Interessanterweise waren die finstersten Zeiten des 20. Jahrhunderts auch diejenigen Zeiten mit der harmoniereichsten, melodiösesten und ‚süßlichsten‘ Unterhaltungsmusik. „Crooner“ wie Bing Crosby, Tony Martin, Dick Haymes, Charles Trenet oder Jean Sablon, begleitet von gedämpften Bläsern und/oder möglichst vielen Streichern, begeisterten Millionen – während gleichzeitig Menschen in Kerkern, in Lagern oder an der Front grausam abgeschlachtet wurden…
Von Robert Schlickewitz
Gemeinsam mit dem erwähnten Bing Crosby („White Christmas“) trat in den Vereinigten Staaten immer wieder, sowohl im Rundfunk als auch in den beliebten Musicalfilmen der Dreißiger und Vierziger ein weibliches Gesangstrio, die Andrews Sisters, vor das Mikrofon und ‚beschwingte‘ die Jugend der Kriegsgeneration, nicht nur in den USA, sondern auch weit über deren Grenzen hinaus. Selbst heute noch fällt es nicht schwer zu begreifen, was die ungeheure Popularität dieser Gruppe ausmachte, wenn wir uns etwa „Bei mir bist du schejn“, oder „Shoo Shoo Baby“ oder „Beer Barrel Polka“ anhören.
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Erfolg im Showgeschäft basiert gewöhnlich auf Nachahmung prominenter Vorbilder plus einer mehr oder weniger großen Portion Eigenleistung. So war das bei den Andrews Sisters gewesen, die sich an den Bosswell Sisters orientiert hatten und so war es mit den Girlgroups in Europa, die die beiden Trios aus den USA nachzuahmen versuchten.
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In Prag sangen sich die Allanovy Sestry mit dem Orchester Karel Vlach in die Herzen ihrer tschechischen und deutschen (!) Fans, in Finnland und Deutschland die Geschwister Valtonen und in Italien das Trio Lescano.
Die drei Schwestern Alexandrina („Sandra“, „Alessandra“) Evelina, geboren 1910 in Gouda, Judith („Giuditta“), geboren 1913 in Den Haag und Katharina („Kitty“, „Caterinetta“) Leschan, geboren 1919 ebenfalls in Den Haag, hatten einen Akrobaten ungarischer Herkunft zum Vater und eine niederländisch-jüdische Operettensängerin zur Mutter. Sie wuchsen in Holland auf, wo sie schon früh bei Zirkusveranstaltungen und in einer Ballettgruppe auftraten. Gemeinsam mit der Mutter tourten sie später mehrere Jahre lang durch ganz Europa, bis sie schließlich 1935 in Turin ankamen, wo sie ‚entdeckt‘ wurden, wo man auf ihre besonderen Talente erstmals in vollem Umfang aufmerksam wurde.
In der ganz offen erklärten Absicht, eine „italienische Antwort“ auf die Andrews Sisters schaffen zu wollen, ‚baute‘ sie der einflussreiche Maestro Carlo Prato ‚auf‘. Und bereits im darauffolgenden Jahr konnte die erste Schallplatte eingespielt werden. „Bei mir bist du schejn“ war dann 1937 an der Reihe und verkaufte sich ebenso gut, wie all die anderen vielen, vielen Lieder, die die damals bedeutende Marke Parlophon, die die Schwestern unter Vertrag genommen hatte, aufnahm. Der bevorzugte Stil des Trios war die von Swing- oder Jazzelementen durchsetzte Tanz- oder Schlagermusik.
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Der Rundfunk trug seinerseits zur Beschleunigung der Karriere der drei singenden Schwestern bei. Somit war es nur eine Frage der Zeit, bis sie vom Prinzen Umberto von Savoien oder vom „Duce“ persönliche Einladungen erhielten. Mussolini konnte es sich damals übrigens noch leisten über die nichtarische Abstammung seiner charmanten Gäste hinweg zu sehen und drückte ihnen gegenüber seine höchste Anerkennung aus; jedoch sollten sich die Zeiten bald ändern.
Zu Beginn des Krieges in Europa und selbst noch die ersten Kriegsjahre über schien es so weiter gehen zu können wie bisher, ja, gesellte sich zu den Einspielungen von Schallplatten (allein von einem Hit verkauften sich 350 000 schwarze Scheiben), zu den Live-Auftritten, den Radiosendungen auch noch das neue Medium Fernsehen und Rollen in Musicalfilmen („Oh! Ma-ma!“) hinzu. Mehr noch, 1942 (nach anderen Angaben bereits 1941) erhielten Alexandrina, Judith und Katharina endlich die begehrte italienische Staatsbürgerschaft verliehen, trotz der für Italien sich immer ungünstiger erweisenden Kriegssituation.
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„Mutter ist Jüdin und das macht uns ebenfalls zu Jüdinnen!“ – eine Erkenntnis, die laut ausgesprochen, sich im Italien des Jahres 1943 als lebensgefährlich erweisen konnte. Italien musste sich mit Deutschland arrangieren und konnte sich, so die Meinung großer Teile der italienischen Bevölkerung, keine übermäßige Toleranz mehr gegenüber den ‚Mosaischen‘ leisten.
Zunächst verschwand der Name „Trio Lescano“ von den Schallplattenetiketten, oder wurde durch „Trio-Cetra“ ersetzt, wobei Cetra das Markenzeichen der italienischen Parlophon-Tochter war. Dann, im November 1943, die Verhaftung wegen angeblicher Spionage, während eines Konzertes in einem Genueser Theater vor Publikum – der Entzug der Staatsbürgerschaft – der Aufenthalt im Gefängnis von Marassi. Italienische Judenfeinde hatten den absurden Vorwurf konstruiert, die singenden Schwestern hätten während einer Rundfunksendung in ihren Liedern chiffrierte Geheimnachrichten an den Feind übermittelt. Die Gefängnisverwaltung machte sich die Deutschkenntnisse von Alexandrina, Judith und Katharina zunutze, indem sie sie zwang bei Verhören von gefangenen Partisanen zu dolmetschen.
Nach Kriegsende verließ „Caterinetta“ das Trio, offiziell, weil sie heiraten wollte, und wurde durch die junge Maria Bria ersetzt. In der neuen Formation gab die Gesangsgruppe bis 1947 oder 1948, da sind sich die Quellen nicht einig, Konzerte in Italien, um schließlich ein Engagement für Südamerika anzunehmen. Gegen Ende des Jahres 1952 war die musikalische Laufbahn des „Trio Lescano“ beendet.
Das weitere Schicksal der drei Schwestern ist leider ungenügend dokumentiert. Bekannt wurde, dass Katharina 1965 im venezolanischen Caracas verstorben ist, Alexandrina 1987 in Salsomaggiore und Judith allem Anschein nach ebenfalls in Venezuela im Jahre 2007.
Davon, dass das künstlerische Wirken des Trio Lescano auch heute nicht vergessen ist, kündet der sehr ausführliche Eintrag von Wikipedia-Italien, ferner die üppig illustrierte, datenreiche italienische Webseite www.trio-lescano.it; Youtube hält Originaltonaufnahmen mit Fan-Fotos, Filmausschnitten und anderen Dokumenten bereit.
Im Juli 2008 feierte der Dokumentarfilm „Tulip Time: The Rise and Fall of the Trio Lescano“ beim jüdischen Filmfestival von San Francisco, Cal. seine Uraufführung und für 2010 plant der italienische Sender RAI-Uno die Übertragung seines Dokumentarstreifens „Le ragazze dello swing“ unter der Regie von Maurizio Zaccaro.
Quellen:
http://it.wikipedia.org/wiki/Trio_Lescano
http://en.wikipedia.org/wiki/Trio_Lescano
http://www.rapidshare.net/tag/trio-lescano-grandi-voci-della-canzone-italiano
http://showcase.thebluebus.nl/soundtrack-of-my-life/september-2008/trio-lescano
Der italienische Faschismus und die Juden (eine RAI-Produktion von 2008):
http://www.youtube.com/watch?v=3gftU2xLXjc
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