organisationen und Einrichtungen, die an einem derartigen Programm teilnehmen möchten. Heute schon sind viele von ihnen auf eigene Faust um Diaspora-Projekte bemüht, doch kann nur eine Gesamtstrategie das bestehende Potenzial angemessen erschließen. Das läge auch in Israels eigenem Interesse: Vor dem Hintergrund geistiger Partnerschaft stiege das Verständnis für Israels Belange.

Partnerschaft

Allerdings würde ein Programm dieser Art auch die Diaspora vor große Herausforderungen stellen. Landes- wie weltweit tätige Organisationen, aber auch einzelne Gemeinden müssten innerhalb ihres Wirkungskreises um Teilnehmer und Förderer werben, Informationsarbeit leisten und sich an der Durchführung der Maßnahmen beteiligen. Dennoch ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich viele jüdische Einrichtungen dazu bereitfänden. Für die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik gilt das auf jeden Fall. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ist bereit, an Initiativen für eine neue Partnerschaft mitzuwirken. Ob es zu solchen Initiativen auch kommt? Bei dieser Frage ist man versucht, Theodor Herzl zu zitieren: Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.

3 Kommentare

  1. Es ist normal, wenn sich Juden Israel besonders verbunden fühlen und entsprechende partnerschaftliche Projekte sind es sicherlich auch. Ich habe keinen Zweifel, dass es bereits nicht wenige solcher Projekte gibt.

    Es ist aber auch normal, oder eher positiv, wenn sich Juden, die Staatsbürger in Ländern der Diaspora sind zunächst als Bürger jenes Landes fühlen, fühlen können und fühlen können sollten.

    Der etwas alarmistische Ton des Artikels löst bei mir daher eher zwiespältige Gefühle aus. Der Umstand, dass die politisische Meinungsäußerung von J-Street als Anlass für diesen genommen wird noch mehr.

    Nicht wenige Menschen, die die Politik Israels kritisch sehen, sind weder rassistisch noch anti-semitisch und tun dies nicht weil sie ein Problem mit ‚den Juden‘ hätten, sondern humanistisch motiviert sind und der Umstand, dass jüdische Gemeinden rund um den Globus, kaum je Kritik an Israel artikulieren, sondern Israel unterstützen, was auch immer es tut, wirkt nach außen hin eher befremdlich.

    Wenn man schon den Eindruck hat, dass Israels Parteien keine wirkliche Vielfalt hinsichtlich des Dauerkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern bieten, so kann man sich nicht wünschen, dass Juden in der Welt einer forcierten Erziehung unterzogen werden, um die ‚Staatstreue‘ zu Israel und seiner politischen Agenda auch im Ausland zu forcieren.

    Ich glaube auch nicht, dass sich zum Beispiel die Unterzeichner des Appells von J-Street sich oder ihre Kinder einer solchen unterziehen wollten.

    Wenn man dieses Szenario mal spekulativ weiterspinnt, dann läuft das auf eine Spaltung in eine nationalistisches Judentum, rund um den Erdball hinaus und eine Spaltung desselben, zu jenen Juden, die sich dieser Definition nicht unterordnen können und wollen und zur restlichen Umwelt sowieso.

    Ich glaube jedenfalls, dass es zu begrüßen ist, wenn Juden sich dort zu Hause fühlen, wo sie leben, sei es in Deutschland, den USA, in Israel oder sonstwo.

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